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Neben den erstmals in ihrer Originalfassung zugänglichen Briefen Mahlers an Alma enthält dieser Band 191 noch nie veröffentlichte Dokumente. Im Licht der unverfälschten und neuen Quellen wird ein Mahler-Bild sichtbar, das sich in wesentlichen Zügen von dem bisher überlieferten unterscheidet. Bisher unveröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen Almas korrigieren die von Alma überlieferte "offiziöse" Version und gestatten tiefe Einblicke in das komplizierte Verhältnis der beiden und die psychische Verfassung des Komponisten.

Produktbeschreibung
Neben den erstmals in ihrer Originalfassung zugänglichen Briefen Mahlers an Alma enthält dieser Band 191 noch nie veröffentlichte Dokumente. Im Licht der unverfälschten und neuen Quellen wird ein Mahler-Bild sichtbar, das sich in wesentlichen Zügen von dem bisher überlieferten unterscheidet. Bisher unveröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen Almas korrigieren die von Alma überlieferte "offiziöse" Version und gestatten tiefe Einblicke in das komplizierte Verhältnis der beiden und die psychische Verfassung des Komponisten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.1995

Scharf angeschlossener Kettenschmerz
Gustav Mahlers Briefe an Alma / Von Hans Wollschläger

Für Adorno war sie, wenigstens im Gespräch, nur "das Monstrum", und sein Blick hatte Tradition: über Strauß ("ein liederliches Weib") bis zurück zu Lipiner, der seinem Freund Mahler schrieb, sie sei ein "eingebildeter und oberflächlicher Charakter ohne jede menschliche Wärme", dazu "eitel, abstoßend vorlaut . . ."; für Mahler selbst war sie die "innigst Geliebte" wie für Klimt vor ihm die "Herrin, Gebieterin", für Werfel nach ihm die "vollkommene Natur" und eine der "ganz wenigen Zauberfrauen".

Alma Schindler, verwitwete Mahler, geschiedene Gropius, verwitwete Werfel, 1879 bis 1964, hat die Neugier des ganzen Jahrhunderts auf sich gezogen, wenn auch zumeist nur jene Art, die zu Recht mit Lügen belohnt wird, und die namhaften Schicksale, in die sie sich einmischte, nach Kräften zur eigenen Feier auf den Markt getragen - als Muse der Geister, Inspirantin ihrer Werke, Beglückerin ihres irdischen Lebens: eine schillernde, zwischen Rosa und Giftgrün changierende Erscheinung. Wer sie kannte und sich nicht gebieten, sich nicht bezaubern ließ - was jenseits ihrer jungen Jahre denn doch manchen gelang -, wer ihr hochtrabendes, bis zur Hirnrissigkeit konfuses Geschwätz einmal hörte oder las, war immer irritiert: Das sollte - wie plausibel auch Kokoschkas oder Werfels - Gustav Mahlers nächster Nebenmensch gewesen sein, die "tapfere Begleiterin auf allen meinen Wegen"?

Sie hat komponiert, und durch Mahlers Empfehlung kamen ihre Lieder sogar in den Druck und aufs Podium; aber selbst die Feministen haben nicht riskiert, mit dem mulmigen Dilettantismus über die Behauptung hinaus, "es hätte die Komponistin Alma geben können", bis zu jenem Verständnis vorzupreschen, das ihr entwaffnendes Selbstverständnis war: "Ich halte nichts von seiner Kunst, aber sehr viel von meiner." Sie hat auch "geschrieben", nämlich "Mein Leben", also das ganze bekannte Vom-einen-zum-andern, Ergebnis des nach Mahlers Tod gefaßten Entschlusses, "künftig nur für mein eigenes Wohlergehen und für die Verwirklichung meiner Ziele Sorge zu tragen".

Was für Ziele? Ihre "Selbstverwirklichung" hatte er, nach dem ewigen Weh und Ach ihres Tagebuchs, immer schlimm behindert - was kam nun, endlich unbehindert, dabei heraus?

Ihr Selbstbild als Freudenquell und Trostglucke ihrer Männer überstand ungebrochen alle Schicksale, die sie nornenhaft zusammenstrickte: Sie hatte, selbstlos und aufopfernd, immer weit mehr zu geben gehabt, als zu nehmen, und am Ende, ex eventu überschaut, steht die Frage immer noch da, was das denn nun gewesen sei - außer dem bißchen Unterleib. Gerechterweise muß man sagen: Sie hat, das sonst Eindeutige irritierend, auch über Mahler geschrieben - ähnlich wie über ihr Leben zwar nur, retuschierend, unbekümmert fälschend auch, formlos nach ihrem Bilde umformend, aber doch. Inzwischen sind zwei Biographien über sie erschienen, die gnadenlos mit ihrer Selbststilisierung aufräumen. Aber ihr "Leben mit Gustav Mahler" ("Erinnerungen und Briefe", 1940) bleibt trotz ihres eigenartigen Umgangs mit der Wahrheit (den man in milderen Stunden durchaus "natürlich" finden könnte, verstehbar und verzeihlich) ein unschätzbares Dokument.

Es herrscht darin, gerade durch ihre vollkommene Unfähigkeit, irgend etwas Zusammenhängendes zu denken und darzustellen, eine Unmittelbarkeit, die ganz unvergleichlich Nähe schafft und aufbewahrt: Nur wenigen Biographien ist solche Wirkung beschieden und zu danken. Anders als die unverschämte Elisabeth Förster, anders auch als die strategisch schaltende Cosima Wagner hat Alma Mahler ihre Erinnerungen einfach so ausfließen lassen, wie sie in ihrem Wirrkopf - und ihrem Tagebuch - herumlagen, und so auf ganz eigene Art die vernichtende Zeit besiegt. Von ihren Kräften als Zauberfrau ist dies wohl das einzig Magische, das bleibt, und ihre eigentliche Lebensleistung.

Sie ist um so wertvoller, als ihre Verfälschungen nun, ein halbes Jahrhundert später, korrigiert, ihre Entstellungen erkannt und aufgehoben werden konnten, und was das ermöglichte, sei ihrer albernen Eitelkeit denn doch auch zum Guten angerechnet: daß sie die Materialien - neben den Briefen vor allem ihr Tagebuch - der Nachwelt erhalten hat. Mahlers Briefe an sie, von denen sie 159 veröffentlicht hatte (davon nur 37 unverändert), liegen in der Neuausgabe nun in ihrem Gesamtbestand vor: 349 Schriftstücke, akkurat ediert und kommentiert. Die Herausgeber Henry-Louis de La Grange und Günther Weiß haben sie durch erzählende Partien verbunden und überbrückt, in denen Überlieferungskritik, Kommentar und ergänzende Lebensdokumente zusammenkommen, so daß der Kontext nicht aus Nebenliteraturen herbeigelesen werden muß und der Textfluß einer vollständigen Biographie entsteht: eine ausgezeichnete Form.

Die Briefe selbst sind - gerade da, wo sie nicht, wie zu Anfang, wie zum Schluß, Gefühlserklärungen sind, sondern erzählender Ergehens- und Erlebnisbericht - wahre Liebesbriefe; Zitate gehören darum nicht in eine Zeitung. Mahler hat von seinen Konzertreisen tagtäglich nach Hause geschrieben, und seine Mitteilungen dokumentieren unschätzbar nicht nur Lebensfakten, sondern auch die inneren Bewegungen seines Lebensgefühls. Seine Gedanken kreisten, so sieht man da, unablässig um die Nicht-Mitreisende und suchten sich ihrer Ferne nah zu halten, beschwörend manchmal, meist mit gelassenem Humor, hinter dem sich der Schmerz der Enttäuschung, wohl auch über ihre Antworten, verbarg. Die Antworten sind nicht erhalten, von Alma vernichtet; sie mögen, umfassend vermutet, wohl "enttäuschend" gewesen sein.

Warum reiste sie nicht mit, wie er's sich immer wieder wünschte? In ihren "Erinnerungen" verwuseln sich mit wirtschaftlichen Gründen die ewig-üblich-andern: "der Haushalt", "die Kinder", ihrer Trägheit beide zur Last; aber fürs Haus hatte sie zwei Dienstmädchen und für die Töchter eine englische Gouvernante, und so bleibt auch das beteuerte Sparenmüssen noch einiger Untersuchungen wert. "Was heißt das nur: ich habe noch nichts gearbeitet, seitdem! Jetzt gehe ich arbeiten etc. etc. - Was ist das für eine Arbeit? Componieren? - Dir zum Vergnügen oder den Besitz der Menschheit zu vermehren?" Der zwanzig Seiten lange Brief Mahlers vom 19. Dezember 1901, aus der ersten Zeit der Beziehung also, ist besonders bemerkenswert: Die darin enthaltene Individualitätskritik hält dazu an, das kritische Element in den späteren viel deutlicher zu sehen, als es Alma mit ihrer zensierten Auswahl bisher ermöglichte.

Mahler war sich ihrer ewigen Krisen auch später durchaus bewußt, übersah sie keineswegs in der Abgezogenheit seines immer gehetzten Lebens. Er versuchte sie nur, ein Werbender bis zuletzt, der ihr "unbewehrt sein ganzes Herz geboten", behutsam aus "Trotz" und "Stolz" zu jenem Gefühl zu leiten, das sie lebenslang so großspurig auf der Zunge führte und doch nie kennenlernte. Es hieß wohl wirklich alles nur etc. etc.

Ihr dauernd träge zwischen Unterwerfungs- und Beherrschungsphantasien hin und her trödelndes Gemüt, immer unzufrieden mit sich, immer auf der Suche nach einem Schuldigen, dem sie ihr Versagen als Verhinderung anlasten konnte, ihre Problem-Inszenierungen (vulgo "Nörgeln"), ihre lächerliche "Kur"-Bedürftigkeit mit grad' dreißig Jahren - all das hat der angeblich so jähe Mahler, dessen Leben tagtäglich mit wirklichen Problemen und wirklichen Verhinderungen zu schaffen hatte, ersichtlich mit unbegrenzter Langmut ertragen und zu moderieren gesucht. Der "Macho" ist ihre Legende, plausibel verbündet nur mit jener der sich lediglich aus dem Opernbetrieb erinnernden Zeitgenossen; die Tochter Anna wußte es besser und entsann sich seines Wesens einfach und unmittelbar - "wie ich ihn als Kind kannte" und wie ihn nun auch die Briefe insgesamt erkennen lassen: "entspannt, feinfühlig, humorvoll, unendlich klug und verständnisvoll . . .".

Für sich stehen die Zeugnisse der letzten Zeit. Daß Alma mit Mahlers frühem Tod ein dunkler Zusammenhang verband, war im Wien der beiden Folgejahrzehnte hinter vorgehaltenen Händen immer leise wie laut zu hören: Canetti erblickte sie in Kokoschkas Lucrezia-Porträt als "die Mörderin des Komponisten", und auch Adorno wies ihr die Schuld an Mahlers Tod persönlich zu (wie überdies noch an dem Alban Bergs, als "unterlassene Hilfeleistung"); sie selber spürte, daß Mahlers "alte Freunde glaubten, ich hätte etwas zu verbergen". In der Tat verbarg sie in ihren späteren Publikationen noch mehr, als ihre Geltungssucht darin enthüllte, und erst jetzt läßt sich, was in Toblach 1910 geschah, einigermaßen überschauen. Die Katastrophe der Ehe ist heute noch herzangreifend, sosehr sie oberflächlich ein Dutzendschicksal war; sie zeigt sich aber auch, da Leiden, die der Jedermann kennt, bei Ausnahmemenschen mit Sicherheit auch ein Ausnahmemaß erreichen, dem einfachen Mitgefühl versperrt, und die subtile Beschreibung (zu der der Psychoanalytiker Stuart Feder 1978 angesetzt hat) bleibt eine künftige Aufgabe.

Während Mahlers Werk-Ego seinen größten Triumph vorbereitete, die Uraufführung der VIII. Symphonie, regredierte sein empirisches Ich auf die Stufe des "Gymnasiasten" - so konnte er's selber einschätzen und Energie genug dagegen entfalten, um zu Freud zu reisen, der in einem Vier-Stunden-Spaziergang einige seiner Liebesbedingungen aufdeckte und "Anlaß hatte, die geniale Verständnisfähigkeit des Mannes zu bewundern". Es scheint, daß die analytische Hilfe Mahler eine Verhaltensstützung verschaffte; sie konnte aber mehr als eine Symptomkur nicht sein, bloße "Beschwichtigung der Gedanken" vor dem Abgrund der Erkenntnis, in Wesen wie Werk nie geliebt worden zu sein.

Das Zuschnürende der Angst, "eine Fackel ohne Luft" zu werden, blieb unter der rationalen Arbeit lauernd erhalten, und während Alma sich mit ihrem Liebhaber Gropius im Hotel traf, stand Mahler auf dem Probenpodium und hörte aus der ihr gewidmeten Komposition den Pater profundus als die eigene Tiefenstimme: "Mein Inn'res mög' es auch entzünden, / wo sich der Geist verworren, kalt, / verquält in stumpfer Sinne Schranken, / scharf angeschloss'nem Kettenschmerz . . ." Ins Somatische übersetzt, ein Anticipando noch einmal, hieß das befehlend: Angina; Endocarditis; schließlich Sepsis. Die Urheberin überschätzte, wie alles an sich, auch ihre Täuschungsfähigkeit; Mahler hat mehr "gewußt", als ihre halbherzig erzeugten Liebes-Illusionen zudecken konnten, und das war sein Tod. Und sein Sterben begann nicht 1907 mit der Herzdiagnose, die sie, tateinsichtig, immer so sehr übertrieben hat, sondern im August 1910 - mit jenem Brief, dessen Fehladressierung Gropius noch im Alter "ein Versehen" nannte . . .

Thomas Mann fand die Zeugnisse, soweit sie ihm aus Almas Buch bekannt wurden, "peinlich"; tatsächlich fordern sie vom Lesenden auch das schlechte Gewissen des Lauschers. Aber sie mußten ans Licht, weil sie nicht zuletzt der Aufklärung auch einer Werksgeschichte dienen. Die Mahler-Kenntnis in Deutschland hat noch viele Desiderate: die große dreibändige Biographie des Herausgebers La Grange (Paris 1979 bis 1984), Ergebnis jahrzehntelanger Recherche, sollte endlich übersetzt, Knud Martners tagesgenaue Lebenschronik endlich gedruckt - und Almas Tagebuch wenigstens für die Jahre bis 1911 vollständig ediert werden.

Dies letzte nicht, um zum abermalstenmal "das schönste Mädchen von Wien" zu kolportieren oder ihren späteren Lebenslauf, als sie "das Wandern in Seelen nun meine Lust" nannte und Mahlers Werk "schon fast nicht mehr wahr". Sondern damit sie dann endgültig abgelegt werden kann. Viele Gefährtinnen bleiben stumm im Schatten großer Männer, zu Unrecht unscheinbar, zu wenig gewürdigt; diese hier, die eitle, abstoßend vorlaute, sollte endlich hinein. Ein Monstrum? Nur eine Mißgeburt der Weltkraft "allmächtige Liebe, / die alles bildet, alles hegt"?

Es bleibt sicher, nach dem Lauschen hier, auch die unheimliche Frage, was denn nun ein Mensch gefühlt habe, der so fühllos lebte, was unter "Liebe" verstand, wer so liebelos war . . . Aber das ist vorbei und, vernichtende Antwort, zuletzt gleichgültig geworden. Was verbindet sie noch mit Mahler? Das Gefühl, das er auf sie projizierte? Es prallte schon damals von ihr ab, verschwand spurlos in ihrer Leere. Das Werk, das ihr gewidmet war - die fünfte, die achte Symphonie, gar die zehnte, in der sie mit Namen gerufen wurde? Sie dekorierte sich, Canetti hat es böse genau beschrieben, mit der abgründigen Trauer darin, verstand den Text als eine Art Sinfonia Domestica mit tragischem Akzent, begriff nichts von seinem geistigen Gehalt - und schon gar nichts von dem Nichts und der Vernichtung, von denen er redet und transzendiert ist. Und wenn sie je einen wahren Satz geschrieben hat, dann ganz am Ende ihres Lebens den, der den Anfang wieder aufgriff: "Ich habe Mahlers Musik nie wirklich geliebt . . ."

Der Herausgeber der kritischen Werkausgabe hat bei der Achten die Widmung getilgt: Textkorrektur eines wahrhaftigen Druckfehlers, wie sie besser nicht begründet sein könnte; mit der Zehnten bleibt Alma freilich unkorrigierbar verbunden: sie hat das Werk nicht bewirkt, aber vereitelt - und dem "Besitz der Menschheit" wahrlich nicht gedient . . . Was verbindet sie noch? Mahlers Briefe, die nur "für sich" sprechen und die ihren bereits losgeworden sind, ermöglichen nicht zuletzt dies: daß die beiden Namen wieder die Distanz erhalten, die sein Gefühl so irrtümlich aufhob, und Almas "unendliche Ferne" wiederhergestellt wird, die immer die Wahrheit war. Es könnte wohl keine größer sein.

"Ein Glück ohne Ruh". Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Herausgegeben und erläutert von Henry-Louis de La Grange und Günther Weiß. Siedler Verlag, Berlin 1995. 575 S., 80 Fotos und Faksimiles, geb., 58,- DM.

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