Der Brieffreund, der Studienfreund, der "beste" Freund - es gibt viele Formen der Männerfreundschaft. Der Berliner Kulturwissenschaftler Andreas Kraß untersucht sie in seinem neuen Buch alle, von der Antike bis in die Gegenwart. Zwanzig Geschichten der Männerfreundschaft von Homer bis Wolfgang Herrndorf werden dafür analysiert und mit einem jeweils epochalen philosophischen Text in Beziehung gesetzt. Im Zentrum stehen nichthomosexuelle Freundschaften und ihre Passionsgeschichten, die einem Muster folgen: Warum muss erst der eine Freund sterben, damit der andere in leidenschaftlicher Weise über die Freundschaft sprechen kann? Und wie verändert sich dies im Laufe der Geschichte? Eine literarisch-kulturgeschichtliche Spurensuche voller neuer und überraschender Einsichten.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
eine weit ausgreifende, lehrreiche Literaturgeschichte der Männerfreundschaft Toni Tholen Zeitschrift für Germanistik 20180101
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Was haben Achilles, Old Shatterhand und Uwe Timm gemeinsam? Die Antwort liest Rezensent Oliver Pfohlmann in Andreas Kraß' neuem Buch "Ein Herz und eine Seele" und sie lautet: Einen toten Freund, und damit einen Freund, den sie passioniert lieben dürfen, mit dem sie "ein Herz und eine Seele" werden können, frei von jedem Verdacht homosexueller Sehnsüchte. Denn so lautet Krass' These, erklärt Pfohlmann: Eine leidenschaftliche Männerfreundschaft war in der Literatur seit der Antike und teilweise bis heute nur über die Leiche eines der Freunde möglich, und zwar möglich im Sinne von akzeptabel. Der an der Humboldt Universität lehrende Professor für Mediävistik und Queer-Theory hat Pfohlmann scheinbar überzeugt und beeindruckt. Über sprachliche Qualitäten, Stil und Aufbau verrät der Rezensent allerdings nichts.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2017Frauen sind auch viel anstrengender
Passionsgeschichten: Andreas Kraß nimmt Niklas Luhmann zum Leitfaden, um Männerfreundschaften quer durch die Jahrhunderte zu folgen.
Vor fünfunddreißig Jahren erschien das vielleicht bekannteste Werk Niklas Luhmanns, "Liebe als Passion". Der Titel war ebenso verführerisch wie irreführend, denn eigentlich ging es um Liebe als Code, als symbolisch - etwa in Romanen oder Filmen - generalisierbares Medium der Kommunikation. Nun hat Andreas Kraß, Berliner Professor für ältere deutsche Literatur mit Schwerpunkt hohes Mittelalter, eine Art von Fortsetzung dieses Buchs vorgelegt; beleuchtet wird die Geschichte der Freundschaft, ausdrücklich zunächst unter Berufung auf Luhmann. Während aber zu Beginn die Patenschaft Luhmanns durch die Rekapitulation seiner Theorie und Epochencharakteristik beglaubigt wird, treten die systemtheoretischen Referenzen bald danach in den Hintergrund. Das schlägt dem Buch keineswegs zum Nachteil aus: Geschichten sind meist eine spannungsreichere Lektüre als die kategoriale Systematisierung von Geschichte.
Freundschaft ist ein Begriff, der regelmäßig Gegenbegriffe aufruft. An erster Stelle die Feindschaft, die manchmal in Freundschaft umschlagen kann: "Feinde, um sie zu Freundschaft bereden zu können", schrieb Canetti einmal. Und natürlich steht Freundschaft in gewisser Opposition zur Liebe; nicht umsonst trennen sich Liebespaare häufig mit der Versicherung, befreundet bleiben zu wollen, als wäre die Freundschaft eine Schwundstufe der Liebe. Auch Luhmann betonte die jahrhundertelange Konkurrenz zwischen Freundschaft und Liebe, die erst in der Romantik zugunsten der Liebe entschieden worden sei. Zur Liebe gehören Intimität und Sexualität, die darum ebenfalls als Gegenpole der Freundschaft erscheinen. Als vierter Gegenbegriff kommt - schon seit der Antike - die Verwandtschaft ins Spiel. Wir alle wissen, dass selbst Geschwister nur ausnahmsweise Freunde sind. Die Redensart "ein Herz und eine Seele" - zugleich der Buchtitel - verweist dagegen auf das Ideal der Seelen- oder Geistesverwandtschaft, das Gegenstück zur Blutsverwandtschaft, die im Ritual der "Blutsbrüderschaft" eher karikiert als zitiert wird.
