„Außerdem fiel mir etwas Merkwürdiges auf. Nachts, wenn ich im Bett lag und mit geschlossenen Augen aufs Einschlafen wartete, hatte ich das Gefühl es sei jemand in meinem Zimmer. Ein Schauer überlief mich. Ich dachte, wenn ich die Augen öffnete, würde jemand neben meinem Bett stehen und sich wie ein
drohender Schatten über mich beugen – vielleicht dieser Hexenschatten, den ich im Stilwind-Haus auf…mehr„Außerdem fiel mir etwas Merkwürdiges auf. Nachts, wenn ich im Bett lag und mit geschlossenen Augen aufs Einschlafen wartete, hatte ich das Gefühl es sei jemand in meinem Zimmer. Ein Schauer überlief mich. Ich dachte, wenn ich die Augen öffnete, würde jemand neben meinem Bett stehen und sich wie ein drohender Schatten über mich beugen – vielleicht dieser Hexenschatten, den ich im Stilwind-Haus auf dem Hügel gesehen hatte.
In mir wuchs die Befürchtung, dass es – was auch immer es war – mich packen und mit sich ziehen würde, auf die andere Seite dieses feinen, dunklen Risses: der Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten.“
Der Klappentext beginnt mit den Worten: „East Texas, 1958. Stans Welt ist von Gewalt geprägt.“ Das kann man wohl sagen! Mit seinen Eltern und der 16jährigen Schwester ist der 13jährige Stan kürzlich in diese Kleinstadt gezogen, weil sein Vater dort ein Autokino betreiben möchte. In dieser kleinen Stadt Dewmont gibt es eine klare Rangordnung: Ganz oben – praktisch am Anfang der Nahrungskette – stehen reiche Männer. Danach kommen „normale“ Männer und dann erst mal eine Weile nichts. Irgendwann geht die Reihe weiter mit männlichen Kindern und erst danach kommen Frauen und Mädchen. Und ganz am Ende die „Nigger“.
Stan’s Familie unterscheidet sich schon zu Beginn der Geschichte von den übrigen Bewohnern Dewmonts. Mit fassungslosem Erstaunen nimmt er wahr, dass es um ihn herum scheinbar üblich ist, dass Väter ihre Frauen und Kinder verprügeln. Und dass es sich zudem für einen „anständigen“ Weißen nicht schickt, privat mit „Niggern“ zu verkehren.
Stan’s erste Freunde in der neuen Stadt sind das farbige Hausmädchen Rosy Mae, der farbige Filmvorführer Buster aus dem Autokino und ein Mitschüler namens Richard, dessen Mutter ständig mit zerschlagenem Gesicht rumläuft und der sich an die Prügel seines Vaters schon beinahe „gewöhnt“ hat.
Eines Tages findet Stan in der Nähe des Autokinos eine kleine Kiste, voll mit Briefen und Tagebuchseiten. Neugierig geworden forscht er nach der Herkunft dieser Kiste und stößt dabei auf das Schicksal zweier junger Mädchen, die vor einigen Jahren in Dewmont lebten und die beide vor einigen Jahren in derselben Nacht starben. Die eine verbrannte in ihrem Haus und die andere wurde ganz in der Nähe ermordet…
Die Geschichte beginnt wie ein typischer Abenteuerroman, die Geschichte eines Sommers im Leben eines 13jährigen Jungens. Das habe ich schon gerne gelesen, aber dann nam die Handlung Fahrt auf und wurde richtig spannend. Stan ist ein richtig sympathisches Kerlchen, zu Beginn der Handlung noch sagenhaft unschuldig und noch richtig „Kind“ – am Ende des Sommers wird er jedoch so viel Schreckliches gesehen haben, dass es eigentlich für mehr als ein Leben reicht. Wie das auf den intelligenten und fantasiebegabten Jungen wirkt, kann man sich vorstellen. Das gesamte Szenario, geprägt von Gewalt und Rassismus, ist sehr intensiv dargestellt und ich liebe einfach Geschichten über Menschen, die in einem solchen Klima auf Oppositionskurs gehen! Und zudem gibt es ja auch noch das Schicksal der toten Mädchen, das bis zu diesem Zeitpunkt nie geklärt wurde.
Recht und Unrecht, Gewalt, Homosexualität, Vorurteile, Rassismus, religiöser Wahn - in dieser Geschichte steckt wirklich viel drin. Toll geschrieben!
„Schrecklich, wie es in Wirklichkeit zuging auf der Welt, in Dewmont. Wahrscheinlich spielten sich solche Dinge in jeder Kleinstadt ab, und die meisten Leute merkten nichts davon. Ich hätte lieber zu den meisten Leuten gehört. Es war, als ob ich einen Deckel angehoben hätte, und nun kamen alle üblen Geheimnisse der Welt hervorgekrochen.
Noch vor gar nicht so langer Zeit war meine größte Sorge, meine größte Enttäuschung gewesen, dass es den Weihnachtsmann nicht gab.
Ich seufzte und starrte an die Decke.
Langsam musste es mal wieder bergauf gehen.
„Muss es einfach“, sagte ich laut.
Aber das Schicksal war noch nicht fertig mit mir.“