Felícito denkt überhaupt nicht daran, auf die Schutzgeldforderungen einzugehen. Vielmehr beherzigt er den Rat seines Vaters - »Lass dich niemals von irgendwem rumschubsen, mein Sohn!« - und bietet der peruanischen Mafia offen die Stirn. Doch als man seinen Laden niederbrennt und ihm das Einzige zu nehmen droht, woran er wirklich hängt, stellt sich Ratlosigkeit ein. Ismael, ein erfolgreicher Geschäftsmann auf dem Sprung in den Ruhestand, vermählt sich im Liebestaumel mit seiner bildhübschen Haushälterin Armida. Damit jedoch bringt er seine unberechenbaren Söhne um ihr Erbe und gegen sich auf. - Zwei Männer alten Schlages, die mit den besten Absichten handeln und deren diskretes Heldentum ganz ungeahnte Folgen zeitigt ... Wohlmeinende Väter und enttäuschte Söhne, familiäre Zerwürfnisse, die überraschenden Fallstricke erotischer Hingabe - »Ein diskreter Held« ist eine humorvolle, vor Erzähllust sprühende Geschichte über die allzu vertrauten Wirrungen des Lebens.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Manchmal blitzt stimmungsvoll die frühere peruanische Welt des Großschriftstellers auf, mit Kleinhandel und Bars, Legenden und Wunderglauben. Das sind für Paul Ingendaay die schönen Momente in diesem neuen Roman von Mario Vargas Llosa. Der andere Teil des Buches jedoch kann den Rezensenten nicht überzeugen. Die beiden mit Aktion "vollgestopften" parallel geführten Familiendramen lassen ihn weitgehend kalt. Ingendaay vermutet, dass es an den hölzernen Figuren und den wenig raffinierten Dialogen liegt. Kein Wort leuchtet, schreibt er enttäuscht. Den Übersetzer trifft laut Ingendaay keine Schuld. Es könnte daran liegen, meint der Rezensent, dass der Autor etwas ganz anderes erzählen wollte, das nämlich, was immer wieder zwischendrin aufscheint.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2013Lass dich nicht herumschubsen
Vargas Llosa erzählt von Liebesfallen und den Mühen um die eigene Mitte
Als Jorge Mario Pedro Vargas Llosa 2010 den Literaturnobelpreis erhielt, lag ein aktueller Roman von ihm im Original bereits vor. Auf Deutsch erschien „Der Traum des Kelten“, die Geschichte eines irischen Freiheitskämpfers, kurze Zeit später, wie immer bei Suhrkamp, aber erst, nachdem Vargas Llosa persönlich interveniert hatte. Denn seine spanischen Agenten waren so frei gewesen, das Manuskript Rowohlt zu versprechen. Insofern ist „Ein diskreter Held“ der erste Roman, den Vargas Llosa im höchsten Ich-Bewusstsein, als Literaturnobelpreisträger, geschrieben hat.
Dieser, sein neuer Roman steht in einer Linie zu allem, was er vorher geschrieben hat. Diese Linie besagt: leichter werden, zugänglicher, gut verdaulich. Längst vergangen sind die Jahre, da er grandiose Ideen ausrief, wie jene von der „novela total“, dem totalen Roman, der für alles Erdenkliche zuständig ist. Eine totale, aber lustvolle Überforderung für den Autor ebenso wie für den Leser. Im Vergleich dazu ähnelt „Ein diskreter Held“, ausgewogen, doch parteiisch mit den Guten, spannend und mit langem versöhnlichen Ende, eher einer Qigong-Übung, wie sie Felícito jeden Morgen durchführt – „langsam und konzentriert, so dass das Bemühen um Vollkommenheit in jeder einzelnen Bewegung sein ganzes Bewusstsein in Anspruch nahm“. Beim Qigong geht es darum, seine Mitte zu finden. Viele Leute mögen das, genauso wie sie mittige Literatur mögen. Anderen wiederum ist das von vornherein verdächtig. Letztere haben recht.