Überlagert wird die Frage nach Freundschaft oder Feindschaft, Freundschaft oder Liebe (und Sexualität), Freundschaft oder Verwandtschaft von der Geschlechterdifferenz. Geht es um die Freundschaft der Männer, der Frauen oder sogar zwischen Männern und Frauen? Der Untertitel des Buchs von Andreas Kraß gibt zwar eine klare Auskunft - er verspricht eine "Geschichte der Männerfreundschaft" -, doch weiß der Autor genau, dass die Gender-Fragen nicht so einfach geklärt werden können. Frauen treten mitunter als Zeuginnen, fast Medien der Freundschaft zwischen Männern auf (und umgekehrt); Männerfreundschaften können die Gender-Differenz integrieren, indem ein Partner die weibliche, der andere die männliche Rolle übernimmt; und gerade ein Zentralmotiv des Buches, nämlich die wiederkehrende Erzählung vom Tod des Freundes, über dessen Leiche die Freundschaft als Passion - in des Wortes doppelter Bedeutung als Leidenschaft und Trauer - erblüht, ist implizit der Faszination des Liebestods, von Orpheus und Eurydike bis Tristan und Isolde oder Romeo und Julia, verpflichtet.
Das Buch gliedert sich in fünf Hauptteile. Der erste Teil rekapituliert die theoretischen Grundlagen und Leitfragen, während die folgenden Teile die Geschichte der Männerfreundschaft in vier Epochen, unter Bezug auf verschiedene literarische und philosophische Texte, kommentieren. Die Antike wird als Zeitalter der Freundschaft schlechthin vorgestellt; ihr folgt das Mittelalter als Ära der höfischen Liebe. Nach der frühen Neuzeit - und deren Entdeckung der passionierten Liebe - firmiert dann die Moderne als Zeit der romantischen Liebe. Signifikanter als die an Luhmann orientierte Systematik der Epochen sind freilich die jeweils fünf ausgewählten Beispiele, denen ein Referenzautor vorangestellt wird: Cicero für die Antike, Aelred von Rievaulx, Autor eines Traktats über die geistig-spirituelle Freundschaft (De Spirituali Amicitia) für das Mittelalter, Montaigne für die frühe Neuzeit, Maurice Blanchot für die Moderne.
Porträtiert wird die Antike an Beispielen von Waffenbrüderschaft; überraschend wirkt da neben Achilles und Patroklos oder David und Jonathan das Paar Jesus und sein Lieblingsjünger Johannes, deren Beziehung Andreas Kraß entlang mittelalterlicher Quellen als homoerotische Liebesgeschichte schildert. Der Brautverzicht des Jüngers spiegelte sich gleichsam in der Szene auf Golgatha, in der Jesus Johannes die Mutter überträgt und ihn damit geradezu als Bruder anerkennt. Die Beispiele aus dem Mittelalter betreffen einerseits die religiöse Gestaltung der antiken Epen, die bereits im vorangegangenen Teil thematisiert wurden, andererseits die Helden der mittelalterlichen Ritterstoffe: Roland und Olivier, Hagen und Rüdiger, Lancelot und Galahot. Der dritte Teil zur frühen Neuzeit - im Übergang, nach Luhmann, von der Religion zur Kunst - befasst sich unter anderen mit Romeo und Mercutio und Goethes Brieffreunden Werther und Wilhelm, während der letzte Teil schließlich die Psychologisierung der Männerfreundschaft an Beispielen literarischer Studienfreunde in der Moderne kommentiert.
Sympathisch und einnehmend verhält sich das Buch zu den oft unerwarteten Beispielen und Geschichten, stets auch in der Vermessung der feinen Grenze zwischen Männerfreundschaft und homosexueller Liebe. Dabei wird auf gern geübte ideologiekritische Exkurse zu Männerbund und militärisch-heroischer Intimität ebenso verzichtet wie auf die Darstellung kolonialer Kontexte der Männerfreundschaft: auf Robinson und Freitag oder Old Shatterhand und Winnetou, die lediglich als Umschlagmotiv und für ein Motto Verwendung finden. Stattdessen werden moderne Diskurse der Homosexualität beleuchtet, etwa am Beispiel der Jugendfreundschaft zwischen Uwe Timm und Benno Ohnesorg, dem ersten "Märtyrer" der Studentenrevolte.
