Andreas Egger war vier Jahre alt, als sein Leben in den Bergen begann. Seine Mutter war gestorben. Sein Onkel nahm den Jungen nur zur sich, weil er Geld mitgebracht hatte. Liebe kannte Egger keine, nur Schläge. Er wuchs heran zu einem ruhigen, aber kräftigen Mann. Die Geschichte handelt vom einfachen Leben dieses einfachen Mannes. Wie er hinnahm, was er nicht ändern konnte. Von seiner Liebe zu den Bergen. Und zur Frau, die ihm nur kurze Zeit ihre Liebe schenken konnte. Er schaute über den Hügel und schluchzte laut auf. Er kniete im Schnee und sah die Stelle, an der sein Haus gestanden hatte. "Marie! Marie!!" Er rief ihren Namen in die Stille und wusste, dass keiner ihn hörte. Der Mond schien. Der Österreicher Robert Seethaler (geb. 1966) ist ein vielfach ausgezeichneter Schriftsteller und Drehbuchautor. Seine Romane "Der Trafikant" (2012) und "Ein ganzes Leben" (2014) wurden zu großen Publikumserfolgen.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Robert Seethaler sieht in seinem schmalen Roman "Ein ganzes Leben" von jedem Aufmerksamkeit heischenden Stoff ab, berichtet Thomas E. Schmidt. Der Autor erzählt die Lebensgeschichte eines jener Menschen, die noch in der Peripherie der österreichischen Dörfer Randgänger sind, die mit ihrer "Aura freudloser Muße" zwar dazugehören, dem alltäglichen Treiben aber fernbleiben, fasst der Rezensent zusammen. Dieses Leben erzählt Seethaler in einer einfachen, sehr präzisen Sprache, die in mehrfacher Hinsicht Takt erweist, lobt Schmidt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2014Heimisch, nicht heimelig
Robert Seethaler im Frankfurter Literaturhaus
Stadtkinder neigen dazu, die Natur zu romantisieren. Nicht so Robert Seethaler. Der Wiener, der, 1966 geboren, im Arbeiterviertel Favoriten aufwuchs, kennt die Schrecken und Schönheiten der Natur. Er verklärt sie nicht. "Die Natur steht nur rum", sagte er jetzt im Frankfurter Literaturhaus. Vor ausverkauftem Großen Saal stellte der Spiegel-Bestsellerautor im Gespräch mit Sandra Kegel, Literaturredakteurin dieser Zeitung, seinen jüngsten Roman vor: "Ein ganzes Leben" (Hanser Berlin) auf 150 Seiten, die einfache Geschichte eines Grenzgängers in einem österreichischen Dorf des vorigen Jahrhunderts. Andreas Egger heißt sein Protagonist am Berge, aber: "Der Berg ist kein Held. Der Berg ist der Berg", wehrte sich der Schriftsteller abermals gegen jedwede Romantisierung. Seethaler, der mittlerweile in Berlin lebt, hat keine Sehnsucht nach der Natur: "Ich habe Sehnsucht nach der Stille." Dabei denkt er an jene "Schneestille", die er als Kind am Skihang erlebte, wenn ihn der Schlepplift immer höher zwischen die Tannenhänge zog und auf sich selbst zurückwarf - eine Überforderung für den Jungen nach überstandener Linsenluxation. Diese "Schneestille" hat er in seinem Roman immer wieder beschworen: etwa, wenn Egger den halbtoten Hörnerhannes auf der Kraxe ins Tal trägt und dieser ihm plötzlich hangaufwärts davonhüpft, bis er sich in Schneeschleiern verliert. Oder als der alte Egger seiner jungen Braut in Gestalt der Kalten Frau wiederbegegnet. Marie war in der gemeinsamen Hütte unter einer Lawine erstickt. Aber diese Passage las Seethaler nicht. Er machte das Publikum lieber mit der ersten Begegnung der Liebenden bekannt.
Egger, als Kind von seinem Ziehvater zum Krüppel geschlagen, tritt keineswegs als Opfer auf. Er wächst zu einem starken Mann heran und wehrt sich seiner Haut, sobald er erwachsen ist. Der Krieg verschlägt ihn nach Russland, die Seilbahn im heimischen, aber nicht heimeligen Tal bringt ihn in Lohn und Brot. Er passt sich den Zeitläuften an und überlebt viele. Denn es wird viel gestorben in diesem Buch - "wie immer und überall im Leben", so der Autor. Auch unter spektakulären Umständen. Etwa, wenn ein Waldarbeiter durch einen splitternden Zirbenstamm seinen Arm verliert. Oder wenn Touristen den tiefgefrorenen Hörnerhannes nach Jahrzehnten aus einer Gletscherspalte ziehen. Das sogenannte einfache Leben in den Alpentälern war auch brutal und hatte nichts zu bieten, wonach man sich sehnen könnte.
