In neuer, dem Ton des Originals so genau wie möglich folgender Übersetzung erscheint im Rahmen unserer Werkausgabe der berühmte Essay "Ein eigenes Zimmer", mit dem Virginia Woolf zur Symbolfigur der Frauenbewegung wurde. Talent fehlt den Frauen nicht, aber die Möglichkeit es einzusetzen. Und was sie dazu brauchen, müssen sie sich energisch selbst verschaffen: finanzielle, vor allem aber intellektuelle Unabhängigkeit, symbolisiert durch "Ein eigenes Zimmer". 1938 erklärt Virginia Woolf in ihrem Essay "Drei Guineen", das Wort "Feministin" solle in einem feierlichen Akt verbrannt werden, denn es sei "überholt, tot, verkommen". Frauen und Männer müssten nun gemeinsam für dieselbe Sache arbeiten. Mit den drei wertvollen Münzen unterstützt sie Initiativen zugunsten der drei Grundvoraussetzungen, die Frauen brauchen, um sich eigenständig äussern zu können: gründliche Bildung, wirtschaftliche Unabhängigkeit durch einen Beruf und intellektuelle Freiheit. Die beiden zentralen Texte Virginia Woolfs zum politischen und literarischen Feminismus.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2002Ich esse meine Backpflaumen nicht!
Geistige Freiheit: Virginia Woolf und Margaret Cavendish rebellieren
Drei Rezensionen über ein neu erschienenes Buch müsse man mindestens gelesen haben, bevor man sich ein Urteil bilden kann, erklärt Virginia Woolf kategorisch, weil alle Rezensenten "im Sold eines Redakteurs stehen, der im Sold eines Gremiums steht, das eine politische Richtung zu verfolgen hat". Daher sei jede veröffentlichte Meinung stets durch Finanzinteressen mitbestimmt, von Geschmacksfragen und persönlichen Eitelkeiten mal ganz abgesehen, und so sollten wir "jede Aussage ihres Geldmotivs entkleiden, ihres Machtmotivs, ihres Reklamemotivs, ihres Publizitätsmotivs" - wer aber kann sich solchen Luxus leisten? Wer kann es sich leisten, ohne "Geldmotiv" ein Buch nicht nur zu rezensieren, sondern überhaupt zu produzieren?
Jane Austen habe ihre gefeierten Romane am Wohnzimmertisch eines zehnköpfigen Pfarrhaushalts geschrieben, heißt es; ein Arbeitszimmer wurde ihr ebensowenig zugestanden wie ein eigenes Einkommen. Über "Frauen und Literatur" zu reden setzt für Woolf deshalb die schlichte Forderung voraus, die sie gleich auf der ersten Seite ihres berühmten Essays formuliert: "Eine Frau muß Geld" - 500 Pfund im Jahr - "und ein eigenes Zimmer haben, um schreiben zu können." Das Weitere findet sich dann schon.
So schnörkellos kommt Woolf zur Sache und stellt, bevor sie sich dem Schönen, Guten, Wahren widmet, erst mal jene materiellen Grundbedingungen klar, über die sich die gebildete Gesellschaft ansonsten gerne ausschweigt. Ihr feministischer Grundlagentext "Ein eigenes Zimmer" von 1928, der jetzt zusammen mit "Drei Guineen" in der von Klaus Reichert betreuten Werkausgabe in neuer Übersetzung vorliegt, lohnt nicht zuletzt deshalb immer wieder die Lektüre, weil er, so erfahrungsgesättigt wie spielerisch, so engagiert wie ironisch, gleich eine ganze Reihe bodenständiger Beispiele dafür bietet, wie beiläufig und hartnäckig sich die Geschlechterdifferenz auf der Alltagsbühne darstellt. Beispielsweise beim geselligen Essen im akademischen Kreis: Während die Herren Professoren in "Oxbridge" ihr wissenschaftliches Gespräch bei Seezunge, Rebhuhn und Rheinwein pflegen, wird den Kolleginnen im College nebenan ein frugales Mahl aus Rinderschwanzstücken, Rosenkohl und Backpflaumen serviert. Was diese Menüfolge über den Stand der Frauenbildung in England aussagt? So ziemlich alles: Anstalten weiblicher Erziehung verfügen nun mal nicht über jahrhundertelange Fürsorge durch solvente alte Herren und ihre einflußreichen Verbindungen. "Die geistige Freiheit hängt von materiellen Dingen ab. Die Dichtkunst hängt von der geistigen Freiheit ab. Und Frauen sind immer arm gewesen." Da reicht es im Frauencollege eben nur zu Salzkeksen; wer dichten will, muß anderswo satt werden.