Das letzte Beispiel widmet sich Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick". Ihm ist auch eines der Motti des Buchs entnommen, das die Differenz von Freundschaft und Verwandtschaft unterstreicht: "Tschick wollte dann noch, dass wir alle unsere Finger ritzen und einen Tropfen Blut auf die Buchstaben gießen, aber Isa meinte, wir wären doch nicht Winnetou und dieser andere Indianer, und da haben wir's dann nicht gemacht." Tinte siegt über Blut.
THOMAS MACHO
Andreas Kraß: "Ein Herz und eine Seele". Geschichte der Männerfreundschaft.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016. 480 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Passionsgeschichten: Andreas Kraß nimmt Niklas Luhmann zum Leitfaden, um Männerfreundschaften quer durch die Jahrhunderte zu folgen.
Vor fünfunddreißig Jahren erschien das vielleicht bekannteste Werk Niklas Luhmanns, "Liebe als Passion". Der Titel war ebenso verführerisch wie irreführend, denn eigentlich ging es um Liebe als Code, als symbolisch - etwa in Romanen oder Filmen - generalisierbares Medium der Kommunikation. Nun hat Andreas Kraß, Berliner Professor für ältere deutsche Literatur mit Schwerpunkt hohes Mittelalter, eine Art von Fortsetzung dieses Buchs vorgelegt; beleuchtet wird die Geschichte der Freundschaft, ausdrücklich zunächst unter Berufung auf Luhmann. Während aber zu Beginn die Patenschaft Luhmanns durch die Rekapitulation seiner Theorie und Epochencharakteristik beglaubigt wird, treten die systemtheoretischen Referenzen bald danach in den Hintergrund. Das schlägt dem Buch keineswegs zum Nachteil aus: Geschichten sind meist eine spannungsreichere Lektüre als die kategoriale Systematisierung von Geschichte.
Freundschaft ist ein Begriff, der regelmäßig Gegenbegriffe aufruft. An erster Stelle die Feindschaft, die manchmal in Freundschaft umschlagen kann: "Feinde, um sie zu Freundschaft bereden zu können", schrieb Canetti einmal. Und natürlich steht Freundschaft in gewisser Opposition zur Liebe; nicht umsonst trennen sich Liebespaare häufig mit der Versicherung, befreundet bleiben zu wollen, als wäre die Freundschaft eine Schwundstufe der Liebe. Auch Luhmann betonte die jahrhundertelange Konkurrenz zwischen Freundschaft und Liebe, die erst in der Romantik zugunsten der Liebe entschieden worden sei. Zur Liebe gehören Intimität und Sexualität, die darum ebenfalls als Gegenpole der Freundschaft erscheinen. Als vierter Gegenbegriff kommt - schon seit der Antike - die Verwandtschaft ins Spiel. Wir alle wissen, dass selbst Geschwister nur ausnahmsweise Freunde sind. Die Redensart "ein Herz und eine Seele" - zugleich der Buchtitel - verweist dagegen auf das Ideal der Seelen- oder Geistesverwandtschaft, das Gegenstück zur Blutsverwandtschaft, die im Ritual der "Blutsbrüderschaft" eher karikiert als zitiert wird.
Überlagert wird die Frage nach Freundschaft oder Feindschaft, Freundschaft oder Liebe (und Sexualität), Freundschaft oder Verwandtschaft von der Geschlechterdifferenz. Geht es um die Freundschaft der Männer, der Frauen oder sogar zwischen Männern und Frauen? Der Untertitel des Buchs von Andreas Kraß gibt zwar eine klare Auskunft - er verspricht eine "Geschichte der Männerfreundschaft" -, doch weiß der Autor genau, dass die Gender-Fragen nicht so einfach geklärt werden können. Frauen treten mitunter als Zeuginnen, fast Medien der Freundschaft zwischen Männern auf (und umgekehrt); Männerfreundschaften können die Gender-Differenz integrieren, indem ein Partner die weibliche, der andere die männliche Rolle übernimmt; und gerade ein Zentralmotiv des Buches, nämlich die wiederkehrende Erzählung vom Tod des Freundes, über dessen Leiche die Freundschaft als Passion - in des Wortes doppelter Bedeutung als Leidenschaft und Trauer - erblüht, ist implizit der Faszination des Liebestods, von Orpheus und Eurydike bis Tristan und Isolde oder Romeo und Julia, verpflichtet.
