Am 28. August 1988 stießen während des Flugtags auf dem Militärflugplatz in Ramstein drei Maschinen einer italienischen Kunstflugstaffel zusammen. Eine stürzte in die Zuschauermenge, über 70 Menschen starben. In seinem Roman "Ein Foto von Mila" macht Jörg Matheis dieses Ereignis zum Ausgangspunkt einer subtilen Geschichte der Liebe und der Katharsis. Mila, die junge Freundin des Ich-Erzählers Lorenz, wurde bei dem Flugunglück schwer verletzt. Seitdem ist sie verstört, die Liebe zwischen ihr und Lorenz eine Gratwanderung. Lorenz war Fotograf, aber anders als seinen Mentor Szyponka interessierten ihn nicht realistische Reportagen, sondern aufwendige Inszenierungen. Konzentriert auf Milas Trauma hatte er das Fotografieren aufgegeben. Doch nun glaubt er, mit einem Foto von Mila, das die Katastrophe aufgreift, für sich wie für Mila den Neuanfang zu schaffen. Beide leben mit Lorenz' Bruder Frieder in der Nähe Ramsteins. Während Lorenz an seinem Foto arbeitet und Frieder sich bemüht, das Flugtagsunglück auszublenden, um die Gegend touristisch erschließen zu können, entwickelt beider Freund Luchs eine Verschwörungstheorie um den Fliegerabsturz und einen eigenen Racheplan. Denn er ist überzeugt, einen Schuldigen gefunden zu haben ...
"Ein Foto von Mila" erzählt von Liebe und Kunst, von Angst und Paranoia, davon, wie eine Katastrophe eine Region verändert, aber auch, wie schwer es ist, für ihre Folgen einen Ausdruck zu finden, der wahr und erträglich ist. Mit einer zugleich flirrenden und genauen Sprache greift Jörg Matheis die luziden Spannungen zwischen seinen Figuren auf und erzählt von Menschen, deren Leben unwiderruflich verändert wurde.
"Ein Foto von Mila" erzählt von Liebe und Kunst, von Angst und Paranoia, davon, wie eine Katastrophe eine Region verändert, aber auch, wie schwer es ist, für ihre Folgen einen Ausdruck zu finden, der wahr und erträglich ist. Mit einer zugleich flirrenden und genauen Sprache greift Jörg Matheis die luziden Spannungen zwischen seinen Figuren auf und erzählt von Menschen, deren Leben unwiderruflich verändert wurde.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2008Das durchstoßene Herz
Feuer mit Feuer bekämpft: In Jörg Matheis' Debütroman siegen zuletzt die Flammen der Liebe über das traumatische Lodern der Erinnerung an das Unglück von Ramstein.
Die Landkarte der Katastrophen und Unglücksfälle kennt keine Unterschiede zwischen Metropole und Provinz. Ihre Hauptorte liegen dort, wo Zufall, technisches Versagen oder menschlicher Mutwille das Gleichmaß unseres Lebens zerstören. Vor zwei Jahrzehnten war es das pfälzische Ramstein, dessen Name zum Synonym für die Hybris moderner Technikbegeisterung wurde. Am 28. August 1988 misslang bei einem vielbesuchten Flugtag, den die dort stationierte amerikanische Luftwaffe ausrichtete, der italienischen Fliegerstaffel ein kompliziertes Kunststück. Zehn Düsenjäger sollten das alte Symbol eines von einem Pfeil durchstoßenen Herzens in den Sommerhimmel zeichnen. Stattdessen zerstörte man viele echte Herzen: Siebzig Zuschauer kamen bei dem Absturz einer der Maschinen ums Leben, Hunderte wurden durch brennendes Kerosin und Flugzeugtrümmer verletzt.
