Aufgewachsen als Tochter eines Würzburger Zoologen und einer amerikanischen Biologin war Margret Boveri Anfang der dreißiger Jahre zunächst für das Berliner Tageblatt tätig und arbeitete schließlich als Korrespondentin der angesehenen Frankfurter Zeitung in Stockholm, New York und Lissabon. Nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" machte sie die Wiedervereinigung Deutschlands zu ihrem Hauptanliegen. Geleitet vom Wunsch nach einem gemeinsamen Deutschland und einem genuin "deutschen Weg" trat Boveri früh für eine Verständigung zwischen Ost und West ein und wurde so Vorreiterin einer neuen Ostpolitik.
Heike B. Görtemaker schildert Boveris ambivalente Haltung zum nationalsozialistischen Regime und verfolgt ihren Aufstieg zu einer der einflußreichsten Persönlichkeiten des deutschen Journalismus der Nachkriegsgeschichte. Neben ihrer Arbeit für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Welt, die Zeit und den Merkur erlangte sie auch durch ihre zahlreichen Bücher internationale Beachtung.
Margret Boveris Leben repräsentiert ein zentrales Stück deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Margret Boveri: Ein Leben für den Journalismus
Margret Boveri (1900-1975) war die herausragende Journalistin ihrer Zeit. Ihr Leben verkörpert die Grunderfahrungen einer Generation, deren Weg durch zahlreiche Brüche der deutschen Geschichte bestimmt war. Heike B. Görtemaker zeichnet den Lebensweg dieser ungewöhnlichen Frau nach, zu deren Freundes- und Bekanntenkreis so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Theodor Heuss, Ernst von Weizsäcker, Freya von Moltke, Ernst Jünger, Gottfried Benn und Uwe Johnson zählten.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Heike B. Görtemaker schildert Boveris ambivalente Haltung zum nationalsozialistischen Regime und verfolgt ihren Aufstieg zu einer der einflußreichsten Persönlichkeiten des deutschen Journalismus der Nachkriegsgeschichte. Neben ihrer Arbeit für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Welt, die Zeit und den Merkur erlangte sie auch durch ihre zahlreichen Bücher internationale Beachtung.
Margret Boveris Leben repräsentiert ein zentrales Stück deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Margret Boveri: Ein Leben für den Journalismus
Margret Boveri (1900-1975) war die herausragende Journalistin ihrer Zeit. Ihr Leben verkörpert die Grunderfahrungen einer Generation, deren Weg durch zahlreiche Brüche der deutschen Geschichte bestimmt war. Heike B. Görtemaker zeichnet den Lebensweg dieser ungewöhnlichen Frau nach, zu deren Freundes- und Bekanntenkreis so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Theodor Heuss, Ernst von Weizsäcker, Freya von Moltke, Ernst Jünger, Gottfried Benn und Uwe Johnson zählten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.2005Ihr idealer Lebenszweck war Autofahrt und Schweinespeck
Die deutsche Selfmade-Frau des zwanzigsten Jahrhunderts: Margret Boveri erweist sich in Heike B. Görtemakers Biographie als kompromißlose Journalistin
Guter Rat ist manchmal billig. Am 9. August 1926 schrieb die Biologin Marcella Boveri aus New York an ihre in Deutschland verbliebene Tochter Margret: "Lerne vor allem, Dich zurückzuhalten. Du hast seit Jahren in nervöser Energie und dauerhafter Begeisterung gelebt. Wenn Du aber gelangweilt sein kannst und ruhst - wie wirst Du Deine Arbeit genießen!" Langeweile indes war das, was die damals sechsundzwanzigjährige Geschichtsstudentin Margret Boveri am meisten fürchtete. Die Ärzte hatten ihr wegen häufiger Fieber- und Entzündungserkrankungen ohnehin gerade zu einem Urlaub im Süden geraten, worauf sie in einem Brief an eine Freundin ihr Entsetzen über die "in Aussicht genommene Faulenzerei" ausdrückte.
Trotzdem fiel der Rat nicht nur der besorgten Mutter, sondern auch seitens wohlmeinender Freunde über die Jahre hinweg geradezu monoton aus: Paul Scheffer, ihr Freund und Mentor beim "Berliner Tageblatt", schrieb ihr im November 1936 nach Rom, wo sie sich gerade für zwei Monate im Auftrag der Zeitung aufhielt, sie möge dort "moderiert-faul" agieren und "um keinen Preis pflichttreu" sein. Im März 1939 empfahl wiederum ihr Arzt einen "geruhigen Lebenswandel", worauf Margret Boveri sich in die "Langweiligkeit der neutralen Länder" schickte und eine Korrespondenz für die "Frankfurter Zeitung" in Stockholm annahm. Doch selbst dort noch erreichte sie ein Jahr später das mahnende Schreiben ihres Frankfurter Redaktionskollegen Paul Sethe: "Ich möchte, daß Sie mehr Stunden als bisher dafür finden, mit skandinavischen Bekannten, törichten und wissenden, gleichgültigen und sympathischen, zu plaudern, durch die Straßen zu schlendern, ins Theater zu gehen und in Gottes Namen auch einmal eine Stunde im Kaffee zu verdösen."
Margret Boveri war nicht die Frau für so etwas, denn sie war kein Wunderkind gewesen. Niemand hatte ihr gesagt, wie man Journalist wird, alles war selbst - und hart - erarbeitet. Sethe hatte seinen Aufruf zum Müßiggang auch durchaus mit dem Hintergedanken nach Stockholm gesandt, daß seine Korrespondentin dadurch mehr Stimmungsberichte aus dem im Krieg neutral verbliebenen Schweden hätte schreiben können. Aber Margret Boveri litt geradezu körperlich unter ebendieser Neutralität. Es trieb sie weg, aus beruflichen Gründen - weil sie als Journalistin nicht abseits des Weltgeschehens stehen wollte - und aus privaten, denn Scheffer, den sie auch nach ihrem Weggang vom "Berliner Tageblatt" als Ratgeber schätzte, war mittlerweile als Berichterstatter in die Vereinigten Staaten entsandt worden. Welcher Art die Faszination der mittlerweile vierzigjährigen Boveri für den siebzehn Jahre älteren Kollegen genau war, ist unbekannt, doch beider von 1934 bis zu Scheffers Tod 1963 ununterbrochene Korrespondenz enthält einige Formulierungen, die spüren lassen, daß die Zuneigung Boveris für Scheffer etwas unheimlich war.