Der hierarchischen Geschlechterordnung unserer Gesellschaft durch distanzierte und gleichwohl teilnahmsvolle Beobachtung alles Selbstverständliche zu nehmen ist Woolfs Erfolgsmethode. Dabei umspielt ihr leichter Ton und die poetische wie witzig pointierte Sprache (in dieser Übertragung in vielen Wendungen glücklich getroffen) den harten Kern leidvoller Erfahrung, denn die Autorin wußte nur zu gut, wovon sie sprach. Zwar war sie dank einer Erbschaft abgesichert und mußte sich nicht von Backpflaumen ernähren, aber ihr eigenes, durch schriftstellerische Arbeit verdientes Einkommen lag erst 1926 - mehr als zwanzig Jahre nachdem sie zu publizieren begann - über der magischen Grenze von 500 Pfund im Jahr. Englands größte Autorin der Moderne, Tochter eines gebildeten Vaters und Frau eines bedeutenden Mannes, hat nie eine Schule, geschweige denn die Universität besucht. Während sie "A Room of One's Own" schreibt, bekennt sie einer Freundin: "Ich mußte mich zwingen, meine Figuren fiktiv zu halten. Hätte ich gesagt, schaut mich an, ich bin ungebildet, weil die Erziehung meiner Brüder die Ersparnisse der Familie verbraucht hat, wie es der Fall ist - dann hätten doch alle nur gemeint, ich wolle alte Rechnungen begleichen, und keiner würde mich noch ernst nehmen."
Doch gerade in den fiktiven Figuren, die Woolf hier erfindet, spiegelt sich die Wirklichkeit am klarsten. Ihre traurige Geschichte von Shakespeares Schwester "Judith" illustriert, was außer Genie und Abenteuerlust noch alles vonnöten ist, damit große Werke blühen, nämlich gute Gelegenheit, gute Kontakte und schlicht die Erlaubnis zu künstlerischer Arbeit. Mit solchen Lehrstücken über die Unzulänglichkeit weiblichen Strebens, solange die Verhältnisse so sind, hat "Ein eigenes Zimmer" ganzen Forschungsprogrammen und Studienkollegs der letzten dreißig Jahre Anstöße geliefert, ebenso wie Woolfs Versuch, die verschütteten Spuren weiblicher Tradition in der Literaturgeschichte freizulegen, den Kanon-Debatten der siebziger und achtziger Jahre Antrieb gab. Vielleicht ist die utopische Radikalität von Woolfs Kulturentwurf, der in einer Vision des Androgynen gipfelt, dennoch bis heute nicht ausgelotet. Sicher aber geht es immer auch um ihre ganz persönliche Suche, den ungewissen Ort des Schreibens in der modernen Welt zu bestimmen und zu behaupten.
Unter den ältesten Ahnfrauen einer anderen Literatur, die Woolf aufspürt und namentlich zu Zeuginnen ihres Anliegens beruft, findet sich Margaret Cavendish (1623 bis 1673), Herzogin von Newcastle, eine der unerschrockensten und denkwürdigsten Frauen des siebzehnten Jahrhunderts. In den politischen Kämpfen des englischen Bürgerkriegs, der ihren Lebenslauf durchweg geprägt hat, entschieden auf der königlich-konservativen Seite, stand sie ansonsten gegen Tradition und Schicklichkeit und hat, wo ihr die Teilhabe am Bildungsgut der Zeit verwehrt blieb, ihre Interessen auf eigene Weise durchgesetzt. Ihr Engagement galt der Naturphilosophie und den Ansprüchen der Neuen Wissenschaft, die gerade im Begriff stand, sich machtvoll als Leitdisziplin zu etablieren. Mit Hobbes, Descartes und anderen großen Geistern persönlich bekannt und mit führenden Experimentalwissenschaftlern in Korrespondenz, wünschte die Herzogin daher nichts mehr als Zugang zur Royal Academy.
