"Ein eigenes Reich" - packende Film-, Kultur- und Sozialgeschichte in einem - widmet sich den schillernden Persönlichkeiten der "Hollywood-Magnaten". Sie, die als jüdische Einwanderer nach Anerkennung strebten, schufen im Filmgeschäft gleichsam ein "eigenes Reich" und waren maßgeblich daran beteiligt, im Medium Film den amerikanischen Traum selbst neu zu erschaffen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004Die Macht der Herrlichkeit
Neal Gabler erzählt die Geschichte, wie jüdische Emigranten Hollywood erfanden / Von Michael Althen
John Cassavetes hat gesagt, es sei nicht Amerika gewesen, an das sie geglaubt hätten, sondern Frank Capra. Damit hat er Hollywoods Macht und Herrlichkeit auf den Punkt gebracht, den Umstand, daß das Bild, das Capras Komödien von dem Land entwarfen, an die Stelle der Verheißungen getreten war, welche einst das Land barg. Capras Amerika war die wahre Heimat des amerikanischen Traums geworden.
Man kann davon ausgehen, daß dieser Ausspruch Capras Produzenten Harry Cohn auf die Palme gebracht hätte. Als Shelley Winters ihm gegenüber erwähnte, Capra habe doch "Es geschah in einer Nacht" gemacht, bekam Cohn einen Tobsuchtsanfall und brüllte: "Ich habe den Film gemacht. Er hat nur Regie geführt, Shelley. Vergessen Sie nie, daß der Produzent der wichtigste Mann bei einem Film ist." Das ist nur eine der Anekdoten aus "Ein eigenes Reich", aber sie veranschaulicht schön, warum sich der selbstbewußte Untertitel "Wie jüdische Emigranten Hollywood erfanden" mit dem Selbstverständnis der Produzenten deckte - auch mit der Realität.
Das Buch ist 1988 in Amerika erschienen, aber es ist insofern kein alter Hut, als es ein echter Klassiker der Filmliteratur ist und nicht nur eine Fußnote in der Geschichte des Mediums behandelt. Den Untertitel kann man wörtlich nehmen, weil alles, was das amerikanische Kino einst repräsentierte, nicht zu trennen war von den Träumen und Sehnsüchten der jüdischen Einwanderer. Das ist deswegen so faszinierend, weil Neal Gabler Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Filmgeschäfts als Psychogramm seiner Bosse entwirft und dabei den Bogen schlägt von der Geburt des Kinos aus dem Geist des Jahrmarkts bis zur Blüte des Studiosystems und weiter bis zum Niedergang der Produzentenherrlichkeit. Wo man gelernt hat, die Autorentheorie vor allem auf Regisseure anzuwenden, da setzt Gabler die Produzentenpraxis dagegen, die im Falle von Cohn vielleicht anmaßend klingt, aber ihre Berechtigung hat, wenn man hört, was Billy Wilder sagte: "Die Studios hatten damals ein Gesicht. Jedes hatte einen eigenen Stil. Man konnte mit verbundenen Augen in ein Kino geführt werden, machte die Augen auf und wußte: Ah, das ist ein Film von RKO. Das ist ein Paramount-Film. Das ist einer von MGM. Sie hatten eine ganz bestimmte Handschrift, wie Verlage."
Und Neal Gabler gelingt es, diese eigenen Handschriften zurückzuführen auf die Charaktere der Studiobosse und ihre Erfahrungen als Juden in Amerika. Die Filme von Warner etwa mit den Underdogs wie Cagney und Bogart spiegelten wider, was die Warner Brothers als Außenseiter erlebt hatten - sie lebten nicht von der Illusion, die Klassenschranken ließen sich überwinden, sondern setzten auf das Gemeinschaftsgefühl von Millionen Amerikanern, die sich ausgeschlossen fühlten.
Paramount-Filme hingegen entführten das Publikum "in eine Welt von Glamour und Sex, in der die Menschen anspielungsreich miteinander redeten, mit großer Geste auftraten und nicht sicher sein konnten, ob sich Tugend wirklich auszahlte". Bei MGM wurden "die weiblichen Stars idealisiert. Bei ihnen sucht man vergeblich das Nervöse, Aufreizende und das Feuer, das die Schauspielerinnen von Warner oder Columbia zeigen." Aber all die Stilfragen führen zurück zu jenen Männern, die sich als Einwanderer im Kino ein Amerika erfanden, das um so amerikanischer war, je weiter die Heimat entfernt lag. Die Geschichte Hollywoods ist die Geschichte einer Über-Assimilation, des verzweifelten Versuchs der osteuropäischen Juden, akzeptiert und respektiert zu werden oder einfach nur dazuzugehören. Als die besseren Kreise an der Ostküste sie beharrlich schnitten, zogen sie nach Kalifornien, wo die Gesellschaftsstruktur unkomplizierter und durchlässiger war, so neu und ungeformt wie der Film selbst. Dort bauten sie sich Paläste, mit denen sie jene Villen zu übertrumpfen suchten, zu denen sie keinen Zugang hatten, und gründeten einen Club namens Hillcrest, der all jene "Country-Clubs nachahmte, zu denen sie keinen Zutritt hatten". Dort frönten sie dem Glücksspiel, als wollten sie das Schicksal, das es gut mit ihnen gemeint hatte, auf die Probe stellen.
