Schachmatt durch Dame? Erri und Clementina verbringen ein Wochenende auf einer kleinen Insel im Mittelmeer. Beide sind sie verheiratet, aber nicht mit einander. Die gestohlenen Momente dieser Tage erscheinen ihnen überdeutlich, übergroß... Was zieht einen hin zu einem Menschen, den man eigentlich kaum kennt? Was wird aus so einer Liebe? Präzise, ja ungerührt schildert Albinati eher einen Kampf als die Verschmelzung von Körpern und Seelen. Er lässt seine Helden Zug um Zug erzählen und enthüllt dabei, wie es zu ihrer Verbindung kam, aber auch die Koffer, die sie jeweils am Quai stehen ließen. Ob man eine Affäre hatte, vielleicht gern eine hätte, oder schon die Idee entrüstet ablehnt - in diesem Roman findet sich jeder liebende Mensch wieder.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2020Vom Wunsch, sich zu verlieren
In seinem Roman "Ein Ehebruch" ergründet Edoardo Albinati die Spannung zwischen Intimität und Fremdheit.
Das überleben sie nicht, jedenfalls nicht beide, da ist man sich als Leser gleich sicher: Schon auf den ersten Seiten des schmalen Romans "Ein Ehebruch" deutet Edoardo Albinati Abgründe und Ängste von Clementina und Eraldo an, die jede Unternehmung seiner beiden Hauptfiguren überschatten in den zwei Tagen auf einer spätsommerlichen Urlaubsinsel mit viel Sex und wenig Schlaf.
Das Schwimmen im offenen Meer, bei dem er auf einmal Angst hat, zu ertrinken, die Mahnung eines Tischnachbarn auf der Restaurantterrasse, sich vorzusehen, die draufgängerische Fahrt mit dem Motorroller auf den gewundenen Küstensträßchen, die Rückfahrt trotz Sturmwarnung: irgendwann, so ahnt man, müsste das Unglück seinen Lauf nehmen, müsste etwas passieren, dass die Affäre der beiden Wochenendtouristen zumindest auffliegen lässt, durch eine auch äußerlich sichtbare Verletzung, womöglich einen Todesfall. Stand nicht ein Gewaltverbrechen im Zentrum von Albinatis Roman "Die katholische Schule", knapp 1300 Seiten stark, mit dem der Autor im Herbst 2018 für Furore sorgte? In "Ein Ehebruch" gehört es zur diskreten Kunst des italienischen Autors, mit der Erwartung einer Katastrophe zu spielen, wie es auch zur Kunst gehört, die Körper der beiden und alles, was passiert, nachdem sie einander wieder einmal die Kleider vom Leib gerissen haben, so uninspiriert zu behandeln, dass man es nur als Desinteresse lesen kann: Darum scheint es Albinati nicht zu gehen.
Selbst was die beiden miteinander erleben, wo sie essen, wo sie entlangspazieren oder wie sie einander kennengelernt haben, erzählt Albinati fast pflichtschuldig, wenn auch nicht unelegant: Er nutzt es als Folie dessen, was ihn tatsächlich an der Konstellation zu reizen scheint, im literarischen Sinn zu reizen scheint - der peniblen Ausleuchtung und Ausmalung des Innenlebens seiner beiden Figuren.
"Ich bin es ein bisschen leid, Gefühle zu haben", sagt Clem einmal am ersten Abend, als gerade ihr Mann, der sie auf einem Kongress wähnt, angerufen hat und ihr im Restaurant überraschend die Tränen gekommen sind. Dabei hat sie sich schon mit fünfzehn vor dem Spiegel zugeflüstert, dass sie nie einem ganz gehören werde. Was will sie hier - mehr, als sie verkraften kann? Der Grund, weshalb sie sich in Erri verlieben könnte, wohl bereits verliebt hat, ist in Albinatis Konstruktion zugleich das, was sie an ihm nie geliebt hätte: seine Entschlusslosigkeit. Einen ängstlichen Draufgänger nennt ihn der Erzähler an anderer Stelle, einen kopflosen Logiker, "ein mit Beschränkungen, albernen Verstocktheiten, Befürchtungen und Zögerlichkeiten derart überladenes Individuum, dass er eine ihm offenbar innewohnende übermenschliche Kraft aufbringen musste, um sein neurotisches Schneckenhaus zu verlassen". Wie anziehend! Immerhin ist es das, was "die gefährlichste Seite in Clems Persönlichkeit zum Schwingen brachte: den brennenden Wunsch, sich zu verlieren". Viel mehr vermag der Erzähler über sie nicht zu sagen: Wenn es um ihren Übermut geht, ihren Hang zur Dramatik, zur Ausschweifung, ihr kindliches Wesen, geht es darum, was Erri in seiner Geliebten sieht. Überhaupt kommt Albinati dem Mann näher als der Frau: Ihn scheint er besser zu verstehen, ihn vermag er psychologisch feiner zu zeichnen. Und doch bleibt das, was Erri von Clem will, wie auch das, was er dafür an Widersprüchlichkeit, an Schmerz auszuhalten bereit ist, vergleichsweise beschränkt.
Auf seine Art ist "Ein Ehebruch" eine Komplementärgeschichte zu denen aus Milan Kunderas frühem Erzählungsband "Das Buch der lächerlichen Liebe": Hier wie dort bringt der Autor sein Figurenpaar in eine Grenzsituation, um diese dann aus ihrer und aus seiner Sicht zu ergründen. In "Fingierter Autostopp" führt Kundera ein spontanes Spiel am ersten Urlaubstag, so zu tun, als habe sie sich als Unbekannte in seinem Wagen mitnehmen lassen, in Koketterie und Obszönität, in ein Befremden, das die Liebe der beiden vielleicht für immer beschädigt.
Bei Albinati sind sich die Figuren von vornherein fremd, und sie haben Angst davor, die gemeinsame Beziehung könnte sich weiterentwickeln. So fremd ist ihm Clem, lässt Albinati Erri einmal denken, "wie ein in den Felsen gehauener Götze". Ihre Beziehung hat ausdrücklich keinen Sinn, darin liegt für das Paar ihre Leichtigkeit, ihr großer Reiz. Jede versuchte Verbindung der beiden miteinander, jedes tiefere Kennenlernen und Verständnis beschwerte sie bloß - und ist zugleich eine Versuchung, mit der beide in ihrem Entschluss, diese Affäre nicht ihr Familienleben gefährden zu lassen, auf ihre Weise zu kämpfen haben.
Genau darin liegt jene reizvolle Spannung in Edoardo Albinatis Roman "Ein Ehebruch": Clementina und Eraldo begegnen einander tunlichst auf der Oberfläche. Und der Autor beschäftigt sich auf kunstvolle Weise mit dieser Oberfläche so oberflächlich wie nur irgend möglich.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Edoardo Albinati: "Ein Ehebruch". Roman.
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull. Berlin Verlag, Berlin / München 2019. 128 S., geb., 20,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In seinem Roman "Ein Ehebruch" ergründet Edoardo Albinati die Spannung zwischen Intimität und Fremdheit.
Das überleben sie nicht, jedenfalls nicht beide, da ist man sich als Leser gleich sicher: Schon auf den ersten Seiten des schmalen Romans "Ein Ehebruch" deutet Edoardo Albinati Abgründe und Ängste von Clementina und Eraldo an, die jede Unternehmung seiner beiden Hauptfiguren überschatten in den zwei Tagen auf einer spätsommerlichen Urlaubsinsel mit viel Sex und wenig Schlaf.
Das Schwimmen im offenen Meer, bei dem er auf einmal Angst hat, zu ertrinken, die Mahnung eines Tischnachbarn auf der Restaurantterrasse, sich vorzusehen, die draufgängerische Fahrt mit dem Motorroller auf den gewundenen Küstensträßchen, die Rückfahrt trotz Sturmwarnung: irgendwann, so ahnt man, müsste das Unglück seinen Lauf nehmen, müsste etwas passieren, dass die Affäre der beiden Wochenendtouristen zumindest auffliegen lässt, durch eine auch äußerlich sichtbare Verletzung, womöglich einen Todesfall. Stand nicht ein Gewaltverbrechen im Zentrum von Albinatis Roman "Die katholische Schule", knapp 1300 Seiten stark, mit dem der Autor im Herbst 2018 für Furore sorgte? In "Ein Ehebruch" gehört es zur diskreten Kunst des italienischen Autors, mit der Erwartung einer Katastrophe zu spielen, wie es auch zur Kunst gehört, die Körper der beiden und alles, was passiert, nachdem sie einander wieder einmal die Kleider vom Leib gerissen haben, so uninspiriert zu behandeln, dass man es nur als Desinteresse lesen kann: Darum scheint es Albinati nicht zu gehen.