Doch bei ihrem ersehnten Besuch in jener Hochburg des neuen Forschens bot man ihr nur ein höfliches Damenprogramm; der wissenschaftliche Diskurs war selbstverständlich Männersache. Margaret Cavendish blieb das Schreiben, und literarisch schuf sie sich ein Reich, in dem sie unbeschränkt philosophieren und unbehelligt herrschen konnte. Zwar sei sie nicht habsüchtig, erklärt sie offenherzig, "dafür aber so ehrgeizig, wie nur je ein Mensch meines Geschlechts war, ist oder sein kann. Daraus folgt - wenn ich schon nicht Heinrich der Fünfte oder Karl der Zweite sein kann -, daß ich dennoch Margaret die Erste sein will", und sei es auch in der Fiktion. Deutschen Leserinnen bislang unzugänglich, ist ein zentrales Werk von ihr durch die Vermittlungsleistung der Münchener Anglistin Virginia Richter jetzt erstmals greifbar und bietet Einblick in das Reich dieser selbstbewußten wie selbstironischen Autorin.
"Die gleißende Welt", 1666 zusammen mit einem naturphilosophischen Traktat erschienen, erzählt von der phantastischen Reise in ein Paralleluniversum, wo eine aus unserer Wirklichkeit entführte Dame zur Kaiserin aufsteigt und anschließend im Disput mit allerlei gelehrten Fabelwesen zu klären sucht, was die Welt im Innersten zusammenhält. Dabei bleibt offen, ob ihre langwierigen Gespräche mit Affenmännern, Wurmmännern, Bärenmännern und dergleichen Geschöpfen dem aktuellen Wissenschaftsbetrieb der Zeit Spott oder Anerkennung zollen. Ebenso ambivalent ist seither das Urteil über Margaret Cavendish ausgefallen. Viel verspottet und allenfalls als Kuriosität betrachtet, wurde ihr Werk erst in der Romantik wieder ernsthaft gewürdigt und später mit Virginia Woolf für das Projekt einer umfassenden Frauenbildung neu gewonnen. Allerdings ist auch Woolfs Wertschätzung nicht ungebrochen: "Es ist um sie etwas Nobles und Don Quijoteskes und Hochgemutes", bescheinigt sie der Herzogin, "aber auch etwas Verrücktes und Spatzenhirniges."
Zu diesem zwiespältigen Bild mag Cavendishs Kriegsglaube und unverhohlen imperialer Eroberungsdrang beitragen, den sie auch ihrer fiktionalen Kaiserin zuschreibt. Denn in den späten dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts war Woolf durch die Entwicklungen in Europa genötigt, sich sehr eingehend mit totalitärer Eroberungspolitik auseinanderzusetzen und besonders deren Konsequenzen für die feministische Sache zu bedenken. Soll ein internationaler Kampf gegen den Faschismus Vorrang vor innergesellschaftlichen Konflikten haben? Kann die Forderung nach Gleichstellung im Bildungswesen oder auf dem Arbeitsmarkt zurückstehen hinter der Verhinderung eines Kriegs? Welchen Beitrag oder welchen Preis müssen Frauen dafür zahlen? Davon handelt Woolfs großer, kritischer und streitbarer Essay "Drei Guineen" von 1938.
Im Tonfall eindringlich und oft harsch, in der Sache hart und unnachgiebig, beantwortet sie den wohlmeinenden Spendenaufruf einer wohltätigen Friedensgesellschaft mit der Grundsatzfrage, wie der herrschende Militarismus und die gängigen Geschlechterrollen ursächlich zusammenhängen. Mit dem kühlen Blick der Ethnologin - die fünf Fotografien der Originalausgabe sind dem deutschen Band beigegeben und zeigen diverse öffentliche Würdenträger in Uniform, Robe oder Ornat - entschlüsselt sie die Rituale der Macht, in denen eine Männergesellschaft, ob in der Kirche, der Universität oder bei Gericht, zeremoniell ihre Rangordnung feiert. Dabei zeigt sie auch dem wohlfeilen Pazifismus sein patriarchales Gesicht und erklärt, daß der Widerstand gegen Unrecht, Terror und autoritäre Führerschaft nur wirksam ist, wenn er im Privaten und Grundsätzlichen beginnt.
Selbst engen Freunden und intellektuellen Weggefährten gingen solche Folgerungen zu weit; man nahm die Streitschrift still und indigniert zur Kenntnis. Wer sie in gänzlich veränderter Weltlage heute wieder liest, kommt jedoch um das Eingeständnis kaum herum, daß Woolfs zentrale Beobachtung zutrifft: Eine Kampagne gegen den Terror verliert an Glaubwürdigkeit und Kraft, wenn sie sich nur der Machtmittel des Gegners bedient, statt allererst die Denkweisen, die ihn hervorgebracht haben, ebenso entschieden zu bekämpfen.
TOBIAS DÖRING
Virginia Woolf: "Ein eigenes Zimmer. Drei Guineen". Zwei Essays. Herausgegeben von Klaus Reichert. Aus dem Englischen übersetzt von Heidi Zerning und Brigitte Walitzek. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 373 S., geb., 25,- [Euro].
Margaret Cavendish: "Die gleißende Welt". Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Virginia Richter. Scaneg Verlag, München 2001. 136 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geistige Freiheit: Virginia Woolf und Margaret Cavendish rebellieren
Drei Rezensionen über ein neu erschienenes Buch müsse man mindestens gelesen haben, bevor man sich ein Urteil bilden kann, erklärt Virginia Woolf kategorisch, weil alle Rezensenten "im Sold eines Redakteurs stehen, der im Sold eines Gremiums steht, das eine politische Richtung zu verfolgen hat". Daher sei jede veröffentlichte Meinung stets durch Finanzinteressen mitbestimmt, von Geschmacksfragen und persönlichen Eitelkeiten mal ganz abgesehen, und so sollten wir "jede Aussage ihres Geldmotivs entkleiden, ihres Machtmotivs, ihres Reklamemotivs, ihres Publizitätsmotivs" - wer aber kann sich solchen Luxus leisten? Wer kann es sich leisten, ohne "Geldmotiv" ein Buch nicht nur zu rezensieren, sondern überhaupt zu produzieren?
Jane Austen habe ihre gefeierten Romane am Wohnzimmertisch eines zehnköpfigen Pfarrhaushalts geschrieben, heißt es; ein Arbeitszimmer wurde ihr ebensowenig zugestanden wie ein eigenes Einkommen. Über "Frauen und Literatur" zu reden setzt für Woolf deshalb die schlichte Forderung voraus, die sie gleich auf der ersten Seite ihres berühmten Essays formuliert: "Eine Frau muß Geld" - 500 Pfund im Jahr - "und ein eigenes Zimmer haben, um schreiben zu können." Das Weitere findet sich dann schon.
So schnörkellos kommt Woolf zur Sache und stellt, bevor sie sich dem Schönen, Guten, Wahren widmet, erst mal jene materiellen Grundbedingungen klar, über die sich die gebildete Gesellschaft ansonsten gerne ausschweigt. Ihr feministischer Grundlagentext "Ein eigenes Zimmer" von 1928, der jetzt zusammen mit "Drei Guineen" in der von Klaus Reichert betreuten Werkausgabe in neuer Übersetzung vorliegt, lohnt nicht zuletzt deshalb immer wieder die Lektüre, weil er, so erfahrungsgesättigt wie spielerisch, so engagiert wie ironisch, gleich eine ganze Reihe bodenständiger Beispiele dafür bietet, wie beiläufig und hartnäckig sich die Geschlechterdifferenz auf der Alltagsbühne darstellt. Beispielsweise beim geselligen Essen im akademischen Kreis: Während die Herren Professoren in "Oxbridge" ihr wissenschaftliches Gespräch bei Seezunge, Rebhuhn und Rheinwein pflegen, wird den Kolleginnen im College nebenan ein frugales Mahl aus Rinderschwanzstücken, Rosenkohl und Backpflaumen serviert. Was diese Menüfolge über den Stand der Frauenbildung in England aussagt? So ziemlich alles: Anstalten weiblicher Erziehung verfügen nun mal nicht über jahrhundertelange Fürsorge durch solvente alte Herren und ihre einflußreichen Verbindungen. "Die geistige Freiheit hängt von materiellen Dingen ab. Die Dichtkunst hängt von der geistigen Freiheit ab. Und Frauen sind immer arm gewesen." Da reicht es im Frauencollege eben nur zu Salzkeksen; wer dichten will, muß anderswo satt werden.
Der hierarchischen Geschlechterordnung unserer Gesellschaft durch distanzierte und gleichwohl teilnahmsvolle Beobachtung alles Selbstverständliche zu nehmen ist Woolfs Erfolgsmethode. Dabei umspielt ihr leichter Ton und die poetische wie witzig pointierte Sprache (in dieser Übertragung in vielen Wendungen glücklich getroffen) den harten Kern leidvoller Erfahrung, denn die Autorin wußte nur zu gut, wovon sie sprach. Zwar war sie dank einer Erbschaft abgesichert und mußte sich nicht von Backpflaumen ernähren, aber ihr eigenes, durch schriftstellerische Arbeit verdientes Einkommen lag erst 1926 - mehr als zwanzig Jahre nachdem sie zu publizieren begann - über der magischen Grenze von 500 Pfund im Jahr. Englands größte Autorin der Moderne, Tochter eines gebildeten Vaters und Frau eines bedeutenden Mannes, hat nie eine Schule, geschweige denn die Universität besucht. Während sie "A Room of One's Own" schreibt, bekennt sie einer Freundin: "Ich mußte mich zwingen, meine Figuren fiktiv zu halten. Hätte ich gesagt, schaut mich an, ich bin ungebildet, weil die Erziehung meiner Brüder die Ersparnisse der Familie verbraucht hat, wie es der Fall ist - dann hätten doch alle nur gemeint, ich wolle alte Rechnungen begleichen, und keiner würde mich noch ernst nehmen."
Doch gerade in den fiktiven Figuren, die Woolf hier erfindet, spiegelt sich die Wirklichkeit am klarsten. Ihre traurige Geschichte von Shakespeares Schwester "Judith" illustriert, was außer Genie und Abenteuerlust noch alles vonnöten ist, damit große Werke blühen, nämlich gute Gelegenheit, gute Kontakte und schlicht die Erlaubnis zu künstlerischer Arbeit. Mit solchen Lehrstücken über die Unzulänglichkeit weiblichen Strebens, solange die Verhältnisse so sind, hat "Ein eigenes Zimmer" ganzen Forschungsprogrammen und Studienkollegs der letzten dreißig Jahre Anstöße geliefert, ebenso wie Woolfs Versuch, die verschütteten Spuren weiblicher Tradition in der Literaturgeschichte freizulegen, den Kanon-Debatten der siebziger und achtziger Jahre Antrieb gab. Vielleicht ist die utopische Radikalität von Woolfs Kulturentwurf, der in einer Vision des Androgynen gipfelt, dennoch bis heute nicht ausgelotet. Sicher aber geht es immer auch um ihre ganz persönliche Suche, den ungewissen Ort des Schreibens in der modernen Welt zu bestimmen und zu behaupten.
Unter den ältesten Ahnfrauen einer anderen Literatur, die Woolf aufspürt und namentlich zu Zeuginnen ihres Anliegens beruft, findet sich Margaret Cavendish (1623 bis 1673), Herzogin von Newcastle, eine der unerschrockensten und denkwürdigsten Frauen des siebzehnten Jahrhunderts. In den politischen Kämpfen des englischen Bürgerkriegs, der ihren Lebenslauf durchweg geprägt hat, entschieden auf der königlich-konservativen Seite, stand sie ansonsten gegen Tradition und Schicklichkeit und hat, wo ihr die Teilhabe am Bildungsgut der Zeit verwehrt blieb, ihre Interessen auf eigene Weise durchgesetzt. Ihr Engagement galt der Naturphilosophie und den Ansprüchen der Neuen Wissenschaft, die gerade im Begriff stand, sich machtvoll als Leitdisziplin zu etablieren. Mit Hobbes, Descartes und anderen großen Geistern persönlich bekannt und mit führenden Experimentalwissenschaftlern in Korrespondenz, wünschte die Herzogin daher nichts mehr als Zugang zur Royal Academy.