Warum dann aber dieser Erfolg? "Ich habe keine Ahnung", erwiderte Seethaler seiner staunenden Gesprächspartnerin. Sein Buch ist alles andere als eine Fortsetzung der verbreiteten "Landlust". Es sei auch kein Lob auf die Genügsamkeit. Eigentlich sollte es "Eine einfache Geschichte" heißen. Aber diesen Titel habe schon Peter Esterházy für sich reserviert. Seethaler nennt die Geschichte seines Egger einen "Versuch zu leben" und dabei sich selbst treu zu bleiben. Der Autor glaubt an einen unveränderlichen Kern in jedem Menschen, und sei dieser äußerlich auch noch so beweglich und anpassungsbereit. Mit dem Schreiben ist der gelernte Schauspieler auch zu sich selbst zurückgekehrt: vom grellen Rampenlicht ins abgeschirmte Schreibstübchen, wo er die Stille wiederfand, die er als blindes Kind gewohnt war.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Robert Seethaler im Frankfurter Literaturhaus
Stadtkinder neigen dazu, die Natur zu romantisieren. Nicht so Robert Seethaler. Der Wiener, der, 1966 geboren, im Arbeiterviertel Favoriten aufwuchs, kennt die Schrecken und Schönheiten der Natur. Er verklärt sie nicht. "Die Natur steht nur rum", sagte er jetzt im Frankfurter Literaturhaus. Vor ausverkauftem Großen Saal stellte der Spiegel-Bestsellerautor im Gespräch mit Sandra Kegel, Literaturredakteurin dieser Zeitung, seinen jüngsten Roman vor: "Ein ganzes Leben" (Hanser Berlin) auf 150 Seiten, die einfache Geschichte eines Grenzgängers in einem österreichischen Dorf des vorigen Jahrhunderts. Andreas Egger heißt sein Protagonist am Berge, aber: "Der Berg ist kein Held. Der Berg ist der Berg", wehrte sich der Schriftsteller abermals gegen jedwede Romantisierung. Seethaler, der mittlerweile in Berlin lebt, hat keine Sehnsucht nach der Natur: "Ich habe Sehnsucht nach der Stille." Dabei denkt er an jene "Schneestille", die er als Kind am Skihang erlebte, wenn ihn der Schlepplift immer höher zwischen die Tannenhänge zog und auf sich selbst zurückwarf - eine Überforderung für den Jungen nach überstandener Linsenluxation. Diese "Schneestille" hat er in seinem Roman immer wieder beschworen: etwa, wenn Egger den halbtoten Hörnerhannes auf der Kraxe ins Tal trägt und dieser ihm plötzlich hangaufwärts davonhüpft, bis er sich in Schneeschleiern verliert. Oder als der alte Egger seiner jungen Braut in Gestalt der Kalten Frau wiederbegegnet. Marie war in der gemeinsamen Hütte unter einer Lawine erstickt. Aber diese Passage las Seethaler nicht. Er machte das Publikum lieber mit der ersten Begegnung der Liebenden bekannt.
Egger, als Kind von seinem Ziehvater zum Krüppel geschlagen, tritt keineswegs als Opfer auf. Er wächst zu einem starken Mann heran und wehrt sich seiner Haut, sobald er erwachsen ist. Der Krieg verschlägt ihn nach Russland, die Seilbahn im heimischen, aber nicht heimeligen Tal bringt ihn in Lohn und Brot. Er passt sich den Zeitläuften an und überlebt viele. Denn es wird viel gestorben in diesem Buch - "wie immer und überall im Leben", so der Autor. Auch unter spektakulären Umständen. Etwa, wenn ein Waldarbeiter durch einen splitternden Zirbenstamm seinen Arm verliert. Oder wenn Touristen den tiefgefrorenen Hörnerhannes nach Jahrzehnten aus einer Gletscherspalte ziehen. Das sogenannte einfache Leben in den Alpentälern war auch brutal und hatte nichts zu bieten, wonach man sich sehnen könnte.