Nach zwanzig Jahren findet diese Katastrophe nun Eingang in die Literatur. Jörg Matheis, der im Jahr der Flugzeugkatastrophe gerade volljährig wurde, verfolgt in seinem ersten Roman die Spuren, die das Unglück in der Region, aus der er selbst stammt, hinterlassen hat. Sein literarisches Debüt, der Erzählungenband "Mono", führte vor fünf Jahren in die kleinen Orte am Flüsschen Glan, deren Bewohner von der großen Stadt träumen und sich doch nur schwer von vertrauten Strukturen lösen können. Was damals noch der Zufälligkeit der biographischen Herkunft geschuldet sein mochte, erscheint nun als literarisches Programm: das Bekenntnis zu einer modernen Heimatliteratur, die den Lebensweisen und Mentalitäten in der Provinz nachspürt, Verklärungen wie rasche Verurteilungen zu meiden versucht und sich geduldig einer Landschaft und ihren Bewohnern nähert.
Lorenz, der Erzähler des Romans, und sein älterer Bruder Frieder gehören zu den etwas langsamen und beharrlichen Pfälzern, die gewiss nicht durch weltstädtischen Charme oder allzu große Beweglichkeit hervorstechen. Beide lieben Mila, die damals, am Tag der verhängnisvollen Flugschau, ebenfalls gerade achtzehn Jahre alt war und große Pläne für ihr Leben hatte. Den Flugzeugabsturz überlebt Mila schwer verletzt. Die Narben an ihrem Körper verheilen allmählich, die Verletzungen ihrer Psyche sind komplizierter. Über lange Jahre erträgt die junge Frau nur Wasser um sich. Ihr Zimmer muss in blauen Farben gehalten sein, am liebsten sieht sie Regenvideos, und zum Schlafen braucht sie eine Asbestdecke. Lorenz, der seine vielversprechende Karriere als Fotograf aufgegeben hat, um bei Mila zu sein, träumt seitdem von dem Arrangement eines Fotos, das ihr - eine Art Konfrontationstherapie - Würde und Kraft zurückgeben soll: Nackt (natürlich) soll sie auf einem alten Sessel sitzen, unter sich ein glimmendes Feuer, über sich die brennende Attrappe eines Flugzeugs, am Himmel ein flammender Sonnenuntergang. Aus diesem Kitschaufgebot soll sie gestärkt wie Phönix aus der Asche hervorgehen.
Die komplizierten Vorbereitungen zu dieser Aufnahme strukturieren den Roman, dessen Handlung sich über verschiedene Zeitebenen ausbreitet. Eine Traumabewältigung dieses Ausmaßes bietet sicherlich Stoff genug für einen kleinen Roman. Jörg Matheis aber lässt es nicht dabei bewenden, sondern verwebt die Grundhandlung mit zahlreichen weiteren Ereignisketten, getrieben wohl von der Sorge, der Leser erwarte mehr auf gut 250 Seiten. So aber stellt er, typisch für einen Erstlingsroman, deren Konzentration auf die Probe. Eine größere - und sei es hineinlektorierte - Erzählökonomie hätte dem Buch gutgetan.
Die Brüder - das erfahren wir also - lieben neben Mila noch eine weitere Frau gemeinsam, Karla, Frieders erste Frau. Wir lesen von den Reizen der jungen Tierärztin Astrid, die beruhigend wie keine andere ein krankes Tier einschläfern kann. Wir lesen auch von den Versuchen der jungen Männer, der durch die Flugzeugkatastrophe stigmatisierten Region zu neuer Attraktivität zu verhelfen. Frieder setzt dabei auf moderne Geschäftsideen, zu denen aufwendige Festspiele mit regionaler Musik, Naturbäder und Draisinenfahrten auf stillgelegten Gleisen gehören. Luchs hingegen, ein Freund der Brüder mit sprechendem Namen, versteigt sich in komplexe Verschwörungstheorien und deutet das Unglück von Ramstein als Versuch des amerikanischen Militärs, einen missglückten Anschlag auf den libyschen Regierungschef Gaddafi zu vertuschen. Jörg Matheis greift dabei tatsächlich vorgebrachte Überlegungen auf, die ganz offenbar dem Bedürfnis entspringen, hinter der Katastrophe wenigstens einen lenkenden Willen zu erkennen.