Doch bei ihrem ersehnten Besuch in jener Hochburg des neuen Forschens bot man ihr nur ein höfliches Damenprogramm; der wissenschaftliche Diskurs war selbstverständlich Männersache. Margaret Cavendish blieb das Schreiben, und literarisch schuf sie sich ein Reich, in dem sie unbeschränkt philosophieren und unbehelligt herrschen konnte. Zwar sei sie nicht habsüchtig, erklärt sie offenherzig, "dafür aber so ehrgeizig, wie nur je ein Mensch meines Geschlechts war, ist oder sein kann. Daraus folgt - wenn ich schon nicht Heinrich der Fünfte oder Karl der Zweite sein kann -, daß ich dennoch Margaret die Erste sein will", und sei es auch in der Fiktion. Deutschen Leserinnen bislang unzugänglich, ist ein zentrales Werk von ihr durch die Vermittlungsleistung der Münchener Anglistin Virginia Richter jetzt erstmals greifbar und bietet Einblick in das Reich dieser selbstbewußten wie selbstironischen Autorin.
"Die gleißende Welt", 1666 zusammen mit einem naturphilosophischen Traktat erschienen, erzählt von der phantastischen Reise in ein Paralleluniversum, wo eine aus unserer Wirklichkeit entführte Dame zur Kaiserin aufsteigt und anschließend im Disput mit allerlei gelehrten Fabelwesen zu klären sucht, was die Welt im Innersten zusammenhält. Dabei bleibt offen, ob ihre langwierigen Gespräche mit Affenmännern, Wurmmännern, Bärenmännern und dergleichen Geschöpfen dem aktuellen Wissenschaftsbetrieb der Zeit Spott oder Anerkennung zollen. Ebenso ambivalent ist seither das Urteil über Margaret Cavendish ausgefallen. Viel verspottet und allenfalls als Kuriosität betrachtet, wurde ihr Werk erst in der Romantik wieder ernsthaft gewürdigt und später mit Virginia Woolf für das Projekt einer umfassenden Frauenbildung neu gewonnen. Allerdings ist auch Woolfs Wertschätzung nicht ungebrochen: "Es ist um sie etwas Nobles und Don Quijoteskes und Hochgemutes", bescheinigt sie der Herzogin, "aber auch etwas Verrücktes und Spatzenhirniges."
Zu diesem zwiespältigen Bild mag Cavendishs Kriegsglaube und unverhohlen imperialer Eroberungsdrang beitragen, den sie auch ihrer fiktionalen Kaiserin zuschreibt. Denn in den späten dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts war Woolf durch die Entwicklungen in Europa genötigt, sich sehr eingehend mit totalitärer Eroberungspolitik auseinanderzusetzen und besonders deren Konsequenzen für die feministische Sache zu bedenken. Soll ein internationaler Kampf gegen den Faschismus Vorrang vor innergesellschaftlichen Konflikten haben? Kann die Forderung nach Gleichstellung im Bildungswesen oder auf dem Arbeitsmarkt zurückstehen hinter der Verhinderung eines Kriegs? Welchen Beitrag oder welchen Preis müssen Frauen dafür zahlen? Davon handelt Woolfs großer, kritischer und streitbarer Essay "Drei Guineen" von 1938.
