Eine literarische Globalgeschichte in Kalenderform.Kein Heiligenkalender, kein Mondkalender, kein Terminkalender, kein Jahreszeitenkalender, sondern: Ein ganzes Jahr. Mein Kalender. 365 Tage, 365 Ereignisse, 365 Erinnerungen. 365 Möglichkeiten, diese drei Variablen miteinander ins Spiel zu bringen. Lew Rubinstein setzt mit seinem Kalender nicht nur sich selbst der geballten Macht einer jahrtausendealten Kulturtechnik des Ordnens und Messens von Zeit aus, sondern öffnet zugleich diese Technik für eine erzählerische Intervention. Er unterzieht den Kalender einem Experiment, einer Probe auf Verlässlichkeit, wenn es an das Kerngeschäft der Aneignung von Zeit geht: die erzählte und sich im Erzählen erst bildende Erinnerung. Das informelle Erzählen, das Sich-untereinander-etwas- Erzählen, wird hier zum Medium einer intensiven Auseinandersetzung über die politische Involvierung des Schriftstellers.Von Kamerun über Japan bis nach Frankreich und in die Ukraine. Von der Geburt Kopernikus' über die Spanische Inquisition und den Kalten Krieg bis zur Gegenwart: Lew Rubinstein hat die Chronik eines ganzes Jahres geschrieben. Für jeden Tag im Jahr zwei Einträge: Ein historisches Ereignis und Rubinsteins eigene Überlegungen dazu. So springen wir mit dem großen russischen Essayisten und Lyriker durch alle Zeiten und Kontinente, werden Zeugen einer leichtfüßigen Weltgeschichteund beginnen zu verstehen, wie nah sich alles ist. Dieser Eindruck ist natürlich geprägt von einer ganz bestimmten Perspektive: der Rubinsteins. Denn auch, wenn hier jeden Tag von wichtigen, ja weltbewegenden Ereignissen zu lesen ist, bleibt es am Ende der private Kalender des Autors. Und so kann dieses Buch auch als Geschenk an seine Leser gesehen werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Sabine Berking lobt sich Nachwort und Anmerkungen zu Lew Rubinsteins Textsammlung, in der der Konzeptkünstler und Dichter Epochen und Ereignisse aus allen Bereichen poetisch miteinander reagieren lässt. Solcherart eingestimmt auf russische Alltagsgeschichte kann Berking die teils persönlichen, teils auf nationale und globale Geschichte rekurrierenden Einträge mit ihren vielen Leerstellen besser genießen. Kurzweilig und witzig findet sie die Lektüre, bei der ihr Figuren und Begebenheiten aus Rubinsteins Karteikarten-Literatur-Zeit wiederbegegnen. Ganz wunderbar der letzte Eintrag vom 31. Dezember 1999, den Berking zitiert: "Ich bin müde, ich gehe", verkündet Boris Jelzin im Radio. Und Rubinstein, der das hört, als er gerade in seine Küche kommt, antwortet: "Na super, Frohes Neues Scheusal, liebe Genossen."
© Perlentaucher Medien GmbH
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