Laemmle, Zukor, Fox, Mayer und Warner waren aus Mittel- und Osteuropa nach Amerika gekommen und hatten zumeist in der Textilindustrie gelernt, auf den Publikumsgeschmack zu reagieren, und "waren Meister darin, die Bewegungen auf dem Markt zu nutzen". Sie fingen mit kleinen Ladenlokalen und einem Projektor an, stiegen in den Verleih ein und landeten über kurz oder lang bei der Produktion. In gewisser Weise beschleunigte ihr Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung den Aufstieg des Kinos vom billigen Vergnügen zur Filmkunst, weil sie mit kultureller Ambition schneller den Respekt der besseren Kreise zu erlangen glaubten. Tatsächlich konnten sie nie so mächtig werden, daß nicht ihr Judentum ihnen immer auf die ein oder andere Weise im Weg gestanden hätte. Sie litten darunter, daß man sie als Außenseiter brandmarkte und "reagierten aggressiv auf ihr Judentum. Ihnen genügte es nicht, sich vom Glauben abzuwenden, vielmehr mußten sie beweisen, daß sie ihm überlegen waren, und das artete oft in einen jüdischen Antisemitismus aus." Das gipfelte bei der Hexenjagd nach dem Krieg darin, daß die eigenen Leute vor dem Ausschuß hingehängt wurden, obwohl die Kommunistenhatz im Kern antisemitische Züge trug.
So lautet das ernüchternde Fazit dieser spannenden Geschichte: Sie haben dem Land Träume geschenkt, aber ihre eigenen Albträume mußten sie verleugnen.
Neal Gabler: "Ein eigenes Reich". Wie jüdische Emigranten "Hollywood" erfanden. Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber. Berlin Verlag, Berlin 2004. 670 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neal Gabler erzählt die Geschichte, wie jüdische Emigranten Hollywood erfanden / Von Michael Althen
John Cassavetes hat gesagt, es sei nicht Amerika gewesen, an das sie geglaubt hätten, sondern Frank Capra. Damit hat er Hollywoods Macht und Herrlichkeit auf den Punkt gebracht, den Umstand, daß das Bild, das Capras Komödien von dem Land entwarfen, an die Stelle der Verheißungen getreten war, welche einst das Land barg. Capras Amerika war die wahre Heimat des amerikanischen Traums geworden.
Man kann davon ausgehen, daß dieser Ausspruch Capras Produzenten Harry Cohn auf die Palme gebracht hätte. Als Shelley Winters ihm gegenüber erwähnte, Capra habe doch "Es geschah in einer Nacht" gemacht, bekam Cohn einen Tobsuchtsanfall und brüllte: "Ich habe den Film gemacht. Er hat nur Regie geführt, Shelley. Vergessen Sie nie, daß der Produzent der wichtigste Mann bei einem Film ist." Das ist nur eine der Anekdoten aus "Ein eigenes Reich", aber sie veranschaulicht schön, warum sich der selbstbewußte Untertitel "Wie jüdische Emigranten Hollywood erfanden" mit dem Selbstverständnis der Produzenten deckte - auch mit der Realität.
Das Buch ist 1988 in Amerika erschienen, aber es ist insofern kein alter Hut, als es ein echter Klassiker der Filmliteratur ist und nicht nur eine Fußnote in der Geschichte des Mediums behandelt. Den Untertitel kann man wörtlich nehmen, weil alles, was das amerikanische Kino einst repräsentierte, nicht zu trennen war von den Träumen und Sehnsüchten der jüdischen Einwanderer. Das ist deswegen so faszinierend, weil Neal Gabler Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Filmgeschäfts als Psychogramm seiner Bosse entwirft und dabei den Bogen schlägt von der Geburt des Kinos aus dem Geist des Jahrmarkts bis zur Blüte des Studiosystems und weiter bis zum Niedergang der Produzentenherrlichkeit. Wo man gelernt hat, die Autorentheorie vor allem auf Regisseure anzuwenden, da setzt Gabler die Produzentenpraxis dagegen, die im Falle von Cohn vielleicht anmaßend klingt, aber ihre Berechtigung hat, wenn man hört, was Billy Wilder sagte: "Die Studios hatten damals ein Gesicht. Jedes hatte einen eigenen Stil. Man konnte mit verbundenen Augen in ein Kino geführt werden, machte die Augen auf und wußte: Ah, das ist ein Film von RKO. Das ist ein Paramount-Film. Das ist einer von MGM. Sie hatten eine ganz bestimmte Handschrift, wie Verlage."