Warum dann aber dieser Erfolg? "Ich habe keine Ahnung", erwiderte Seethaler seiner staunenden Gesprächspartnerin. Sein Buch ist alles andere als eine Fortsetzung der verbreiteten "Landlust". Es sei auch kein Lob auf die Genügsamkeit. Eigentlich sollte es "Eine einfache Geschichte" heißen. Aber diesen Titel habe schon Peter Esterházy für sich reserviert. Seethaler nennt die Geschichte seines Egger einen "Versuch zu leben" und dabei sich selbst treu zu bleiben. Der Autor glaubt an einen unveränderlichen Kern in jedem Menschen, und sei dieser äußerlich auch noch so beweglich und anpassungsbereit. Mit dem Schreiben ist der gelernte Schauspieler auch zu sich selbst zurückgekehrt: vom grellen Rampenlicht ins abgeschirmte Schreibstübchen, wo er die Stille wiederfand, die er als blindes Kind gewohnt war.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2014Ein Tagelöhner im Fun-Tourismus
Die Berge schweigen – und der Held schweigt auch: Robert Seethalers neuer Roman „Ein ganzes Leben“
Andreas Egger ist kein kluger Mann, er denkt langsam und nur das Nötigste. Er ist auch kein schöner Mann, Egger hinkt seit seiner Kindheit, sein Körper ist von den Schlägen des Bauern, bei dem er groß geworden ist, und von der harten Arbeit am Berg zerschlagen und zerschrunden. Er ist arm, ein Tagelöhner, der seine besten Zeiten hat, als in dem österreichischen Bergdorf, das er nur selten verlässt, die Zeit des Seilbahnbaus und des Massentourismus beginnt: Da kann einer wie er sich nützlich machen, der den Fels kennt, der Löcher hineinschlagen kann für die Masten und der Stahlseile und Winden warten kann, weil er große Höhe gewöhnt ist.
„Ein ganzes Leben“ erzählt genau das und nicht mehr – das ganze Leben dieses unbedeutenden Mannes, der in der Weltgeschichte keine Spuren hinterlässt, der keine Pläne hat und wenig Erwartungen. Er durchlebt eine harte Kindheit als zusätzlicher Esser beim Onkel, der ihn schlechter behandelt als das Vieh. Er verliebt sich ein einziges Mal. Marie heißt die Angebetete, und weil er kein Mann großer Worte ist, es hat ja auch nie jemand mit ihm geredet, macht er der Kellnerin einen Antrag, wie ihn nur der Berg hergibt: Während die beiden im Tal sitzen, brennen Kollegen von Egger mit kleinen Feuern ein paar Worte in den Hang: „Für dich, Marie . . .“. Sie ist gerührt, sie sagt ja.
Und so hätte aus dem einsamen Egger ein Liebender, ein Ehemann, auch ein Vater werden können, aber der Berg nimmt, was er gibt. Und das Schicksal frisst das Leben, das es geschenkt hat. Egger geht in den Krieg, landet in Gefangenschaft, kehrt zurück, lebt weiter wie vorher. Touristen kommen ins Dorf, es werden immer mehr, alles verändert sich. Nur Egger bleibt, wie er war. Einer, den keiner braucht, den keiner sucht. Den keiner liebt.
Zum Schluss, als der Tagelöhner, Bergbahnbauer, Touristenführer alt und müde wird, denkt er wieder öfter an Marie. „An das, was war, und an das, was hätte sein können. Aber das waren nur kurze, flüchtige Gedanken, die so schnell vorbeizogen wie die Fetzen der Sturmwolken vor seinem Fenster.“
Er denkt auch immer häufiger an den Tod und fragt sich, was das nun war, dieses Leben: „Wie alle Menschen hatte auch er während seines Lebens Vorstellungen und Träume in sich getragen. Manches davon hatte er sich selbst erfüllt, manches war ihm geschenkt worden. Vieles war unerreicht geblieben oder ihm, kaum erreicht, wieder aus den Händen gerissen worden. Aber er war noch da.“ So lakonisch also erzählt Robert Seethaler, mehrfach preisgekrönter österreichischer Schriftsteller und Schauspieler, von Andreas Egger.
