Helmut Schmidt nannte sie einen "Meilenstein", der DGB-Vorsitzende Heinz-Oskar Vetter die größte Enttäuschung seiner Amtszeit. An der Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Aufsichtsrat schieden und scheiden sich die Geister, hat sie ihre historischen Wurzeln doch in ganz unterschiedlichen Traditionen und Denkrichtungen. Die Kontroversen um die industriellen Beziehungen sind so aktuell wie nie: Neue Formen der Arbeit fordern die Mitbestimmung heraus.
Christian Testorf beleuchtet die Entstehung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat und ordnet sie in die politische Geschichte der Bundesrepublik der 1970er Jahre ein. War die Mitbestimmung ein Teil der Demokratisierungseuphorie der sozial-liberalen Ära? Oder doch ein politischer Kompromiss einer Regierung ohne Ideen? Ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Anteilseignern und Arbeitnehmern im Unternehmen, die seit der Finanzkrise von 2008 wieder an Bedeutung gewinnt, wirklich typisch für Deutschland?
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Christian Testorf beleuchtet die Entstehung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat und ordnet sie in die politische Geschichte der Bundesrepublik der 1970er Jahre ein. War die Mitbestimmung ein Teil der Demokratisierungseuphorie der sozial-liberalen Ära? Oder doch ein politischer Kompromiss einer Regierung ohne Ideen? Ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Anteilseignern und Arbeitnehmern im Unternehmen, die seit der Finanzkrise von 2008 wieder an Bedeutung gewinnt, wirklich typisch für Deutschland?
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2017Die böse Saat: Gewerkschaftsstaat?
Entstehungsgeschichte des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Jahr 1976
In einer Grundsatzrede am 6. Oktober 1965 kündigte der damalige Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ludwig Rosenberg, eine neue Initiative der Gewerkschaften für eine gesetzliche Regelung der Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland an. Die Demokratisierung der Wirtschaft, so Rosenberg, sei die Ergänzung und Vollendung der politischen Demokratie. "Wenn es wahr ist, dass die Wirtschaft unser Schicksal ist, dann ist es notwendig, dass wir alle über unser Schicksal mitbestimmen." Die moderne Wirtschaft erfordere eine gegenseitige Kontrolle von politischer und wirtschaftlicher Macht, damit Deutschland nicht noch einmal der Gefahr eines Missbrauches der Macht ausgesetzt werde. Mit der Rede Rosenbergs begann ein maßgeblich von den deutschen Gewerkschaften vorangetriebener Prozess, der mit dem am 4. Mai 1976 in Kraft getretenen Mitbestimmungsgesetz seinen Abschluss fand.
Die Idee der Mitbestimmung war keineswegs neu. Ausgelöst durch den aus der Not entstandenen wirtschaftlichen Korporatismus im Rahmen des so genannten "Vaterländischen Hilfsdienstes" während des Ersten Weltkrieges, war schon in der Weimarer Republik über verschiedene Konzepte der "Wirtschaftsdemokratie" diskutiert worden. Der Begriff stand spätestens seit der 1928 vom damaligen Leiter der Forschungsstelle Wirtschaftspolitik beim Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund, Fritz Naphtali, mit dem Titel "Wirtschaftsdemokratie" publizierten Schrift zur Debatte. Für Naphtali war die Wirtschaftsdemokratie ein Schritt auf dem Weg in einen demokratischen Sozialismus. Nach 1945 wurden diese Ideen durch die Montan-Mitbestimmung und das Betriebsverfassungsgesetz umgesetzt. Schon in den 1950er Jahren hatten die Gewerkschaften Versuche unternommen, diese Gesetze auf die gesamte Wirtschaft zu übertragen. Dies erwies sich aber in der politischen und wirtschaftlichen Situation der 1950er Jahre als nicht durchsetzbar.
