Der Roman erzählt die Geschichte von sechs ungewöhnlichen Menschen, deren Wege sich in Paris kreuzen. Alle sind jüdischer Herkunft und alle haben, jeder auf seine Weise, eine besondere Geschichte. Auf einem Fest treffen sie sich, danach ist nichts mehr wie zuvor... "Mit schwebender Leichtigkeit und einem Gespür für die Absurditäten des Alltags führt Agnes Desarthe ihre Protagonisten zusammen. Für Momente werden ihre Lebenslinien verknüpft, vereint, dann wieder gelöst. Ironie des Schicksals oder höhere Fügung? Es bleibt ein Geheimnis; doch das ist ohne Belang."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.1997Es flattert Madame Sonja
Sehr poetisch: Agnès Desarthe hütet "Ein Geheimnis ohne Belang"
Man darf vermuten, daß die junge französische Autorin Agnès Desarthe intime Kenntnisse des Milieus besitzt, in dem sie ihren ersten Roman angesiedelt hat. Das Buch ist ihrem Großvater gewidmet, der Jampolski heißt, und auf den Namen Jabrowski hört einer der Akademiker jüdischer Herkunft in Paris, deren Gegenwart und Vergangenheit hier fragmentarisch skizziert und in gedämpften Farbtönen ausgemalt wird. Gleich im ersten Satz riecht es nach gebratenen Zwiebeln, traditionelle Gebräuche finden Erwähnung, vom Holocaust ist andeutungsweise die Rede, hin und wieder blitzt jüdischer Humor auf, und am Ende fliegt eine Verstorbene ins Jenseits, vor einem Abendhimmel, den ein Großbrand wie eine "riesige rote Blume" erleuchtet, als wär's ein Bild von Chagall. Die Tote, im entleibten Zustand noch mütterlich besorgt um die Hinterbliebenen und tätig zu ihrem Wohl, hat ein Haus angezündet, auf daß jenes Geheimnis bewahrt bleibe, von dem der Romantitel beruhigend sagt, es sei "Ein Geheimnis ohne Belang".
Wer sein Werk so nennt - im Original "Un secret sans importance" -, sichert sich damit gegen den Verdacht der Wichtigtuerei ab, vielleicht aber auch gegen den Anspruch, literarisch Belangvolles hervorbringen zu müssen. Agnès Desarthe zeichnet ihre Figuren so unaufdringlich, daß der Leser ständig geneigt ist, deren Eignung als Romanpersonal in Zweifel zu ziehen. Nichts gibt es hier, was stören oder unangenehm berühren würde, doch bleibt seltsam verschwommen, warum gerade diese sechs lose verknüpften Schicksale der erzählenden Verewigung bedurften. Zuweilen scheint es, als seien die Damen und Herren bloß erfunden worden, um als Sprachrohr der Autorin goldgeränderte Maximen von sich zu geben: "Gott ist überall" oder "Nur sehr wenige Menschen verstehen die Welt wirklich" oder auch "Im Leben eines jeden von uns taucht früher oder später ein Amerikaner auf".
Die Amerikanerin ist in diesem Falle Harriet, die überqualifizierte Sekretärin des alternden Sprachwissenschaftlers Émile Hortchak. Sie wird süffisant geschildert als "großer, gesunder Körper", den "ein wohlgeordnetes Gehirn kontrollierte". Ihr fragiles, chaotisches Gegenbild ist Hortchaks junge Nachbarin Violette, die nach dem Verlust ihres im Jom-Kippur-Krieg gefallenen Mannes mit psychischen Problemen kämpft. Der Professor empfindet für sie schüchterne Zuneigung, kriegt aber einen Korb. Hortchaks Freund und Kollege Dan Jabrowski liebt seine schwerkranke Gattin Sonja, fühlt sich jedoch von ihrer Veränderung angesichts des nahenden Todes überfordert. Der asketisch verklemmte Student Gabriel Schwartz begehrt die lebenspralle Harriet, obwohl er sie ziemlich dumm findet, und er hält Émile Hortchak, dem er auffallend ähnelt, für seinen unehelichen Vater.
Bei einem Fest im sprachwissenschaftlichen Institut treffen alle Beteiligten zusammen, plaudern wohlerzogen und erinnern sich an mancherlei. Danach wird einerseits gestorben, andererseits kopuliert, drittens abgereist, so wie es im Leben eben zugeht. "Ein Rabbiner ist eine Art Angestellter hinter den Schaltern der Bank Gottes", sinniert Professor Hortchak während der Beerdigung. Und die früh abgeklärte Nachwuchsschriftstellerin erweist dem aktuellen Engel-Boom ihre Reverenz, indem sie Madame Sonja noch ein wenig herumflattern und zündeln läßt, bevor sie ihr erlaubt, mit dem Äther zu verschmelzen.
Das alles ist zartfühlend und niveauvoll beschrieben, durch sanfte Situationskomik aufgelockert und angereichert mit Erbaulichkeiten, die ein ganzes Poesiealbum füllen könnten - und entschwindet dem Gedächtnis, sobald man das Buch aus der Hand gelegt hat. In Frankreich hat Agnès Desarthes Romandebüt die Bestsellerlisten erobert, Preise gewonnen, Aufsehen erregt. Das Geheimnis ihres Erfolges, wenn es denn von Belang ist, liegt vermutlich darin, daß dezentes Dahinplätschern sich mit der vom Klappentext verheißenen "schwebenden Leichtigkeit" mühelos verwechseln läßt. KRISTINA MAIDT-ZINKE
Agnès Desarthe: "Ein Geheimnis ohne Belang". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Christiane Seiler. Alexander Fest Verlag, Berlin 1997. 218 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sehr poetisch: Agnès Desarthe hütet "Ein Geheimnis ohne Belang"
Man darf vermuten, daß die junge französische Autorin Agnès Desarthe intime Kenntnisse des Milieus besitzt, in dem sie ihren ersten Roman angesiedelt hat. Das Buch ist ihrem Großvater gewidmet, der Jampolski heißt, und auf den Namen Jabrowski hört einer der Akademiker jüdischer Herkunft in Paris, deren Gegenwart und Vergangenheit hier fragmentarisch skizziert und in gedämpften Farbtönen ausgemalt wird. Gleich im ersten Satz riecht es nach gebratenen Zwiebeln, traditionelle Gebräuche finden Erwähnung, vom Holocaust ist andeutungsweise die Rede, hin und wieder blitzt jüdischer Humor auf, und am Ende fliegt eine Verstorbene ins Jenseits, vor einem Abendhimmel, den ein Großbrand wie eine "riesige rote Blume" erleuchtet, als wär's ein Bild von Chagall. Die Tote, im entleibten Zustand noch mütterlich besorgt um die Hinterbliebenen und tätig zu ihrem Wohl, hat ein Haus angezündet, auf daß jenes Geheimnis bewahrt bleibe, von dem der Romantitel beruhigend sagt, es sei "Ein Geheimnis ohne Belang".
Wer sein Werk so nennt - im Original "Un secret sans importance" -, sichert sich damit gegen den Verdacht der Wichtigtuerei ab, vielleicht aber auch gegen den Anspruch, literarisch Belangvolles hervorbringen zu müssen. Agnès Desarthe zeichnet ihre Figuren so unaufdringlich, daß der Leser ständig geneigt ist, deren Eignung als Romanpersonal in Zweifel zu ziehen. Nichts gibt es hier, was stören oder unangenehm berühren würde, doch bleibt seltsam verschwommen, warum gerade diese sechs lose verknüpften Schicksale der erzählenden Verewigung bedurften. Zuweilen scheint es, als seien die Damen und Herren bloß erfunden worden, um als Sprachrohr der Autorin goldgeränderte Maximen von sich zu geben: "Gott ist überall" oder "Nur sehr wenige Menschen verstehen die Welt wirklich" oder auch "Im Leben eines jeden von uns taucht früher oder später ein Amerikaner auf".
Die Amerikanerin ist in diesem Falle Harriet, die überqualifizierte Sekretärin des alternden Sprachwissenschaftlers Émile Hortchak. Sie wird süffisant geschildert als "großer, gesunder Körper", den "ein wohlgeordnetes Gehirn kontrollierte". Ihr fragiles, chaotisches Gegenbild ist Hortchaks junge Nachbarin Violette, die nach dem Verlust ihres im Jom-Kippur-Krieg gefallenen Mannes mit psychischen Problemen kämpft. Der Professor empfindet für sie schüchterne Zuneigung, kriegt aber einen Korb. Hortchaks Freund und Kollege Dan Jabrowski liebt seine schwerkranke Gattin Sonja, fühlt sich jedoch von ihrer Veränderung angesichts des nahenden Todes überfordert. Der asketisch verklemmte Student Gabriel Schwartz begehrt die lebenspralle Harriet, obwohl er sie ziemlich dumm findet, und er hält Émile Hortchak, dem er auffallend ähnelt, für seinen unehelichen Vater.
Bei einem Fest im sprachwissenschaftlichen Institut treffen alle Beteiligten zusammen, plaudern wohlerzogen und erinnern sich an mancherlei. Danach wird einerseits gestorben, andererseits kopuliert, drittens abgereist, so wie es im Leben eben zugeht. "Ein Rabbiner ist eine Art Angestellter hinter den Schaltern der Bank Gottes", sinniert Professor Hortchak während der Beerdigung. Und die früh abgeklärte Nachwuchsschriftstellerin erweist dem aktuellen Engel-Boom ihre Reverenz, indem sie Madame Sonja noch ein wenig herumflattern und zündeln läßt, bevor sie ihr erlaubt, mit dem Äther zu verschmelzen.
Das alles ist zartfühlend und niveauvoll beschrieben, durch sanfte Situationskomik aufgelockert und angereichert mit Erbaulichkeiten, die ein ganzes Poesiealbum füllen könnten - und entschwindet dem Gedächtnis, sobald man das Buch aus der Hand gelegt hat. In Frankreich hat Agnès Desarthes Romandebüt die Bestsellerlisten erobert, Preise gewonnen, Aufsehen erregt. Das Geheimnis ihres Erfolges, wenn es denn von Belang ist, liegt vermutlich darin, daß dezentes Dahinplätschern sich mit der vom Klappentext verheißenen "schwebenden Leichtigkeit" mühelos verwechseln läßt. KRISTINA MAIDT-ZINKE
Agnès Desarthe: "Ein Geheimnis ohne Belang". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Christiane Seiler. Alexander Fest Verlag, Berlin 1997. 218 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main