Seethaler, der 1966 in Wien geboren wurde , hatte schon mit seinem Erfolgs-Roman „Der Trafikant“ über einen jungen, naiven Kiosk-Verkäufer, der in den 1930er- Jahren beim großen Sigmund Freud vergeblich Hilfe in Liebesdingen sucht, einen freundlichen, überforderten Helden geschaffen. Offenbar mag Seethaler auch den harmlosen Schweiger, den er jetzt erfunden hat – aber vielleicht mag er vor allem den Gedanken, dass eine Biografie erzählenswert, berichtenswert sein kann, die dem Leben der meisten Menschen gleicht: werden, sein, vergehen. Kleine Menschen mit kleinen Leben, die sich selbst nicht so wichtig nehmen, Dinge hinnehmen, ertragen können. Menschen, die einfach da sind.
Zugleich nimmt Robert Seethaler Bezug auf Motive aus der Tradition des Bergromans, wie sie zuletzt der Münchner Autor Thomas Willmann in seinem Thriller „Das finstere Tal“ bearbeitete: Armut, Entsagung, Archaik, Brutalität – alles das findet sich zuverlässig im historischen Narrativ vom harten Leben in einer feindlichen Natur.
Seethaler aber lässt auch die neue Zeit einziehen in die Alpen, auch das ist ein wirksamer Lockstoff für lesende Nostalgiker, denn: „Berge“ heißt es in einer aktuellen Werbung für Bücher über die Alpen, verkörperten eines der letzten Abenteuer der Menschheit. „Sie sind majestätisch, mächtig, ewig, aber auch archaisch und gefährlich. Diese Mischung fasziniert Bergsteiger und Skifahrer, Touristen und Einheimische, Aussteiger und Tunnelbauer gleichermaßen.“
Der Österreicher mischt mithin das unausgesprochene, aber spürbare Bedauern über den Untergang der alten Bergwelt, über Umweltzerstörung und schrillen Fun-Tourismus mit dem Bild einer untergehenden Gattung Mensch: von einem, dessen persönlicher und ökologischer Fußabdruck nie größer ist, als es die Erde verträgt, auf der er ein paar Jahrzehnte lebt, leben darf. Oder, kürzer: von einem, der bescheiden bleibt.
Erste Rezensionen des schmalen Bandes sprechen von einem erhöhten Kitschfaktor in Seethalers Buch, der die ostentative Schlichtheit von Sprache und Szenerie untergrabe. Tatsächlich aber ist es eher wohltuend, sich in diese unaufgeregte Erzählung lesend hineinzubegeben wie in einen langen Tag auf einer menschenleeren Alm, umgeben von Kühen und Gipfeln, schweigend, fern von Menschen, fern vom Lärm im Tal, fern von iPhones und Autos, und sich zu fragen: Und wie halte ich es mit meiner Welt? Wie will ich leben, wie sterben? Andreas Egger hat das nicht schlecht bewältigt.
CATHRIN KAHLWEIT
Egger bleibt, wie er war:
einer, den keiner braucht, den
keiner sucht. Und den keiner liebt
Robert Seethaler:
Ein ganzes Leben.
Roman. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2014.
160 Seiten, 17,90 Euro. E-Book 13,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die Berge schweigen – und der Held schweigt auch: Robert Seethalers neuer Roman „Ein ganzes Leben“
Andreas Egger ist kein kluger Mann, er denkt langsam und nur das Nötigste. Er ist auch kein schöner Mann, Egger hinkt seit seiner Kindheit, sein Körper ist von den Schlägen des Bauern, bei dem er groß geworden ist, und von der harten Arbeit am Berg zerschlagen und zerschrunden. Er ist arm, ein Tagelöhner, der seine besten Zeiten hat, als in dem österreichischen Bergdorf, das er nur selten verlässt, die Zeit des Seilbahnbaus und des Massentourismus beginnt: Da kann einer wie er sich nützlich machen, der den Fels kennt, der Löcher hineinschlagen kann für die Masten und der Stahlseile und Winden warten kann, weil er große Höhe gewöhnt ist.
„Ein ganzes Leben“ erzählt genau das und nicht mehr – das ganze Leben dieses unbedeutenden Mannes, der in der Weltgeschichte keine Spuren hinterlässt, der keine Pläne hat und wenig Erwartungen. Er durchlebt eine harte Kindheit als zusätzlicher Esser beim Onkel, der ihn schlechter behandelt als das Vieh. Er verliebt sich ein einziges Mal. Marie heißt die Angebetete, und weil er kein Mann großer Worte ist, es hat ja auch nie jemand mit ihm geredet, macht er der Kellnerin einen Antrag, wie ihn nur der Berg hergibt: Während die beiden im Tal sitzen, brennen Kollegen von Egger mit kleinen Feuern ein paar Worte in den Hang: „Für dich, Marie . . .“. Sie ist gerührt, sie sagt ja.