Die Initiative Rosenbergs löste 1965 eine intensive politische Diskussion aus. Die CDU war in der Frage der Mitbestimmung gespalten. Der Arbeitnehmerflügel der Partei, repräsentiert durch Bundesarbeitsminister Hans Katzer, stand den gewerkschaftlichen Forderungen grundsätzlich positiv gegenüber. Dagegen lehnte der Wirtschaftsflügel der Partei eine über die Montanindustrie hinausgehende Ausweitung der Mitbestimmung grundsätzlich ab. Hier befürchtete man das Ende der Sozialen Marktwirtschaft Erhardscher Prägung und die Entstehung eines Gewerkschaftsstaates. Ähnlich war zumindest bis 1969 die Position der FDP.
Aber auch die SPD stand den Gewerkschaftsforderungen keineswegs nur positiv gegenüber. Vor allem Helmut Schmidt, aber auch Willy Brandt waren nicht bereit, die Forderungen der Gewerkschaften vorbehaltlos zu unterstützen. Dies führte ab 1966, als die SPD Regierungspartei wurde, mehrfach zu heftigen Konfrontationen mit den Gewerkschaften. Kaum überraschend waren es allerdings vor allem die Arbeitgeberverbände, die gegen das Gewerkschaftsprojekt zu Felde zogen. Auch sie waren gegen das Prinzip der Wirtschaftsdemokratie, weil es aus ihrer Sicht im Widerspruch zur für eine Marktwirtschaft konstitutiven und zudem im Grundgesetz kodifizierten Eigentumsgarantie stand. Beide, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, versuchten die Öffentlichkeit für ihre Positionen durch breit angelegte und teure Anzeigenkampagnen zu gewinnen.
Eine bislang wohl kaum beachtete Rolle spielten die Kirchen in der Debatte. Insbesondere die protestantische Kirche hatte sich in der Weimarer Republik sehr skeptisch gegenüber gewerkschaftlichen Forderungen gezeigt, war sie doch insbesondere im Bürgertum verankert. Dies änderte sich langsam in den 1950er Jahren. Dagegen stand die katholische Kirche der Mitbestimmung grundsätzlich positiv gegenüber. Schon der Bochumer Katholikentag von 1949 hielt fest, dass das Mitbestimmungsrecht "ein natürliches Recht in gottgewollter Ordnung" sei. Vertreter der katholischen Soziallehre - wie Oswald von Nell-Breuning - unterstützen daher das gewerkschaftliche Projekt und wirkten damit nicht zuletzt auf den Arbeitnehmerflügel der CDU ein. Von besonderer Bedeutung war, dass die Gewerkschaften selbst die größte Bedrohung für die Mitbestimmung von außen sahen, nämlich von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Europäische Kommission hatte ihrerseits in der Mitte der 1970er Jahre einen Entwurf für eine Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat von Unternehmen vorgelegt, der allerdings lange nicht so weit ging wie die Vorstellungen der deutschen Gewerkschaften. Noch problematischer aus deutscher Gewerkschaftssicht war, dass die Gewerkschaften anderer europäischer Länder, insbesondere Frankreichs und Italiens, das Konzept der Mitbestimmung grundsätzlich ablehnten. Die französischen Gewerkschaften betonten, dass die Mitbestimmung den Arbeitnehmern zwar gewisse Mitspracherechte im Unternehmen bringen würde. Gleichzeitig aber bedeutete sie auch, dass die Arbeitnehmer Verantwortung für das Unternehmen insgesamt übernehmen sollten. Dieser in der deutschen Tradition verwurzelte korporatistische Ansatz war den französischen wie auch den italienischen Gewerkschaftern fremd. Sie lehnten jede Form der Kooperation mit den Arbeitgebern ab und strebten einen grundsätzlichen Systemwechsel an. Korporatistische Konzepte wie die Mitbestimmung führten aus dieser Perspektive nicht zur Überwindung, sondern zur Festigung des marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems. Gleichwohl versuchte der DGB seit der Mitte der 1960er Jahre mit großem Aufwand, die europäische Partnerorganisationen für das deutsche Projekt zu gewinnen.
