Mitglieder des Hanauer Geschichtsvereins 1844 e.V. konnten 2004 zwischen dem Hanauer Goldschmiedehaus und der Marienkirche einen interessanten Ausschnitt der einstigen Altstadt von Hanau erforschen, der in diesem Buch der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Außer einem eher unscheinbaren prähistorischen Grabfund wurden zahlreiche spätmittelalterliche Gruben unterschiedlicher Funktion sowie ein steinummantelter Brunnen aus dem 14. Jahrhundert ausgegraben. Offensichtlich wurde diese damals aber vielleicht bereits weitgehend versiegte Wasserstelle mit der Errichtung des ab 1537 erbauten Rathauses, dem heutigen Goldschmiedehaus, wieder zugeworfen. Das aus diesem Brunnen geborgene Fundmaterial ermöglicht interessante Einblick in das Leben der Menschen in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt Hanau, einem damals wohl noch beschaulichen Handwerker- und Ackerbürgerstädtchen
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2021Knochen, Scherben und viele Rätsel
HANAU Am Hanauer Goldschmiedehaus hat es 2004 Ausgrabungen gegeben. Die Fundstücke sind mittlerweile katalogisiert worden, aber für deren genaue Analyse fehlt das Geld. Jetzt stellt der Geschichtsverein sie vor.
Von Luise Glaser-Lotz
Wer in Hanau in die Tiefe gräbt, stößt entweder auf eine Weltkriegsbombe oder auf archäologische Funde, heißt es. Die Ausgräber des Geschichtsvereins im Jahr 2004, die sich am Untergrund zwischen dem Goldschmiedehaus und der Marienkirche zu schaffen machten, blieben glücklicherweise von alter Munition verschont und entdeckten eine Reihe von interessanten Relikten der Vergangenheit. Damit ist nicht der acht Meter lange Heizöltank aus den Fünfzigerjahren gemeint, der im Boden versenkt war und entsorgt werden musste. Ausgegraben wurden vor allem Objekte des ausgehenden Mittelalters, die der Geschichtsschreibung der Stadt Hanau weitere Facetten hinzufügen.
Die Grabungen erfolgten damals unter großem Zeitdruck, weil die Arbeiten an dem Glasanbau mit Aufzug für das Goldschmiedehaus, einst Rathaus der Stadt, beginnen sollten, erinnert sich Grabungsleiter Peter Jüngling, ehemaliger Polizeibeamter und Mitglied des Hanauer Geschichtsvereins. Danach konnte und musste man sich Zeit lassen, um die Fundstücke zu sichten und zu katalogisieren. Für eine genaue Analyse vieler Objekte fehlte allerdings das Geld, bedauert Jüngling, der mit Eintritt in den Ruhestand die Zeit fand, an einer Publikation über die Ausgrabungen im Herzen der Altstadt zu arbeiten. Erschienen ist sie jetzt als siebter Band der Reihe "Hanauer Schriften zur Archäologie und Geschichte" des Hanauer Geschichtsvereins 1844.
Hanau war einst Mittelpunkt der Region, Residenzstadt und Regierungssitz der Grafschaft Hanau-Münzenberg und später auch von Hanau-Lichtenberg. Die Stadt sei damals keine bedeutende Kommune gewesen wie Frankfurt, Wiesbaden oder Kassel. Gleichwohl sei sie bis heute eine lebendige Stadt, deren Zentrum ständiger Veränderung unterworfen sei. Bauwerke seien errichtet, wieder abgebrochen und andere erneuert worden, so Jüngling. Die Grabungen erlaubten seinerzeit vor allem einen Blick in das Hanau des ausgehenden Mittelalters.
Der spannendste Fund in der Altstadt ist für Jüngling aber ein prähistorisches Grab mit etwa 40 Knochen. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die Reste eines menschlichen Skeletts, doch das ist nicht sicher. Für eine genauere Untersuchung fehlt es dem Geschichtsverein an Geld. Rätsel geben auch mehrere Kilogramm Eisenschlacken auf. Möglicherweise befand sich an der Ausgrabungsstelle im zwölften oder dreizehnten Jahrhundert ein Schmelzofen oder eine Schmiede. Eine ausgegrabene eiserne Sichel könnte eines der ältesten in Hanau gefundenen Werkzeuge, möglicherweise aus dem sechzehnten Jahrhundert, sein.
Auf das frühe dreizehnte Jahrhundert könnten die Gebrauchskeramiken und das einfache Handwerkszeug zu datieren sein, die in einem aus Steinen gebauten Brunnen gefunden wurden. Aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg dürfte ein "Kuchenstain" stammen, für Jüngling ein Hinweis auf die vielleicht älteste Konditorei Hanaus. Ein Weinkrug mit grün glasiertem Überzug stellt ein Relikt der Töpferkunst des späten Mittelalters dar.
Gerätselt wird auch über die Bedeutung einer beigefarbenen Ofenkachel mit kurmainzischem Wappen. Vielleicht waren die Beziehungen zu den Mainzer Erzbischöfen nicht ganz so schlecht, wie sie in dieser Zeit angeblich gewesen sein sollen, spekuliert Jüngling. Und vielleicht habe es in Hanau ja auch einen Mainzer Hof gegeben. Ein Zeugnis katholischer Tradition ist eine Perle mit einem Durchmesser von gut sechs Millimetern, die auch im Brunnen gefunden wurde. Sie stammt vermutlich aus einem Rosenkranz.
Als spektakulär bezeichnet Jüngling die Entdeckung einer kleinen, geschnitzten Figur, die möglicherweise als Spielzeug, vielleicht eine Puppe, benutzt wurde. Das knapp 70 Millimeter lange Objekt, aus einer Rippe geschnitzt, zeigt auf der Vorderseite einen Kopf mit deutlich erkennbarem Haaransatz, mit Hals und einem schlichten Körper. Auf ihm befinden sich eingeritzte Linien, die nach den Vermutungen des Fachmanns vermutlich mit einem anderen Knochen angebracht wurden. Solche Verzierungen kommen laut Jüngling seit der Steinzeit vor. Auf dem Werkstück aus Hanau sind die Ritzen kaum zu erkennen, es könnte sich aber um eine Andeutung von Kleidung handeln.
Die Funde aus der Hanauer Altstadt sind nun zwar ans Tageslicht gekommen. Sie werden aber wohl noch lange Zeit in Kisten verwahrt bleiben. Eine öffentliche Präsentation ist nicht vorgesehen, und genaue Zeitbestimmungen scheitern an der Finanzierung. Doch in der Dokumentation "Archäologische Forschung am Goldschmiedehaus Hanau", herausgegeben vom Hanauer Geschichtsverein 1844 und Peter Jüngling, sind sie in Wort und Bild ausführlich dokumentiert. Der rund 230 Seiten umfassende Band im Format DIN A4 beschreibt darüber hinaus das Grabungsgeschehen der vergangenen Jahre in der Stadt. Der Band ist für 20 Euro im Buchhandel erhältlich.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
HANAU Am Hanauer Goldschmiedehaus hat es 2004 Ausgrabungen gegeben. Die Fundstücke sind mittlerweile katalogisiert worden, aber für deren genaue Analyse fehlt das Geld. Jetzt stellt der Geschichtsverein sie vor.
Von Luise Glaser-Lotz
Wer in Hanau in die Tiefe gräbt, stößt entweder auf eine Weltkriegsbombe oder auf archäologische Funde, heißt es. Die Ausgräber des Geschichtsvereins im Jahr 2004, die sich am Untergrund zwischen dem Goldschmiedehaus und der Marienkirche zu schaffen machten, blieben glücklicherweise von alter Munition verschont und entdeckten eine Reihe von interessanten Relikten der Vergangenheit. Damit ist nicht der acht Meter lange Heizöltank aus den Fünfzigerjahren gemeint, der im Boden versenkt war und entsorgt werden musste. Ausgegraben wurden vor allem Objekte des ausgehenden Mittelalters, die der Geschichtsschreibung der Stadt Hanau weitere Facetten hinzufügen.
Die Grabungen erfolgten damals unter großem Zeitdruck, weil die Arbeiten an dem Glasanbau mit Aufzug für das Goldschmiedehaus, einst Rathaus der Stadt, beginnen sollten, erinnert sich Grabungsleiter Peter Jüngling, ehemaliger Polizeibeamter und Mitglied des Hanauer Geschichtsvereins. Danach konnte und musste man sich Zeit lassen, um die Fundstücke zu sichten und zu katalogisieren. Für eine genaue Analyse vieler Objekte fehlte allerdings das Geld, bedauert Jüngling, der mit Eintritt in den Ruhestand die Zeit fand, an einer Publikation über die Ausgrabungen im Herzen der Altstadt zu arbeiten. Erschienen ist sie jetzt als siebter Band der Reihe "Hanauer Schriften zur Archäologie und Geschichte" des Hanauer Geschichtsvereins 1844.
Hanau war einst Mittelpunkt der Region, Residenzstadt und Regierungssitz der Grafschaft Hanau-Münzenberg und später auch von Hanau-Lichtenberg. Die Stadt sei damals keine bedeutende Kommune gewesen wie Frankfurt, Wiesbaden oder Kassel. Gleichwohl sei sie bis heute eine lebendige Stadt, deren Zentrum ständiger Veränderung unterworfen sei. Bauwerke seien errichtet, wieder abgebrochen und andere erneuert worden, so Jüngling. Die Grabungen erlaubten seinerzeit vor allem einen Blick in das Hanau des ausgehenden Mittelalters.
Der spannendste Fund in der Altstadt ist für Jüngling aber ein prähistorisches Grab mit etwa 40 Knochen. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die Reste eines menschlichen Skeletts, doch das ist nicht sicher. Für eine genauere Untersuchung fehlt es dem Geschichtsverein an Geld. Rätsel geben auch mehrere Kilogramm Eisenschlacken auf. Möglicherweise befand sich an der Ausgrabungsstelle im zwölften oder dreizehnten Jahrhundert ein Schmelzofen oder eine Schmiede. Eine ausgegrabene eiserne Sichel könnte eines der ältesten in Hanau gefundenen Werkzeuge, möglicherweise aus dem sechzehnten Jahrhundert, sein.
Auf das frühe dreizehnte Jahrhundert könnten die Gebrauchskeramiken und das einfache Handwerkszeug zu datieren sein, die in einem aus Steinen gebauten Brunnen gefunden wurden. Aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg dürfte ein "Kuchenstain" stammen, für Jüngling ein Hinweis auf die vielleicht älteste Konditorei Hanaus. Ein Weinkrug mit grün glasiertem Überzug stellt ein Relikt der Töpferkunst des späten Mittelalters dar.
Gerätselt wird auch über die Bedeutung einer beigefarbenen Ofenkachel mit kurmainzischem Wappen. Vielleicht waren die Beziehungen zu den Mainzer Erzbischöfen nicht ganz so schlecht, wie sie in dieser Zeit angeblich gewesen sein sollen, spekuliert Jüngling. Und vielleicht habe es in Hanau ja auch einen Mainzer Hof gegeben. Ein Zeugnis katholischer Tradition ist eine Perle mit einem Durchmesser von gut sechs Millimetern, die auch im Brunnen gefunden wurde. Sie stammt vermutlich aus einem Rosenkranz.
Als spektakulär bezeichnet Jüngling die Entdeckung einer kleinen, geschnitzten Figur, die möglicherweise als Spielzeug, vielleicht eine Puppe, benutzt wurde. Das knapp 70 Millimeter lange Objekt, aus einer Rippe geschnitzt, zeigt auf der Vorderseite einen Kopf mit deutlich erkennbarem Haaransatz, mit Hals und einem schlichten Körper. Auf ihm befinden sich eingeritzte Linien, die nach den Vermutungen des Fachmanns vermutlich mit einem anderen Knochen angebracht wurden. Solche Verzierungen kommen laut Jüngling seit der Steinzeit vor. Auf dem Werkstück aus Hanau sind die Ritzen kaum zu erkennen, es könnte sich aber um eine Andeutung von Kleidung handeln.
Die Funde aus der Hanauer Altstadt sind nun zwar ans Tageslicht gekommen. Sie werden aber wohl noch lange Zeit in Kisten verwahrt bleiben. Eine öffentliche Präsentation ist nicht vorgesehen, und genaue Zeitbestimmungen scheitern an der Finanzierung. Doch in der Dokumentation "Archäologische Forschung am Goldschmiedehaus Hanau", herausgegeben vom Hanauer Geschichtsverein 1844 und Peter Jüngling, sind sie in Wort und Bild ausführlich dokumentiert. Der rund 230 Seiten umfassende Band im Format DIN A4 beschreibt darüber hinaus das Grabungsgeschehen der vergangenen Jahre in der Stadt. Der Band ist für 20 Euro im Buchhandel erhältlich.
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