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Bernd Burger und seine Frau Melitta sind mit ihrer Tochter im Auto unterwegs Richtung Deutschland. Es ist eine Reise des endgültigen Abschieds und der Ankunft im Ungewissen. Die Familie kommt aus Rumänien und will ins Auffanglager Hamm; bis in die Bodenseeregion hat sie es schon geschafft. Dort aber wird alles kompliziert. Die Länder, die in wenigen Kilometern Abstand aneinanderstoßen, irritieren die Reisenden. Sie haben ihre Erfahrungen mit Grenzen und Versuchen, sie zu überschreiten. Hier nun sind plötzlich die Staatsgrenzen nicht recht zu erkennen, man nähert sich ihnen gut vorbereitet und…mehr

Produktbeschreibung
Bernd Burger und seine Frau Melitta sind mit ihrer Tochter im Auto unterwegs Richtung Deutschland. Es ist eine Reise des endgültigen Abschieds und der Ankunft im Ungewissen. Die Familie kommt aus Rumänien und will ins Auffanglager Hamm; bis in die Bodenseeregion hat sie es schon geschafft. Dort aber wird alles kompliziert. Die Länder, die in wenigen Kilometern Abstand aneinanderstoßen, irritieren die Reisenden. Sie haben ihre Erfahrungen mit Grenzen und Versuchen, sie zu überschreiten. Hier nun sind plötzlich die Staatsgrenzen nicht recht zu erkennen, man nähert sich ihnen gut vorbereitet und vorsichtig, und plötzlich ist man auf der anderen Seite, ohne es bemerkt zu haben. Was die Lage nicht übersichtlicher macht: Bernd Burger kann nicht Auto fahren und seine Frau weder Landkarten noch Straßenschilder lesen.
So wird aus der Reise eine Irrfahrt voller komisch-skurriler Begegnungen mit einer gänzlich neuen Wirklichkeit, wahrgenommen durch den fremden Blick. Gleichzeitig bietet das Unterwegssein Gelegenheit zum Nachdenken darüber, was Heimat nicht war und wohl auch in der Erinnerung kaum werden kann, darüber, was aus dem vergangenen Leben brauchbar ist für die neue Welt, und was an der neuen Welt brauchbar ist für: was man nun einmal ist, und wer.
Autorenporträt
Hodjak, FranzFranz Hodjak wurde 1944 in Hermannstadt, (Sibiu /Rumänien), geboren. Er lebte bis 1992 als Verlagslektor in Klausenburg (Rumänien). 1992 siedelte er nach Deutschland über. Er lebt jetzt in Usingen.Preise und Auszeichnungen1982Stadtschreiberstipendium der Stadt Mannheim 1990Preis des Landes Kärnten beim Wettbewerb um den Ingeborg Bachmann Preis in Klagenfurt 1991Literatur-Förderpreis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie 1992Gryphius Ehrenpreis 1993Frankfurter Poetik-Vorlesung 1996Nikolaus-Lenau-Preis der Künstlergilde Esslingen 2002Stadtschreiberstipendium der Stadt Dresden
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2003

Das traurige Glück der Narren
Franz Hodjak verfährt sich auf der Flucht aus der Heimatlosigkeit

Um es gleich zu sagen: Dieser Autor ist ein Geschichtenerzähler, kein Romancier. Er läßt die Episoden wuchern, abzweigend in diese und jene Richtung, über Kreuz des öfteren und am Ende so dicht, daß die eigentliche Handlung des Romans im anekdotischen Dickicht verschwindet. Schönes und Widerwärtiges, Gemeines, Banales und Unglaubliches wird zusammengenommen, ohne daß es sich noch zum epischen Ablauf verbinden könnte. Ein Ganzes will daraus nicht mehr entstehen, nicht in einer Welt, die sich selbst schon im Zustand des absurden Zerfalls befindet. Wenn man nur das Chaos kennt, "kann man nur über das Chaos schreiben", bekennt Bernd Burger, der ratlose Held in Franz Hodjaks jüngstem Buch. Jegliches Geschehen ist darin auf Sand gebaut; wie Sand zwischen den Fingern zerrinnt auch die Handlung. "Ein Koffer voll Sand", heißt es einmal, "muß auch in der Wohnung stehen, immer griffbereit, damit ich meine Identität nicht begreifen muß, an der ich sonst verzweifeln könnte, sondern mich mit der Bedeutungslosigkeit des Sandes einreiben kann."