Und Neal Gabler gelingt es, diese eigenen Handschriften zurückzuführen auf die Charaktere der Studiobosse und ihre Erfahrungen als Juden in Amerika. Die Filme von Warner etwa mit den Underdogs wie Cagney und Bogart spiegelten wider, was die Warner Brothers als Außenseiter erlebt hatten - sie lebten nicht von der Illusion, die Klassenschranken ließen sich überwinden, sondern setzten auf das Gemeinschaftsgefühl von Millionen Amerikanern, die sich ausgeschlossen fühlten.
Paramount-Filme hingegen entführten das Publikum "in eine Welt von Glamour und Sex, in der die Menschen anspielungsreich miteinander redeten, mit großer Geste auftraten und nicht sicher sein konnten, ob sich Tugend wirklich auszahlte". Bei MGM wurden "die weiblichen Stars idealisiert. Bei ihnen sucht man vergeblich das Nervöse, Aufreizende und das Feuer, das die Schauspielerinnen von Warner oder Columbia zeigen." Aber all die Stilfragen führen zurück zu jenen Männern, die sich als Einwanderer im Kino ein Amerika erfanden, das um so amerikanischer war, je weiter die Heimat entfernt lag. Die Geschichte Hollywoods ist die Geschichte einer Über-Assimilation, des verzweifelten Versuchs der osteuropäischen Juden, akzeptiert und respektiert zu werden oder einfach nur dazuzugehören. Als die besseren Kreise an der Ostküste sie beharrlich schnitten, zogen sie nach Kalifornien, wo die Gesellschaftsstruktur unkomplizierter und durchlässiger war, so neu und ungeformt wie der Film selbst. Dort bauten sie sich Paläste, mit denen sie jene Villen zu übertrumpfen suchten, zu denen sie keinen Zugang hatten, und gründeten einen Club namens Hillcrest, der all jene "Country-Clubs nachahmte, zu denen sie keinen Zutritt hatten". Dort frönten sie dem Glücksspiel, als wollten sie das Schicksal, das es gut mit ihnen gemeint hatte, auf die Probe stellen.
Laemmle, Zukor, Fox, Mayer und Warner waren aus Mittel- und Osteuropa nach Amerika gekommen und hatten zumeist in der Textilindustrie gelernt, auf den Publikumsgeschmack zu reagieren, und "waren Meister darin, die Bewegungen auf dem Markt zu nutzen". Sie fingen mit kleinen Ladenlokalen und einem Projektor an, stiegen in den Verleih ein und landeten über kurz oder lang bei der Produktion. In gewisser Weise beschleunigte ihr Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung den Aufstieg des Kinos vom billigen Vergnügen zur Filmkunst, weil sie mit kultureller Ambition schneller den Respekt der besseren Kreise zu erlangen glaubten. Tatsächlich konnten sie nie so mächtig werden, daß nicht ihr Judentum ihnen immer auf die ein oder andere Weise im Weg gestanden hätte. Sie litten darunter, daß man sie als Außenseiter brandmarkte und "reagierten aggressiv auf ihr Judentum. Ihnen genügte es nicht, sich vom Glauben abzuwenden, vielmehr mußten sie beweisen, daß sie ihm überlegen waren, und das artete oft in einen jüdischen Antisemitismus aus." Das gipfelte bei der Hexenjagd nach dem Krieg darin, daß die eigenen Leute vor dem Ausschuß hingehängt wurden, obwohl die Kommunistenhatz im Kern antisemitische Züge trug.
So lautet das ernüchternde Fazit dieser spannenden Geschichte: Sie haben dem Land Träume geschenkt, aber ihre eigenen Albträume mußten sie verleugnen.
Neal Gabler: "Ein eigenes Reich". Wie jüdische Emigranten "Hollywood" erfanden. Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber. Berlin Verlag, Berlin 2004. 670 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Dieses Buch ist nicht neu, es erschien im Original im Jahr 1988, aber es ist, wie der Rezensent Michael Althen emphatisch meint, "insofern kein alter Hut, als es ein echter Klassiker der Filmliteratur ist". Im Zentrum steht ein ganzer Thesenkomplex: Zum einen versuche Neal Gabler nachzuweisen, dass die aus Europa emigrierten jüdischen Studiobosse - "Laemmle, Zukor, Fox, Mayer und Warner" - ihren Studios eine sehr eigene Handschrift aufgedrückt haben. Und zum anderen, dass diese Handschrift stark durch ihre Erfahrungen als Juden geprägt war, dass die Geschichte Hollywoods insofern "die Geschichte einer Über-Assimilation" war. Michael Althen zeigt sich von Gablers Lektüre der Traumfabrik als "Psychogramm" ihrer Bosse sehr beeindruckt. Das Fazit ist eher bitter: Die jüdischen Emigranten haben "dem Land Träume geschenkt, aber ihre eigenen Albträume mussten sie verleugnen".
© Perlentaucher Medien GmbH"
© Perlentaucher Medien GmbH"