Mit Fleiß hat sich Felícito Yanaqué nach oben gearbeitet. Inzwischen besitzt er ein Transportunternehmen in der nordperuanischen Stadt Piura, Busse und Laster. Er hat also Geld, und darum wird er für Erpresser interessant. Er soll Schutzgeld bezahlen. Aber sein Vater hat ihm eine Regel fürs Leben mitgegeben: „Lass dich niemals von irgendwem herumschubsen, mein Junge.“ Deswegen bleibt er standhaft. Und bald wird er in der ganzen Stadt als Held gefeiert. Doch auch er hat eine Schwachstelle, sie heißt Mabel und ist jung und schwarz und schön, seine Geliebte. So eine Frau kriegst du nur, wenn du nicht zu kleckern brauchst. Felícito richtet ihr eine Wohnung ein, „das kleine Haus“, wie sie in Piura sagen, das Nebenhaus, das Sex-Haus. Damit er endlich nachgibt, kommt den Erpressern die Idee, Mabel zu entführen. Als sie nach Tagen wieder auftaucht, sind die Ermittler schnell auf einer heißen Spur: alles vorgetäuscht. Felícito wurde von seinem Sohn erpresst, der so hellhäutig ist, das er unmöglich sein leiblicher Sohn sein kann. Das Kuckuckskind hatte Mabel als Komplizin gewonnen.
Geschult an Faulkner und anderen, erzählt Vargas Llosa zwei Geschichten in einem Roman, verlässlich wechselnd von Kapitel zu Kapitel. Rigoberto, Geschäftsführer eines Versicherungskonzerns in Lima, ist der Held der zweiten Geschichte. Loyal stellt er sich dem alten Chef, der sein Dienstmädchen heiraten will, um die missratenen Söhne auszutricksen, als Trauzeuge zur Verfügung. So schnell aber lassen die Söhne nicht locker, und darum bekommt auch er es mit Einschüchterung und Erpressung zu tun. Und auch er will sich nicht herumschubsen lassen. Diesen Rigoberto kennt man bereits aus „Lob der Stiefmutter“ (1989, deutsch 2005) und „Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto“ (1997), einer Phase, da Vargas Llosa erotische Literatur schrieb. Derselbe Beruf, dieselbe Frau (Lukrezia), derselbe Sohn (Fonchito), alles wie damals. Sogar seine Segelohren hat er, von einem alten Freund „Öhrchen“ genannt, herübergerettet.
Ausgerechnet der damalige Erotomane Rigoberto muss hier mit der sonst bestimmt ganz wunderbaren Lukrezia eine ziemlich depperte Sexszene durchspielen. Um in Stimmung zu kommen, stellen sie sich vor, wie das Dienstmädchen den alten Chef wieder zum Leben erweckte. Und wie der Chef dann, mit Lukrezias Worten, feststellte, „dass er noch ein Mann war, dass er ein lebendiges, flatterlustiges Vögelchen hatte. Wie das, was ich gerade berühre, mein Schatz. Hart, schön feucht, hungrig“. Flatterlustiges Vögelchen? Also, wenn das so ist, dann möchte man lieber kein Mann sein. Wie zu erwarten, wird der Felícito-Strang mit dem Rigoberto-Strang irgendwann verknüpft. Aber das dauert lange. Den früh eingestreuten Hinweis, dass Felícitos Frau eine jüngere Schwester hat, nämlich dieses begabte Dienstmädchen in Lima, überliest man leicht. Nach dem plötzlichen Tod des Chefs flüchtet die millionenschwere Erbin in Felícitos Haus.
Cool, oder sagen wir ruhig meisterhaft, sind Vargas Llosas treppenförmige Dialoge, teils zweistufig, teils dreistufig. Das geht so: Zwei Menschen reden miteinander, und dann wird ein früheres Gespräch eingeblendet, das einer von beiden mit einem Dritten geführt hat, vielleicht sogar ein noch früheres, immerzu treppab und treppauf. Mit einer gewissen Coolness hat Vargas Llosa jeden seiner Romane geschrieben, mit Figuren, die lebendiger und widersprüchlicher sind als er selbst in seinen Kolumnen, Essays und politischen Einlassungen – 1990 wollte er Präsident von Peru werden. Seine Sympathie gilt den Unterdrückten, von welcher Macht auch immer. Sie gilt Felícito Yanaqué, dessen Familienname auf eine indigene Herkunft verweist. Trotzdem hat sich Vargas Llosa als Person mit neoliberalen Ideen angefreundet. Und viele seiner linken Kollegen als unverbesserlich beschimpft.
Wenn die Anekdote stimmt, dass er, Ende der 70er in einem mexikanischen Kino, auf Gabriel García Márquez traf und ihm einen Faustschlag versetzte, dann ist es eine schöne Anekdote. Weil sie mit Qigong schwer zu erklären ist. Und weil sie alles hat, was dem neuen, um Maß und Mitte bemühten Buch fehlt.
RALPH HAMMERTHALER
Mario Vargas Llosa: Ein diskreter Held. Roman. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 381 Seiten, 22,95 Euro.
Cool, ja meisterhaft,
gelingen dem Nobelpreisträger
treppenförmige Dialoge
Der peruanische Erzähler Mario Vargas Llosa mit seiner Enkelin während des
Nobelpreisbanketts in Stockholm 2010. „Ein diskreter Held“ ist der erste Roman Llosas nach der Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis. FOTO: CHARLES HAMMARSTEN / IBL BILDBYR
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Vargas Llosa erzählt von Liebesfallen und den Mühen um die eigene Mitte
Als Jorge Mario Pedro Vargas Llosa 2010 den Literaturnobelpreis erhielt, lag ein aktueller Roman von ihm im Original bereits vor. Auf Deutsch erschien „Der Traum des Kelten“, die Geschichte eines irischen Freiheitskämpfers, kurze Zeit später, wie immer bei Suhrkamp, aber erst, nachdem Vargas Llosa persönlich interveniert hatte. Denn seine spanischen Agenten waren so frei gewesen, das Manuskript Rowohlt zu versprechen. Insofern ist „Ein diskreter Held“ der erste Roman, den Vargas Llosa im höchsten Ich-Bewusstsein, als Literaturnobelpreisträger, geschrieben hat.
Dieser, sein neuer Roman steht in einer Linie zu allem, was er vorher geschrieben hat. Diese Linie besagt: leichter werden, zugänglicher, gut verdaulich. Längst vergangen sind die Jahre, da er grandiose Ideen ausrief, wie jene von der „novela total“, dem totalen Roman, der für alles Erdenkliche zuständig ist. Eine totale, aber lustvolle Überforderung für den Autor ebenso wie für den Leser. Im Vergleich dazu ähnelt „Ein diskreter Held“, ausgewogen, doch parteiisch mit den Guten, spannend und mit langem versöhnlichen Ende, eher einer Qigong-Übung, wie sie Felícito jeden Morgen durchführt – „langsam und konzentriert, so dass das Bemühen um Vollkommenheit in jeder einzelnen Bewegung sein ganzes Bewusstsein in Anspruch nahm“. Beim Qigong geht es darum, seine Mitte zu finden. Viele Leute mögen das, genauso wie sie mittige Literatur mögen. Anderen wiederum ist das von vornherein verdächtig. Letztere haben recht.
Mit Fleiß hat sich Felícito Yanaqué nach oben gearbeitet. Inzwischen besitzt er ein Transportunternehmen in der nordperuanischen Stadt Piura, Busse und Laster. Er hat also Geld, und darum wird er für Erpresser interessant. Er soll Schutzgeld bezahlen. Aber sein Vater hat ihm eine Regel fürs Leben mitgegeben: „Lass dich niemals von irgendwem herumschubsen, mein Junge.“ Deswegen bleibt er standhaft. Und bald wird er in der ganzen Stadt als Held gefeiert. Doch auch er hat eine Schwachstelle, sie heißt Mabel und ist jung und schwarz und schön, seine Geliebte. So eine Frau kriegst du nur, wenn du nicht zu kleckern brauchst. Felícito richtet ihr eine Wohnung ein, „das kleine Haus“, wie sie in Piura sagen, das Nebenhaus, das Sex-Haus. Damit er endlich nachgibt, kommt den Erpressern die Idee, Mabel zu entführen. Als sie nach Tagen wieder auftaucht, sind die Ermittler schnell auf einer heißen Spur: alles vorgetäuscht. Felícito wurde von seinem Sohn erpresst, der so hellhäutig ist, das er unmöglich sein leiblicher Sohn sein kann. Das Kuckuckskind hatte Mabel als Komplizin gewonnen.