Die Erschließung dieser rund siebenhundert Briefe umfassenden Korrespondenz ist das Herzstück der Biographie "Ein deutsches Leben", die die Berliner Historikerin Heike B. Görtemaker der Berliner Journalistin Margret Boveri widmet. Ja, das war sie vor allem: eine Berliner Journalistin, obwohl ihr Gebiet die Außenpolitik war und sie 1900 fern von Berlin, in Würzburg, als Tochter des namhaften Zoologen Theodor Boveri geboren wurde.
Ihr Weg nach Berlin nahm Umwege. Akribisch zeichnet die Biographie den Lebenspfad der Weimarer Zeit nach: von der eher beiläufigen Mitgliedschaft im völkisch geprägten Deutsch-Nationalen Jugendbund über die Enttäuschung der Inflationszeit, als das vom schon 1915 verstorbenen Vater im brüderlichen Großunternehmen Brown, Boveri & Cie. angelegte Kapital verlorenging, bis zur Desillusionierung im bayrischen Schuldienst als Referendarin nach dem Lehramtsstudium. Eins wird klar: Margret Boveri hatte keinen Grund, der Republik mit großer Sympathie zu begegnen. Ihre Bereitschaft, sich später den Bedingungen eines Lebens im Nationalsozialismus zu fügen, entstand aber auch aus der patriotischen Abgrenzung gegen die amerikanische Mutter, die Deutschland 1926 den Rücken gekehrt hatte, um in den Vereinigten Staaten ihre wissenschaftliche Karriere fortzuführen. Hier liest sich Heike Görtemakers Buch wie ein Kommentar zur aktuellen Debatte um die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf. Marcella Boveri ist dieser Spagat nicht geglückt. Ihre Tochter hat ihn gar nicht erst versucht.
Es war auch so nicht leicht für eine Frau, die damals Journalistin werden wollte. Der Plan ihrer Romreise für das "Berliner Tageblatt" etwa traf auf Widerstand in der Redaktion. Scheffer erläuterte ihn ihr in einem Brief und versicherte, daß es eigentlich keinen Grund für die Ablehnung gebe, "außer der Entscheidung der Natur".
Doch die negierte Margret Boveri konsequent. Sie arbeitete härter als ihre männlichen Kollegen. 1930 hatte sie endlich ihren eigenen Weg gefunden: in Berlin, wo sie - ein Skandal in der damaligen Zeit - mit dem verheirateten schwarzen Amerikaner Ernest Everett Just zusammenlebte, der als Zoologe in Deutschland forschte. Doch Berlin sah auch das schnelle Scheitern dieser Beziehung und die mühevollen ersten Schritte in die Welt der Publizistik. Die Anstellung beim "Berliner Tageblatt" im August 1934 etablierte Margret Boveri dann aus dem Nichts heraus an der Spitze des deutschen Journalismus, denn das traditionell liberale Blatt wurde wie die "Frankfurter Zeitung" von den Nazis als publizistisches Aushängeschild Deutschlands geduldet und ließ ein unabhängigeres Arbeiten als in den meisten anderen Redaktionen zu. Dennoch war man in der Berichterstattung alles andere als frei, wie Margret Boveri mehr als dreißig Jahre danach in ihrem Buch "Wir lügen alle" berichtet hat.
Deshalb war es eine Befreiung, als sie erst vom "Tageblatt" und später von ihrem nächsten Arbeitgeber, der "Frankfurter Zeitung", auf Auslandsreisen geschickt wurde. Sie lieferten ihr den Stoff für ihre vielbeachteten Bücher über den Mittelmeerraum und Vorderasien, die zwischen 1936 und 1939 erschienen. Die Margret Boveri jener Zeit war eine ruhelose Frau, die ihre engsten Beziehungen mit den rasch wechselnden Automobilen unterhielt, die sie auf Namen wie "Mathis", "Bungo" oder "Lettus" taufte. Auf ihren Grabstein, so schrieb sie 1943, könne man setzen: "Sie liebte rohes Fleisch und Chauffieren."
Als sie das notierte, war Margret Boveri in Lissabon im Einsatz, wohin es sie verschlagen hatte, nachdem sie 1940 doch noch als Korrespondentin in die Vereinigten Staaten entsandt, dort aber nach dem amerikanischen Kriegseintritt interniert und schließlich nach Portugal abgeschoben worden war. In Lissabon gab es noch Zeitungen aus den alliierten Feindstaaten zu lesen, und auf der Grundlage von deren Berichten stellte Margret Boveri wiederum eigene Artikel für die "Frankfurter Zeitung" zusammen. Aber das Blatt wurde Ende August 1943 geschlossen, weil nun auch der letzte Rest an freier Berichterstattung in Deutschland nicht mehr toleriert wurde, und die Redaktionsmitglieder wurden auf regimetreue Zeitungen verteilt. Margret Boveri kam bei der neugegründeten Wochenzeitung "Das Reich" unter und siedelte endgültig nach Berlin um.
Hier blieb sie bis zu ihrem Tod 1975. Sie blieb dort während der Bombenangriffe, des Einmarschs der Russen und später der Blockade. Sie sah es als Ehrenpflicht an, im Zentrum des Sturms auszuharren und darüber Zeugnis abzulegen, was sie im Frühjahr 1945 in einem mehr als hundertseitigen Bericht über die Eroberung der Stadt tat, den sie sorgsam verbarg und erst für die Zeit nach ihrem Tod für eine Publikation vorsah. Er sollte aber schließlich die Basis werden für ihr Erinnerungsbuch "Tage des Überlebens", das 1968 erschien.
