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Der Autor erzählt in diesem Roman aus einer Ehe, einer "krisengeschüttelten Branche". Eines Tages steht der hinreissende Adrian, ein Schrotthändler vor der Tür des frühpensionierten Geschichtslehrers, des Ich-Erzählers. Adrian wird gastfreundlich empfangen und erhält das Angebot, bei dem Ehepaar zu wohnen... Durch die Anwesenheit des jungen Mannes erkennt der Geschichtslehrer und seine Gattin Gabi, die Handchirurgin ist, daß es vielleicht zu spät ist, noch einmal bei Adam und Eva zu beginnen. Droht diese Beziehung, "eine Ehe auf Sandwich-Basis" zu werden? Der Erzähler setzt sich mit dieser…mehr

Produktbeschreibung
Der Autor erzählt in diesem Roman aus einer Ehe, einer "krisengeschüttelten Branche". Eines Tages steht der hinreissende Adrian, ein Schrotthändler vor der Tür des frühpensionierten Geschichtslehrers, des Ich-Erzählers. Adrian wird gastfreundlich empfangen und erhält das Angebot, bei dem Ehepaar zu wohnen... Durch die Anwesenheit des jungen Mannes erkennt der Geschichtslehrer und seine Gattin Gabi, die Handchirurgin ist, daß es vielleicht zu spät ist, noch einmal bei Adam und Eva zu beginnen. Droht diese Beziehung, "eine Ehe auf Sandwich-Basis" zu werden? Der Erzähler setzt sich mit dieser Situation auseinander, und durchgeht schließlich einen Erinnerungsprozess, in dem die Erinnerungen an seine erste Liebe und an seine Kindheit wieder lebendig werden...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.1999

Titanen der Schüchternheit
Arnold Stadlers sehnsuchtsvolle Helden · Von Hubert Spiegel

Der erste Satz in einem in diesen Tagen erschienenen Essay Martin Walsers lautet: "Ohne seine Schüchternheit wäre der Schüchterne verloren." Gut möglich, dass Walser, als er seinen Aufsatz "Über die Schüchternheit" (Edition Isele, Eggingen 1999) verfasste, auch an den designierten Büchnerpreisträger Arnold Stadler gedacht hat. Dessen Ich-Erzähler zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihrer selbst nicht gewiss sind. Das lässt sie schüchtern sein. Oder, wie Stadler vermutlich sagen würde: Sie sind ihrer selbst so gewiss, sind sich ihrer Schwächen und Mängel, ihrer Unbeholfenheit des Körpers wie des Geistes so sehr bewusst, dass sie gar nicht anders können, als zaghaft in die Welt zu blinzeln.

Stadlers Helden sind Titanen der Schüchternheit, die sich den gnadenlosen Blick der Welt auf ihre Person zu Eigen gemacht haben. So unbarmherzig, kalt und mitleidlos die Welt auf diese Männer blickt, auf ihre roten Gesichter, die sich beim Stottern noch mehr röten, auf ihre schweißnassen Hände, die sie vergeblich an vom Schenkelschweiß feucht gewordenen Hosenbeinen zu trockenen versuchen, so unbarmherzig blicken diese Helden in ihr Spiegelbild, forschend und suchend, bis sie im Spiegel schließlich das Abbild der Welt hinter ihrem Rücken erblicken. Der Schüchterne sieht der Welt nur über die eigene Schulter ins Gesicht. Das macht ihm ihren Anblick erträglich. Ohne ihre Schüchternheit wären Stadlers Helden verloren. Mit ihr sind sie heillos gerettet.

Von heillosen Rettungsgeschichten und den Verlusten, die ihnen vorangegangen sind, erzählen Stadlers bislang fünf Romane. Der stark autobiographisch grundierten Trilogie "Ich war einmal" (1989), "Feuerland" (1982), "Mein Hund, meine Sau, mein Leben" (1944) folgte 1996 "Der Tod und ich, wir zwei" und jetzt, unmittelbar nach der Zuerkennung des Büchner-Preises, der Roman "Ein hinreißender Schrotthändler". Wie alle Helden dieses Autors kommt auch der Ich-Erzähler des jüngsten Buches, ein Lehrer, der wegen eines psychosomatischen Leidens auf die Frühpensionierung spekuliert, aus dem Oberschwäbischen, aus einem Dörfchen im Landstrich um Meßkirch gelegen.

Das Stadlersche Kreenheinstetten gibt es wirklich, und nicht nur der 1954 geborene Autor stammt von dort, sondern auch sein mutmaßlicher Urahn Abraham a Sancta Clara, wortgewaltiger Hof- und Bußprediger zu Wien. "Gleich hinter dem Kreenheinstetter Wäldchen staunten wir über die Größe der Welt", heißt es auf den ersten Seiten des neuen Romans, als der Erzähler sich an einen frühen Kirchenchorausflug erinnert. "Diese Weite schüchterte uns ein, daher sangen wir uns Mut zu." Bereits in der ersten Kurve, so wird von einem anderen Ausflug berichtet, musste der Erzähler sich übergeben. So ist es geblieben: schon die erste Kurve eine Kurve zu viel.

Man mag sich nicht vorstellen, wie viel Kurven zwischen Kreenheinstetten und Köln liegen, wo Stadlers Erzähler als Gemahl einer bestens verdienenden Handchirurgin in einer Luxus-Tristesse dahinlebt. Als es eines Tages an der Tür klingelt und der Lehrer gefragt wird, ob er nicht zufällig ein Auto zum Ausschlachten habe, lädt der Hausherr den unerwarteten Besucher kurzerhand ein, bei ihm zu wohnen. Innerhalb kürzester Zeit hat der hinreißende Schrotthändler namens Adrian, der offenbar vom Balkan stammt und sich im weiteren Verlauf als begnadeter Schmarotzer und skrupelloser Kleinkrimineller entpuppt, die Herzen seiner Gastgeber für sich entzündet und aus einem Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hatte, erbitterte Konkurrenten um die Gunst des unverschämten Gastes werden lassen.