Überraschenderweise betont der Autor Christian Testorf, dass die generelle Tendenz zu einer Demokratisierung der Bundesrepublik Ende der 1960er Jahre keine Rolle für die Entstehung des Mitbestimmungsgesetzes gespielt hätte. Das Mitbestimmungsgesetz sei aus der Perspektive des DGB auch weniger ein Bestandteil einer gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung gewesen als vielmehr ein Projekt, bei dem es dem DGB darauf ankam, seine Rolle gegenüber kleineren Standesorganisationen zu stärken.
Angesichts dieser komplexen Gesamtsituation ist es geradezu erstaunlich, dass das Mitbestimmungsgesetz in der Bundesrepublik Deutschland doch noch in Kraft trat. Ein wichtiger Faktor war in diesem Zusammenhang die FDP, die bis Ende der 1960er Jahre die Forderungen der Gewerkschaften abgelehnt hatte. Dies änderte sich mit dem "Freiburger Programm", das stärker von sozialliberalen Ideen geprägt war. Gleichzeitig ging es den Liberalen aber immer auch darum, sich als eigenständiger, von der SPD und den Gewerkschaften unabhängiger Akteur zu präsentieren. Ihr war es in diesem Zusammenhang wichtig, den leitenden Angestellten, einer wichtigen Wählergruppe, ebenfalls ein Mitspracherecht zu garantieren. Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 sah daher für Kapitalgesellschaften mit über 2000 Beschäftigten eine Parität der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten vor. Allerdings musste unter den Arbeitnehmervertretern ein Delegierter leitender Angestellter sein.
Etwas überraschend ist es daher, dass der Autor von einem Scheitern der DGB-Politik spricht. Gemeint ist damit, dass die deutschen Gewerkschaften ihre in den 1960er Jahren formulierten Maximalforderungen nicht durchsetzen konnten, sondern insbesondere gegenüber den Regierungsparteien wichtige Kompromisse eingehen mussten. Dies jedoch dürfte in einem pluralistischen System eher die Regel als die Ausnahme sein. Hinzu kommt, dass auch der Versuch der Arbeitgeberverbände scheiterte, das Gesetz durch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall zu bringen. Dieses kam in seinem Urteil vom 1. März 1979 zu dem Schluss, dass die Mitbestimmung in den Unternehmen mit dem Grundgesetz konform sei.
Die Studie von Christian Testorf untersucht die politischen Verhandlungen um das Mitbestimmungsgesetz auf breiter Quellenbasis und ordnet sie vor allem in überzeugender Weise in die lange Debatte um die Wirtschaftsdemokratie in Deutschland ein. Auch wenn dies bisweilen etwas detailverliebt und langatmig beschrieben wird, ist das kein geringes Verdienst.
GUIDO THIEMEYER
Christian Testorf: Ein heißes Eisen. Zur Entstehung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer von 1976. Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2017. 464 S., 42,- [Euro]
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Entstehungsgeschichte des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Jahr 1976
In einer Grundsatzrede am 6. Oktober 1965 kündigte der damalige Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ludwig Rosenberg, eine neue Initiative der Gewerkschaften für eine gesetzliche Regelung der Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland an. Die Demokratisierung der Wirtschaft, so Rosenberg, sei die Ergänzung und Vollendung der politischen Demokratie. "Wenn es wahr ist, dass die Wirtschaft unser Schicksal ist, dann ist es notwendig, dass wir alle über unser Schicksal mitbestimmen." Die moderne Wirtschaft erfordere eine gegenseitige Kontrolle von politischer und wirtschaftlicher Macht, damit Deutschland nicht noch einmal der Gefahr eines Missbrauches der Macht ausgesetzt werde. Mit der Rede Rosenbergs begann ein maßgeblich von den deutschen Gewerkschaften vorangetriebener Prozess, der mit dem am 4. Mai 1976 in Kraft getretenen Mitbestimmungsgesetz seinen Abschluss fand.