Nur als Zuschauer, als Medium der Ernüchterung, kann die literarische Figur hier noch auftreten; mittun mag sie schon lange nicht mehr. Kein Gedanke an ein Ziel, dem das Geschehen noch zustreben könnte in den gnadenlos durchschauten Verhältnissen. Um sie zu überleben, mußte der Intellektuelle zum Narren werden. Anders hätte er den Verstand verloren unter den Bedingungen der rumänischen Diktatur, in diesem Absurdistan eines verrückten Potentanten. Dessen Irrsinn verlangte die Preisgabe der Vernunft; und weil er sich damit nicht abfinden konnte, ist Bernd Burger zum Zyniker geworden, zu einem Helden, der nichts mehr ausrichten will. Danach gefragt, was er früher, in den Jahren des kommunistischen Totalitarismus, getan habe, antwortet er: "Im Sommer habe ich meist Fliegen gejagt, und im Winter habe ich gefroren." Und es ist, so zeigt sich bald, diese unterkühlte Feststellung der Sinnlosigkeit, die jeden Handlungsansatz ins Leere laufen läßt. Was immer der Erzähler erlebt oder erinnert, nährt bloß den Zweifel am Fortgang der Geschichten. Auf keine wagt er sich zu verlassen, weil er aus einer Welt kommt, in der er "nur das Recht auf Angst hatte". Obwohl der Conducator längst gestürzt und vor aller Augen hingerichtet wurde, weiß Bernd Burger, "daß dieser ihn sein Leben lang nicht loslassen wird". Von ihm kann er sich so wenig befreien wie von der Narrenrolle. Sie ist ihm zum Wesen geworden. Denn: "Wer im Zirkus geboren wurde und dort aufgewachsen ist, wird nie anders können, als Zirkus zu spielen."

Daß dieses Spiel, das traurige Glück des Narren, zunehmend bittere Züge gewinnt, liegt in der Natur der Rolle. Bar allen Glaubens versinkt der Held in trostlosem Skeptizismus. Wie erstarrt schaut er auf sich und die Welt. Noch die intimsten Beziehungen sind ihm durch den Zweifel zerbrochen. Achselzuckend nimmt er zur Kenntnis, daß ihn sogar seine Frau verraten hätte, wäre das Angebot nur lohnend gewesen. Ekel folgt auf Einsamkeit. Und Ekel erregt auch der ordinäre Tonfall, in den das Buch allzu häufig verfällt. Immer wieder führt es auf die Latrinen. Geradezu selbstquälerisch, als gelte es, alles nach unten zu ziehen, werden die fäkalen Ausdrücke wiederholt, so auffällig, daß sie schon wieder den Affekt eines Autors verraten, dem es an nichts mehr als an epischer Distanz gebricht.

Was Franz Hodjak erzählt, hat er sich von der Seele geschrieben. Mit seiner Figur teilt der rumäniendeutsche Schriftsteller das Schicksal des vertriebenen Intellektuellen. Beide stammen sie aus Siebenbürgen, und beide waren sie Lektoren, also Angehörige einer nationalen und sozialen Minderheit, argwöhnisch überwacht vom Geheimdienst einer ideologisch begründeten Macht. Beide sind sie Opfer der linken Barbarei, des Primitiven; und beide bleiben sie auch dieser Vergangenheit verhängnisvoll ausgeliefert. Die Narrenrolle, die sie Bernd Burger aufgedrängt hatte, war sein Leben. Später dann, nach dem Sturz der Diktatur, als der Part nicht mehr trägt, muß er sich noch an die quälende Erinnerung klammern. Mit ihren Geschichten verläßt er das Land auf den Spuren seines wahlverwandten Erfinders. Weil er aber selbst nicht Auto fahren kann und seine Frau, die den Wagen lenkt, über keinerlei Orientierungssinn verfügt, wird diese Ausreise nach Deutschland zu einer wahren Irrfahrt. Durch Ungarn führt sie in die Schweiz, an den Bodensee und nach Frankreich, bis sie zum Schluß eher zufällig in einem deutschen Aufnahmelager endet.

Immer aufs neue verfährt sich die Familie auf ihrer Flucht aus der Heimatlosigkeit. Wo er ankommen möchte, kann Bernd Burger nicht sagen. An die Zukunft zu denken, hat er in der Vergangenheit verlernt. Jede Verzögerung kommt ihm daher gelegen. Er braucht sie, um die Versatzstücke seines Lebens zu sammeln. Sich selbst erzählt er davon unentwegt, irgendwo in wechselnden Hotels, auf einem kalten Balkon, unter der Dusche oder bei einem Päckchen Zigaretten auf der "Klosettmuschel". Alte Affären, die Zudringlichkeiten des Geheimdienstes, die undurchschaubaren Freunde, alles liegt hinter ihm. Alles, überlegt er, "kann ich . . . aufgeben, nur die Sprache nicht, die ich unbedingt brauche, um erstens mit etwas spielen und zweitens aufzeichnen zu können, was ich aufgegeben habe". Als Geschichtenerzähler haben sich Figur und Autor gefunden, auch wenn sie beide nicht wissen, wie denn die Handlung des Romans ausgehen könnte.

THOMAS RIETZSCHEL

Franz Hodjak: "Ein Koffer voll Sand". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 244 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.09.2004

Reise ohne Ankunft
Gedankenfuror: Franz Hodjaks Roman „Ein Koffer voll Sand”
Der erste Diktator war zweifellos das gedünstete Sauerkraut. Am Rande jenes rumänischen Militärgeländes, auf dem der junge Bernd Burger seinen Wehrdienst zu absolvieren hatte, wurden Krautfässer mit längst abgelaufenem Verfallsdatum gelagert. An den Metallreifen hatte sich der Rost satt gefressen, und das Holz war so weit aufgeplatzt, dass die gegorene Brühe und das dünn geschnittene Kraut herausquollen. Die gesamte Truppe roch nach dem verdorbenen Sauerkraut, das in großen Kesseln zu Mittag und Abend serviert wurde. Und wer genau hinhörte, der konnte während des Essens ein feines Knirschen erhaschen, vom Sand und jenen kleinen Steinen, die an den dünnen Krautscheiben haften geblieben waren.
Die zarten Reibelaute des Sandes geben dem neuen Roman des Lyrikers und Erzählers Franz Hodjak seinen Takt vor. Sie sind die kaum merklichen Störgeräusche in einem Buch, das an der Oberfläche den monologischen Anwandlungen seines Protagonisten folgt, einer Figur, die sich ganz und gar dem Abtasten von Gedanken verschrieben hat. Mit Frau und Tochter hat dieser Bernd Burger die rumänische Grenze hinter sich gelassen, um sein Glück in Deutschland zu versuchen, zunächst im so genannten „Auffanglager” Hamm. Doch weil Melitta, die Ehefrau, sich ein ums andere Mal verfährt, wird aus Bernd Burgers Übersiedlungsversuch eine regelrechte Odyssee. Eine Irrfahrt kommt dem burgerschen Denken sehr entgegen: „man kann nicht allzu profund über etwas nachdenken, das man besitzt”. So scheint ihn weniger die Landschaft mit ihren Verwerfungen zu interessieren als vielmehr das Schillern der Begriffe. Wie eine Reflexionsmaschine zerlegt er auf seiner Reise noch die kleinste Überlegung, philosophiert hier über die Freiheit, lässt sich dort über den Heimatbegriff aus, stets bedrängt von allerlei Träumen und Erinnerungsresten.
