Der Jesuit Heinrich Roth reiste zwischen 1649 und seinem Tod 1668 in Agra insgesamt zweimal auf dem Landweg nach Indien. Die bemerkenswerte Leistung steht im direkten Zusammenhang mit der erweiterten Missionstätigkeit seines Ordens im 17. Jahrhundert und sollte ursprünglich eine kürzere und
schnellere Alternativroute nach China als die Seeroute um Kap Horn erschließen, jedoch wurde das Projekt aus…mehrDer Jesuit Heinrich Roth reiste zwischen 1649 und seinem Tod 1668 in Agra insgesamt zweimal auf dem Landweg nach Indien. Die bemerkenswerte Leistung steht im direkten Zusammenhang mit der erweiterten Missionstätigkeit seines Ordens im 17. Jahrhundert und sollte ursprünglich eine kürzere und schnellere Alternativroute nach China als die Seeroute um Kap Horn erschließen, jedoch wurde das Projekt aus politischen Gründen später nicht weiter verfolgt. „Ein Dillinger in Indien“ zeichnet Roths Lebensweg nach, vor allem aber seine Reisetätigkeit, die sich anhand überlieferter Quellen in bemerkenswerter Detailliertheit rekonstruieren lässt. Hierbei setzen die Autoren nicht nur einen geografischen Fokus, sondern beleuchten auch die religiöse Motivation Roths und die Organisationsstrukturen und Hierarchien des Jesuitenordens. Gerade an Roths Beispiel lassen sich die Informationsflüsse und Entscheidungswege sehr gut nachvollziehen, indem seine Reisepläne mehrfach geändert werden mussten. Auch war sein Projekt wegen der politischen Risiken streng geheim, weshalb Roth mit seinem zeitweiligen Reisegefährten Johannes Grueber meist inkognito reiste. Insgesamt verbrachte er fast 20 Jahre in Indien, was ihn durch einen glücklichen Zufall auch in die Lage versetzte, die erste fremdsprachige Sanskritgrammatik zu verfassen. Zwar wurde dieselbe nie verlegt, aber bei seinem Aufenthalt in Rom nach der ersten Indienreise tauschte er sich intensiv mit dem Universalgelehrten Athanasius Kircher aus, der zahlreiche Informationen Roths und Gruebers in sein berühmtes Werk „China illustrata“ übernahm.
Der Band wurde mit größter Sorgfalt und vielschichtigem Ansatz verfasst. Er ist nicht nur als qualifizierte Sekundärliteratur von Interesse, sondern erschließt auch die im jesuitischen Zentralarchiv in Rom und im Bayerischen Staatsarchiv vorhandenen Dokumente von und über Heinrich Roth, die hier erstmals publiziert werden, zusammen mit ausführlichen Regesten bzw. in deutscher Übersetzung. Die organisatorisch schwer zugänglichen Texte werden so erstmals auch einer breiteren Öffentlichkeit erschlossen. Sie sind gleichzeitig die Grundlage der ausführlichen biografischen Rekonstruktion, die in mehreren Beiträgen bearbeitet wurde. Herausragend in Detailliertheit und Eindringtiefe ist dabei das Kapitel Paul Oberholzers über die Quellen im jesuitischen Zentralarchiv, der mit detaillierter Sachkenntnis über die internationale Organisation des Jesuitenordens im 17. Jahrhundert glänzt.
Andere Autoren beleuchten die Rolle Roths als erstem Sanskritisten des Westens und den bedauerlichen Umstand, dass seine Grammatik fast 300 Jahre lang unentdeckt blieb, den ebenso bedeutenden und interessanten Lebensweg seines Reisegefährten Johannes Grueber, die Geschichte der frühen jesuitischen Indienmissionen, sowie die Baugeschichte seines bis heute erhaltenen Geburtshauses.
„Ein Dillinger in Indien“ ist die bislang umfangreichste und qualifizierteste Monografie über Heinrich Roth. Bis auf einige wenige, der Pandemie zuzuschreibende Lücken (das Brüsseler Jesuitenarchiv konnte leider nicht konsultiert werden), wird dieses Werk wohl für lange Zeit das definitive Wort zum Thema bleiben.