Die Idee der Mitbestimmung war keineswegs neu. Ausgelöst durch den aus der Not entstandenen wirtschaftlichen Korporatismus im Rahmen des so genannten "Vaterländischen Hilfsdienstes" während des Ersten Weltkrieges, war schon in der Weimarer Republik über verschiedene Konzepte der "Wirtschaftsdemokratie" diskutiert worden. Der Begriff stand spätestens seit der 1928 vom damaligen Leiter der Forschungsstelle Wirtschaftspolitik beim Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund, Fritz Naphtali, mit dem Titel "Wirtschaftsdemokratie" publizierten Schrift zur Debatte. Für Naphtali war die Wirtschaftsdemokratie ein Schritt auf dem Weg in einen demokratischen Sozialismus. Nach 1945 wurden diese Ideen durch die Montan-Mitbestimmung und das Betriebsverfassungsgesetz umgesetzt. Schon in den 1950er Jahren hatten die Gewerkschaften Versuche unternommen, diese Gesetze auf die gesamte Wirtschaft zu übertragen. Dies erwies sich aber in der politischen und wirtschaftlichen Situation der 1950er Jahre als nicht durchsetzbar.
Die Initiative Rosenbergs löste 1965 eine intensive politische Diskussion aus. Die CDU war in der Frage der Mitbestimmung gespalten. Der Arbeitnehmerflügel der Partei, repräsentiert durch Bundesarbeitsminister Hans Katzer, stand den gewerkschaftlichen Forderungen grundsätzlich positiv gegenüber. Dagegen lehnte der Wirtschaftsflügel der Partei eine über die Montanindustrie hinausgehende Ausweitung der Mitbestimmung grundsätzlich ab. Hier befürchtete man das Ende der Sozialen Marktwirtschaft Erhardscher Prägung und die Entstehung eines Gewerkschaftsstaates. Ähnlich war zumindest bis 1969 die Position der FDP.
Aber auch die SPD stand den Gewerkschaftsforderungen keineswegs nur positiv gegenüber. Vor allem Helmut Schmidt, aber auch Willy Brandt waren nicht bereit, die Forderungen der Gewerkschaften vorbehaltlos zu unterstützen. Dies führte ab 1966, als die SPD Regierungspartei wurde, mehrfach zu heftigen Konfrontationen mit den Gewerkschaften. Kaum überraschend waren es allerdings vor allem die Arbeitgeberverbände, die gegen das Gewerkschaftsprojekt zu Felde zogen. Auch sie waren gegen das Prinzip der Wirtschaftsdemokratie, weil es aus ihrer Sicht im Widerspruch zur für eine Marktwirtschaft konstitutiven und zudem im Grundgesetz kodifizierten Eigentumsgarantie stand. Beide, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, versuchten die Öffentlichkeit für ihre Positionen durch breit angelegte und teure Anzeigenkampagnen zu gewinnen.
Eine bislang wohl kaum beachtete Rolle spielten die Kirchen in der Debatte. Insbesondere die protestantische Kirche hatte sich in der Weimarer Republik sehr skeptisch gegenüber gewerkschaftlichen Forderungen gezeigt, war sie doch insbesondere im Bürgertum verankert. Dies änderte sich langsam in den 1950er Jahren. Dagegen stand die katholische Kirche der Mitbestimmung grundsätzlich positiv gegenüber. Schon der Bochumer Katholikentag von 1949 hielt fest, dass das Mitbestimmungsrecht "ein natürliches Recht in gottgewollter Ordnung" sei. Vertreter der katholischen Soziallehre - wie Oswald von Nell-Breuning - unterstützen daher das gewerkschaftliche Projekt und wirkten damit nicht zuletzt auf den Arbeitnehmerflügel der CDU ein. Von besonderer Bedeutung war, dass die Gewerkschaften selbst die größte Bedrohung für die Mitbestimmung von außen sahen, nämlich von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Europäische Kommission hatte ihrerseits in der Mitte der 1970er Jahre einen Entwurf für eine Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat von Unternehmen vorgelegt, der allerdings lange nicht so weit ging wie die Vorstellungen der deutschen Gewerkschaften. Noch problematischer aus deutscher Gewerkschaftssicht war, dass die Gewerkschaften anderer europäischer Länder, insbesondere Frankreichs und Italiens, das Konzept der Mitbestimmung grundsätzlich ablehnten. Die französischen Gewerkschaften betonten, dass die Mitbestimmung den Arbeitnehmern zwar gewisse Mitspracherechte im Unternehmen bringen würde. Gleichzeitig aber bedeutete sie auch, dass die Arbeitnehmer Verantwortung für das Unternehmen insgesamt übernehmen sollten. Dieser in der deutschen Tradition verwurzelte korporatistische Ansatz war den französischen wie auch den italienischen Gewerkschaftern fremd. Sie lehnten jede Form der Kooperation mit den Arbeitgebern ab und strebten einen grundsätzlichen Systemwechsel an. Korporatistische Konzepte wie die Mitbestimmung führten aus dieser Perspektive nicht zur Überwindung, sondern zur Festigung des marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems. Gleichwohl versuchte der DGB seit der Mitte der 1960er Jahre mit großem Aufwand, die europäische Partnerorganisationen für das deutsche Projekt zu gewinnen.
