Die Geschichte eines tapferen kleinen Jungen, der schlecht träumt und sich mitten in der Nacht zusammen mit seinem Vater aufmacht, einem gespenstischen Geräusch auf den Grund zu gehen ... Das erste Kinderbuch des Bestsellerautors John Irving, hinreißend illustriert von Tatjana Hauptmann. (Ab 4 Jahren.)
John Irving schreibt ein Kinderbuch?
Nichts wäre einleuchtender als dies, denn keiner hat wie er Kinder, Jugendliche und die Mühen des Erwachsenwerdens zum Thema seiner Romane gemacht. Doch manchmal ist es auch einfach so, daß sich in Geschichten für Erwachsene Geschichten für Kinder verstecken, man muß sie nur entdecken: Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen - das Abenteuer eines tapferen kleinen Jungen, der schlecht träumt und mitten in der Nacht mit seinem Vater auszieht, ein gespenstisches Geräusch zu suchen und zu verjagen. (Ab 4 Jahren)
John Irving schreibt ein Kinderbuch?
Nichts wäre einleuchtender als dies, denn keiner hat wie er Kinder, Jugendliche und die Mühen des Erwachsenwerdens zum Thema seiner Romane gemacht. Doch manchmal ist es auch einfach so, daß sich in Geschichten für Erwachsene Geschichten für Kinder verstecken, man muß sie nur entdecken: Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen - das Abenteuer eines tapferen kleinen Jungen, der schlecht träumt und mitten in der Nacht mit seinem Vater auszieht, ein gespenstisches Geräusch zu suchen und zu verjagen. (Ab 4 Jahren)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2003Bilderbuch eines sanften Albtraums
Geräusch, wo bist du? Tatjana Hauptmann malt die Minuten einer kindlichen Angstnacht aus und vervollständigt eine Kindergeschichte von John Irving
Kann man Geräusche sehen? Der Kinderbuchautor Ted Cole, eine nicht durchgängig sympathische Figur in John Irvings Roman "Witwe für ein Jahr", geht selbstverständlich davon aus. Seine kleine Tochter Ruth holt ihn eines Nachts aus dem Bett, weil sie etwas gehört hat. "Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen? Das muß ich sehen", sagt er, springt aus dem Bett und wandert mit dem Kind durch das Haus. "Wo bist du, Geräusch?" rufen sie. Im Badezimmer erzählt er ihr dann von dem Geräusch, das ihre beiden toten Brüder früher einmal nachts störte. Es kam von einer Maus in der Wand. Daß diese Geschichte von der "Maus, die in der Wand krabbelte" längst ein Kinderbuch geworden ist, millionenfach verkauft, weil es so schön angsterregend ist, weiß die kleine Ruth zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Für sie ist sie frisch geboren, in einer einzigartigen dunklen Stunde mit dem Vater. Später wird er auch das nächtliche Zwiegespräch mit ihr aufschreiben, ihre Angst ausbeuten für sein nächstes Kinderbuch: "Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen". Ein phantastischer Titel für ein Kinderbuch! Das merkt nicht nur Ted Cole in dem Moment, in dem Ruth die Worte ausspricht. Auch im Diogenes Verlag, bei dem John Irvings Werke auf deutsch erscheinen, fand man sie so anziehend, daß sie jetzt auf dem Bilderbuch stehen, in dem die "Maus"-Geschichte erzählt wird.
Es ist eine interessante Idee, die kleine Kindergeschichte aus dem Roman herauszulösen und gleichsam beim Wort zu nehmen. Gewiß wird diese Verwirklichung einer Romanepisode nicht denselben Erfolg haben wie dort berichtet - neun Millionen Exemplare wird der Verlag wohl nicht drucken. Aber daß John Irving ein besonderes Faible für Kinderseelen hat, spricht aus jedem seiner Romane. Allerdings sind es meist versehrte Seelen, wenn nicht auch Körper, mit denen seine Kindfiguren leben oder sterben müssen. Insofern bedeutet die Tatsache, daß Irving als Erzähler seine Figur Ted Cole vorschiebt, von dessen Qualitäten als Kinderbuchautor er gönnerhaft und abschätzig spricht, eine gewisse Abfederung des Angsteinflößenden.
Es bleibt noch genug übrig. Tom jedenfalls, vier Jahre alt, will nur noch eins: nicht der einzige sein im Haus, der wach ist in Gegenwart dieses seltsamen Geräusches. Sein kleiner Bruder Tim schläft fest, daher muß Tom hinaus, zum Vater. Das Geräusch wird beschrieben, erörtert, gesucht, schließlich entlarvt: Es war eine Maus, die in der Wand krabbelt. Ruhig schläft Tom wieder ein, nur Tim ist inzwischen wach und übernimmt das Angsthaben - eine Maus kann schrecklich sein für den, der sie nicht kennt.