Selbst was die beiden miteinander erleben, wo sie essen, wo sie entlangspazieren oder wie sie einander kennengelernt haben, erzählt Albinati fast pflichtschuldig, wenn auch nicht unelegant: Er nutzt es als Folie dessen, was ihn tatsächlich an der Konstellation zu reizen scheint, im literarischen Sinn zu reizen scheint - der peniblen Ausleuchtung und Ausmalung des Innenlebens seiner beiden Figuren.
"Ich bin es ein bisschen leid, Gefühle zu haben", sagt Clem einmal am ersten Abend, als gerade ihr Mann, der sie auf einem Kongress wähnt, angerufen hat und ihr im Restaurant überraschend die Tränen gekommen sind. Dabei hat sie sich schon mit fünfzehn vor dem Spiegel zugeflüstert, dass sie nie einem ganz gehören werde. Was will sie hier - mehr, als sie verkraften kann? Der Grund, weshalb sie sich in Erri verlieben könnte, wohl bereits verliebt hat, ist in Albinatis Konstruktion zugleich das, was sie an ihm nie geliebt hätte: seine Entschlusslosigkeit. Einen ängstlichen Draufgänger nennt ihn der Erzähler an anderer Stelle, einen kopflosen Logiker, "ein mit Beschränkungen, albernen Verstocktheiten, Befürchtungen und Zögerlichkeiten derart überladenes Individuum, dass er eine ihm offenbar innewohnende übermenschliche Kraft aufbringen musste, um sein neurotisches Schneckenhaus zu verlassen". Wie anziehend! Immerhin ist es das, was "die gefährlichste Seite in Clems Persönlichkeit zum Schwingen brachte: den brennenden Wunsch, sich zu verlieren". Viel mehr vermag der Erzähler über sie nicht zu sagen: Wenn es um ihren Übermut geht, ihren Hang zur Dramatik, zur Ausschweifung, ihr kindliches Wesen, geht es darum, was Erri in seiner Geliebten sieht. Überhaupt kommt Albinati dem Mann näher als der Frau: Ihn scheint er besser zu verstehen, ihn vermag er psychologisch feiner zu zeichnen. Und doch bleibt das, was Erri von Clem will, wie auch das, was er dafür an Widersprüchlichkeit, an Schmerz auszuhalten bereit ist, vergleichsweise beschränkt.
Auf seine Art ist "Ein Ehebruch" eine Komplementärgeschichte zu denen aus Milan Kunderas frühem Erzählungsband "Das Buch der lächerlichen Liebe": Hier wie dort bringt der Autor sein Figurenpaar in eine Grenzsituation, um diese dann aus ihrer und aus seiner Sicht zu ergründen. In "Fingierter Autostopp" führt Kundera ein spontanes Spiel am ersten Urlaubstag, so zu tun, als habe sie sich als Unbekannte in seinem Wagen mitnehmen lassen, in Koketterie und Obszönität, in ein Befremden, das die Liebe der beiden vielleicht für immer beschädigt.
Bei Albinati sind sich die Figuren von vornherein fremd, und sie haben Angst davor, die gemeinsame Beziehung könnte sich weiterentwickeln. So fremd ist ihm Clem, lässt Albinati Erri einmal denken, "wie ein in den Felsen gehauener Götze". Ihre Beziehung hat ausdrücklich keinen Sinn, darin liegt für das Paar ihre Leichtigkeit, ihr großer Reiz. Jede versuchte Verbindung der beiden miteinander, jedes tiefere Kennenlernen und Verständnis beschwerte sie bloß - und ist zugleich eine Versuchung, mit der beide in ihrem Entschluss, diese Affäre nicht ihr Familienleben gefährden zu lassen, auf ihre Weise zu kämpfen haben.
