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Ein Atelier in New York, mitten in der brütenden Hitze des Großstadtsommers. Der russische Maler Alik leidet an Muskelschwund, er liegt im Sterben. Um ihn herum hat sich eine bunte Menschenmenge versammelt: die Frauen, die er geliebt hat, die alten Freunde aus Rußland, viele neue Freunde aus Amerika. Sie alle lieben und verehren den charismatischen Künstler und begleiten geduldig seine letzten Tage - Tage, die durch Ljudmila Ulitzkajas Erzählkunst zum großen Fest der Charaktere, der Geschichten und des Lebens werden.

Produktbeschreibung
Ein Atelier in New York, mitten in der brütenden Hitze des Großstadtsommers. Der russische Maler Alik leidet an Muskelschwund, er liegt im Sterben. Um ihn herum hat sich eine bunte Menschenmenge versammelt: die Frauen, die er geliebt hat, die alten Freunde aus Rußland, viele neue Freunde aus Amerika. Sie alle lieben und verehren den charismatischen Künstler und begleiten geduldig seine letzten Tage - Tage, die durch Ljudmila Ulitzkajas Erzählkunst zum großen Fest der Charaktere, der Geschichten und des Lebens werden.
Autorenporträt
Ljudmila Ulitzkaja, geboren 1943 bei Jekaterinburg, wuchs in Moskau auf. Sie schreibt Drehbücher, Hörspiele, Theaterstücke und erzählende Prosa. 1996 erhielt sie in Frankreich für ihre Erzählung 'Sonetschka' den Prix Medicis, 2001 den Booker Prize Rußland und im Jahr 2014 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.1998

Kunst und Glück bei den Frauen
Aus der Traum: Ljudmila Ulitzkaja feiert eine fröhliche Beerdigung

Tot und beerdigt ist der Maler Alik. Doch sein letzter Auftritt steht noch aus. Es wird ein starker Abgang. Beim Leichenschmaus will der Wodka nicht durch die kloßigen Kehlen. Da drängt seine Stimme die Trauergemeinde in die gute Laune. Aliks postume Schallpräsenz durch das Tonband ist sein letzter Widerstand gegen den Tod. Noch einmal ist er unter den neun Frauen, die Kind und Berührungen von ihm im Gedächtnis behalten werden. Alik konnte "alle gleichermaßen lieben" , und er wird keine Frau mit schlechten Träumen verfolgen. Seine Höflichkeit überdauert sein Ableben.

Wer sich an der Welt nicht satt sehen kann, ist für den Beruf des Malers gerüstet. Nach Manhattan war Alik vor zwanzig Jahren emigriert, weil er Rußland leergeschaut hatte. Alik liebt hier alle Menschen und Plätze, und er ehrt sie durch sein grüßendes Vorbeigehen. Mit keuscher Vornehmheit hütet Alik sich davor, irgendwen durch sein Interesse zu belästigen. Im Schutze dieser gleichmäßigen Aufmerksamkeit bewahrt der Spaziergänger sein Staunen über die Fülle der Wirklichkeit. Dem Leben zuzuschauen ist ihm ein alltägliches Wunder.

Multiple Sklerose macht den Flaneur berufsunfähig. Gefesselt an sein Totenbett, spürt Alik, daß die Empfindungslosigkeit seine Muskeln Faser für Faser erobert. Seine Wohnung wird zum Nadelöhr, durch das die Welt muß. Sie tut es bereitwillig. Ulitzkajas Roman ist die Beschreibung dieses Taubenschlags, zu dem alle russischen Emigranten in New York fliegen. Je mehr sich das Leben aus Aliks Körper zurückzieht, desto aufmerksamer entschädigen ihn seine exzentrischen Besucher. Von der Kräuterfrau bis zum Popen treten Typen auf, die Ulitzkaja mit leichter Hand in eine Lebensgeschichte einkleidet. Für ihn erwecken sie die russische Heimat, die er, der Emigrant, nie besitzen wollte.