Und so hätte aus dem einsamen Egger ein Liebender, ein Ehemann, auch ein Vater werden können, aber der Berg nimmt, was er gibt. Und das Schicksal frisst das Leben, das es geschenkt hat. Egger geht in den Krieg, landet in Gefangenschaft, kehrt zurück, lebt weiter wie vorher. Touristen kommen ins Dorf, es werden immer mehr, alles verändert sich. Nur Egger bleibt, wie er war. Einer, den keiner braucht, den keiner sucht. Den keiner liebt.
Zum Schluss, als der Tagelöhner, Bergbahnbauer, Touristenführer alt und müde wird, denkt er wieder öfter an Marie. „An das, was war, und an das, was hätte sein können. Aber das waren nur kurze, flüchtige Gedanken, die so schnell vorbeizogen wie die Fetzen der Sturmwolken vor seinem Fenster.“
Er denkt auch immer häufiger an den Tod und fragt sich, was das nun war, dieses Leben: „Wie alle Menschen hatte auch er während seines Lebens Vorstellungen und Träume in sich getragen. Manches davon hatte er sich selbst erfüllt, manches war ihm geschenkt worden. Vieles war unerreicht geblieben oder ihm, kaum erreicht, wieder aus den Händen gerissen worden. Aber er war noch da.“ So lakonisch also erzählt Robert Seethaler, mehrfach preisgekrönter österreichischer Schriftsteller und Schauspieler, von Andreas Egger.
Seethaler, der 1966 in Wien geboren wurde , hatte schon mit seinem Erfolgs-Roman „Der Trafikant“ über einen jungen, naiven Kiosk-Verkäufer, der in den 1930er- Jahren beim großen Sigmund Freud vergeblich Hilfe in Liebesdingen sucht, einen freundlichen, überforderten Helden geschaffen. Offenbar mag Seethaler auch den harmlosen Schweiger, den er jetzt erfunden hat – aber vielleicht mag er vor allem den Gedanken, dass eine Biografie erzählenswert, berichtenswert sein kann, die dem Leben der meisten Menschen gleicht: werden, sein, vergehen. Kleine Menschen mit kleinen Leben, die sich selbst nicht so wichtig nehmen, Dinge hinnehmen, ertragen können. Menschen, die einfach da sind.
Zugleich nimmt Robert Seethaler Bezug auf Motive aus der Tradition des Bergromans, wie sie zuletzt der Münchner Autor Thomas Willmann in seinem Thriller „Das finstere Tal“ bearbeitete: Armut, Entsagung, Archaik, Brutalität – alles das findet sich zuverlässig im historischen Narrativ vom harten Leben in einer feindlichen Natur.
Seethaler aber lässt auch die neue Zeit einziehen in die Alpen, auch das ist ein wirksamer Lockstoff für lesende Nostalgiker, denn: „Berge“ heißt es in einer aktuellen Werbung für Bücher über die Alpen, verkörperten eines der letzten Abenteuer der Menschheit. „Sie sind majestätisch, mächtig, ewig, aber auch archaisch und gefährlich. Diese Mischung fasziniert Bergsteiger und Skifahrer, Touristen und Einheimische, Aussteiger und Tunnelbauer gleichermaßen.“
Der Österreicher mischt mithin das unausgesprochene, aber spürbare Bedauern über den Untergang der alten Bergwelt, über Umweltzerstörung und schrillen Fun-Tourismus mit dem Bild einer untergehenden Gattung Mensch: von einem, dessen persönlicher und ökologischer Fußabdruck nie größer ist, als es die Erde verträgt, auf der er ein paar Jahrzehnte lebt, leben darf. Oder, kürzer: von einem, der bescheiden bleibt.
Erste Rezensionen des schmalen Bandes sprechen von einem erhöhten Kitschfaktor in Seethalers Buch, der die ostentative Schlichtheit von Sprache und Szenerie untergrabe. Tatsächlich aber ist es eher wohltuend, sich in diese unaufgeregte Erzählung lesend hineinzubegeben wie in einen langen Tag auf einer menschenleeren Alm, umgeben von Kühen und Gipfeln, schweigend, fern von Menschen, fern vom Lärm im Tal, fern von iPhones und Autos, und sich zu fragen: Und wie halte ich es mit meiner Welt? Wie will ich leben, wie sterben? Andreas Egger hat das nicht schlecht bewältigt.