Genau darin liegt jene reizvolle Spannung in Edoardo Albinatis Roman "Ein Ehebruch": Clementina und Eraldo begegnen einander tunlichst auf der Oberfläche. Und der Autor beschäftigt sich auf kunstvolle Weise mit dieser Oberfläche so oberflächlich wie nur irgend möglich.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Edoardo Albinati: "Ein Ehebruch". Roman.
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull. Berlin Verlag, Berlin / München 2019. 128 S., geb., 20,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Edoardo Albinati siziert schonungslos eine Affäre" Bunte 20191205
Vom Wunsch, sich zu verlieren
In seinem Roman "Ein Ehebruch" ergründet Edoardo Albinati die Spannung zwischen Intimität und Fremdheit.
Das überleben sie nicht, jedenfalls nicht beide, da ist man sich als Leser gleich sicher: Schon auf den ersten Seiten des schmalen Romans "Ein Ehebruch" deutet Edoardo Albinati Abgründe und Ängste von Clementina und Eraldo an, die jede Unternehmung seiner beiden Hauptfiguren überschatten in den zwei Tagen auf einer spätsommerlichen Urlaubsinsel mit viel Sex und wenig Schlaf.
Das Schwimmen im offenen Meer, bei dem er auf einmal Angst hat, zu ertrinken, die Mahnung eines Tischnachbarn auf der Restaurantterrasse, sich vorzusehen, die draufgängerische Fahrt mit dem Motorroller auf den gewundenen Küstensträßchen, die Rückfahrt trotz Sturmwarnung: irgendwann, so ahnt man, müsste das Unglück seinen Lauf nehmen, müsste etwas passieren, dass die Affäre der beiden Wochenendtouristen zumindest auffliegen lässt, durch eine auch äußerlich sichtbare Verletzung, womöglich einen Todesfall. Stand nicht ein Gewaltverbrechen im Zentrum von Albinatis Roman "Die katholische Schule", knapp 1300 Seiten stark, mit dem der Autor im Herbst 2018 für Furore sorgte? In "Ein Ehebruch" gehört es zur diskreten Kunst des italienischen Autors, mit der Erwartung einer Katastrophe zu spielen, wie es auch zur Kunst gehört, die Körper der beiden und alles, was passiert, nachdem sie einander wieder einmal die Kleider vom Leib gerissen haben, so uninspiriert zu behandeln, dass man es nur als Desinteresse lesen kann: Darum scheint es Albinati nicht zu gehen.
Selbst was die beiden miteinander erleben, wo sie essen, wo sie entlangspazieren oder wie sie einander kennengelernt haben, erzählt Albinati fast pflichtschuldig, wenn auch nicht unelegant: Er nutzt es als Folie dessen, was ihn tatsächlich an der Konstellation zu reizen scheint, im literarischen Sinn zu reizen scheint - der peniblen Ausleuchtung und Ausmalung des Innenlebens seiner beiden Figuren.
"Ich bin es ein bisschen leid, Gefühle zu haben", sagt Clem einmal am ersten Abend, als gerade ihr Mann, der sie auf einem Kongress wähnt, angerufen hat und ihr im Restaurant überraschend die Tränen gekommen sind. Dabei hat sie sich schon mit fünfzehn vor dem Spiegel zugeflüstert, dass sie nie einem ganz gehören werde. Was will sie hier - mehr, als sie verkraften kann? Der Grund, weshalb sie sich in Erri verlieben könnte, wohl bereits verliebt hat, ist in Albinatis Konstruktion zugleich das, was sie an ihm nie geliebt hätte: seine Entschlusslosigkeit. Einen ängstlichen Draufgänger nennt ihn der Erzähler an anderer Stelle, einen kopflosen Logiker, "ein mit Beschränkungen, albernen Verstocktheiten, Befürchtungen und Zögerlichkeiten derart überladenes Individuum, dass er eine ihm offenbar innewohnende übermenschliche Kraft aufbringen musste, um sein neurotisches Schneckenhaus zu verlassen". Wie anziehend! Immerhin ist es das, was "die gefährlichste Seite in Clems Persönlichkeit zum Schwingen brachte: den brennenden Wunsch, sich zu verlieren". Viel mehr vermag der Erzähler über sie nicht zu sagen: Wenn es um ihren Übermut geht, ihren Hang zur Dramatik, zur Ausschweifung, ihr kindliches Wesen, geht es darum, was Erri in seiner Geliebten sieht. Überhaupt kommt Albinati dem Mann näher als der Frau: Ihn scheint er besser zu verstehen, ihn vermag er psychologisch feiner zu zeichnen. Und doch bleibt das, was Erri von Clem will, wie auch das, was er dafür an Widersprüchlichkeit, an Schmerz auszuhalten bereit ist, vergleichsweise beschränkt.