In Berlin saß sie an der Nahtstelle des Kalten Kriegs, und die Teilung von Stadt und Land war die Wunde, die sich in Margret Boveri nicht mehr schloß. Durch ihren Ruhm als Außenpolitikexpertin, der selbst in den letzten beiden Kriegsjahren, als ihr keine unabhängige Berichterstattung mehr möglich war, intakt geblieben war, fand sie schnell neue Publikationsforen in der jungen Presselandschaft, darunter auch in dieser Zeitung, wo es mit Erich Welter und Karl Korn gleich zwei Kollegen in verantwortlicher Position gab, mit denen Margret Boveri schon zuvor zusammengearbeitet hatte. Doch sie weigerte sich, auch nur das kleinste Zugeständnis an Adenauers Politik der Westbindung zu machen, und war deshalb vor allem im Feuilleton vertreten. Ihre politischen Kommentare erschienen meist in der Monatszeitschrift "Merkur".
"Die Bundesrepublik hätte nie entstehen sollen", schrieb sie 1953 an Paul Scheffer. Sie verteidigte das Erbe des Deutschen Reichs als eines ständestaatlichen statt demokratischen Landes, weil das ihrem Elitebild entsprach. Mit der zweiten deutschen Republik arrangierte sie sich erst, als die Ostpolitik Willy Brandts vollzog, was sie immer gefordert hatte: die Annäherung an den Warschauer Pakt, um Deutschlands Einheit zu erreichen. Dennoch blieb sie eine publizistische Stimme, die im Konzert der bundesdeutschen Mehrheitsmeinung gerne ihren Sondersang erschallen ließ. Diese Rolle kommt in Heike Görtemakers Buch etwas zu kurz, das sich vor allem auf die Zeit des "Dritten Reichs" konzentriert. Verkaufsstrategisch ist das zu verstehen, aber man hätte sich mehr gewünscht - gerade weil es sich nicht nur um ein materialreiches, sondern auch um ein blendend formuliertes Buch handelt, das erkennbar von der Schulung der Autorin an Margret Boveris journalistischen Arbeiten profitiert hat.
Doch selbst diese lebendige Darstellung läßt eines weiter im unklaren: den Charakter der Dargestellten selbst, denn Margret Boveri stellte in ihrer Korrespondenz stets die Erlebnisse als Journalistin in den Mittelpunkt; private Bemerkungen finden sich selten. Nicht umsonst versandte sie seit ihrer Anstellung beim "Berliner Tageblatt" sogenannte "Rundbriefe" an ihre Freunde, die sich verpflichten mußten, diese Mitteilungen nach Anfertigung einer Abschrift wieder an Margret Boveri zurückzusenden, damit die Verfasserin sie weiter versenden und schließlich - noch wichtiger - archivieren konnte. Nicht nur der Natur hatte sie deren Entscheidung nicht überlassen wollen, auch sonst sollten alle sich ihren Entscheidungen fügen. Die Biographie zeigt Margret Boveri als eine Wunderfrau eigenen Rechts.
ANDREAS PLATTHAUS
Heike B. Görtemaker: "Ein deutsches Leben". Die Geschichte der Margret Boveri. Verlag C. H. Beck, München 2005. 416 S., 18 Abb., geb., 26,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die deutsche Selfmade-Frau des zwanzigsten Jahrhunderts: Margret Boveri erweist sich in Heike B. Görtemakers Biographie als kompromißlose Journalistin
Guter Rat ist manchmal billig. Am 9. August 1926 schrieb die Biologin Marcella Boveri aus New York an ihre in Deutschland verbliebene Tochter Margret: "Lerne vor allem, Dich zurückzuhalten. Du hast seit Jahren in nervöser Energie und dauerhafter Begeisterung gelebt. Wenn Du aber gelangweilt sein kannst und ruhst - wie wirst Du Deine Arbeit genießen!" Langeweile indes war das, was die damals sechsundzwanzigjährige Geschichtsstudentin Margret Boveri am meisten fürchtete. Die Ärzte hatten ihr wegen häufiger Fieber- und Entzündungserkrankungen ohnehin gerade zu einem Urlaub im Süden geraten, worauf sie in einem Brief an eine Freundin ihr Entsetzen über die "in Aussicht genommene Faulenzerei" ausdrückte.
Trotzdem fiel der Rat nicht nur der besorgten Mutter, sondern auch seitens wohlmeinender Freunde über die Jahre hinweg geradezu monoton aus: Paul Scheffer, ihr Freund und Mentor beim "Berliner Tageblatt", schrieb ihr im November 1936 nach Rom, wo sie sich gerade für zwei Monate im Auftrag der Zeitung aufhielt, sie möge dort "moderiert-faul" agieren und "um keinen Preis pflichttreu" sein. Im März 1939 empfahl wiederum ihr Arzt einen "geruhigen Lebenswandel", worauf Margret Boveri sich in die "Langweiligkeit der neutralen Länder" schickte und eine Korrespondenz für die "Frankfurter Zeitung" in Stockholm annahm. Doch selbst dort noch erreichte sie ein Jahr später das mahnende Schreiben ihres Frankfurter Redaktionskollegen Paul Sethe: "Ich möchte, daß Sie mehr Stunden als bisher dafür finden, mit skandinavischen Bekannten, törichten und wissenden, gleichgültigen und sympathischen, zu plaudern, durch die Straßen zu schlendern, ins Theater zu gehen und in Gottes Namen auch einmal eine Stunde im Kaffee zu verdösen."