Die hämische Kritik an der Institution Ehe, der "krisengeschüttelten Branche schlechthin", und der grundlegende Zweifel an einem glücklichen Verhältnis der Geschlechter gehört ebenso zu Stadlers Repertoire wie das Spiel mit den Anfechtungen der Homosexualität. Was sich über weite Strecken wie die mal mehr, mal weniger amüsanten Tagebuchnotizen eines lethargischen Stadtneurotikers liest, soll eine polemische Satire auf unsere Gesellschaft sein: von allen guten Geistern verlassen, aber von aller Welt gern besucht. Man kommt nicht umhin, den ersten Teil des Buches als Parabel auf das Einwanderungsland Deutschland zu lesen, dessen Bewohner, sich selbst fremd geworden, mit matter Fröhlichkeit die Geburt der Toleranz aus dem Geist des schlechten Gewissens feiern. Viel kann Stadler seinem Gegenstand indes nicht abgewinnen. Offenbar interessiert er ihn genauso wenig, wie ihn Adrian und die verliebte Handchirurgin Gabi interessieren. Zwei von drei Hauptfiguren dieses Buches sind über das Entwurfsstadium nicht hinausgekommen.

Erst im zweiten Teil, der den Erzähler nach zwanzig Jahren erstmals wieder nach Kreenheinstetten führt, wo er die Trennung von Ehefrau und Schrotthändler überdenken und sich bei einer Beerdigung auf andere Gedanken bringen will, gelingt Stadler, was er sich für den ersten Teil vorgenommen hatte: die Satire der Gegenwart. Mit schönster Hartnäckigkeit geht der Heimkehrer der Frage nach, warum in seinem Dorf plötzlich jeder einen Geländewagen fährt, warum im Nachbarort regelmäßig "Sexmessen" stattfinden und was es heißt, wenn die Globalisierung auch das "Hinterland des Schmerzes" nicht übersehen hat. Stadler ist gewiss ein scharfer Beobachter, aber hier zeigt sich deutlich, dass er den Rückgriff auf die selbst erlebte Vergangenheit braucht, um auch seiner Beschreibung die Schärfe seiner Gegenwartsbeobachtung verleihen zu können.

Mögen ihn seine Ausflüge auch nach Rom ("Mein Hund, meine Sau, mein Leben"), Patagonien ("Feuerland") oder wie jetzt nach Köln gelangen lassen, alle seine Wege führen Stadler unfehlbar zurück in die Hinterland-Kapitale Kreenheinstetten. Hier lebt seit Generationen ein eigentümlicher Menschenschlag, Hinterwäldler, die schon am dreißig Kilometer entfernten Bodensee als "Waldmenschen" gelten. Dieses Völkchen, das Dorf und seine Gemeinschaft, die Freundschafts- und Feindschaftsverhältnisse also, die Sprache, die hier gesprochen oder verweigert wird, die Kindheit unter dem Joch der katholischen Kirche - dies sind die Gegenstände von Stadlers Büchern, die allesamt auch schräge Heimatromane sind, skurrile Chroniken einer verschwundenen Welt.

Aber das ist nur die eine Hälfte von Stadlers hotzenwäldlerischem Heimatprojekt. Die andere gilt den Mitteln und Wegen, die verlorene Heimat heraufzubeschwören, sie gilt den Kräften des Heimwehs und der Sehnsucht. Im "Hinreißenden Schrotthändler" vergegenwärtigt Stadler die Vergangenheit nicht mehr wie in früheren Büchern, sondern er beschreibt die unablässige Suche nach ihr. Der Prozess der Erinnerung ist diesem Autor im Laufe seines Schreibens fast ebenso wichtig geworden wie ihr Gegenstand. Die entschwundene Heimat ist der einzige Ort, an dem seine Erzähler zu sich selbst zurückkehren können. Ich und Heimat, beides ist nur in der Erinnerung noch zu haben.

Was Stadler, nach der missglückten ersten Hälfte des Romans, doch noch zu einem kleinen Triumph verhilft, ist der unpathetische, zuweilen unwiderstehliche Sehnsuchtston der zweiten Hälfte. Stadlers Prosa ist voller Komik und Kalauer, ein Thomas Bernhard verwandter Verzweiflungsklang, in dem die Liebe zur Welt und der Ekel vor ihr unablässig miteinander im Kampf liegen. Wie kein zweiter Autor seiner Generation hat es Stadler in seinen Romanen verstanden, die Sehnsucht, die Walsers Essay als anderes Wort für Schüchternheit definiert, als existentielles Lebensgefühl zu rehabilitieren. Und so lässt Stadler seinen jüngsten Roman mit dem Eingeständnis eines Versagens enden, das hoffen lässt. Es ist das Geständnis eines Ich-Erzählers, der nie hatte sagen können, wie es eigentlich gewesen ist, sein Leben, sein Dorf, seine Geschichte. Solange dies die Selbstdefinition von Arnold Stadlers schüchternen Helden ist, solange sie jene bleiben, die nicht sagen können, "wie es war", ist dem Zyklus ihrer wundersamen Selbsterklärungsversuche kein Ende gesetzt.

Arnold Stadler: "Ein hinreißender Schrotthändler". Roman. DuMont Verlag, Köln 1999. 237 S., geb., 39,80 DM.

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