Auf seine Art ist "Ein Ehebruch" eine Komplementärgeschichte zu denen aus Milan Kunderas frühem Erzählungsband "Das Buch der lächerlichen Liebe": Hier wie dort bringt der Autor sein Figurenpaar in eine Grenzsituation, um diese dann aus ihrer und aus seiner Sicht zu ergründen. In "Fingierter Autostopp" führt Kundera ein spontanes Spiel am ersten Urlaubstag, so zu tun, als habe sie sich als Unbekannte in seinem Wagen mitnehmen lassen, in Koketterie und Obszönität, in ein Befremden, das die Liebe der beiden vielleicht für immer beschädigt.
Bei Albinati sind sich die Figuren von vornherein fremd, und sie haben Angst davor, die gemeinsame Beziehung könnte sich weiterentwickeln. So fremd ist ihm Clem, lässt Albinati Erri einmal denken, "wie ein in den Felsen gehauener Götze". Ihre Beziehung hat ausdrücklich keinen Sinn, darin liegt für das Paar ihre Leichtigkeit, ihr großer Reiz. Jede versuchte Verbindung der beiden miteinander, jedes tiefere Kennenlernen und Verständnis beschwerte sie bloß - und ist zugleich eine Versuchung, mit der beide in ihrem Entschluss, diese Affäre nicht ihr Familienleben gefährden zu lassen, auf ihre Weise zu kämpfen haben.
Genau darin liegt jene reizvolle Spannung in Edoardo Albinatis Roman "Ein Ehebruch": Clementina und Eraldo begegnen einander tunlichst auf der Oberfläche. Und der Autor beschäftigt sich auf kunstvolle Weise mit dieser Oberfläche so oberflächlich wie nur irgend möglich.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Edoardo Albinati: "Ein Ehebruch". Roman.
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull. Berlin Verlag, Berlin / München 2019. 128 S., geb., 20,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In seinem Roman "Ein Ehebruch" ergründet Edoardo Albinati die Spannung zwischen Intimität und Fremdheit.
Das überleben sie nicht, jedenfalls nicht beide, da ist man sich als Leser gleich sicher: Schon auf den ersten Seiten des schmalen Romans "Ein Ehebruch" deutet Edoardo Albinati Abgründe und Ängste von Clementina und Eraldo an, die jede Unternehmung seiner beiden Hauptfiguren überschatten in den zwei Tagen auf einer spätsommerlichen Urlaubsinsel mit viel Sex und wenig Schlaf.
Das Schwimmen im offenen Meer, bei dem er auf einmal Angst hat, zu ertrinken, die Mahnung eines Tischnachbarn auf der Restaurantterrasse, sich vorzusehen, die draufgängerische Fahrt mit dem Motorroller auf den gewundenen Küstensträßchen, die Rückfahrt trotz Sturmwarnung: irgendwann, so ahnt man, müsste das Unglück seinen Lauf nehmen, müsste etwas passieren, dass die Affäre der beiden Wochenendtouristen zumindest auffliegen lässt, durch eine auch äußerlich sichtbare Verletzung, womöglich einen Todesfall. Stand nicht ein Gewaltverbrechen im Zentrum von Albinatis Roman "Die katholische Schule", knapp 1300 Seiten stark, mit dem der Autor im Herbst 2018 für Furore sorgte? In "Ein Ehebruch" gehört es zur diskreten Kunst des italienischen Autors, mit der Erwartung einer Katastrophe zu spielen, wie es auch zur Kunst gehört, die Körper der beiden und alles, was passiert, nachdem sie einander wieder einmal die Kleider vom Leib gerissen haben, so uninspiriert zu behandeln, dass man es nur als Desinteresse lesen kann: Darum scheint es Albinati nicht zu gehen.
