Wie prägt das Pflegen einen Menschen, wie prägen ihn die Gepflegten? Nach seinem Buch »Pflegeprotokolle« (2021), in dem er Berichte über die Care-Arbeit anderer protokollierte, widmet sich Frédéric Valin nun in einem autobiografisch gefärbten Roman der eigenen Pflegetätigkeit. Sieben Jahre lang arbeitet der Protagonist auf einer Gruppe mit Menschen, die als geistig behindert gelten, und lernt dabei nicht nur die Bewohner_innen kennen, sondern auch etwas über die Macht, die ihm übertragen wird, die Machtlosigkeit der Bewohner_innen, er hinterfragt die Mechanismen des Pflegesystems und die gesellschaftlichen Gewissheiten über Krankheit, Behinderung und Tod - und er wird dabei selbst sensibler seiner Umwelt gegenüber.»Ein Haus voller Wände« ist mehr als ein Bericht von einer Arbeit, das Buch umkreist die verschiedenen Aspekte, die sich in der kleinen Wohngruppe zeigen. Darüber aber vergisst es die Menschen nicht, die hier zusammenkommen und ihre schönen, traurigen, lustigen Momente teilen. So entsteht ein bewegender Roman zu einem der drängendsten Probleme unserer Zeit.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Dieses Buch von Frédéric Valin ist eine wichtige Reflexion über den problematischen Umgang dieser Gesellschaft mit Menschen, die als "geistig behindert" eingestuft werden, schreibt Rezensentin Beate Tröger. Ihr fällt dabei auf, dass der Autor von Beginn an die Frage aufwirft, wie man überhaupt adäquat über dieses Thema schreiben könne, und selbst gerne eine differenziertere Art der Ausdrucksweise finden würde. Auch stellt er fest, wie schwierig es ist, einerseits persönlich über die Betroffenen zu schreiben, gleichzeitig strukturelle Problematiken aufzudecken, so die Rezensentin. Valin berichtet aus eigener Erfahrung, er hat selbst eine Wohngruppe betreut und prangert in vielerlei Hinsicht an, was er dort erlebt hat, beispielsweise die Isolation der Bewohnenden und deren Ausbeutung während ihrer Arbeit in Werkstätten. Seinen Erfahrungsbericht bettet Valin politisch und historisch ein, lobt Tröger. So kritisiert er beispielsweise das Streikverbot für Pflegekräfte. Sein Stil erinnert die Rezensentin teilweise an Günter Wallrafs Reportagen. Dabei folgt er einer "Poetologie des Dokumentarischen" und fundiert sein politisches Anliegen durch detaillierte Recherche- und sorgfältige Quellenarbeit, schließt die Kritikerin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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