Geschult an Faulkner und anderen, erzählt Vargas Llosa zwei Geschichten in einem Roman, verlässlich wechselnd von Kapitel zu Kapitel. Rigoberto, Geschäftsführer eines Versicherungskonzerns in Lima, ist der Held der zweiten Geschichte. Loyal stellt er sich dem alten Chef, der sein Dienstmädchen heiraten will, um die missratenen Söhne auszutricksen, als Trauzeuge zur Verfügung. So schnell aber lassen die Söhne nicht locker, und darum bekommt auch er es mit Einschüchterung und Erpressung zu tun. Und auch er will sich nicht herumschubsen lassen. Diesen Rigoberto kennt man bereits aus „Lob der Stiefmutter“ (1989, deutsch 2005) und „Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto“ (1997), einer Phase, da Vargas Llosa erotische Literatur schrieb. Derselbe Beruf, dieselbe Frau (Lukrezia), derselbe Sohn (Fonchito), alles wie damals. Sogar seine Segelohren hat er, von einem alten Freund „Öhrchen“ genannt, herübergerettet.
Ausgerechnet der damalige Erotomane Rigoberto muss hier mit der sonst bestimmt ganz wunderbaren Lukrezia eine ziemlich depperte Sexszene durchspielen. Um in Stimmung zu kommen, stellen sie sich vor, wie das Dienstmädchen den alten Chef wieder zum Leben erweckte. Und wie der Chef dann, mit Lukrezias Worten, feststellte, „dass er noch ein Mann war, dass er ein lebendiges, flatterlustiges Vögelchen hatte. Wie das, was ich gerade berühre, mein Schatz. Hart, schön feucht, hungrig“. Flatterlustiges Vögelchen? Also, wenn das so ist, dann möchte man lieber kein Mann sein. Wie zu erwarten, wird der Felícito-Strang mit dem Rigoberto-Strang irgendwann verknüpft. Aber das dauert lange. Den früh eingestreuten Hinweis, dass Felícitos Frau eine jüngere Schwester hat, nämlich dieses begabte Dienstmädchen in Lima, überliest man leicht. Nach dem plötzlichen Tod des Chefs flüchtet die millionenschwere Erbin in Felícitos Haus.
Cool, oder sagen wir ruhig meisterhaft, sind Vargas Llosas treppenförmige Dialoge, teils zweistufig, teils dreistufig. Das geht so: Zwei Menschen reden miteinander, und dann wird ein früheres Gespräch eingeblendet, das einer von beiden mit einem Dritten geführt hat, vielleicht sogar ein noch früheres, immerzu treppab und treppauf. Mit einer gewissen Coolness hat Vargas Llosa jeden seiner Romane geschrieben, mit Figuren, die lebendiger und widersprüchlicher sind als er selbst in seinen Kolumnen, Essays und politischen Einlassungen – 1990 wollte er Präsident von Peru werden. Seine Sympathie gilt den Unterdrückten, von welcher Macht auch immer. Sie gilt Felícito Yanaqué, dessen Familienname auf eine indigene Herkunft verweist. Trotzdem hat sich Vargas Llosa als Person mit neoliberalen Ideen angefreundet. Und viele seiner linken Kollegen als unverbesserlich beschimpft.
Wenn die Anekdote stimmt, dass er, Ende der 70er in einem mexikanischen Kino, auf Gabriel García Márquez traf und ihm einen Faustschlag versetzte, dann ist es eine schöne Anekdote. Weil sie mit Qigong schwer zu erklären ist. Und weil sie alles hat, was dem neuen, um Maß und Mitte bemühten Buch fehlt.
RALPH HAMMERTHALER
Mario Vargas Llosa: Ein diskreter Held. Roman. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 381 Seiten, 22,95 Euro.
Cool, ja meisterhaft,
gelingen dem Nobelpreisträger
treppenförmige Dialoge
Der peruanische Erzähler Mario Vargas Llosa mit seiner Enkelin während des
Nobelpreisbanketts in Stockholm 2010. „Ein diskreter Held“ ist der erste Roman Llosas nach der Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis. FOTO: CHARLES HAMMARSTEN / IBL BILDBYR
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2013Ein Kopf für sechzig Hüte
Mario Vargas Llosas Roman "Ein diskreter Held"
Das Wort "Großschriftsteller" wird meistens mit einer gewissen Häme benutzt. Aber wenn man es einmal mit angemessenem Sinn für Fleiß und Pflichterfüllung verwendet, bleibt einem vor der Lebensleistung des produktivsten Großschriftstellers unserer Tage, Mario Vargas Llosa, der Mund offen. Ein Besuch auf seiner Website (die er glücklicherweise nicht selbst verwalten muss) genügt. Allein das Jahr 2008 nennt 23 Preise und Distinktionen - oft ist dann ja auch eine kleine Rede fällig -, und wenn sich das Auge beim Jahr 2009 etwas erholen kann, weil es nur vierzehn Ehrungen sind, folgt darauf das Jahr 2010 mit der Zuerkennung des Literaturnobelpreises, der seinerseits von 29 weiteren Medaillen, Hommagen und Auszeichnungen gerahmt wird. Jeder weiß: Danach geht es erst richtig los! Und es stimmt. Das Jahr 2011 brachte dem peruanischen Schriftsteller insgesamt sechzig Ehrungen, manche davon in seinem Heimatland, das die politischen Differenzen früherer Jahrzehnte hinter sich gelassen und den großen Sohn vorbehaltlos in die Arme geschlossen hat.
