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»Lange nicht mehr habe ich mit angehaltenem Atem gelesen. Savyon Liebrecht ist einfach eine Künstlerin, der Geschichten, des Wortes, der Menschen und ihrer Beziehungen - und sie bietet dem Leser eine verblüffende, aufrüttelnde menschliche und literarische Erfahrung.« Orit Harel in 'Ma'ariv'
Die Spannung zwischen Menschen und Orten und ein Gefühl realer, ja existentieller Entfremdung verbindet diese sieben Erzählungen, die jeweils den Namen eines Ortes als Titel haben: Amerika, Kibbuz, Hiroshima, Tel Aviv, München, Jerusalem und, schließlich, ein Nicht-Ort, an dem die Attribute von Orten…mehr

Produktbeschreibung
»Lange nicht mehr habe ich mit angehaltenem Atem gelesen. Savyon Liebrecht ist einfach eine Künstlerin, der Geschichten, des Wortes, der Menschen und ihrer Beziehungen - und sie bietet dem Leser eine verblüffende, aufrüttelnde menschliche und literarische Erfahrung.« Orit Harel in 'Ma'ariv'

Die Spannung zwischen Menschen und Orten und ein Gefühl realer, ja existentieller Entfremdung verbindet diese sieben Erzählungen, die jeweils den Namen eines Ortes als Titel haben: Amerika, Kibbuz, Hiroshima, Tel Aviv, München, Jerusalem und, schließlich, ein Nicht-Ort, an dem die Attribute von Orten keine Bedeutung mehr haben, weil alles Vertraute zerstört ist: Ein guter Platz für die Nacht. An diesen Orten ereignen sich Begegnungen, in denen Menschliches, Historisches, Geschlechtliches, Schicksalhaftes sich wie in einem Brennglas bündelt. - In allen Erzählungen ist jemand fern von zu Hause, doch dieses Zuhause ist kein Ort wirklicher Zugehörigkeit, sondern eher ein Ort der Sehnsucht danach.

Eine junge Frau begegnet viele Jahre, nachdem die Mutter sie kurz nach der Geburt zurückließ, um ihrem Geliebten nach Amerika zu folgen, dessen Tochter aus erster Ehe und erfährt, dass Amerika nicht das gelobte Land für die Mutter war, sondern ein Alptraum, der sie in den Wahnsinn trieb; ein junger Mann, aufgewachsen im Kibbuz - das unverbrüchliche Symbol für Freiheit und Gleichheit -, entdeckt nach vielen Jahren, was die Mitglieder des Kibbuz seinen Eltern antaten; ein israelischer Journalist, der in München über einen späten Prozess gegen einen alten Kriegsverbrecher berichten soll und Zeuge anti-muslimischer Ausschreitungen wird, in deren Folge das muslimische Mädchen, das er begehrt, getötet wird - die ganze Welt, selbst vertrautes Terrain erscheint feindselig, bedrohlich, unbeherrschbar. In der titelgebenden Erzählung schließlich ist der Ort nur mehr eine Herberge, in der eine Handvoll Menschen nach einer namenlosen Katastrophe zu überleben versucht und schließlich dennoch hoffnungsvoll einen gloriosen Sonnenaufgang betrachtet.

Wie immer präpariert Liebrecht in klarer, ton- und temposicherer Sprache die tieferen, schmerzlichen, oft verborgenen Wahrheiten individueller Lebensläufe heraus, bringt das Innerste des Seins, der Seele, ans Licht.
Autorenporträt
Liebrecht, Savyon
Savyon Liebrecht wurde 1948 in München als Tochter polnisch-jüdischer Holocaustüberlebender geboren. Sie wuchs auf in Israel, studierte Philosophie und Literaturwissenschaft. Während ihres Militärdienstes begann sie zu schreiben, Theaterstücke und vier mit mehreren wichtigen Preisen ausgezeichnete Erzählungsbände. Ein Sammelband 'Äpfel aus der Wüste' liegt auf deutsch im Fischertaschenbuch Verlag (1995) vor. »Mein Schreiben ist das Ergebnis des Schweigens zwischen mir und meinen Eltern«, sagt Savyon Liebrecht und brach damit ein Tabu: sie fand eine Sprache für das Unsagbare. 'Ein Mann und eine Frau und ein Mann', ihr erster Roman, stand in Israel monatelang auf der Bestsellerliste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.2006