Das Buch gliedert sich in fünf Hauptteile. Der erste Teil rekapituliert die theoretischen Grundlagen und Leitfragen, während die folgenden Teile die Geschichte der Männerfreundschaft in vier Epochen, unter Bezug auf verschiedene literarische und philosophische Texte, kommentieren. Die Antike wird als Zeitalter der Freundschaft schlechthin vorgestellt; ihr folgt das Mittelalter als Ära der höfischen Liebe. Nach der frühen Neuzeit - und deren Entdeckung der passionierten Liebe - firmiert dann die Moderne als Zeit der romantischen Liebe. Signifikanter als die an Luhmann orientierte Systematik der Epochen sind freilich die jeweils fünf ausgewählten Beispiele, denen ein Referenzautor vorangestellt wird: Cicero für die Antike, Aelred von Rievaulx, Autor eines Traktats über die geistig-spirituelle Freundschaft (De Spirituali Amicitia) für das Mittelalter, Montaigne für die frühe Neuzeit, Maurice Blanchot für die Moderne.
Porträtiert wird die Antike an Beispielen von Waffenbrüderschaft; überraschend wirkt da neben Achilles und Patroklos oder David und Jonathan das Paar Jesus und sein Lieblingsjünger Johannes, deren Beziehung Andreas Kraß entlang mittelalterlicher Quellen als homoerotische Liebesgeschichte schildert. Der Brautverzicht des Jüngers spiegelte sich gleichsam in der Szene auf Golgatha, in der Jesus Johannes die Mutter überträgt und ihn damit geradezu als Bruder anerkennt. Die Beispiele aus dem Mittelalter betreffen einerseits die religiöse Gestaltung der antiken Epen, die bereits im vorangegangenen Teil thematisiert wurden, andererseits die Helden der mittelalterlichen Ritterstoffe: Roland und Olivier, Hagen und Rüdiger, Lancelot und Galahot. Der dritte Teil zur frühen Neuzeit - im Übergang, nach Luhmann, von der Religion zur Kunst - befasst sich unter anderen mit Romeo und Mercutio und Goethes Brieffreunden Werther und Wilhelm, während der letzte Teil schließlich die Psychologisierung der Männerfreundschaft an Beispielen literarischer Studienfreunde in der Moderne kommentiert.
Sympathisch und einnehmend verhält sich das Buch zu den oft unerwarteten Beispielen und Geschichten, stets auch in der Vermessung der feinen Grenze zwischen Männerfreundschaft und homosexueller Liebe. Dabei wird auf gern geübte ideologiekritische Exkurse zu Männerbund und militärisch-heroischer Intimität ebenso verzichtet wie auf die Darstellung kolonialer Kontexte der Männerfreundschaft: auf Robinson und Freitag oder Old Shatterhand und Winnetou, die lediglich als Umschlagmotiv und für ein Motto Verwendung finden. Stattdessen werden moderne Diskurse der Homosexualität beleuchtet, etwa am Beispiel der Jugendfreundschaft zwischen Uwe Timm und Benno Ohnesorg, dem ersten "Märtyrer" der Studentenrevolte.
Das letzte Beispiel widmet sich Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick". Ihm ist auch eines der Motti des Buchs entnommen, das die Differenz von Freundschaft und Verwandtschaft unterstreicht: "Tschick wollte dann noch, dass wir alle unsere Finger ritzen und einen Tropfen Blut auf die Buchstaben gießen, aber Isa meinte, wir wären doch nicht Winnetou und dieser andere Indianer, und da haben wir's dann nicht gemacht." Tinte siegt über Blut.
THOMAS MACHO
Andreas Kraß: "Ein Herz und eine Seele". Geschichte der Männerfreundschaft.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016. 480 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main