Die vielsträngige Romanhandlung ist zudem um einen - banal anmutenden - Kunstdiskurs erweitert. Dem jungen Fotografen Lorenz wird ein älterer Mentor gegenübergestellt, ein Fotoreporter vom alten Schlag, der unermüdlich in die Krisengebiete der Welt reist, um die Not der Menschen zu dokumentieren. Kein Wunder, dass er den arrangierten Fotos seines jungen Schützlings skeptisch gegenübersteht. Das Finale von Matheis' Buch - das Bild ist fertig - führt die meisten Handlungsstränge und Figuren wieder zusammen. Ganz ohne Sentimentalität gelingt diese Versöhnung von Kunst und Liebe nicht. Aber die Brutalität der Katastrophe hat wohl auch das Bedürfnis nach einem kleinen Happy End gesteigert, zumindest in der Literatur.
SABINE DOERING
Jörg Matheis: "Ein Foto von Mila". Roman. C. H. Beck Verlag, München 2008. 269 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Feuer mit Feuer bekämpft: In Jörg Matheis' Debütroman siegen zuletzt die Flammen der Liebe über das traumatische Lodern der Erinnerung an das Unglück von Ramstein.
Die Landkarte der Katastrophen und Unglücksfälle kennt keine Unterschiede zwischen Metropole und Provinz. Ihre Hauptorte liegen dort, wo Zufall, technisches Versagen oder menschlicher Mutwille das Gleichmaß unseres Lebens zerstören. Vor zwei Jahrzehnten war es das pfälzische Ramstein, dessen Name zum Synonym für die Hybris moderner Technikbegeisterung wurde. Am 28. August 1988 misslang bei einem vielbesuchten Flugtag, den die dort stationierte amerikanische Luftwaffe ausrichtete, der italienischen Fliegerstaffel ein kompliziertes Kunststück. Zehn Düsenjäger sollten das alte Symbol eines von einem Pfeil durchstoßenen Herzens in den Sommerhimmel zeichnen. Stattdessen zerstörte man viele echte Herzen: Siebzig Zuschauer kamen bei dem Absturz einer der Maschinen ums Leben, Hunderte wurden durch brennendes Kerosin und Flugzeugtrümmer verletzt.
Nach zwanzig Jahren findet diese Katastrophe nun Eingang in die Literatur. Jörg Matheis, der im Jahr der Flugzeugkatastrophe gerade volljährig wurde, verfolgt in seinem ersten Roman die Spuren, die das Unglück in der Region, aus der er selbst stammt, hinterlassen hat. Sein literarisches Debüt, der Erzählungenband "Mono", führte vor fünf Jahren in die kleinen Orte am Flüsschen Glan, deren Bewohner von der großen Stadt träumen und sich doch nur schwer von vertrauten Strukturen lösen können. Was damals noch der Zufälligkeit der biographischen Herkunft geschuldet sein mochte, erscheint nun als literarisches Programm: das Bekenntnis zu einer modernen Heimatliteratur, die den Lebensweisen und Mentalitäten in der Provinz nachspürt, Verklärungen wie rasche Verurteilungen zu meiden versucht und sich geduldig einer Landschaft und ihren Bewohnern nähert.
Lorenz, der Erzähler des Romans, und sein älterer Bruder Frieder gehören zu den etwas langsamen und beharrlichen Pfälzern, die gewiss nicht durch weltstädtischen Charme oder allzu große Beweglichkeit hervorstechen. Beide lieben Mila, die damals, am Tag der verhängnisvollen Flugschau, ebenfalls gerade achtzehn Jahre alt war und große Pläne für ihr Leben hatte. Den Flugzeugabsturz überlebt Mila schwer verletzt. Die Narben an ihrem Körper verheilen allmählich, die Verletzungen ihrer Psyche sind komplizierter. Über lange Jahre erträgt die junge Frau nur Wasser um sich. Ihr Zimmer muss in blauen Farben gehalten sein, am liebsten sieht sie Regenvideos, und zum Schlafen braucht sie eine Asbestdecke. Lorenz, der seine vielversprechende Karriere als Fotograf aufgegeben hat, um bei Mila zu sein, träumt seitdem von dem Arrangement eines Fotos, das ihr - eine Art Konfrontationstherapie - Würde und Kraft zurückgeben soll: Nackt (natürlich) soll sie auf einem alten Sessel sitzen, unter sich ein glimmendes Feuer, über sich die brennende Attrappe eines Flugzeugs, am Himmel ein flammender Sonnenuntergang. Aus diesem Kitschaufgebot soll sie gestärkt wie Phönix aus der Asche hervorgehen.