CATHRIN KAHLWEIT
Egger bleibt, wie er war:
einer, den keiner braucht, den
keiner sucht. Und den keiner liebt
Robert Seethaler:
Ein ganzes Leben.
Roman. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2014.
160 Seiten, 17,90 Euro. E-Book 13,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Seethaler erzählt gänzlich unspektakulär, ohne jegliche Aufgeregtheit. Es ist dieser ruhige, zurückgenommene Erzählstil, der dem Roman etwas Zeit- und Ortloses gibt. ... Er erzählt mit großer Souveränität von einem Leben, das uns fern und trotzdem nicht fremd ist." Holger Heimann, Deutschlandradio Kultur, 13.05.16
"Seethalers Roman ist ganz frei von sinistrem Narzissmus, es findet in ihm auch keine nationalliterarische Nabelschau statt. Das böse 20. Jahrhundert ragt in die Erzählung hinein, macht sie aber nicht zu einer historischen Parabel. Hier ist ein Buch, das nicht die Welt erklären will, sondern ein Leben beschreiben." Thomas E. Schmidt, Die Zeit, 20.04.16
"In Robert Seethalers Oeuvre geht es immer ums Ganze. Auch sein Erfolgsroman 'Ein ganzes Leben' ist kein Werk über das zwanzigste Jahrhundert, sondern archaische Betrachtung des Mensch- und Alleinseins." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.01.16
"Leider, leider zu kurz für mehr als einen Ferientag." Stephan Hebel, Frankfurter Rundschau, 21.07.15
"Liebe, Leben und Tod - großartig erzählt auf kleinstem Raum." Brigitte, 21.01.15
"Ein Buch, das einen staunend zurücklässt. ... Robert Seethaler braucht nicht viele Worte - und laut tönende schon mal gar nicht. Was und wie er schreibt, kommt sehr still daher, leise, und hat dennoch einen großen Klang. Wer seiner Seele eine Freude machen will, der lese dieses Buch." Christine Westermann, WDR 5, 26.07.14
"Wie aus der Zeit gefallen nimmt sich dieses schöne und eindrückliche Buch über das Leben eines Knechts, Holzfällers und Seilbahnbauers im 20. Jahrhundert an. Seethaler gelingt das Kunststück, ein vielschichtiges Buch über einen schlichten Menschen zu schreiben." Denis Scheck, Das Erste, 07.09.14
"Was ein Mensch zu ertragen imstande ist, das erzählt dieses Buch ruhig, intensiv, in schöner Sprache, ohne Pathos. ... Was für ein wunderbarer Autor, der uns so tief bewegen kann mit einem unvergesslichen Buch." Elke Heidenreich, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.07.14
"Ich las, ich staunte, ich genoss jeden Satz, so leichtfüßig und erfüllend schreibt Robert Seethaler über die großen Gefühle eines kleinen Mannes, über Schicksal und Tod. ... Ein ganzes Leben auf nur 150 Seiten, die jeden in den Bann ziehen, weil sie das Schwerste, auch den Tod, mit melancholischer Leichtigkeit erzählen." Wolfgang Herles, ZDF das blaue sofa, 19.09.14
"Robert Seethalers Sätze strahlen eine besondere Würde und Kraft aus. ... Ohne Groll, ohne Zorn, ein schwer zu lebendes Leben, das noch verankert ist im Boden, wird hier mit einer unfassbaren Schwerelosigkeit und Eleganz beschrieben." Annemarie Stoltenberg, NDR Kultur, 29.07.14
"Robert Seethaler ist ein Buch gelungen, das so ergreifend und erschütternd ist, wie man es lange nicht mehr lesen durfte. ... So distanziert und ruhig Seethalers Sprache auch daherkommt, so plastisch, anschaulich und sinnlich erfasst sie die Welt." Christoph Schröder, die tageszeitung, 02.08.14
"Jeder Ton, jedes Wort, jeder Satz - alles ist genau da, wo es hingehört. ... Das feine, elegante Lied eines erfüllten Lebens. Man wird ganz still. Und bewegt. Ein bisschen ehrfürchtig. Und hört sofort auf zu jammern. Voll abgerissenem Lachen und großem Staunen." Elmar Krekeler, Die Welt, 09.08.14