Margret Boveri war nicht die Frau für so etwas, denn sie war kein Wunderkind gewesen. Niemand hatte ihr gesagt, wie man Journalist wird, alles war selbst - und hart - erarbeitet. Sethe hatte seinen Aufruf zum Müßiggang auch durchaus mit dem Hintergedanken nach Stockholm gesandt, daß seine Korrespondentin dadurch mehr Stimmungsberichte aus dem im Krieg neutral verbliebenen Schweden hätte schreiben können. Aber Margret Boveri litt geradezu körperlich unter ebendieser Neutralität. Es trieb sie weg, aus beruflichen Gründen - weil sie als Journalistin nicht abseits des Weltgeschehens stehen wollte - und aus privaten, denn Scheffer, den sie auch nach ihrem Weggang vom "Berliner Tageblatt" als Ratgeber schätzte, war mittlerweile als Berichterstatter in die Vereinigten Staaten entsandt worden. Welcher Art die Faszination der mittlerweile vierzigjährigen Boveri für den siebzehn Jahre älteren Kollegen genau war, ist unbekannt, doch beider von 1934 bis zu Scheffers Tod 1963 ununterbrochene Korrespondenz enthält einige Formulierungen, die spüren lassen, daß die Zuneigung Boveris für Scheffer etwas unheimlich war.
Die Erschließung dieser rund siebenhundert Briefe umfassenden Korrespondenz ist das Herzstück der Biographie "Ein deutsches Leben", die die Berliner Historikerin Heike B. Görtemaker der Berliner Journalistin Margret Boveri widmet. Ja, das war sie vor allem: eine Berliner Journalistin, obwohl ihr Gebiet die Außenpolitik war und sie 1900 fern von Berlin, in Würzburg, als Tochter des namhaften Zoologen Theodor Boveri geboren wurde.
Ihr Weg nach Berlin nahm Umwege. Akribisch zeichnet die Biographie den Lebenspfad der Weimarer Zeit nach: von der eher beiläufigen Mitgliedschaft im völkisch geprägten Deutsch-Nationalen Jugendbund über die Enttäuschung der Inflationszeit, als das vom schon 1915 verstorbenen Vater im brüderlichen Großunternehmen Brown, Boveri & Cie. angelegte Kapital verlorenging, bis zur Desillusionierung im bayrischen Schuldienst als Referendarin nach dem Lehramtsstudium. Eins wird klar: Margret Boveri hatte keinen Grund, der Republik mit großer Sympathie zu begegnen. Ihre Bereitschaft, sich später den Bedingungen eines Lebens im Nationalsozialismus zu fügen, entstand aber auch aus der patriotischen Abgrenzung gegen die amerikanische Mutter, die Deutschland 1926 den Rücken gekehrt hatte, um in den Vereinigten Staaten ihre wissenschaftliche Karriere fortzuführen. Hier liest sich Heike Görtemakers Buch wie ein Kommentar zur aktuellen Debatte um die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf. Marcella Boveri ist dieser Spagat nicht geglückt. Ihre Tochter hat ihn gar nicht erst versucht.
Es war auch so nicht leicht für eine Frau, die damals Journalistin werden wollte. Der Plan ihrer Romreise für das "Berliner Tageblatt" etwa traf auf Widerstand in der Redaktion. Scheffer erläuterte ihn ihr in einem Brief und versicherte, daß es eigentlich keinen Grund für die Ablehnung gebe, "außer der Entscheidung der Natur".
Doch die negierte Margret Boveri konsequent. Sie arbeitete härter als ihre männlichen Kollegen. 1930 hatte sie endlich ihren eigenen Weg gefunden: in Berlin, wo sie - ein Skandal in der damaligen Zeit - mit dem verheirateten schwarzen Amerikaner Ernest Everett Just zusammenlebte, der als Zoologe in Deutschland forschte. Doch Berlin sah auch das schnelle Scheitern dieser Beziehung und die mühevollen ersten Schritte in die Welt der Publizistik. Die Anstellung beim "Berliner Tageblatt" im August 1934 etablierte Margret Boveri dann aus dem Nichts heraus an der Spitze des deutschen Journalismus, denn das traditionell liberale Blatt wurde wie die "Frankfurter Zeitung" von den Nazis als publizistisches Aushängeschild Deutschlands geduldet und ließ ein unabhängigeres Arbeiten als in den meisten anderen Redaktionen zu. Dennoch war man in der Berichterstattung alles andere als frei, wie Margret Boveri mehr als dreißig Jahre danach in ihrem Buch "Wir lügen alle" berichtet hat.
Deshalb war es eine Befreiung, als sie erst vom "Tageblatt" und später von ihrem nächsten Arbeitgeber, der "Frankfurter Zeitung", auf Auslandsreisen geschickt wurde. Sie lieferten ihr den Stoff für ihre vielbeachteten Bücher über den Mittelmeerraum und Vorderasien, die zwischen 1936 und 1939 erschienen. Die Margret Boveri jener Zeit war eine ruhelose Frau, die ihre engsten Beziehungen mit den rasch wechselnden Automobilen unterhielt, die sie auf Namen wie "Mathis", "Bungo" oder "Lettus" taufte. Auf ihren Grabstein, so schrieb sie 1943, könne man setzen: "Sie liebte rohes Fleisch und Chauffieren."
Als sie das notierte, war Margret Boveri in Lissabon im Einsatz, wohin es sie verschlagen hatte, nachdem sie 1940 doch noch als Korrespondentin in die Vereinigten Staaten entsandt, dort aber nach dem amerikanischen Kriegseintritt interniert und schließlich nach Portugal abgeschoben worden war. In Lissabon gab es noch Zeitungen aus den alliierten Feindstaaten zu lesen, und auf der Grundlage von deren Berichten stellte Margret Boveri wiederum eigene Artikel für die "Frankfurter Zeitung" zusammen. Aber das Blatt wurde Ende August 1943 geschlossen, weil nun auch der letzte Rest an freier Berichterstattung in Deutschland nicht mehr toleriert wurde, und die Redaktionsmitglieder wurden auf regimetreue Zeitungen verteilt. Margret Boveri kam bei der neugegründeten Wochenzeitung "Das Reich" unter und siedelte endgültig nach Berlin um.