Und doch kein Zuhause
Katastrophisch: Savyon Liebrecht beschwört Orte jüdischen Lebens

Orte machen Vergangenheit berührbar und sind Mythos zugleich. Sie verändern die Menschen, und Menschen verändern sie. In Savyon Liebrechts Erzählband "Ein guter Platz für die Nacht" sind Orte und Landschaften die Fluchtpunkte, um die sich das Schicksal ihrer Protagonisten spannt. Der Wunsch und das trügerische Gefühl von Menschen, ihr Leben und ihre Erinnerung irgendwo anlehnen zu können, verbinden diese sieben Erzählungen, die jeweils den Namen eines Ortes tragen: Amerika, Kibbuz, Hiroshima, Tel Aviv, München, Jerusalem und abschließend ein apokalyptischer Ort, wo nach einer Katastrophe die Überreste der Pension "Ein guter Platz für die Nacht" an das Leben vor dem Untergang erinnern.

In "Amerika" erzählt Harissa, wie ihre Mutter sie als kleines Mädchen in der Wohnung zurückließ, um dem Geliebten nach Amerika zu folgen. Das Zuhause verwandelt sich in einen Ort des Rückzugs, der quälenden Fragen und Erinnerung. Sein Leid lindert das Mädchen durch seine eigene Wahrheit über die Beweggründe und das neue Leben der Mutter. Amerika ist die Quelle von Glück und Unglück zugleich. Viele Jahre später begegnet Harissa ihrer Halbschwester, die damals die Mutter begleitete, und durchlebt den Abschied erneut.

In "Tel Aviv" schließt die Ich-Erzählerin sich unerkannt der Architekturführung eines Kunstlehrers an. Der attraktive Mann hat eine Affäre mit ihrem Freund Roni. Als spräche er über seinen Geliebten, beschreibt er mit zärtlichen Worten die Stadt; die Gebäude, die Treffpunkte und Verbündete der heimlichen Liebe sind, verkörpern in den Augen der Erzählerin den Verrat; ihre eigene Liebe hat nur Bestand, wenn sie das Doppelleben ihres Freundes Roni akzeptiert.

In einer Zeit, in der die Landschaften des europäischen Judentums größtenteils nur noch in der Erinnerung, in Fotografien und phantasierten Gebilden existieren, widmet sich Savyon Liebrecht den Lebensorten einer Generation, deren Vorfahren aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Den Schrecken der Vernichtung kennt sie selbst nicht. Doch als lebte die Suche der entwurzelten Eltern und Großeltern nach einem neuen Zuhause in ihren Kindern fort, ist ihre Welt von existentieller Entfremdung geprägt: Unerwartete Begegnungen, Grenzsituationen und eine eigentümliche Magie der Orte, die Savyon Liebrecht als metaphysische Kraft, bestehend aus Vorhersehung und Schicksal, inszeniert, schmieden und belasten das Band, das ihre Protagonisten an ihren Lebensorten hält. Erinnerungen sind ihnen eine "Last", ein "Bohren", das alles Gute im Leben dämpft.

Die Figuren sind zwischen dem Haß und der Liebe zu einem Ort hin und her gerissen; dauerhafte Bindungen gelingen erst dann, wenn der Lebensort zum Zuhause wird: "Sagt das Maß an Liebe, das ein Mensch für eine Stadt empfindet, etwas aus über seine Fähigkeit, einen Menschen zu lieben?" Ein Gefühl von Heimat entwickeln Savyon Liebrechts Protagonisten jedoch kaum. Was ihnen als Zuhause erscheint, zerbricht. Der Entwurzelung versuchen sie durch die Gewißheit neuen Lebens zu entkommen.