Überraschenderweise betont der Autor Christian Testorf, dass die generelle Tendenz zu einer Demokratisierung der Bundesrepublik Ende der 1960er Jahre keine Rolle für die Entstehung des Mitbestimmungsgesetzes gespielt hätte. Das Mitbestimmungsgesetz sei aus der Perspektive des DGB auch weniger ein Bestandteil einer gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung gewesen als vielmehr ein Projekt, bei dem es dem DGB darauf ankam, seine Rolle gegenüber kleineren Standesorganisationen zu stärken.
Angesichts dieser komplexen Gesamtsituation ist es geradezu erstaunlich, dass das Mitbestimmungsgesetz in der Bundesrepublik Deutschland doch noch in Kraft trat. Ein wichtiger Faktor war in diesem Zusammenhang die FDP, die bis Ende der 1960er Jahre die Forderungen der Gewerkschaften abgelehnt hatte. Dies änderte sich mit dem "Freiburger Programm", das stärker von sozialliberalen Ideen geprägt war. Gleichzeitig ging es den Liberalen aber immer auch darum, sich als eigenständiger, von der SPD und den Gewerkschaften unabhängiger Akteur zu präsentieren. Ihr war es in diesem Zusammenhang wichtig, den leitenden Angestellten, einer wichtigen Wählergruppe, ebenfalls ein Mitspracherecht zu garantieren. Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 sah daher für Kapitalgesellschaften mit über 2000 Beschäftigten eine Parität der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten vor. Allerdings musste unter den Arbeitnehmervertretern ein Delegierter leitender Angestellter sein.
Etwas überraschend ist es daher, dass der Autor von einem Scheitern der DGB-Politik spricht. Gemeint ist damit, dass die deutschen Gewerkschaften ihre in den 1960er Jahren formulierten Maximalforderungen nicht durchsetzen konnten, sondern insbesondere gegenüber den Regierungsparteien wichtige Kompromisse eingehen mussten. Dies jedoch dürfte in einem pluralistischen System eher die Regel als die Ausnahme sein. Hinzu kommt, dass auch der Versuch der Arbeitgeberverbände scheiterte, das Gesetz durch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall zu bringen. Dieses kam in seinem Urteil vom 1. März 1979 zu dem Schluss, dass die Mitbestimmung in den Unternehmen mit dem Grundgesetz konform sei.
Die Studie von Christian Testorf untersucht die politischen Verhandlungen um das Mitbestimmungsgesetz auf breiter Quellenbasis und ordnet sie vor allem in überzeugender Weise in die lange Debatte um die Wirtschaftsdemokratie in Deutschland ein. Auch wenn dies bisweilen etwas detailverliebt und langatmig beschrieben wird, ist das kein geringes Verdienst.
GUIDO THIEMEYER
Christian Testorf: Ein heißes Eisen. Zur Entstehung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer von 1976. Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2017. 464 S., 42,- [Euro]
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