Hier blieb sie bis zu ihrem Tod 1975. Sie blieb dort während der Bombenangriffe, des Einmarschs der Russen und später der Blockade. Sie sah es als Ehrenpflicht an, im Zentrum des Sturms auszuharren und darüber Zeugnis abzulegen, was sie im Frühjahr 1945 in einem mehr als hundertseitigen Bericht über die Eroberung der Stadt tat, den sie sorgsam verbarg und erst für die Zeit nach ihrem Tod für eine Publikation vorsah. Er sollte aber schließlich die Basis werden für ihr Erinnerungsbuch "Tage des Überlebens", das 1968 erschien.
In Berlin saß sie an der Nahtstelle des Kalten Kriegs, und die Teilung von Stadt und Land war die Wunde, die sich in Margret Boveri nicht mehr schloß. Durch ihren Ruhm als Außenpolitikexpertin, der selbst in den letzten beiden Kriegsjahren, als ihr keine unabhängige Berichterstattung mehr möglich war, intakt geblieben war, fand sie schnell neue Publikationsforen in der jungen Presselandschaft, darunter auch in dieser Zeitung, wo es mit Erich Welter und Karl Korn gleich zwei Kollegen in verantwortlicher Position gab, mit denen Margret Boveri schon zuvor zusammengearbeitet hatte. Doch sie weigerte sich, auch nur das kleinste Zugeständnis an Adenauers Politik der Westbindung zu machen, und war deshalb vor allem im Feuilleton vertreten. Ihre politischen Kommentare erschienen meist in der Monatszeitschrift "Merkur".
"Die Bundesrepublik hätte nie entstehen sollen", schrieb sie 1953 an Paul Scheffer. Sie verteidigte das Erbe des Deutschen Reichs als eines ständestaatlichen statt demokratischen Landes, weil das ihrem Elitebild entsprach. Mit der zweiten deutschen Republik arrangierte sie sich erst, als die Ostpolitik Willy Brandts vollzog, was sie immer gefordert hatte: die Annäherung an den Warschauer Pakt, um Deutschlands Einheit zu erreichen. Dennoch blieb sie eine publizistische Stimme, die im Konzert der bundesdeutschen Mehrheitsmeinung gerne ihren Sondersang erschallen ließ. Diese Rolle kommt in Heike Görtemakers Buch etwas zu kurz, das sich vor allem auf die Zeit des "Dritten Reichs" konzentriert. Verkaufsstrategisch ist das zu verstehen, aber man hätte sich mehr gewünscht - gerade weil es sich nicht nur um ein materialreiches, sondern auch um ein blendend formuliertes Buch handelt, das erkennbar von der Schulung der Autorin an Margret Boveris journalistischen Arbeiten profitiert hat.
Doch selbst diese lebendige Darstellung läßt eines weiter im unklaren: den Charakter der Dargestellten selbst, denn Margret Boveri stellte in ihrer Korrespondenz stets die Erlebnisse als Journalistin in den Mittelpunkt; private Bemerkungen finden sich selten. Nicht umsonst versandte sie seit ihrer Anstellung beim "Berliner Tageblatt" sogenannte "Rundbriefe" an ihre Freunde, die sich verpflichten mußten, diese Mitteilungen nach Anfertigung einer Abschrift wieder an Margret Boveri zurückzusenden, damit die Verfasserin sie weiter versenden und schließlich - noch wichtiger - archivieren konnte. Nicht nur der Natur hatte sie deren Entscheidung nicht überlassen wollen, auch sonst sollten alle sich ihren Entscheidungen fügen. Die Biographie zeigt Margret Boveri als eine Wunderfrau eigenen Rechts.
ANDREAS PLATTHAUS
Heike B. Görtemaker: "Ein deutsches Leben". Die Geschichte der Margret Boveri. Verlag C. H. Beck, München 2005. 416 S., 18 Abb., geb., 26,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2005Eine gefährlich schlaue Frau
Rund ums Mittelmeer, in Amerika, im bombardierten Berlin oder abgeschoben ins Feuilleton: Margret Boveri blieb national gesinnt. Heide B. Görtemaker erzählt vom Leben der Publizistin
Anfang der siebziger Jahre war für jüngere Redakteure der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Buch „Wir lügen alle - Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler” (1965) von Margret Boveri noch Pflichtlektüre. Ältere wie Nikolas Benckiser, die mit ihr in der legendären Frankfurter Zeitung zusammengearbeitet hatten, erkundigten sich dezent, ob man es gelesen habe. Avancierte wie Bruno Deschamps, der die Schwierigkeiten miterlebt hatte, die zwischen der Autorin und der neuen Frankfurter bestanden, fragten ungeniert danach, wenn auch nicht ohne genüsslichen Spott. Der Gründungsherausgeber der Zeitung, Erich Welter, ruppiger Freund und Helfer der bewunderten Journalistin, konnte stundenlang über den erstaunlichen Chefredakteur des Berliner Tagblatts schwärmen: Paul Scheffer. Er war der wichtigste Förderer der Boveri am Beginn ihrer Karriere gewesen. Das musste man wissen.
Margret Boveri, weithin bekannt aufgrund ihres bedeutenden Werks über „Verrat im XX. Jahrhundert”, war eine national gesinnte deutsche Publizistin. Aufgewachsen in Süddeutschland als Tochter eines Biologieprofessors und seiner amerikanischen Frau, ebenfalls Naturwissenschaftlerin, war sie beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 14 Jahre alt und verfolgte das Geschehen mit glühender Anteilnahme. Dass die Engländer gegen das Deutsche Reich in den Krieg eingegriffen hatten - und dann auch die Amerikaner - empörte sie. Davon blieb ein lebenslanges Ressentiment gegenüber den angelsächsischen Mächten in der längst weit gereisten und welterfahrenen Publizistin zurück. Der Vater, den sie grenzenlos bewunderte, starb früh. Ihr Vormund war kein Geringerer als Conrad Röntgen. Ihre Mutter ging in die USA zurück und etablierte sich trotz ihres Alters als erfolgreiche Dozentin. Die Tochter blieb mit ihr in enger Verbindung.
Margret Boveri war im Fränkischen angenehm begütert, aber nicht reich. Sie musste Geld verdienen und kam nach einiger Zeit - und einer Promotion im Fach Geschichte - darauf, Journalistin zu werden. Mit großer Beharrlichkeit strebte sie nach einem Platz in der Frankfurter Zeitung, ihre Lehrzeit aber absolvierte sie beim Berliner Tagblatt. Sie reiste viel und scheute weder Gefahren noch Unbequemlichkeiten. Sie war eine eminent unerschrockene Frau, und das musste sie sein, denn die Frankfurter Zeitung mochte keine Frauen, schon gar nicht als Teilnehmer bei den Redaktionskonferenzen. Sie erreichte die Anstellung, nachdem sie in der Männer-Riege an der „Großen Eschenheimer” die Leute gefunden hatte, die ihr dabei halfen. Das waren Oskar Stark (nach dem Krieg Chefredakteur der Badischen Zeitung in Freiburg) und eben Erich Welter. Benno Reifenberg, der später ihr bevorzugter Gesprächspartner in Frankfurt werden sollte, war es zunächst nicht.
Die schon mit einem erfolgreichen Buch („Weltgeschehen am Mittelmeer”) hervorgetretene Journalistin erlebte den Kriegsausbruch als Korrespondentin in Stockholm, wo sie nicht glücklich war, ging dann in die USA - per Eisenbahn durch die Sowjetunion, kurz vor Hitlers Einmarsch - wurde dort erst interniert, dann ausgewiesen, ging nach Lissabon und Madrid und kehrte schließlich, zum Missfallen ihrer Schweizer Verwandten, nach Berlin zurück, wo sie den Untergang der Stadt erlebte. Auch darüber hat sie ein bemerkenswertes Buch geschrieben: „Tage des Überlebens - Berlin 1945”.
Nach dem Krieg entwickelte sie sich zu einer entschiedenen Gegnerin der Politik Adenauers und der Westorientierung der Bundesrepublik. Darüber konnte sie allerdings fast nur in der Monatszeitschrift Merkur schreiben. Bei der Badischen Zeitung und später bei der FAZ schätzte man ihre politischen Invektiven überhaupt nicht. In Freiburg beendete man deshalb nach zehn Jahren die Zusammenarbeit. In Frankfurt schob man sie ins Feuilleton ab, für das sie als so genannte feste Freie schrieb.
Politisch wurde Margret Boveris Lage vertrackt. Zunächst geriet sie mit ihrer betont nationalen Haltung in die Nähe der Rechten (Ernst Jünger, Carl Schmitt), die sie mehr schätzte als umgekehrt. Seit Beginn der sechziger Jahre aber näherte sie sich den Sozialdemokraten Willy Brandts an, deren Politik ihr den deutschen Interessen angemessener zu sein schien. Hatte sie anfangs die CDU bekämpft, weil diese in ihren Augen die Wiedervereinigung Deutschlands unmöglich machte, so trat sie jetzt gegen die CDU auf, weil sie die Anerkennung der DDR für erforderlich hielt. In der FAZ sah man beides mit Schmerz, aber man verehrte die kluge Frau unbeirrt. Gegen Ende ihres Lebens fand sie in Uwe Johnson einen kritischen Gesprächspartner, der sie zwang, sich über sich selbst und ihre politischen Haltungen im 20. Jahrhundert Klarheit zu verschaffen. Das ging nicht ohne Heftigkeit ab. Schließlich befand sie, ihre Eltern hätten sie Moral gelehrt. Aber Moral ohne Religion, die sie nicht vermittelt bekam, sei in schwierigen Lagen nicht ausreichend.
Was war mit Margret Boveri in den Jahren unter Hitler gewesen? Sicherlich war die Vertraute Paul Scheffers, die Korrespondentin der FZ, keine Nationalsozialistin gewesen. Aber im Krieg, so bekannte sie einmal, habe es in der Redaktion nur zwei gegeben, die Deutschlands Sieg wünschten: Sie war eine davon. Die Emigranten mochte sie nicht. Hannah Arendt, ebenfalls mit Johnson befreundet, attestierte sie, „von einer bösartigen und rachsüchtigen Gescheitheit” zu sein. Aber es war die demokratische Linke, die sie schließlich mit der Existenz der Bundesrepublik versöhnte.
Heike B. Görtemaker erzählt das Leben dieser Frau schlank und schnell an den Fakten und Daten entlang, die sie vor allem aus dem immensen Briefwerk der jeden Tag des Lebens viel schreibenden Publizistin gewinnt. Sie belässt es zumeist dabei, stellt selten eigene Reflexionen dagegen, längere schon gar nicht. So ist die Biografie als gut lesbares Buch gelungen. Zu vielem muss der Leser sich seine eigenen Gedanken machen. Dazu kann er immerhin auf die Bücher Boveris zurückgreifen. An einer harmlosen Stelle im Mittelmeer-Buch (1936) der Mittdreißigerin liest man etwa von einer langen, ermüdenden Fahrt „auf vorfaschistischen durchlöcherten Straßen”. So macht sie in der neuen Zeit leichthin Stimmung für sich: Ich erkenne wohl, was alles besser wird; ich bin keineswegs blindlings gegen Veränderungen. Das ist nicht viel, aber auch nicht nichts. Die Autorin suggeriert dem Leser: Im Faschismus kann man leben, in mancher Hinsicht sogar besser als vorher.