"Robert Seethaler erzählt diese Geschichte eines einfachen Herzens mit einer Sprache wunderbar leichter, federnder Eleganz und in novellenhaft kurzer Form. ... 'Ein ganzes Leben' ist ein literarisches Kleinod. Seine minimalistische Verdichtung wird belohnt mit enormer Eindringlichkeit." Ursula März, Deutschlandradio Kultur, 02.08.14
"Große Literatur auf kleinstem Raum." Angela Wittmann, Brigitte, 27.08.14
"Die betont zurückgenommene Art des Erzählens ist es, die der Geschichte von Andreas Egger etwas Zeit- und Ortloses gibt. ... Es geht eine große, beruhigende Kraft von diesem Buch aus. ... Es ist so, als wäre es kein abgelegenes, geografisches Gebiet, das Seethaler umreißt, sondern eine Seelenlandschaft, die uns allen vertraut ist, weil wir selbst sie in uns tragen." Holger Heimann, Deutschlandfunk, 01.09.14
"Es ist wohltuend, sich in diese unaufgeregte Erzählung lesend hineinzubegeben wie in einen langen Tag auf einer menschenleeren Alm." Cathrin Kahlweit, Süddeutsche Zeitung, 25.08.14
"Das Buch packt einen von der ersten Zeile an, weil Robert Seethaler kein überflüssiges Wort schreibt. ... Das Leben ist rau, bodenständig, einfach. Und dennoch findet Robert Seethaler immer wieder wundervolle, poetische Formulierungen. ... Ein Buch zum Durchatmen; Hirn und Herz bekommen viel frische Bergluft beim Lesen." Stefan Keim, WDR4, 19.08.14
"Ein schmales Buch, aber es umfasst eine ganze Existenz. Es ist, obgleich es seinen Helden weder erhöht noch seine Umstände glorifiziert, ein überaus poetisches Buch. Schroff und zart. ... Seethalers Sprache ist einfach, aber seine Sätze sind makellos. ... Robert Seethaler hat sich auf die Suche nach den richtigen Worten gemacht - und er hat sie gefunden." Thomas E. Schmidt, Zeit Literatur, 01.10.14
"Man kann jede Geschichte nacherzählen, also auch diese, aber man wird DIESER Geschichte nicht damit gerecht. Nacherzählt ist es eine Geschichte unter anderen, gelesen ist es 'ein ganzes Leben.' Seethaler schreibt mit großer Empathiefähigkeit immer im Horizont seiner Figuren und ihrer Umwelt. Die Atmosphäre ist dicht, die Töne sind stimmig, jedes Wort sitzt." Eva Schobel, Deutschlandfunk, 05.11.14
"Seethalers Roman ist ganz frei von sinistrem Narzissmus, es findet in ihm auch keine nationalliterarische Nabelschau statt. Das böse 20. Jahrhundert ragt in die Erzählung hinein, macht sie aber nicht zu einer historischen Parabel. Hier ist ein Buch, das nicht die Welt erklären will, sondern ein Leben beschreiben." Thomas E. Schmidt, Die Zeit, 20.04.16
"In Robert Seethalers Oeuvre geht es immer ums Ganze. Auch sein Erfolgsroman 'Ein ganzes Leben' ist kein Werk über das zwanzigste Jahrhundert, sondern archaische Betrachtung des Mensch- und Alleinseins." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.01.16
"Leider, leider zu kurz für mehr als einen Ferientag." Stephan Hebel, Frankfurter Rundschau, 21.07.15
"Liebe, Leben und Tod - großartig erzählt auf kleinstem Raum." Brigitte, 21.01.15
"Ein Buch, das einen staunend zurücklässt. ... Robert Seethaler braucht nicht viele Worte - und laut tönende schon mal gar nicht. Was und wie er schreibt, kommt sehr still daher, leise, und hat dennoch einen großen Klang. Wer seiner Seele eine Freude machen will, der lese dieses Buch." Christine Westermann, WDR 5, 26.07.14
"Wie aus der Zeit gefallen nimmt sich dieses schöne und eindrückliche Buch über das Leben eines Knechts, Holzfällers und Seilbahnbauers im 20. Jahrhundert an. Seethaler gelingt das Kunststück, ein vielschichtiges Buch über einen schlichten Menschen zu schreiben." Denis Scheck, Das Erste, 07.09.14