Am größten ist die Angst immer dann, wenn sie unbestimmt ist und wenn keiner sie mit einem teilt. Tatjana Hauptmann geht mit ihren Illustrationen genau auf dieses Angstzentrum zu. Sie führt uns die eigentlich wichtigste Zeit vor Augen, von der in der Geschichte selbst erstaunlich wenig die Rede ist, und sie dehnt diese Zeit fast über die gesamte Bildersequenz des Buchs hin aus. Es sind die mutigen Minuten, die Tom braucht, um zu seinem Vater zu gelangen, die Zeit, in der er alleine durch die Räume geht und sich genau überlegt, wonach das Geräusch sich anhörte. Und während er das überlegt, kommen die Dinge ins Bild - das Kleid der Mutter, das sich auf dem Bügel bewegt, die Erdnüsse, die das Gespenst in der Mansarde versehentlich fallenließ. Einmal huscht auch eine winzige Maus, deren Schatten im Mondlicht riesig wird, über die Seite. Während am Rande, auf der Textebene, längst das Gespräch im Gange ist und daher die Beruhigung schon eingesetzt hat, sehen wir einen strubbeligen kleinen Jungen im Schlafanzug mit weit aufgerissenen Augen durch ein großes, nachtdunkles Haus wandern, den Teddybär an der Hand mit sich ziehend wie einst Christopher Robin seinen Pu Bär.
Das muß ich sehen, hatte der Kinderbuchautor gesagt, als seine Tochter ihm das Geräusch beschrieb. Tatjana Hauptmann erfüllt ihm diesen Wunsch. Alles ist in ein diffuses, blaudunkles Licht getaucht, in dem hinter jeder Tür, jedem Treppenabsatz ein Wesen warten könnte, das den Atem anhält. Es ist nicht auszuschließen, daß Kinder, die niemals nachts aufwachen und Angst haben, dieses Buch eintönig finden. Die anderen werden erschreckt und zugleich beruhigt sein, denn Text und Bilder, so unheimlich sie jeweils ohne einander sind, erzählen zusammen einen sanften Albtraum aus Risikolust, Einsamkeit und wohliger Geborgenheit.
MONIKA OSBERGHAUS.
John Irving: "Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen". Mit Bildern von Tatjana Hauptmann. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irene Rumler. Diogenes Verlag, Zürich 2003. 40 S., geb., 16,90 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geräusch, wo bist du? Tatjana Hauptmann malt die Minuten einer kindlichen Angstnacht aus und vervollständigt eine Kindergeschichte von John Irving
Kann man Geräusche sehen? Der Kinderbuchautor Ted Cole, eine nicht durchgängig sympathische Figur in John Irvings Roman "Witwe für ein Jahr", geht selbstverständlich davon aus. Seine kleine Tochter Ruth holt ihn eines Nachts aus dem Bett, weil sie etwas gehört hat. "Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen? Das muß ich sehen", sagt er, springt aus dem Bett und wandert mit dem Kind durch das Haus. "Wo bist du, Geräusch?" rufen sie. Im Badezimmer erzählt er ihr dann von dem Geräusch, das ihre beiden toten Brüder früher einmal nachts störte. Es kam von einer Maus in der Wand. Daß diese Geschichte von der "Maus, die in der Wand krabbelte" längst ein Kinderbuch geworden ist, millionenfach verkauft, weil es so schön angsterregend ist, weiß die kleine Ruth zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Für sie ist sie frisch geboren, in einer einzigartigen dunklen Stunde mit dem Vater. Später wird er auch das nächtliche Zwiegespräch mit ihr aufschreiben, ihre Angst ausbeuten für sein nächstes Kinderbuch: "Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen". Ein phantastischer Titel für ein Kinderbuch! Das merkt nicht nur Ted Cole in dem Moment, in dem Ruth die Worte ausspricht. Auch im Diogenes Verlag, bei dem John Irvings Werke auf deutsch erscheinen, fand man sie so anziehend, daß sie jetzt auf dem Bilderbuch stehen, in dem die "Maus"-Geschichte erzählt wird.
Es ist eine interessante Idee, die kleine Kindergeschichte aus dem Roman herauszulösen und gleichsam beim Wort zu nehmen. Gewiß wird diese Verwirklichung einer Romanepisode nicht denselben Erfolg haben wie dort berichtet - neun Millionen Exemplare wird der Verlag wohl nicht drucken. Aber daß John Irving ein besonderes Faible für Kinderseelen hat, spricht aus jedem seiner Romane. Allerdings sind es meist versehrte Seelen, wenn nicht auch Körper, mit denen seine Kindfiguren leben oder sterben müssen. Insofern bedeutet die Tatsache, daß Irving als Erzähler seine Figur Ted Cole vorschiebt, von dessen Qualitäten als Kinderbuchautor er gönnerhaft und abschätzig spricht, eine gewisse Abfederung des Angsteinflößenden.
Es bleibt noch genug übrig. Tom jedenfalls, vier Jahre alt, will nur noch eins: nicht der einzige sein im Haus, der wach ist in Gegenwart dieses seltsamen Geräusches. Sein kleiner Bruder Tim schläft fest, daher muß Tom hinaus, zum Vater. Das Geräusch wird beschrieben, erörtert, gesucht, schließlich entlarvt: Es war eine Maus, die in der Wand krabbelt. Ruhig schläft Tom wieder ein, nur Tim ist inzwischen wach und übernimmt das Angsthaben - eine Maus kann schrecklich sein für den, der sie nicht kennt.
Am größten ist die Angst immer dann, wenn sie unbestimmt ist und wenn keiner sie mit einem teilt. Tatjana Hauptmann geht mit ihren Illustrationen genau auf dieses Angstzentrum zu. Sie führt uns die eigentlich wichtigste Zeit vor Augen, von der in der Geschichte selbst erstaunlich wenig die Rede ist, und sie dehnt diese Zeit fast über die gesamte Bildersequenz des Buchs hin aus. Es sind die mutigen Minuten, die Tom braucht, um zu seinem Vater zu gelangen, die Zeit, in der er alleine durch die Räume geht und sich genau überlegt, wonach das Geräusch sich anhörte. Und während er das überlegt, kommen die Dinge ins Bild - das Kleid der Mutter, das sich auf dem Bügel bewegt, die Erdnüsse, die das Gespenst in der Mansarde versehentlich fallenließ. Einmal huscht auch eine winzige Maus, deren Schatten im Mondlicht riesig wird, über die Seite. Während am Rande, auf der Textebene, längst das Gespräch im Gange ist und daher die Beruhigung schon eingesetzt hat, sehen wir einen strubbeligen kleinen Jungen im Schlafanzug mit weit aufgerissenen Augen durch ein großes, nachtdunkles Haus wandern, den Teddybär an der Hand mit sich ziehend wie einst Christopher Robin seinen Pu Bär.
Das muß ich sehen, hatte der Kinderbuchautor gesagt, als seine Tochter ihm das Geräusch beschrieb. Tatjana Hauptmann erfüllt ihm diesen Wunsch. Alles ist in ein diffuses, blaudunkles Licht getaucht, in dem hinter jeder Tür, jedem Treppenabsatz ein Wesen warten könnte, das den Atem anhält. Es ist nicht auszuschließen, daß Kinder, die niemals nachts aufwachen und Angst haben, dieses Buch eintönig finden. Die anderen werden erschreckt und zugleich beruhigt sein, denn Text und Bilder, so unheimlich sie jeweils ohne einander sind, erzählen zusammen einen sanften Albtraum aus Risikolust, Einsamkeit und wohliger Geborgenheit.
MONIKA OSBERGHAUS.
John Irving: "Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen". Mit Bildern von Tatjana Hauptmann. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irene Rumler. Diogenes Verlag, Zürich 2003. 40 S., geb., 16,90 [Euro]. Ab 4 J.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Aufmerksamen John-Irving-Leser wird der Titel dieses Buches bekannt vorkommen, meint Rezensent Alexander Leopold und erklärt, was es damit auf sich hat. Er stamme aus Irvings Roman "Witwe für ein Jahr" und aus dem Mund eines Mädchens, das versucht ihrem Vater ein Geräusch zu erklären, das ihr Angst macht. Daraufhin, so Leopold weiter, erzähle ihr der Vater die Geschichte ihrer beiden verstorbenen Brüder, die als Kinder ein ähnliches Angst-Erlebnis hatten, als eine Maus die Wand entlang krabbelte. Die Geschichte der Brüder habe der (schriftstellernde) Vater in einem Kinderbuch verarbeitet und auch dem Gespräch mit der Tochter ein Buch gemacht, mit dem Titel (aha!): "Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen". Irving habe jetzt also die Bücher seiner eigenen Romanperson "gewissermaßen zum Leben erweckt". Und daraus, schwärmt der Rezensent, ist ein wundervolles Kinderbuch geworden, denn wenn man anfangs nicht recht versteht, wie die Zeichnungen der Illustratorin Tatjana Hauptmann mit der Geschichte zusammenhängen, entdeckt man nach und nach deren Geheimnis: Sie zeigen nur einen der Brüder, wie er ängstlich forschend durchs nächtliche Haus geht (und Hauptmanns Bilder lassen den Raum zwischen Beengung und Weite wabern), der Vater jedoch ist abwesend. Doch gerade durch dem bildlichen Alleinsein des Jungen und die textliche, beruhigende Anwesenheit des Vaters entstehe die wunderbare Dynamik der "Angstüberwindung".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein wirklich großer Geschichtenerzähler.« Thomas David / Neue Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung