Die Wiederentdeckung im Spannungsgenre: Ein Meilenstein in der Geschichte der KriminalliteraturLos Angeles in den späten 1940ern: Der ehemalige Jagdflieger Dix Steele streift durch die Stadt, vorzugsweise nachts. Seit seiner Rückkehr nach L. A. sucht er nach dem Rausch des Fliegens, doch kaum etwas scheint dem nahe zu kommen. Stattdessen stellt er nun Frauen nach, denen er auf seinen Streifzügen begegnet. Als er einen alten Freund wiedertrifft, ist er fasziniert von Brubs schöner, sanfter Ehefrau, die ihn zugleich verunsichert und beflügelt, und von dessen Arbeit als Detective. Unmittelbar kann Dix mitverfolgen, wie Brub die Morde an einer Reihe junger Frauen untersucht. Und es beginnt ein Spiel, bei dem immer unklarer wird, wer eigentlich auf der Jagd nach wem ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2022Stahl und Diebstahl
Krimis in Kürze: Dorothy B. Hughes und Max Annas
Auch wer sich noch immer gut erinnern kann an Nicholas Rays Film "In A Lonely Place", in dem Humphrey Bogart einen seiner stärksten Auftritte hat, wird wenig wiedererkennen in dem Roman, auf dem der Film von 1950 beruht. Die beiden Drehbuchautoren hatten das drei Jahre zuvor erschienene Buch von Dorothy B. Hughes sehr gründlich und ideologisch sehr sorgfältig umgearbeitet, weil das Szenario so düster und moralisch fragwürdig erschien, dass es selbst für einen hartgesottenen Film noir zu hart war. Nun kann man diesen großen Roman einer fast vergessenen Pionierin des American Noir endlich wieder lesen, nachdem die 1999 im Union-Verlag erschienene Übersetzung lange vergriffen war.
"Ein einsamer Ort" (Atrium, 272 S., geb. 22,- Euro) ist die Geschichte eines ehemaligen Jagdfliegers, der in Los Angeles nach dem Zweiten Weltkrieg zum Serienmörder wird. Dixon Steele, in dessen Namen Stahl und Diebstahl zusammenklingen, lebt in den Tag hinein, er nimmt den kleinen Scheck seines Onkels, er hat Erfolg bei Frauen und ist zugleich misogyn: "Sie waren alle gleich. Betrügerinnen, Lügnerinnen, Huren." Er will ohne Arbeit zum großen Geld, fühlt sich deklassiert, zu kurz gekommen, nach der Gleichheit und Freiheit als Soldat im Krieg in der engen Nachkriegswelt versklavt und in seiner Männlichkeit gekränkt.
Dorothy B. Hughes (1904-1993), die vor allem in den Vierzigerjahren sehr produktiv war, ist eine begnadete Erzählerin. Sie hat ein Ohr für Dialoge, ein Auge für das Nachkriegs-Kalifornien, ein Gespür für den Rhythmus der Sätze. Und sie zeigt mit unnachahmlicher Präzision, wie dieser Steele sich immer tiefer im Labyrinth seiner Paranoia verirrt. Dass sein bester Freund und Kriegskamerad Brub Detective ist, der in der Mordserie ermittelt, dass Brubs Frau Steele nach und nach durchschaut, ist ein weiterer Beleg für Hughes' souveräne Anlage der Erzählung. Ein Kriminalroman, der in der Liga von Chandler, Hammett und Cain spielt.
Dass die DDR, im Gegensatz zum kapitalistischen Westen, ein Schauplatz für gute Kriminalromane war, kann man bezweifeln. Aber vielleicht ist das doch zu vorschnell und reflexhaft - oder aus der Reihe "Polizeiruf 110" abgeleitet, deren Fälle nie ernsthaft mit denen im "Tatort" konkurrieren konnten. Max Annas jedenfalls erschließt in seiner auf vier Bände angelegten Reihe, lange nach dem Ableben der DDR entstanden, ein beachtliches Potential.
In "Morduntersuchungskommission. Der Fall Daniela Nitschke" (Rowohlt, 368 S., geb., 22,- Euro) begegnet man zum dritten Mal dem Oberleutant Otto Castorp. Er wurde von Jena nach Berlin versetzt, es ist das Jahr 1987. Ronald Reagan steht in Sichtweite der Mauer und fordert, hörbar bis in Osten, den amtierenden Generalsekretär der KPdSU auf: "Mr. Gorbachev, tear down this wall!" Castorp und seine Kollegen sind mitten im Getümmel nahe der Mauer. Sie langen hin, wenn die Uniformierten Unterstützung brauchen. Aber sie haben andere Sorgen. Zwei Leichen: ein Musiker aus dem Westen, eine Kantinenhilfe aus dem Osten, ein paar Meter voneinander aufgefunden.
Die Handlung des Romans, in dem Familien- und Zeitgeschichte miteinander verwoben sind, springt zwischen Ost und West. Da ist der Jazzmusiker Billy, der aus Südafrika stammt, in Berlin lebt und ab und zu Kurierdienste für den ANC, den African National Congress, leistet, eine der Befreiungsbewegungen, die von der DDR unterstützt wurden. Neben dem gerade in seiner Durchschnittlichkeit interessanten Castorp, der ziemlich linientreu ist, sich aber beim Konzert von Miriam Makeba zur Berliner 750-Jahr-Feier langweilt, ermittelt heimlich die Stasi-Sekretärin Erika Fichte, die von ihrem Chef angesetzt wird, das Verschwinden jenes Genossen zu untersuchen, der die Waffenlieferungen nach Angola und Südafrika koordinierte.
Die Frontlinien sind recht unübersichtlich. Max Annas' nüchterner protokollarischer Stil ist genau die passende Form dafür. So gelingt es ihm, einen komplexen Fall souverän zu entfalten und zugleich ein Stück Mentalitätsgeschichte aus einem Land zu erzählen, dessen Bewohnern der sich abzeichnende Untergang ihrer Welt allenfalls schemenhaft bewusst war. Schon jetzt ist man gespannt auf den Abschluss von Annas' Reihe. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Dorothy B. Hughes und Max Annas
Auch wer sich noch immer gut erinnern kann an Nicholas Rays Film "In A Lonely Place", in dem Humphrey Bogart einen seiner stärksten Auftritte hat, wird wenig wiedererkennen in dem Roman, auf dem der Film von 1950 beruht. Die beiden Drehbuchautoren hatten das drei Jahre zuvor erschienene Buch von Dorothy B. Hughes sehr gründlich und ideologisch sehr sorgfältig umgearbeitet, weil das Szenario so düster und moralisch fragwürdig erschien, dass es selbst für einen hartgesottenen Film noir zu hart war. Nun kann man diesen großen Roman einer fast vergessenen Pionierin des American Noir endlich wieder lesen, nachdem die 1999 im Union-Verlag erschienene Übersetzung lange vergriffen war.
"Ein einsamer Ort" (Atrium, 272 S., geb. 22,- Euro) ist die Geschichte eines ehemaligen Jagdfliegers, der in Los Angeles nach dem Zweiten Weltkrieg zum Serienmörder wird. Dixon Steele, in dessen Namen Stahl und Diebstahl zusammenklingen, lebt in den Tag hinein, er nimmt den kleinen Scheck seines Onkels, er hat Erfolg bei Frauen und ist zugleich misogyn: "Sie waren alle gleich. Betrügerinnen, Lügnerinnen, Huren." Er will ohne Arbeit zum großen Geld, fühlt sich deklassiert, zu kurz gekommen, nach der Gleichheit und Freiheit als Soldat im Krieg in der engen Nachkriegswelt versklavt und in seiner Männlichkeit gekränkt.