Nur wer Ulitzkajas frühere Werke nicht kennt, darf glauben, Alik sei der konkurrenzlose Held. Dabei gilt ihm die Aufmerksamkeit nur deshalb, weil seine Frauen ihm ihr Leben verdanken. Neun ist die Zahl der Musen, zu denen erst seine Berührung in Worten und Werken sie gemacht hat. Die Neuamerikanerin Valentina lehrte er den Gleichklang von Bürger und Burger, das ungeschriebene erste Gesetz New Yorks, niemals dem Belag eines Sandwiches zu mißtrauen. Irina wurde durch ihn zur alleinerziehenden Mutter, dafür heilte er Jahre später und wie nebenbei den Autismus ihrer gemeinsamen Tochter. Seiner Ehefrau Nina ersparte er den Anblick Manhattans, was ihr ihre Neurosen mit herabgestimmter Lautstärke dankten. Sie alle taten gut daran, der Liebe dieses Mannes einmal verfallen gewesen zu sein. Sie machen aus dem Buch einen Frauenroman, eine subtile Antwort auf die Beglückungen Casanovas.

Wen beim Lesen das Gefühl beschleicht, ein ähnliches Buch zu kennen, der muß nicht lange überlegen. Ulitzkajas märchenhafte Erzählung "Sonetschka", für die sie 1996 den französischen Prix Médicis erhielt, ist der konzentrierte Vorgänger. Zuerst legen nur gemeinsame Details eine Spur in diese jüngste Schreibvergangenheit: der Mann und Maler, dem Welt- und Körpererfahrungen eines sind; die Nähe zu Mondrian und seinen metaphysischen Flaschen; das postume Eingehen in die Kunstgeschichte. Beide Bücher grundiert das gleiche Geschlechterverhältnis, aus dem man ein anthropologisches Bekenntnis der Autorin und studierten Genetikerin hören muß. Es ist das Vorrecht dieser erotischen Pygmalione, die Frauen nur im Vorübergehen zu berühren, sie zu beleben, ohne ihren weiblichen Werken die Treue zu versprechen. Unschuldige Verführer sind sie, deren Leben nur den Glückston kennt.

Deshalb gehört in Ulitzkajas Roman dem einen Mann die Anerkennung, den Frauen aber alle Sympathie. Alik steht wie sein Vorgänger in "Sonetschka" als "Parteiloser" staunend vor Dingen und Menschen. Alles gibt sich ihm hin, betört von der Unschuld dieses zeugungsfähigen Kindes. Ihm wird das Glück geschenkt, die Frauen haben es sich verdient. Mutterschaft vereitelt zwar das Dasein einer Flaneuse, versöhnt aber mit dem Realitätsprinzip. Ulitzkaja begreift Biologie als Leistung. Man kann sich mit ihrer Anthropologie aussöhnen, weil sie von den Figuren nicht erlitten wird. Entsagung paßt nicht zu ihrer Erzählwelt. Schon weil diese lebensklug gewordenen Frauen ihre Männer überleben, gehört ihnen moralisch das letzte Wort.

Der Preis für die männliche Kunst ist früher Tod und lebenslange Mutterschaft. Die Figuren zahlen ihn so gern wie der Leser, dem er als Märchen untergeschoben wird. Der Roman endet prall von Glück: über den ersten Orgasmus oder die Verständigung mit der Tochter. So nah will Ulitzkaja diesem Glück sein, daß sich ihre russische Erzähl-Seele darüber verklärt und die Welt zurücktritt. Manhattan ist kein wirklicher Ort, sondern eine Allegorie des Lebens. Daß der Roman im Original "Moskau - Kaluga - Los Angeles" betitelt war, verdankt er besserer Einsicht. Die Orte liegen in diesem Roman kaum weiter voneinander entfernt als auf einer Weltkarte im Atlas. Der ausgelassene Kulturdreisprung ist nebensächlich, weil Ulitzkajas Zuneigung ihrem Personal gehört. Sogar beerdigen darf sie einen von ihnen fröhlich, weil er im nächsten Buch wiederaufersteht. THOMAS WIRTZ

Ljudmila Ulitzkaja: "Ein fröhliches Begräbnis". Roman. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Verlag Volk & Welt, Berlin 1998. 181 S., geb., 29,80 DM.

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