In "Hiroshima", der stärksten Erzählung, begegnet die Protagonistin dem Leser an anderer Stelle noch einmal: Die junge Studentin Idit zieht nach Hiroshima, weil ihre unglückliche Liebe Nathan sich einst für die Stadt begeisterte. Der Sog des Fremden nimmt sie gefangen und schützt sie vor der schmerzhaften Erinnerung an ihr bisheriges Leben. Im Zwiegespräch mit Nathan durchstreift sie die Straßen, ihre Wohnung schmückt sie mit Landschaftsbildern. Einmal bleibt ihr Blick an dem Kalenderblatt einer Flußlandschaft hängen, ihre Gedanken metaphorisieren das wechselvolle Spiel zwischen der Hoffnung auf einen Neuanfang und schmerzvollem Verlust, das alle Figuren in dieser Erzählwelt bestimmt.

Wie bereits in ihrem zuletzt in Deutschland erschienenen Erzählband "Äpfel aus der Wüste" beschreibt die in Israel lebende Autorin die Schoa und die jüdisch-arabische Misere als selbstverständlich gewordenen Teil der jüdischen Identität, der alle Lebensbereiche durchdringt. Meldungen über Bombenattentate sind alltäglich, eine Liebesbeziehung zu einem Araber ist nicht ungewöhnlich, nur kompliziert. Nur in "München" wird die Erinnerung an den Holocaust ausdrücklich zum Dreh- und Angelpunkt der Handlung: Der Ich-Erzähler ist Journalist und reist nach Deutschland, um über den Prozeß gegen einen NS-Verbrecher zu berichten. Er kann seine unguten Empfindungen nur beherrschen, indem er sich der Schönheit der Stadt verschließt.

Das gekonnte Spiel mit Symbolen und überhaupt einer bilderreichen Sprache weicht ganz am Ende des Bandes einer strengen Schwere; beinahe plakativ sind die Worte, mit denen hier das apokalyptische Szenario in der titelgebenden Erzählung "Ein guter Platz für die Nacht" entworfen und dabei auf das Schicksal des jüdischen Volkes, seine Entwurzelung und Suche nach Ankunft und Identität metaphorisch verwiesen wird: Eine Katastrophe hat alles Lebende vernichtet. Inmitten der verseuchten Landschaft finden sich fünf Überlebende zusammen. Ihre Bräuche und Sprachen verstehen sie nicht; was sie eint, ist der Verlust von Heimat und Familie.

Die 1948 in München geborene Autorin, deren polnische Eltern den Vernichtungslagern entkamen und nie über das Erlebte sprachen, sagt über ihr Schreiben, daß es das Ergebnis des Schweigens sei. Sie läßt dafür die Orte um so beredter sprechen.

KAREN KRÜGER

Savyon Liebrecht: "Ein guter Platz für die Nacht". Sieben Erzählungen. Aus dem Hebräischen von Vera Loos und Naomi Bir-Bleimling. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 297 S., br., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine Beschwörung von Orten jüdischen Lebens findet Rezensentin Karen Krüger in den vorliegenden Erzählungen Savyon Liebrechts, die 1948 als Tochter von Holocaustüberlebenden in München geboren wurde. Heute fast nur in der Erinnerung oder in Fotografien existierende Landschaften des Judentums sieht Krüger im Zentrum der Erzählungen. Dabei wird für sie die Suche von Liebrechts entwurzelten Eltern nach einem neuen Zuhause spürbar. Krüger schildert Liebrechts Figuren als hin- und hergerissen zwischen dem Hass und der Liebe zu einem Ort, dauerhafte Bindungen gelängen ihnen kaum. Lob streicht die Autorin für ihr "gekonntes Spiel mit Symbolen" sowie ihre "bilderreiche Sprache" ein, die ganz am Ende des Bandes einer "strengen Schwere" weiche.

© Perlentaucher Medien GmbH