Selbst was die beiden miteinander erleben, wo sie essen, wo sie entlangspazieren oder wie sie einander kennengelernt haben, erzählt Albinati fast pflichtschuldig, wenn auch nicht unelegant: Er nutzt es als Folie dessen, was ihn tatsächlich an der Konstellation zu reizen scheint, im literarischen Sinn zu reizen scheint - der peniblen Ausleuchtung und Ausmalung des Innenlebens seiner beiden Figuren.
"Ich bin es ein bisschen leid, Gefühle zu haben", sagt Clem einmal am ersten Abend, als gerade ihr Mann, der sie auf einem Kongress wähnt, angerufen hat und ihr im Restaurant überraschend die Tränen gekommen sind. Dabei hat sie sich schon mit fünfzehn vor dem Spiegel zugeflüstert, dass sie nie einem ganz gehören werde. Was will sie hier - mehr, als sie verkraften kann? Der Grund, weshalb sie sich in Erri verlieben könnte, wohl bereits verliebt hat, ist in Albinatis Konstruktion zugleich das, was sie an ihm nie geliebt hätte: seine Entschlusslosigkeit. Einen ängstlichen Draufgänger nennt ihn der Erzähler an anderer Stelle, einen kopflosen Logiker, "ein mit Beschränkungen, albernen Verstocktheiten, Befürchtungen und Zögerlichkeiten derart überladenes Individuum, dass er eine ihm offenbar innewohnende übermenschliche Kraft aufbringen musste, um sein neurotisches Schneckenhaus zu verlassen". Wie anziehend! Immerhin ist es das, was "die gefährlichste Seite in Clems Persönlichkeit zum Schwingen brachte: den brennenden Wunsch, sich zu verlieren". Viel mehr vermag der Erzähler über sie nicht zu sagen: Wenn es um ihren Übermut geht, ihren Hang zur Dramatik, zur Ausschweifung, ihr kindliches Wesen, geht es darum, was Erri in seiner Geliebten sieht. Überhaupt kommt Albinati dem Mann näher als der Frau: Ihn scheint er besser zu verstehen, ihn vermag er psychologisch feiner zu zeichnen. Und doch bleibt das, was Erri von Clem will, wie auch das, was er dafür an Widersprüchlichkeit, an Schmerz auszuhalten bereit ist, vergleichsweise beschränkt.
Auf seine Art ist "Ein Ehebruch" eine Komplementärgeschichte zu denen aus Milan Kunderas frühem Erzählungsband "Das Buch der lächerlichen Liebe": Hier wie dort bringt der Autor sein Figurenpaar in eine Grenzsituation, um diese dann aus ihrer und aus seiner Sicht zu ergründen. In "Fingierter Autostopp" führt Kundera ein spontanes Spiel am ersten Urlaubstag, so zu tun, als habe sie sich als Unbekannte in seinem Wagen mitnehmen lassen, in Koketterie und Obszönität, in ein Befremden, das die Liebe der beiden vielleicht für immer beschädigt.
Bei Albinati sind sich die Figuren von vornherein fremd, und sie haben Angst davor, die gemeinsame Beziehung könnte sich weiterentwickeln. So fremd ist ihm Clem, lässt Albinati Erri einmal denken, "wie ein in den Felsen gehauener Götze". Ihre Beziehung hat ausdrücklich keinen Sinn, darin liegt für das Paar ihre Leichtigkeit, ihr großer Reiz. Jede versuchte Verbindung der beiden miteinander, jedes tiefere Kennenlernen und Verständnis beschwerte sie bloß - und ist zugleich eine Versuchung, mit der beide in ihrem Entschluss, diese Affäre nicht ihr Familienleben gefährden zu lassen, auf ihre Weise zu kämpfen haben.
Genau darin liegt jene reizvolle Spannung in Edoardo Albinatis Roman "Ein Ehebruch": Clementina und Eraldo begegnen einander tunlichst auf der Oberfläche. Und der Autor beschäftigt sich auf kunstvolle Weise mit dieser Oberfläche so oberflächlich wie nur irgend möglich.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Edoardo Albinati: "Ein Ehebruch". Roman.
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull. Berlin Verlag, Berlin / München 2019. 128 S., geb., 20,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main