"Was ein Mensch zu ertragen imstande ist, das erzählt dieses Buch ruhig, intensiv, in schöner Sprache, ohne Pathos. ... Was für ein wunderbarer Autor, der uns so tief bewegen kann mit einem unvergesslichen Buch." Elke Heidenreich, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.07.14
"Ich las, ich staunte, ich genoss jeden Satz, so leichtfüßig und erfüllend schreibt Robert Seethaler über die großen Gefühle eines kleinen Mannes, über Schicksal und Tod. ... Ein ganzes Leben auf nur 150 Seiten, die jeden in den Bann ziehen, weil sie das Schwerste, auch den Tod, mit melancholischer Leichtigkeit erzählen." Wolfgang Herles, ZDF das blaue sofa, 19.09.14
"Robert Seethalers Sätze strahlen eine besondere Würde und Kraft aus. ... Ohne Groll, ohne Zorn, ein schwer zu lebendes Leben, das noch verankert ist im Boden, wird hier mit einer unfassbaren Schwerelosigkeit und Eleganz beschrieben." Annemarie Stoltenberg, NDR Kultur, 29.07.14
"Robert Seethaler ist ein Buch gelungen, das so ergreifend und erschütternd ist, wie man es lange nicht mehr lesen durfte. ... So distanziert und ruhig Seethalers Sprache auch daherkommt, so plastisch, anschaulich und sinnlich erfasst sie die Welt." Christoph Schröder, die tageszeitung, 02.08.14
"Jeder Ton, jedes Wort, jeder Satz - alles ist genau da, wo es hingehört. ... Das feine, elegante Lied eines erfüllten Lebens. Man wird ganz still. Und bewegt. Ein bisschen ehrfürchtig. Und hört sofort auf zu jammern. Voll abgerissenem Lachen und großem Staunen." Elmar Krekeler, Die Welt, 09.08.14
"Robert Seethaler erzählt diese Geschichte eines einfachen Herzens mit einer Sprache wunderbar leichter, federnder Eleganz und in novellenhaft kurzer Form. ... 'Ein ganzes Leben' ist ein literarisches Kleinod. Seine minimalistische Verdichtung wird belohnt mit enormer Eindringlichkeit." Ursula März, Deutschlandradio Kultur, 02.08.14
"Große Literatur auf kleinstem Raum." Angela Wittmann, Brigitte, 27.08.14
"Die betont zurückgenommene Art des Erzählens ist es, die der Geschichte von Andreas Egger etwas Zeit- und Ortloses gibt. ... Es geht eine große, beruhigende Kraft von diesem Buch aus. ... Es ist so, als wäre es kein abgelegenes, geografisches Gebiet, das Seethaler umreißt, sondern eine Seelenlandschaft, die uns allen vertraut ist, weil wir selbst sie in uns tragen." Holger Heimann, Deutschlandfunk, 01.09.14
"Es ist wohltuend, sich in diese unaufgeregte Erzählung lesend hineinzubegeben wie in einen langen Tag auf einer menschenleeren Alm." Cathrin Kahlweit, Süddeutsche Zeitung, 25.08.14
"Das Buch packt einen von der ersten Zeile an, weil Robert Seethaler kein überflüssiges Wort schreibt. ... Das Leben ist rau, bodenständig, einfach. Und dennoch findet Robert Seethaler immer wieder wundervolle, poetische Formulierungen. ... Ein Buch zum Durchatmen; Hirn und Herz bekommen viel frische Bergluft beim Lesen." Stefan Keim, WDR4, 19.08.14
"Ein schmales Buch, aber es umfasst eine ganze Existenz. Es ist, obgleich es seinen Helden weder erhöht noch seine Umstände glorifiziert, ein überaus poetisches Buch. Schroff und zart. ... Seethalers Sprache ist einfach, aber seine Sätze sind makellos. ... Robert Seethaler hat sich auf die Suche nach den richtigen Worten gemacht - und er hat sie gefunden." Thomas E. Schmidt, Zeit Literatur, 01.10.14
"Man kann jede Geschichte nacherzählen, also auch diese, aber man wird DIESER Geschichte nicht damit gerecht. Nacherzählt ist es eine Geschichte unter anderen, gelesen ist es 'ein ganzes Leben.' Seethaler schreibt mit großer Empathiefähigkeit immer im Horizont seiner Figuren und ihrer Umwelt. Die Atmosphäre ist dicht, die Töne sind stimmig, jedes Wort sitzt." Eva Schobel, Deutschlandfunk, 05.11.14
»Ein Buch, das tief bewegt und unvergesslich bleiben wird« Westdeutsche Allgemeine