Die Natur solcher Preise ist höchst unterschiedlich. Mal wird eine Ausstellung über sein Leben und Werk eröffnet, die im Lauf der Jahre durch verschiedene Städte und Länder reist. Hier benennen sie eine Schule nach ihm, dort eine Bibliothek. In Spanien würdigen ihn die Stierkampfliebhaber, weil Vargas Llosa die Tauromachie verteidigt. Akademien und Kulturvereine ernennen ihn zum Ehrenmitglied, Journalistenverbände zeichnen ihn wegen seiner journalistischen Arbeit aus. Schon 2005 hat ihm das spanische Dorf Peñalver den originellsten, zumindest den süßesten Preis seines Lebens zugedacht: sein Körpergewicht in Honig, genau 94 Kilo. Man ehrt ihn als Kulturkritiker und Wirtschaftsliberalen, als politischen Kommentator, Kunstkenner, Opernliebhaber, Literaturvermittler, Weintrinker. Der spanische König hat ihm den Titel eines Markgrafen verliehen, und selbst auf einer PR-Veranstaltung über Heilfasten hat er gesprochen, vielleicht eine Spätfolge des Honigs. Mario Vargas Llosa ist der kosmopolitische Intellektuelle schlechthin, immer rational und eloquent, ohne Pose, Überdruss oder Bitterkeit, gleichsam der ideale Podiumsredner, und wenn meine Zählung stimmt, dann hat er auf vier Kontinenten mindestens 58 Ehrendoktorhüte in Empfang genommen. Es könnten auch mehr sein, Hüte wie Kontinente.
Mit seinen Büchern hat das insofern zu tun, als sie manchmal so kosmopolitisch, gewissermaßen großliterarisch sind wie er selbst, mehr Statement als flugtaugliches Kunstwerk. Sein letzter Roman zum Beispiel, "Der Traum des Kelten" (2011), war bestens gemeint, hatte jedoch am historischen Material über den Irischen Bürgerkrieg oder die Kolonialgeschichte des Kongo und des Amazonasgebiets ziemlich schwer zu tragen. Gerade der mehrheitsfähige Aufklärungsehrgeiz daran beschädigte die Form und schob das Buch in Richtung Thesenroman mit dem Prädikat "besonders wertvoll".
Diese Gefahr droht bei Vargas Llosas jüngstem Werk, "Ein diskreter Held", nicht. Es ist, in Bezug auf den Schauplatz und die Einzelheiten der Lebenswelt, ein zutiefst peruanisches Buch. Erst auf den letzten Seiten nimmt der Homme des Lettres Vargas Llosa die Maske ab. Da fliegen zwei peruanische Ehepaare, die nur durch die turbulente Geschichte, die dieser Roman erzählt, zusammengebracht werden, von Lima nach Europa, und weil einer unter ihnen, Don Rigoberto, als Alter Ego des Autors betrachtet werden kann, sind seine Kulturtipps durchaus an uns gerichtet. Die großen Museen (London, Paris, Florenz) also müsse man besuchen. Die Gedichte von Fray Luis de León lesen. In Madrid nach einer CD mit Musik des blinden Organisten Francisco de Salinas forschen, dem Fray Luis seine Lyrik zueignet habe. Dann kommt Don Rigoberto eine Idee: "Sicher hatte eines der Ensembles, die sich der alten Musik verschrieben - das von Jordi Savall zum Beispiel -, eine Aufnahme dem Mann gewidmet, der einst ein solches Wunderwerk inspirierte." Muss man hinzufügen, dass der unermüdliche Orchesterleiter und Gambist Jordi Savall, vor dem sich hier nicht nur Don Rigoberto, sondern auch Mario Vargas Llosa verneigt, der spanische Großdirigent unserer Tage ist?