Im klugen Wechsel von grotesken Episoden und immer größer werdenden Denkschleifen treibt Franz Hodjak seine Figuren zwischen Ungarn, Frankreich oder Liechtenstein hin und her. Der Autor, der 1992 selbst das rumänische Klausenburg verließ, um fortan in Deutschland zu leben, verweigert seinen ruppigen Sätzen die Ankunft. So wie Melitta orientierungslos vom Lago Maggiore nach Vaduz fährt, um irgendwann in Memmingen zu landen, löst Bernd Burger nach und nach alle festen Bedeutungen auf und vertraut sich ganz den Fluktuationen des Intellekts an: „Heimat ist, wie ich denke.” Ob es sich um die Widersprüche des Ceaucescu- Regimes handelt oder um die Verrücktheiten mancher Träume: Burger nähert seine Gedanken immer wieder der Begriffslosigkeit jenes Sandes an, den er in einem Koffer stets mit sich tragen wird. Und weil neben dem Knirschen des Sandes vielleicht nur noch das Lachen so etwas wie Freiheit gewähren kann, greift er zu einer verdrehten Komik, nimmt sich eine Narrenfreiheit, die einem anderen Reisenden der Sprache, Heinrich Heine, alle Ehre gemacht hätte.
Das größte Raffinement dieses Buches liegt jedoch darin, dass sich ab einem gewissen Punkt gar nicht mehr entscheiden lässt, ob nun die äußeren Umstände verantwortlich zeichnen für Bernd Burgers Reflexionsspiralen oder ob nicht vielmehr umgekehrt sein Faible für das Verflüssigen der Begriffe erst den Stachel gesetzt hat, den einen Ort zu verlassen, um den anderen nicht zu erreichen. So konsequent wie Franz Hodjak hat selten einer den Möglichkeitsmenschen gedacht. Erst im letzten Satz des Romans zeigt sein Protagonist Burger mit einer Volte jene Grenze, die der Vorstellung eines flottierenden Sprechens gesetzt ist: „Nachdem ich den Stempel einer Identität aufgedrückt bekomme, was ich ja akzeptieren muß, Melitta, dann erst beginnt für mich die Irrfahrt.”
Zwar hat Franz Hodjak seinem Buch ein etwas plakatives Entwicklungsschema unterlegt, dessen „er hatte gelernt”- Sätze dem burgerschen Denkfuror nicht unbedingt gut zu Gesicht stehen. Doch auf seiner Irrfahrt mit Koffer werden alle Einsichten so lange durch die Windungen des Denkens gejagt, bis nur noch das Knirschen des Sandes zu hören ist.
NICO BLEUTGE
FRANZ HODJAK: Ein Koffer voll Sand. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 244 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bei allem Respekt für das Schicksal des rumäniendeutschen Autors, das er sich in diesem Buch "von der Seele" geschrieben hat - mit dem literarischen Ergebnis ist Rezensent Thomas Rietzschel nicht zufrieden. Franz Hodjak lasse in seiner Geschichte des Lektors Bernd Burger, Opfer linker und rechter rumänischer Barbarei, die Episoden wuchern, "abzweigend in diese und jene Richtung, über Kreuz des öfteren"; Schönes und Widerwärtiges, Gemeines, Banales und Unglaubliches werde zusammengenommen, ohne dass sich die einzelnen Episoden nach Ansicht des Rezensenten jedoch zu einem epischen Ablauf verbinden. Am Ende sieht er die eigentliche Handlung des Romans im anekdotischen Dickicht verschwinden. Zwar liest sich der Rezensent offensichtlich immer wieder auch durch ergreifende Passagen, und die Tatsache, dass er den trostlos skeptischen Protagonisten hier nur noch als Medium der Ernüchterung auftreten sieht, macht durchaus Sinn für ihn. Doch die immer wieder "unterkühlte Feststellung der Sinnlosigkeit" lässt für Rietzschel auch jeden Handlungsansatz ins Leere laufen.

© Perlentaucher Medien GmbH