Vor einigen Jahren habe ich “Mein Leben ohne Gestern” (in der Neuauflage “Still Alice” wie das englische Original) von der Autorin gelesen, und es hat mich im Innersten berührt und seitdem nicht mehr losgelassen. Deshalb mußte ich dieses Buch unbedingt lesen – und es hat mich genauso berührt:
Joe
O'Brien ist Polizist in Boston, hat seine Frau Rosie früh geheiratet, und jetzt mit Mitte 40 sind…mehrVor einigen Jahren habe ich “Mein Leben ohne Gestern” (in der Neuauflage “Still Alice” wie das englische Original) von der Autorin gelesen, und es hat mich im Innersten berührt und seitdem nicht mehr losgelassen. Deshalb mußte ich dieses Buch unbedingt lesen – und es hat mich genauso berührt:
Joe O'Brien ist Polizist in Boston, hat seine Frau Rosie früh geheiratet, und jetzt mit Mitte 40 sind ihre vier Kinder erwachsen. Da bricht von heute auf morgen das Unheil über die Familie herein: Joe wird genpositiv für Chorea Huntington diagnostiziert, und erst mit der Zeit wird ihm klar, daß seine Mutter dieselbe Krankheit gehabt haben muß, aber weil alle sie für eine Trinkerin gehalten haben, hat sich nie jemand darum gekümmert. Anscheinend jedenfalls. Jetzt muß er sich mit seiner Krankheit auseinandersetzen, mit ihr leben – und am Ende auch mit ihr sterben.
Chorea Huntington ist eine unheilbare dominant-erbliche Erkrankung, eine Mutation auf dem kurzen Arm von Chromosom 4. Wikipedia kommentiert: “Chorea Huntington ist eine Trinukleotiderkrankung: In der repräsentativen Normalbevölkerung wiederholt sich das Basentriplett CAG circa 16- bis 20-mal, bei Kranken 36- bis zu 250-mal. Bei einer Wiederholung von 27-35 liegt eine Erhöhung vor, ohne dass sich die Krankheit entwickelt. Bei Menschen mit einer Anzahl von 36 bis 39 CAG-Wiederholungen gilt eine Ausnahme zur vollständigen Penetranz der Krankheit, das heißt, nicht alle Menschen dieses Genotyps entwickeln die Krankheit, und auch nach einem Gentest sind keine definitiven Vorhersagen möglich.”
Hier erzählt Lisa Genova die Geschichte der O'Briens – und man ist von Anfang an mitten im Geschehen. Weil Huntington dominant vererbt wird, wird jedes Kind, das das mutierte Gen geerbt hat, auch die Krankheit entwickeln. Joes Kinder wissen also schon früh, daß sie eine 50%ige Chance haben, so zu enden wie ihr Vater. Jeder geht damit anders um: Die einen wollen es sofort wissen, andere kämpfen darum, was sie tun sollen – und wieder andere wollen es nicht wissen. All diese Möglichkeiten werden im Buch thematisiert. Als Leser kann man gar nicht umhin, sich selbst zu fragen: Wie würde ich handeln? Das macht das Buch so persönlich. Dazu kommt noch, daß man die unterschiedlichen Figuren in ihrem Ergehen, Denken und Fühlen begleitet. Man kann aufgrund der Beschreibung der Charaktere ihr Handeln nachvollziehen, und die einzelnen Personen nehmen Form an und wachsen einem ans Herz.
Jedes der Kinder ist anders, hat einen anderen Lebensstil, einen anderen Beruf, andere Ansichten und handelt entsprechend anders. Die Familie wirkt real, überzeugend und echt. Und gerade das läßt einen als Leser so mitfühlen. Und dann beginnt Joes Leidensgeschichte. Anrührend erzählt verfolgt man die Entwicklung der Krankheit, die Reaktionen der Umwelt und seinen eigenen Kampf gegen die in ihm wütende Krankheit. Und nicht nur seinen Kampf, auch den seiner Kinder, die entscheiden müssen, ob sie sich auf die Krankheit testen lassen wollen oder nicht.
Dieses Buch ist wieder ein Meisterwerk von Lisa Genova. Wenn ich sagen würde, es hat mich gut unterhalten, trifft das den Punkt nicht richtig. Man ist nicht „unterhalten“, man zittert und bebt mit den Figuren und muß sich mit Gewalt vom Buch losreißen. Das Thema ist nicht einfach, aber es ist gut, wenn es zur Sprache kommt und öffentliche Aufmerksamkeit findet. Herz und Verstand sind gleichermaßen angesprochen. Ein Muß für jeden!