Dorothy B. Hughes (1904-1993), die vor allem in den Vierzigerjahren sehr produktiv war, ist eine begnadete Erzählerin. Sie hat ein Ohr für Dialoge, ein Auge für das Nachkriegs-Kalifornien, ein Gespür für den Rhythmus der Sätze. Und sie zeigt mit unnachahmlicher Präzision, wie dieser Steele sich immer tiefer im Labyrinth seiner Paranoia verirrt. Dass sein bester Freund und Kriegskamerad Brub Detective ist, der in der Mordserie ermittelt, dass Brubs Frau Steele nach und nach durchschaut, ist ein weiterer Beleg für Hughes' souveräne Anlage der Erzählung. Ein Kriminalroman, der in der Liga von Chandler, Hammett und Cain spielt.
Dass die DDR, im Gegensatz zum kapitalistischen Westen, ein Schauplatz für gute Kriminalromane war, kann man bezweifeln. Aber vielleicht ist das doch zu vorschnell und reflexhaft - oder aus der Reihe "Polizeiruf 110" abgeleitet, deren Fälle nie ernsthaft mit denen im "Tatort" konkurrieren konnten. Max Annas jedenfalls erschließt in seiner auf vier Bände angelegten Reihe, lange nach dem Ableben der DDR entstanden, ein beachtliches Potential.
In "Morduntersuchungskommission. Der Fall Daniela Nitschke" (Rowohlt, 368 S., geb., 22,- Euro) begegnet man zum dritten Mal dem Oberleutant Otto Castorp. Er wurde von Jena nach Berlin versetzt, es ist das Jahr 1987. Ronald Reagan steht in Sichtweite der Mauer und fordert, hörbar bis in Osten, den amtierenden Generalsekretär der KPdSU auf: "Mr. Gorbachev, tear down this wall!" Castorp und seine Kollegen sind mitten im Getümmel nahe der Mauer. Sie langen hin, wenn die Uniformierten Unterstützung brauchen. Aber sie haben andere Sorgen. Zwei Leichen: ein Musiker aus dem Westen, eine Kantinenhilfe aus dem Osten, ein paar Meter voneinander aufgefunden.
Die Handlung des Romans, in dem Familien- und Zeitgeschichte miteinander verwoben sind, springt zwischen Ost und West. Da ist der Jazzmusiker Billy, der aus Südafrika stammt, in Berlin lebt und ab und zu Kurierdienste für den ANC, den African National Congress, leistet, eine der Befreiungsbewegungen, die von der DDR unterstützt wurden. Neben dem gerade in seiner Durchschnittlichkeit interessanten Castorp, der ziemlich linientreu ist, sich aber beim Konzert von Miriam Makeba zur Berliner 750-Jahr-Feier langweilt, ermittelt heimlich die Stasi-Sekretärin Erika Fichte, die von ihrem Chef angesetzt wird, das Verschwinden jenes Genossen zu untersuchen, der die Waffenlieferungen nach Angola und Südafrika koordinierte.
Die Frontlinien sind recht unübersichtlich. Max Annas' nüchterner protokollarischer Stil ist genau die passende Form dafür. So gelingt es ihm, einen komplexen Fall souverän zu entfalten und zugleich ein Stück Mentalitätsgeschichte aus einem Land zu erzählen, dessen Bewohnern der sich abzeichnende Untergang ihrer Welt allenfalls schemenhaft bewusst war. Schon jetzt ist man gespannt auf den Abschluss von Annas' Reihe. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Wenn ein Krimi auch 75 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung noch funktioniert, muss er wirklich gut sein, meint Rezensentin Eva Sager. Dorothy B. Hughes' "Ein einsamer Ort", zuerst 1947 erschienen, erzählt die Geschichte eines Serienmörders, dessen Frauenhass Monat für Monat in einem Mord kulminiert und dem ein Frauenduo auf die Schliche kommt. Sager freut sich darüber, dass Frauen ermitteln dürfen, ohne dass der Noir-Klassiker dadurch zu einem plakativen feministischen Manifest würde, und empfiehlt das Buch vor allem wegen seiner Zeitlosigkeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Dorothy B. Hughes ist die Königin des Noir, und 'Ein einsamer Ort' ist ihre Krone.« Laurie R. King