Der Roman selbst kreist nicht nur um einen, sondern zwei diskrete Helden. Der erste, ein Transportunternehmer namens Felícito Yanaqué in der nordperuanischen Stadt Piura, ist ein fleißiges, gewissenhaftes Männchen, unglücklich verheiratet, mit einer heimlichen Geliebten, der er eine Wohnung gemietet hat. Dieser Felícito wird durch mysteriöse Briefe um Schutzgeld erpresst, und während alle anderen Geschäftsleute in Piura kuschen und zahlen, beschließt der Antiheld, sich zu wehren. Sein Vater, ein einfacher Mann, hat ihn gelehrt, "sich niemals herumschubsen zu lassen".
Streng abwechselnd mit den ungeraden Kapiteln des Romans, erfahren wir in den geraden von Don Rigoberto und seiner Frau Lucrecia, alten Bekannten aus früheren Romanen des Autors. Der kultivierte Herr, wohnhaft in Lima, ist frisch pensionierter Versicherungsangestellter, der davon träumt, mit seiner Frau und seinem halbwüchsigen Sohn zur besagten europäischen Bildungsreise aufzubrechen. Ohne Böses zu ahnen, tut er zuvor seinem steinalten Firmenchef einen Gefallen und fungiert als Trauzeuge bei dessen heimlicher Blitzheirat, welche die beiden missratenen Söhne des Bosses um ihr Erbe zu bringen droht.
Zwanzig Kapitel, fast vierhundert Seiten lang, flicht Vargas Llosa seinen Zopf aus zwei parallelen Geschichten, bis sie durch einen Taschenspielertrick zusammenfinden. Auf dem Weg dorthin passiert eine Menge - Drohungen, großer Medienzirkus, eine Entführung, ein plötzlicher Todesfall, unheimliche Erscheinungen, mittelscharfer Sex verschiedener Altersklassen -, aber es lässt einen kalt. Das liegt vor allem an der hölzernen Figurencharakterisierung und den ungelenken Dialogen. Irgendwie rollt die Geschichte routiniert voran, aber kaum ein Wort leuchtet, und das liegt nicht an Thomas Brovots tadelloser Übersetzung. Hin und wieder regt sich der Verdacht, Vargas Llosa wolle eigentlich etwas ganz anderes erzählen.
Und er tut es, doch nur in Vignetten, fast klandestin. Zum Beispiel, wenn er den Kleinhandel schildert, die einfachen Bars, das Leben dessen, was man einmal "Volk" nannte. Oder wie Straßen und Stadtviertel sich im Lauf der Jahrzehnte verändert haben. Oder wie Felícito eine Wahrsagerin aufsucht, bevor er schwierige Entscheidungen trifft, überhaupt wenn von Legenden und Wunderglauben die Rede ist. Oder auch, wenn wir den Polizisten Lituma bei seinen Recherchen begleiten, auch er ja ein alter Bekannter im Werk Vargas Llosas, ein sympathischer, nicht übermäßig heller Verlierer, der kaum Karriere gemacht hat und fast allen anderen Figuren des Romans etwas Entscheidendes voraushat: Er atmet, er lebt. Lituma steht als ganzer Mensch vor uns, weil wir nie das Gefühl haben, er sei ausgedacht worden, um irgendetwas zu repräsentieren. Und so zerfällt "Ein diskreter Held" in zwei verschiedene Bücher: hier eine ungelenke, vollgestopfte Geschichte von besorgten Vätern, bösen Söhnen und der Vielfalt familiärer Zerwürfnisse; dort liebevolle, sicher gezeichnete peruanische Stimmungsbilder, die nostalgisch an die Welt von Vargas Llosas frühen (und größten) Romanen erinnern.
PAUL INGENDAAY
Mario Vargas Llosa: "Ein diskreter Held". Roman.
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 382 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mario Vargas Llosas Roman "Ein diskreter Held"
Das Wort "Großschriftsteller" wird meistens mit einer gewissen Häme benutzt. Aber wenn man es einmal mit angemessenem Sinn für Fleiß und Pflichterfüllung verwendet, bleibt einem vor der Lebensleistung des produktivsten Großschriftstellers unserer Tage, Mario Vargas Llosa, der Mund offen. Ein Besuch auf seiner Website (die er glücklicherweise nicht selbst verwalten muss) genügt. Allein das Jahr 2008 nennt 23 Preise und Distinktionen - oft ist dann ja auch eine kleine Rede fällig -, und wenn sich das Auge beim Jahr 2009 etwas erholen kann, weil es nur vierzehn Ehrungen sind, folgt darauf das Jahr 2010 mit der Zuerkennung des Literaturnobelpreises, der seinerseits von 29 weiteren Medaillen, Hommagen und Auszeichnungen gerahmt wird. Jeder weiß: Danach geht es erst richtig los! Und es stimmt. Das Jahr 2011 brachte dem peruanischen Schriftsteller insgesamt sechzig Ehrungen, manche davon in seinem Heimatland, das die politischen Differenzen früherer Jahrzehnte hinter sich gelassen und den großen Sohn vorbehaltlos in die Arme geschlossen hat.
Die Natur solcher Preise ist höchst unterschiedlich. Mal wird eine Ausstellung über sein Leben und Werk eröffnet, die im Lauf der Jahre durch verschiedene Städte und Länder reist. Hier benennen sie eine Schule nach ihm, dort eine Bibliothek. In Spanien würdigen ihn die Stierkampfliebhaber, weil Vargas Llosa die Tauromachie verteidigt. Akademien und Kulturvereine ernennen ihn zum Ehrenmitglied, Journalistenverbände zeichnen ihn wegen seiner journalistischen Arbeit aus. Schon 2005 hat ihm das spanische Dorf Peñalver den originellsten, zumindest den süßesten Preis seines Lebens zugedacht: sein Körpergewicht in Honig, genau 94 Kilo. Man ehrt ihn als Kulturkritiker und Wirtschaftsliberalen, als politischen Kommentator, Kunstkenner, Opernliebhaber, Literaturvermittler, Weintrinker. Der spanische König hat ihm den Titel eines Markgrafen verliehen, und selbst auf einer PR-Veranstaltung über Heilfasten hat er gesprochen, vielleicht eine Spätfolge des Honigs. Mario Vargas Llosa ist der kosmopolitische Intellektuelle schlechthin, immer rational und eloquent, ohne Pose, Überdruss oder Bitterkeit, gleichsam der ideale Podiumsredner, und wenn meine Zählung stimmt, dann hat er auf vier Kontinenten mindestens 58 Ehrendoktorhüte in Empfang genommen. Es könnten auch mehr sein, Hüte wie Kontinente.
Mit seinen Büchern hat das insofern zu tun, als sie manchmal so kosmopolitisch, gewissermaßen großliterarisch sind wie er selbst, mehr Statement als flugtaugliches Kunstwerk. Sein letzter Roman zum Beispiel, "Der Traum des Kelten" (2011), war bestens gemeint, hatte jedoch am historischen Material über den Irischen Bürgerkrieg oder die Kolonialgeschichte des Kongo und des Amazonasgebiets ziemlich schwer zu tragen. Gerade der mehrheitsfähige Aufklärungsehrgeiz daran beschädigte die Form und schob das Buch in Richtung Thesenroman mit dem Prädikat "besonders wertvoll".
Diese Gefahr droht bei Vargas Llosas jüngstem Werk, "Ein diskreter Held", nicht. Es ist, in Bezug auf den Schauplatz und die Einzelheiten der Lebenswelt, ein zutiefst peruanisches Buch. Erst auf den letzten Seiten nimmt der Homme des Lettres Vargas Llosa die Maske ab. Da fliegen zwei peruanische Ehepaare, die nur durch die turbulente Geschichte, die dieser Roman erzählt, zusammengebracht werden, von Lima nach Europa, und weil einer unter ihnen, Don Rigoberto, als Alter Ego des Autors betrachtet werden kann, sind seine Kulturtipps durchaus an uns gerichtet. Die großen Museen (London, Paris, Florenz) also müsse man besuchen. Die Gedichte von Fray Luis de León lesen. In Madrid nach einer CD mit Musik des blinden Organisten Francisco de Salinas forschen, dem Fray Luis seine Lyrik zueignet habe. Dann kommt Don Rigoberto eine Idee: "Sicher hatte eines der Ensembles, die sich der alten Musik verschrieben - das von Jordi Savall zum Beispiel -, eine Aufnahme dem Mann gewidmet, der einst ein solches Wunderwerk inspirierte." Muss man hinzufügen, dass der unermüdliche Orchesterleiter und Gambist Jordi Savall, vor dem sich hier nicht nur Don Rigoberto, sondern auch Mario Vargas Llosa verneigt, der spanische Großdirigent unserer Tage ist?
Der Roman selbst kreist nicht nur um einen, sondern zwei diskrete Helden. Der erste, ein Transportunternehmer namens Felícito Yanaqué in der nordperuanischen Stadt Piura, ist ein fleißiges, gewissenhaftes Männchen, unglücklich verheiratet, mit einer heimlichen Geliebten, der er eine Wohnung gemietet hat. Dieser Felícito wird durch mysteriöse Briefe um Schutzgeld erpresst, und während alle anderen Geschäftsleute in Piura kuschen und zahlen, beschließt der Antiheld, sich zu wehren. Sein Vater, ein einfacher Mann, hat ihn gelehrt, "sich niemals herumschubsen zu lassen".
Streng abwechselnd mit den ungeraden Kapiteln des Romans, erfahren wir in den geraden von Don Rigoberto und seiner Frau Lucrecia, alten Bekannten aus früheren Romanen des Autors. Der kultivierte Herr, wohnhaft in Lima, ist frisch pensionierter Versicherungsangestellter, der davon träumt, mit seiner Frau und seinem halbwüchsigen Sohn zur besagten europäischen Bildungsreise aufzubrechen. Ohne Böses zu ahnen, tut er zuvor seinem steinalten Firmenchef einen Gefallen und fungiert als Trauzeuge bei dessen heimlicher Blitzheirat, welche die beiden missratenen Söhne des Bosses um ihr Erbe zu bringen droht.
Zwanzig Kapitel, fast vierhundert Seiten lang, flicht Vargas Llosa seinen Zopf aus zwei parallelen Geschichten, bis sie durch einen Taschenspielertrick zusammenfinden. Auf dem Weg dorthin passiert eine Menge - Drohungen, großer Medienzirkus, eine Entführung, ein plötzlicher Todesfall, unheimliche Erscheinungen, mittelscharfer Sex verschiedener Altersklassen -, aber es lässt einen kalt. Das liegt vor allem an der hölzernen Figurencharakterisierung und den ungelenken Dialogen. Irgendwie rollt die Geschichte routiniert voran, aber kaum ein Wort leuchtet, und das liegt nicht an Thomas Brovots tadelloser Übersetzung. Hin und wieder regt sich der Verdacht, Vargas Llosa wolle eigentlich etwas ganz anderes erzählen.
Und er tut es, doch nur in Vignetten, fast klandestin. Zum Beispiel, wenn er den Kleinhandel schildert, die einfachen Bars, das Leben dessen, was man einmal "Volk" nannte. Oder wie Straßen und Stadtviertel sich im Lauf der Jahrzehnte verändert haben. Oder wie Felícito eine Wahrsagerin aufsucht, bevor er schwierige Entscheidungen trifft, überhaupt wenn von Legenden und Wunderglauben die Rede ist. Oder auch, wenn wir den Polizisten Lituma bei seinen Recherchen begleiten, auch er ja ein alter Bekannter im Werk Vargas Llosas, ein sympathischer, nicht übermäßig heller Verlierer, der kaum Karriere gemacht hat und fast allen anderen Figuren des Romans etwas Entscheidendes voraushat: Er atmet, er lebt. Lituma steht als ganzer Mensch vor uns, weil wir nie das Gefühl haben, er sei ausgedacht worden, um irgendetwas zu repräsentieren. Und so zerfällt "Ein diskreter Held" in zwei verschiedene Bücher: hier eine ungelenke, vollgestopfte Geschichte von besorgten Vätern, bösen Söhnen und der Vielfalt familiärer Zerwürfnisse; dort liebevolle, sicher gezeichnete peruanische Stimmungsbilder, die nostalgisch an die Welt von Vargas Llosas frühen (und größten) Romanen erinnern.
PAUL INGENDAAY
Mario Vargas Llosa: "Ein diskreter Held". Roman.
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 382 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Cool, ja meisterhaft, gelingen dem Nobelpreisträger treppenförmige Dialoge, teils zweistufig, teils dreistufig« Ralph Hammerthaler Süddeutsche Zeitung 20131104