Die komplizierten Vorbereitungen zu dieser Aufnahme strukturieren den Roman, dessen Handlung sich über verschiedene Zeitebenen ausbreitet. Eine Traumabewältigung dieses Ausmaßes bietet sicherlich Stoff genug für einen kleinen Roman. Jörg Matheis aber lässt es nicht dabei bewenden, sondern verwebt die Grundhandlung mit zahlreichen weiteren Ereignisketten, getrieben wohl von der Sorge, der Leser erwarte mehr auf gut 250 Seiten. So aber stellt er, typisch für einen Erstlingsroman, deren Konzentration auf die Probe. Eine größere - und sei es hineinlektorierte - Erzählökonomie hätte dem Buch gutgetan.
Die Brüder - das erfahren wir also - lieben neben Mila noch eine weitere Frau gemeinsam, Karla, Frieders erste Frau. Wir lesen von den Reizen der jungen Tierärztin Astrid, die beruhigend wie keine andere ein krankes Tier einschläfern kann. Wir lesen auch von den Versuchen der jungen Männer, der durch die Flugzeugkatastrophe stigmatisierten Region zu neuer Attraktivität zu verhelfen. Frieder setzt dabei auf moderne Geschäftsideen, zu denen aufwendige Festspiele mit regionaler Musik, Naturbäder und Draisinenfahrten auf stillgelegten Gleisen gehören. Luchs hingegen, ein Freund der Brüder mit sprechendem Namen, versteigt sich in komplexe Verschwörungstheorien und deutet das Unglück von Ramstein als Versuch des amerikanischen Militärs, einen missglückten Anschlag auf den libyschen Regierungschef Gaddafi zu vertuschen. Jörg Matheis greift dabei tatsächlich vorgebrachte Überlegungen auf, die ganz offenbar dem Bedürfnis entspringen, hinter der Katastrophe wenigstens einen lenkenden Willen zu erkennen.
Die vielsträngige Romanhandlung ist zudem um einen - banal anmutenden - Kunstdiskurs erweitert. Dem jungen Fotografen Lorenz wird ein älterer Mentor gegenübergestellt, ein Fotoreporter vom alten Schlag, der unermüdlich in die Krisengebiete der Welt reist, um die Not der Menschen zu dokumentieren. Kein Wunder, dass er den arrangierten Fotos seines jungen Schützlings skeptisch gegenübersteht. Das Finale von Matheis' Buch - das Bild ist fertig - führt die meisten Handlungsstränge und Figuren wieder zusammen. Ganz ohne Sentimentalität gelingt diese Versöhnung von Kunst und Liebe nicht. Aber die Brutalität der Katastrophe hat wohl auch das Bedürfnis nach einem kleinen Happy End gesteigert, zumindest in der Literatur.
SABINE DOERING
Jörg Matheis: "Ein Foto von Mila". Roman. C. H. Beck Verlag, München 2008. 269 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Jörg Matheis' Roman "Ein Foto von Mila" hat Ulrich Rüdenauer ganz und gar nicht überzeugt. Der Autor beschreibt, wie ein Fotograf durch eine große Fotoinszenierung versucht, seine durch das Flugschau-Unglück von Ramstein 1988 schwer verletzte und traumatisierte Frau Mila zu heilen. Der Rezensent sieht Parallelen zwischen der aufwändigen Vorbereitung der Fotosession, die die Traumatisierte mit allerhand Feuerwerkseffekten vor einem Düsenjet abbilden soll, und der übergenauen Konstruktion des Romans, dessen Figuren auf den Rezensenten seltsam unlebendig wirken und dessen Handlung ihm allzu absehbar und durchdacht scheint. Und so hat er am Ende nicht nur seine Zweifel, ob so eine "Konfrontationstherapie" dem Opfer helfen wird, er fürchtet zudem, dass diese "gewaltige Inszenierung" auch dem Roman nicht gut tut.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH