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Noch immer stellt man sich Jesus als einen Außenseiter vor, der, unberührt vom kulturellen Geschehen seiner Zeit, in einem abgelegenen Winkel des Römischen Reiches lebte. Der Historiker Carsten Peter Thiede legt eine Alltags- und Kulturgeschichte der Zeit von Kaiser Augustus (43 v. Chr. - 14 n. Chr.) bis Kaiser Domitian (81 - 96 n. Chr.) vor. Er zeigt, daß die Alltagswelt des Jesus Christus eng mit dem wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Leben seiner Zeit vernetzt war, daß sich unterschiedliche Kulturen und Religionen berührten und gegenseitig befruchteten.

Produktbeschreibung
Noch immer stellt man sich Jesus als einen Außenseiter vor, der, unberührt vom kulturellen Geschehen seiner Zeit, in einem abgelegenen Winkel des Römischen Reiches lebte. Der Historiker Carsten Peter Thiede legt eine Alltags- und Kulturgeschichte der Zeit von Kaiser Augustus (43 v. Chr. - 14 n. Chr.) bis Kaiser Domitian (81 - 96 n. Chr.) vor. Er zeigt, daß die Alltagswelt des Jesus Christus eng mit dem wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Leben seiner Zeit vernetzt war, daß sich unterschiedliche Kulturen und Religionen berührten und gegenseitig befruchteten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.1998

Und was verdient so ein Fisch, frage ich euch?
Die Realien hinter den Gleichnissen: Carsten Peter Thiede erklärt, warum Jesus Petrus die Steuermünze angeln ließ

Typisch für den Denk-Standort Deutschland: Der mainstream des Faches wird repräsentiert durch Hunderte von Professoren, Assistenten, Institute und Projekte, durch einen großen Papierausstoß an Dissertationen, Kommentaren und jährlich neuen Kompendien, die das Schulwissen immer und immer wieder sammeln. Bewegung wird nach Zehnteln von Millimetern gemessen. Bundesweiter Schulkonsens ist gefragt, und untereinander ist man durch Überkreuz-Teilhabe an Gremien so verflochten, daß das "Fach" eine strenge Richtungsdisziplin ausübt, ähnlich wie bei Zugvögeln auf dem Weg Lappland-Kenia und zurück, das Ganze jedes Jahr einmal. Außerhalb dieser Formation: eine Handvoll Außenseiter und Freibeuter, Nestbeschmutzer und Heiligtumskritiker. Ihre Thesen stürzen den seit 150 Jahren geltenden Konsens immer häufiger und nachhaltiger. Doch noch zieht die Karawane unbehelligt weiter. Aus der Sicht mainstream ist das Neue nicht abgesichert, nicht abgehangen, schillernd bis evangelikal. Was wird aus den "Kläffern" werden? Daß sie ein recht gutes Verhältnis zu den Medien haben, fängt man mit dem Vorwurf des Populismus ab. Die Rede ist von der fachgelehrten Jesusforschung in Deutschland.

Anders gesehen: Eine engere Verbindung zwischen der Erforschung des Neuen Testaments und der Disziplin "Alte Geschichte" gab es bisher kaum. Das klingt erstaunlich. Doch der Mangel an Interdisziplinarität gehört zu diesem Standort. Gewiß hatte schon vor einhundert Jahren Adolf von Harnack im Blick auf die "Alte Geschichte" solches beklagt. Sieht man von einigen Leihgaben ab, die sich die soziologische Erforschung des Neuen Testaments seit den siebziger Jahren auf den Kaminsims gestellt hat, so hat eigentlich nur der in Deutschland recht einsame Martin Hengel aus Tübingen hier konsequent gearbeitet. Ein zusätzliches Erschwernis: Was dabei an Thesen herauskommt, sieht immer extrem konservativ aus, und je mehr sich Evangelikale freudig darauf stürzen, um so angewiderter wenden sich "kritische" Forscher davon ab. Das Gros versteht sich als "kritisch", selbstverständlich.

So wird es wohl auch dem neuen Buch von Carsten Peter Thiede ergehen. Wie wäre es, fragt Thiede, wenn man mit den Methoden und Kriterien des Faches "Alte Geschichte" an die historischen Probleme des Urchristentums heranginge? Zunächst bedeutete das einen für Theologen ungewohnten Zuwachs an neugierigen Fragen, die man, wenn man soviel weiß wie der Außenseiter Thiede, auch oft gut bis sehr gut beantworten kann. Das betrifft nicht nur Fragen der Papyruskunde und Kodikologie (Lehre von Texten in Buchformat), zu denen Thiede immer wieder interessante Einzelheiten berichtet. Es betrifft zum Beispiel auch die recht wichtige Frage, was denn zum Beispiel in dem großen Theater in Seforis, jener Kreisstadt acht Kilometer von Nazareth entfernt, für Theaterstücke aufgeführt wurden, die Jesus durchaus gesehen haben dürfte. Der Leser erfährt dabei, daß mit dem Wort für "Heuchler" der Evangelien (hypokrites) ursprünglich Schauspieler bezeichnet wurden. Jetzt wird klar, daß Heuchler Leute sind, die (sich und) anderen etwas vormachen. Und sind nicht die Evangelien oft als Inszenierungen geschrieben worden, haben sie nicht etwas vom Theater an sich?

Der Leser erfährt, wie groß die Boote auf dem See Genezareth waren und welche Fischsorte sich Münzen ins Maul beißen konnte, was - ein wenig rationalistisch zwar, aber immerhin - den Fisch erklären könnte, der Petri Steuermünze nach Matthäus 17 im Maul trägt. Die in Palästina und anderswo gefundenen zeitgenössischen Inschriften nennen oft Personen des Neuen Testaments. So war die Familie des Kaiphas, deren Grab man fand, offenbar nicht übermäßig jüdisch fromm, fand man doch als Grabbeigabe im Munde eines Mädchens dieser Familie eine Münze, die nach der Auffassung der Griechen und Römer dazu diente, das Fährgeld in der Unterwelt zu bezahlen, um über die dortigen Gewässer zu kommen. Von der Übersicht über die kaiserlichen Hoheitstitel, zu denen die Gemeinde mit den Titeln für Jesus in bewußte Konkurrenz tritt (Herr, Gott, Sohn Gottes), kann auch der Fachmann lernen.

Der eigentliche Schwerpunkt des Buches von Thiede liegt nun allerdings nicht bei diesen tausend wissenswerten und interessanten Einzelheiten. Thiede unternimmt es, die bisherige Spätdatierung aller Evangelien radikal in Frage zu stellen. Die Frage ist wichtig für das, was man historische Treue der Evangelien nennt. Für Thiede ist es selbstverständlich, daß der Glaube ein festes historisches Fundament braucht. Wie man weiß, hatten viele Theologen die Suche danach in einer Mischung aus Resignation und Trotz schon lange aufgegeben, hatte man doch aus der Not, nichts, aber auch gar nichts mehr greifen können, die Tugend des glaubensstarken "Dennoch" gemacht.

Man erinnere sich: Nach dem Konsens des mainstream ist bestenfalls Markus vor 70 nach Christus entstanden, alle anderen Evangelien zwischen 80 und 100, die Apostelgeschichte wird oft ins zweite Jahrhundert gesetzt. Thiedes These: Alle Evangelien, inklusive Apostelgeschichte, waren vor 70 fertiggestellt. Das Jahr 62 nach Christus als Datum für Lukas und die Apostelgeschichte ergibt sich daraus, daß der wichtige Einschnitt des Todes des Herrenbruders Jakobus nicht mehr erwähnt wird (auch nicht der etwas später anzusetzende Tod der Apostel Petrus und Paulus).

Überzeugend finde ich, wie Thiede die traditionellen Argumente für Spätdatierung der Synoptiker mühelos entblättert. Denn sie beruhen regelmäßig auf Zirkelschlüssen, setzen unbesehen voraus, daß Jesus bestimmte Dinge nicht gesagt haben darf. So darf nach Ansicht der "kritischen" Forschung der Jesus der Evangelien auf keinen Fall als Prophet durchgehen. Wenn er prophezeit, muß es immer nachträgliche Erfindung der Evangelisten sein. Wendete man diese Einschätzung auf die Offenbarung des Johannes an, so wäre sie - wegen der Prophetie über die Zerstörung Roms - um 450 nach Christus noch nicht geschrieben gewesen. Es ist eine Freude zu lesen, wenn hier der Althistoriker dem Schulbetrieb von außen her sagen kann, daß oftmals der Kaiser eben doch nur nackt ist. Als besondere Delikatesse ist zu empfehlen, wie für Lukas 21 gezeigt wird, daß hier eben nicht notwendigerweise die Zerstörung Jerusalems vorausgesetzt ist. Denn eine Stadt mit einem Wall zu umgeben (circumvallatio) gehörte schlicht zur antiken Belagerungstechnik.

Man merkt dem Buch an, daß Thiede den Gegenwind aus deutschen theologischen Seminaren spürt. Dafür, daß sich die Einschätzung der antiken Schriftsteller langsam wandelt, kann er den amerikanischen Historiker George Kennedy mit seiner spöttischen Bemerkung zitieren: "Antike Autoren meinten mitunter, was sie sagten, und gelegentlich wußten sie sogar, wovon sie redeten." Auch wenn ich öfters die Hypothesen Thiedes für extrem spekulativ halte, so ist sowohl der Kenntnisreichtum als auch die Unbefangenheit beeindruckend, neugierig Fragen zu stellen und Gewohntes zu torpedieren. Den Vertretern der Schultradition sei ins Stammbuch geschrieben, daß es mit der Selbstgefälligkeit so nicht weitergehen darf. Denn Thiedes Buch zeigt nicht zuletzt dies: Die alten Etiketten "konservativ" oder "progressiv/wirklichkeitsnahe" haben jeden Wert verloren, oft müssen sie plötzlich umgekehrt verwendet werden. So kann es kommen, wenn man immer nur Kommentare und Kompendien schreibt. KLAUS BERGER

Carsten Peter Thiede: "Ein Fisch für den römischen Kaiser". Juden, Griechen und Römer: Die Welt des Jesus Christus. Luchterhand Verlag, München 1998. 384 S., geb., 39,80 DM.

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