Es war also vielleicht nicht nur das Frausein, was manchen FZ-Redakteur Zurückhaltung üben ließ. Margret Boveri war eine Frau mit gefährlicher intellektueller Wirkung. Anfang der fünfziger Jahre musste FAZ-Herausgeber Paul Sethe ihr klarmachen, dass ihre politischen Vorstellungen in der Zeitung nicht auf Gegenliebe stießen. Wenig später schrieb er selber wie sie - und flog. Sethe verfasste dann ein Buch über diese politischen Vorstellungen. Boveri wollte es in der FAZ besprechen: „Das ist mein Thema”, sagte sie. Das ist Ihre Meinung, sagte der um eine Entscheidung gebetene Jürgen Tern, der es ihr ausreden musste. Wenig später, die neue Ostpolitik zeichnete sich schon am Horizont ab, schrieb er wie sie - und flog. Margret Boveri aber arbeitet unverdrossen weiter für das Feuilleton. Einmal hatte sich Friedrich Sieburg nach einem Telefonat mit ihr an Erich Welter gewandt. Der antwortete, die Sache sei erledigt: „Da ich grob mit ihr sprach, war sie hochbefriedigt. Denn das ist der Ton, den sie liebt, während sie Höflichkeit immer zum Widerspruch herausfordert.” Genau das ist das Problem.
Heide B. Görtemaker
Ein deutsches Leben - die Geschichte der Margret Boveri (1900-1975)
C.H. Beck Verlag, München 2005. 416 Seiten, 26,90 Euro.
Eine eminent unerschrockene Frau, die viel reiste und weder Gefahren noch Unbequemlichkeiten scheute: Margret Boveri während ihrer Ägypten-Reise 1936.
Foto: C.H. Beck
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Rund ums Mittelmeer, in Amerika, im bombardierten Berlin oder abgeschoben ins Feuilleton: Margret Boveri blieb national gesinnt. Heide B. Görtemaker erzählt vom Leben der Publizistin
Anfang der siebziger Jahre war für jüngere Redakteure der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Buch „Wir lügen alle - Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler” (1965) von Margret Boveri noch Pflichtlektüre. Ältere wie Nikolas Benckiser, die mit ihr in der legendären Frankfurter Zeitung zusammengearbeitet hatten, erkundigten sich dezent, ob man es gelesen habe. Avancierte wie Bruno Deschamps, der die Schwierigkeiten miterlebt hatte, die zwischen der Autorin und der neuen Frankfurter bestanden, fragten ungeniert danach, wenn auch nicht ohne genüsslichen Spott. Der Gründungsherausgeber der Zeitung, Erich Welter, ruppiger Freund und Helfer der bewunderten Journalistin, konnte stundenlang über den erstaunlichen Chefredakteur des Berliner Tagblatts schwärmen: Paul Scheffer. Er war der wichtigste Förderer der Boveri am Beginn ihrer Karriere gewesen. Das musste man wissen.
Margret Boveri, weithin bekannt aufgrund ihres bedeutenden Werks über „Verrat im XX. Jahrhundert”, war eine national gesinnte deutsche Publizistin. Aufgewachsen in Süddeutschland als Tochter eines Biologieprofessors und seiner amerikanischen Frau, ebenfalls Naturwissenschaftlerin, war sie beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 14 Jahre alt und verfolgte das Geschehen mit glühender Anteilnahme. Dass die Engländer gegen das Deutsche Reich in den Krieg eingegriffen hatten - und dann auch die Amerikaner - empörte sie. Davon blieb ein lebenslanges Ressentiment gegenüber den angelsächsischen Mächten in der längst weit gereisten und welterfahrenen Publizistin zurück. Der Vater, den sie grenzenlos bewunderte, starb früh. Ihr Vormund war kein Geringerer als Conrad Röntgen. Ihre Mutter ging in die USA zurück und etablierte sich trotz ihres Alters als erfolgreiche Dozentin. Die Tochter blieb mit ihr in enger Verbindung.
Margret Boveri war im Fränkischen angenehm begütert, aber nicht reich. Sie musste Geld verdienen und kam nach einiger Zeit - und einer Promotion im Fach Geschichte - darauf, Journalistin zu werden. Mit großer Beharrlichkeit strebte sie nach einem Platz in der Frankfurter Zeitung, ihre Lehrzeit aber absolvierte sie beim Berliner Tagblatt. Sie reiste viel und scheute weder Gefahren noch Unbequemlichkeiten. Sie war eine eminent unerschrockene Frau, und das musste sie sein, denn die Frankfurter Zeitung mochte keine Frauen, schon gar nicht als Teilnehmer bei den Redaktionskonferenzen. Sie erreichte die Anstellung, nachdem sie in der Männer-Riege an der „Großen Eschenheimer” die Leute gefunden hatte, die ihr dabei halfen. Das waren Oskar Stark (nach dem Krieg Chefredakteur der Badischen Zeitung in Freiburg) und eben Erich Welter. Benno Reifenberg, der später ihr bevorzugter Gesprächspartner in Frankfurt werden sollte, war es zunächst nicht.
Die schon mit einem erfolgreichen Buch („Weltgeschehen am Mittelmeer”) hervorgetretene Journalistin erlebte den Kriegsausbruch als Korrespondentin in Stockholm, wo sie nicht glücklich war, ging dann in die USA - per Eisenbahn durch die Sowjetunion, kurz vor Hitlers Einmarsch - wurde dort erst interniert, dann ausgewiesen, ging nach Lissabon und Madrid und kehrte schließlich, zum Missfallen ihrer Schweizer Verwandten, nach Berlin zurück, wo sie den Untergang der Stadt erlebte. Auch darüber hat sie ein bemerkenswertes Buch geschrieben: „Tage des Überlebens - Berlin 1945”.
Nach dem Krieg entwickelte sie sich zu einer entschiedenen Gegnerin der Politik Adenauers und der Westorientierung der Bundesrepublik. Darüber konnte sie allerdings fast nur in der Monatszeitschrift Merkur schreiben. Bei der Badischen Zeitung und später bei der FAZ schätzte man ihre politischen Invektiven überhaupt nicht. In Freiburg beendete man deshalb nach zehn Jahren die Zusammenarbeit. In Frankfurt schob man sie ins Feuilleton ab, für das sie als so genannte feste Freie schrieb.