Im Tonfall eindringlich und oft harsch, in der Sache hart und unnachgiebig, beantwortet sie den wohlmeinenden Spendenaufruf einer wohltätigen Friedensgesellschaft mit der Grundsatzfrage, wie der herrschende Militarismus und die gängigen Geschlechterrollen ursächlich zusammenhängen. Mit dem kühlen Blick der Ethnologin - die fünf Fotografien der Originalausgabe sind dem deutschen Band beigegeben und zeigen diverse öffentliche Würdenträger in Uniform, Robe oder Ornat - entschlüsselt sie die Rituale der Macht, in denen eine Männergesellschaft, ob in der Kirche, der Universität oder bei Gericht, zeremoniell ihre Rangordnung feiert. Dabei zeigt sie auch dem wohlfeilen Pazifismus sein patriarchales Gesicht und erklärt, daß der Widerstand gegen Unrecht, Terror und autoritäre Führerschaft nur wirksam ist, wenn er im Privaten und Grundsätzlichen beginnt.
Selbst engen Freunden und intellektuellen Weggefährten gingen solche Folgerungen zu weit; man nahm die Streitschrift still und indigniert zur Kenntnis. Wer sie in gänzlich veränderter Weltlage heute wieder liest, kommt jedoch um das Eingeständnis kaum herum, daß Woolfs zentrale Beobachtung zutrifft: Eine Kampagne gegen den Terror verliert an Glaubwürdigkeit und Kraft, wenn sie sich nur der Machtmittel des Gegners bedient, statt allererst die Denkweisen, die ihn hervorgebracht haben, ebenso entschieden zu bekämpfen.
TOBIAS DÖRING
Virginia Woolf: "Ein eigenes Zimmer. Drei Guineen". Zwei Essays. Herausgegeben von Klaus Reichert. Aus dem Englischen übersetzt von Heidi Zerning und Brigitte Walitzek. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 373 S., geb., 25,- [Euro].
Margaret Cavendish: "Die gleißende Welt". Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Virginia Richter. Scaneg Verlag, München 2001. 136 S., br., 15,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Lektüre von Virgina Woolfs "feministischem Grundlagentext 'Ein eigenes Zimmer'" lohnt nach Ansicht von Rezensent Tobias Döring nicht zuletzt deshalb, "weil er, so erfahrungsgesättigt wie spielerisch, so engagiert wie ironisch, gleich eine ganze Reihe bodenständiger Beispiele dafür bietet", wie "beiläufig und hartnäckig" sich die Geschlechterdifferenz auf der Alltagsbühne darstelle. Ganzen Forschungsprogrammen und Studienkollegs habe der Essay in den letzten dreißig Jahren Anstoß geliefert, doch der Rezensent ist der Ansicht, dass die "utopische Radikalität" von Woolfes Kulturentwurf bis heute nicht ausgelotet sei. "Ein eigenes Zimmer" liege jetzt im Rahmen der von Klaus Reichert betreuten Werkausgabe in neuer Übersetzung vor, zusammen mit dem "großen, kritischen und streitbaren Essay" 'Drei Guinneen' von 1938 zur "Grundsatzfrage, wie Militarismus und gängige Geschlechterrollen ursächlich zusammenhängen". Wobei Woolf auch dem "wohlfeilen Pazifismus" sein "patriarchales Gesicht" zeige.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die Lektüre von Virgina Woolfs "feministischem Grundlagentext 'Ein eigenes Zimmer'" lohnt nach Ansicht von Rezensent Tobias Döring nicht zuletzt deshalb, "weil er, so erfahrungsgesättigt wie spielerisch, so engagiert wie ironisch, gleich eine ganze Reihe bodenständiger Beispiele dafür bietet", wie "beiläufig und hartnäckig" sich die Geschlechterdifferenz auf der Alltagsbühne darstelle. Ganzen Forschungsprogrammen und Studienkollegs habe der Essay in den letzten dreißig Jahren Anstoß geliefert, doch der Rezensent ist der Ansicht, dass die "utopische Radikalität" von Woolfes Kulturentwurf bis heute nicht ausgelotet sei. "Ein eigenes Zimmer" liege jetzt im Rahmen der von Klaus Reichert betreuten Werkausgabe in neuer Übersetzung vor, zusammen mit dem "großen, kritischen und streitbaren Essay" 'Drei Guinneen' von 1938 zur "Grundsatzfrage, wie Militarismus und gängige Geschlechterrollen ursächlich zusammenhängen". Wobei Woolf auch dem "wohlfeilen Pazifismus" sein "patriarchales Gesicht" zeige.
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