Produktdetails
  • Verlag: DuMont Buchverlag
  • Seitenzahl: 172
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 367g
  • ISBN-13: 9783832160005
  • ISBN-10: 3832160000
  • Artikelnr.: 10311965
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.2002

Brainstorm und Drang
Lieblose Kabale unter Yuppies: Mirko Bonnés zweiter Roman

Mittlere Helden, die unverdient ins Unglück geraten, sind keine Seltenheit in der Literatur. Nicht einmal Durchschnittlichkeit muß langweilen, selbst Männer ohne Eigenschaften spielten ja schon erste Rollen. Mario Ries in Mirko Bonnés zweitem Roman "Ein langsamer Sturz" hat etwas von einem besseren Jedermann. Beruflich ist er recht erfolgreich, doch lästiger Scheidungsstreß und eine völlig unbeabsichtigte, dumme Affäre werfen ihn schicksalhaft aus der Bahn. Eine gewisse Fallhöhe sowie eine Prise tragischer Schuld machen seinen Sturz also möglich, auch wenn er das nicht wahrhaben will.

Ries arbeitet für eine Hamburger Werbeagentur. Sein Auftrag, für das Projekt "Drei Tore Europas" in Marseille eine Dependance einzurichten und darüber hinaus Izmir als dritte Hafenstadt zu gewinnen, wirkt zunächst wie eine große Chance. Doch eine üble Kabale der Hamburger Zentrale, die von einem gewissen "HH" - für Helge Hoppe - geführt wird, zieht ihm den Deutsch-Türken Hakan Bistal vor. Dieser hat Ries' flüchtiges Verhältnis zu der Kulturbeauftragten Jacquelin Fontaine nach Hamburg kolportiert, die - wie der Name schon sagt - die französischen Finanzquellen für das Projekt sprudeln lassen soll. Ries will deshalb kurz vor dem Abflug nach Izmir - dem "Riesen, der täglich wächst" - seinen Job kündigen. Nach einem heftigen Streit mit Hakan reist er schließlich doch, allerdings mit einer anderen Maschine über Brüssel. Beim Anflug auf Izmir sieht er die Fokker aus Marseille, die er selbst hätte nehmen sollen, zertrümmert auf dem Rollfeld. Sein konkurrierender Kollege verunglückt darin tödlich, Jacquelin Fontaine überlebt die Havarie mit schweren Verletzungen.

Hakans jähem Sturz folgt Marios langsamer. Der Leser begleitet ihn bei seinem dreitägigen Aufenthalt in Izmir. Die Agentur hat zur Einweihung des dortigen Europäischen Kulturinstituts eine illustre Gesellschaft einfliegen lassen, die den krisengeschüttelten Mario in ihre Mitte nimmt. Bonné spart hier nicht mit Personal, um seiner unbändigen Leidenschaft für (anagrammatische) Namenspielereien frönen zu können. Da ist der höchst aufgeräumte Zeremonienmeister Walter von Möllen, der Mario seine Tochter Marina, eine verführerische Badenixe, mit Erfolg anträgt. Die Liebe ist bei aller Kabale also erst einmal gesichert, auch wenn sie die Ausstiegswünsche noch befeuert. Hinzu kommen die heimlich miteinander liierten Reiseleiter, der Türke Erdal - "wie die Schuhcreme" - und die mehrsprachige Silke, who "likes" everything; ferner das Künstler-Duo Grün, wobei der Mann natürlich Udo heißt; schließlich die Hamburger Kulturreferenten Renate und Burkhard Schatz, die ihrem Namen schnäbelnd alle Ehre machen. Die Krönung bildet der französische Schnulzensänger Rhoberto, herangewachsen aus einem provinziellen Robert wie wohl sein Agent Enrico Gubben aus einem schlichten Heinrich.

Doch der Roman erschöpft sich nicht in Namen- und reimenden Wortspielen, mit denen sich der Lyriker Bonné zur Geltung bringt. Seine versiert erzählte Geschichte wäre zwar für sich genommen kaum der Rede wert: Wer interessiert sich schon für Leute, die ständig von "Brainstormen", "Workflow", "Briefing", "Mobbing" oder "Info-Management" brabbeln, mit Handys und Laptops herumfuchteln oder sich ohne Begriff von der türkischen Kultur als Mittler Europas aufspielen, um Geschäfte damit zu machen? Wollen wir wirklich wissen, wie Marios Agentur ihn schaßt, er die schwierige Französin wieder los wird, den toten Kollegen identifiziert, seine Kündigung endgültig beschließt und kurz vor dem Rückflug - etwas simpel symbolisiert - in eine Baugrube stürzt? Von außen betrachtet, erscheint das nicht sonderlich aufregend.

Vielleicht aber von innen: Durch das personale Erzählen und die gelegentlichen Wechsel in die erlebte Rede gewinnt dieses Durchschnittsschicksal dennoch an Reiz. Man beginnt zu ahnen, was in jenen so uniform wirkenden Begleitern aus Zug und Flugzeug vorgehen mag, auf welche Situationen sie routinierter oder irritierter reagieren, als wir es erwarten würden. Georg Klein hat diese Kunst der Entführung in unvertraute Regionen der alltäglichen Welt zur Meisterschaft getrieben. Dazu fehlt Bonné allerdings noch ein gutes Stück.

Schade auch, daß einige logische Schnitzer keinem Lektor auffielen. So erkundigt sich Mario, der seltsamerweise keine Uhr trägt, in Hamburg nach der Zeit, um eine Telefonverabredung nicht zu verpassen. Daß es da in Izmir schon eine Stunde später ist, wird nicht bedacht. Oder: Hakan ist - wie Bonné - Jahrgang 1965 und kurz vor seinem Tod "knapp über dreißig". Der Roman spielt also noch in den neunziger Jahren, was einen in Euro ausgestellten Spendenscheck sinnlos macht. Das Raffinement, das die Kritik - wenn auch durch eine gewisse Kompliziertheit erkauft - an Bonnés Debüt "Der junge Fordt" lobte, ist im neuen Roman zu eher kurzweiliger Unterhaltung abgeschliffen. Gut für eine Flugreise.

ALEXANDER KOSENINA.

Mirko Bonné: "Ein langsamer Sturz". Roman. DuMont Verlag, Köln 2002. 172 S., geb., 17,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mirko Bonnés Roman "Ein langsamer Sturz" Roman hat Rezensent Friedhelm Rathjen vor allem wegen seiner Sprache überzeugt. Das Geschehen um die Hauptfigur Mario Ries, der für eine Hamburger Agentur in Izmir eine Dependance aufbauen soll, und dabei mit allerlei "Ranküne, Gehässigkeit, (...) Mobbing, Dissing" von seiten seiner Kollegen zu kämpfen hat, entpuppt sich für Rathjen "spätestens beim Versuch der Nacherzählung als Nicht-Geschehen". Was geschehe, sei eigentlich nur der Taumel der Hauptfigur, deren erratische Aktionen die allumgreifende Lethargie, die sie befangen halte, nicht zu durchdringen vermögen. "Je länger wir Mirko Bonnés Buch lesen", beschreibt Rathjen die eigentliche Qualität des Romans, "desto klarer wird, dass das rudimentäre Geschehen einzig und allein der Suche nach Sätzen dient." Wo im Grunde nichts passiere oder das, was passiere, vage und zähflüssig bleibe, gewinne die Sprache die Oberhand. Als "größten Vorzug" des Romans nennt Rathjen daher, dass Mirko Bonnés Prosa nie glatt und eingängig werde. "Das Geheimnis dieser Prosa", resümiert der Rezensent, "ist die Unerschrockenheit, mit der sie abstrakte, wabernde und inhaltslose Konzepte in konkretes Sprechen zu überführen vermag."

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