Politisch wurde Margret Boveris Lage vertrackt. Zunächst geriet sie mit ihrer betont nationalen Haltung in die Nähe der Rechten (Ernst Jünger, Carl Schmitt), die sie mehr schätzte als umgekehrt. Seit Beginn der sechziger Jahre aber näherte sie sich den Sozialdemokraten Willy Brandts an, deren Politik ihr den deutschen Interessen angemessener zu sein schien. Hatte sie anfangs die CDU bekämpft, weil diese in ihren Augen die Wiedervereinigung Deutschlands unmöglich machte, so trat sie jetzt gegen die CDU auf, weil sie die Anerkennung der DDR für erforderlich hielt. In der FAZ sah man beides mit Schmerz, aber man verehrte die kluge Frau unbeirrt. Gegen Ende ihres Lebens fand sie in Uwe Johnson einen kritischen Gesprächspartner, der sie zwang, sich über sich selbst und ihre politischen Haltungen im 20. Jahrhundert Klarheit zu verschaffen. Das ging nicht ohne Heftigkeit ab. Schließlich befand sie, ihre Eltern hätten sie Moral gelehrt. Aber Moral ohne Religion, die sie nicht vermittelt bekam, sei in schwierigen Lagen nicht ausreichend.
Was war mit Margret Boveri in den Jahren unter Hitler gewesen? Sicherlich war die Vertraute Paul Scheffers, die Korrespondentin der FZ, keine Nationalsozialistin gewesen. Aber im Krieg, so bekannte sie einmal, habe es in der Redaktion nur zwei gegeben, die Deutschlands Sieg wünschten: Sie war eine davon. Die Emigranten mochte sie nicht. Hannah Arendt, ebenfalls mit Johnson befreundet, attestierte sie, „von einer bösartigen und rachsüchtigen Gescheitheit” zu sein. Aber es war die demokratische Linke, die sie schließlich mit der Existenz der Bundesrepublik versöhnte.
Heike B. Görtemaker erzählt das Leben dieser Frau schlank und schnell an den Fakten und Daten entlang, die sie vor allem aus dem immensen Briefwerk der jeden Tag des Lebens viel schreibenden Publizistin gewinnt. Sie belässt es zumeist dabei, stellt selten eigene Reflexionen dagegen, längere schon gar nicht. So ist die Biografie als gut lesbares Buch gelungen. Zu vielem muss der Leser sich seine eigenen Gedanken machen. Dazu kann er immerhin auf die Bücher Boveris zurückgreifen. An einer harmlosen Stelle im Mittelmeer-Buch (1936) der Mittdreißigerin liest man etwa von einer langen, ermüdenden Fahrt „auf vorfaschistischen durchlöcherten Straßen”. So macht sie in der neuen Zeit leichthin Stimmung für sich: Ich erkenne wohl, was alles besser wird; ich bin keineswegs blindlings gegen Veränderungen. Das ist nicht viel, aber auch nicht nichts. Die Autorin suggeriert dem Leser: Im Faschismus kann man leben, in mancher Hinsicht sogar besser als vorher.
Es war also vielleicht nicht nur das Frausein, was manchen FZ-Redakteur Zurückhaltung üben ließ. Margret Boveri war eine Frau mit gefährlicher intellektueller Wirkung. Anfang der fünfziger Jahre musste FAZ-Herausgeber Paul Sethe ihr klarmachen, dass ihre politischen Vorstellungen in der Zeitung nicht auf Gegenliebe stießen. Wenig später schrieb er selber wie sie - und flog. Sethe verfasste dann ein Buch über diese politischen Vorstellungen. Boveri wollte es in der FAZ besprechen: „Das ist mein Thema”, sagte sie. Das ist Ihre Meinung, sagte der um eine Entscheidung gebetene Jürgen Tern, der es ihr ausreden musste. Wenig später, die neue Ostpolitik zeichnete sich schon am Horizont ab, schrieb er wie sie - und flog. Margret Boveri aber arbeitet unverdrossen weiter für das Feuilleton. Einmal hatte sich Friedrich Sieburg nach einem Telefonat mit ihr an Erich Welter gewandt. Der antwortete, die Sache sei erledigt: „Da ich grob mit ihr sprach, war sie hochbefriedigt. Denn das ist der Ton, den sie liebt, während sie Höflichkeit immer zum Widerspruch herausfordert.” Genau das ist das Problem.
Heide B. Görtemaker
Ein deutsches Leben - die Geschichte der Margret Boveri (1900-1975)
C.H. Beck Verlag, München 2005. 416 Seiten, 26,90 Euro.
Eine eminent unerschrockene Frau, die viel reiste und weder Gefahren noch Unbequemlichkeiten scheute: Margret Boveri während ihrer Ägypten-Reise 1936.
Foto: C.H. Beck
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Recht angetan zeigt sich Rezensent Andreas Platthaus von dieser Biografie Margret Boveris, die die Berliner Historikerin Heike B. Görtemaker jetzt vorgelegt hat. Platthaus rekapituliert die wichtigsten Stationen der Biografie Boveris, der "deutschen Selfmade-Frau des zwanzigsten Jahrhunderts" und "kompromisslosen Journalistin", die sich aus dem Nichts an die Spitze des deutschen Journalismus geschrieben hatte. Er berichtet über ihre Ruhelosigkeit, die zahlreichen Auslandsaufenthalte und ihre Freundschaft mit Paul Scheffer vom "Berliner Tageblatt". In der Erschließung der Korrespondenz mit Scheffer sieht Platthaus auch das "Herzstück" dieser "akribischen" Biografie. Etwas zu kurz kommt seines Erachtens die Rolle Boveris in der deutschen Medienlandschaft nach dem zweiten Weltkrieg, was er darauf zurückführt, dass sich das Buch vor allem auf die Zeit des "Dritten Reichs" konzentriert. Gleichwohl lobt er die "lebendige Darstellung" in Görtemakers "materialreichem" und "blendend formuliertem" Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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