Guy de Maupassant: Ein Leben. Roman Erstdruck: 1883 als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift »Gil Blas« unter dem Titel »Une vie ou L¿Humble Vérité«. Im selben Jahr in Buchform erschienen als »L¿Humble Vérité«. Deutsche Erstausgabe: »Ein Leben«, Frankfurt an der Oder, Verlagshaus Hugo Andres und Co., 1894. Hier in der Übersetzung von Georg von Ompteda, erstmalig erschienen unter dem Titel »Ein Menschenleben«. Vollständige Neuausgabe. Herausgegeben von Karl-Maria Guth. Berlin 2015. Umschlaggestaltung von Thomas Schultz-Overhage unter Verwendung des Bildes: Edgar Degas, Porträt einer jungen Frau, 1867.. Gesetzt aus Minion Pro, 11 pt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2018NEUE TASCHENBÜCHER
Lasst uns Illusionen beweinen:
Guy de Maupassants Roman „Ein Leben“
Sie muss fort, weg von dem Kloster in Rouen, wo sie erzogen wurde. Nun ist Jeanne siebzehn, und keinen Tag länger will sie warten, nicht mal auf besseres Reisewetter. So brechen sie also auf, Jeanne und die Eltern, in strömendem Regen, zu ihrem Schloss Les Peuples.
Die Mädchen wirken in den großen französischen Romanen des 19. Jahrhunderts, zumal wenn sie in der Normandie spielen, alle, als ob sie Emma hießen. So voller Ungestüm und Leidenschaft ist auch Jeanne, Tochter von Baron Simon-Jacques Le Perthuis des Vauds und seiner Frau, im ersten Roman von Guy de Maupassant, „Ein Leben“, von 1883. Im Vergleich dazu, schreibt Julian Barnes im Nachwort dieser Ausgabe, ist „Madame Bovary“ fast ein freundlicher Roman.
Jeannes Leben ist dann wie ein Katalog, eine Sammlung aller möglicher Missgeschicke und Missetaten, die einer liebenden Frau passieren können: Ein Segeltörn mit Vater und Geliebtem, eine überhastete Heirat, Flitterwochen auf Korsika, ein Mann, der sich als nörgeliger Geizkragen erweist und fremdgeht, eine Geburt und eine Fehlgeburt. Dann ein Sohn, der sich mit einer Nutte einlässt und immer wieder neue Summen von der Mutter haben möchte, bis sie ihr ganzes Erbe vertan hat: „Zuweilen beweint man die Illusionen mit ebenso viel Trauer wie die Toten.“
Der Vater ist Rousseauist, ein Ruhepunkt in der bürgerlichen Verklemmtheit. Der Gegenspieler ist der schreckliche Abbé Tolbiac, ihm schleudert der Vater ein heftiges „Antiphysisch!“ entgegen. „Sie sind nicht menschlich; Sie begreifen nichts, nichts, nichts. Sie agieren in einem bösen Traum.“ Den Abbé erlebt man in einer der schlimmsten Splatterszenen der Romanliteratur – mit einer Hündin, die eben einen Wurf Welpen gebar. „Er zerschlug seinen Regenschirm. Mit nun leeren Händen stieg er auf sie, und ihr den Rest gebend, sie vernichtend, trampelte er wie wild auf ihr herum.“ Erst der letzte Satz ist dann so banal und so beruhigend wie der Scarlett O’Haras: „Wissen Sie, das Leben ist nie so gut oder so schlecht, wie man glaubt.“ FRITZ GÖTTLER
Guy de Maupassant: Ein Leben. Aus dem Französischen von Cornelia Hasting. Nachwort v. Julian Barnes. DuMont Verlag, Köln 2018. 384 Seiten, 12 Euro.
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Lasst uns Illusionen beweinen:
Guy de Maupassants Roman „Ein Leben“
Sie muss fort, weg von dem Kloster in Rouen, wo sie erzogen wurde. Nun ist Jeanne siebzehn, und keinen Tag länger will sie warten, nicht mal auf besseres Reisewetter. So brechen sie also auf, Jeanne und die Eltern, in strömendem Regen, zu ihrem Schloss Les Peuples.
Die Mädchen wirken in den großen französischen Romanen des 19. Jahrhunderts, zumal wenn sie in der Normandie spielen, alle, als ob sie Emma hießen. So voller Ungestüm und Leidenschaft ist auch Jeanne, Tochter von Baron Simon-Jacques Le Perthuis des Vauds und seiner Frau, im ersten Roman von Guy de Maupassant, „Ein Leben“, von 1883. Im Vergleich dazu, schreibt Julian Barnes im Nachwort dieser Ausgabe, ist „Madame Bovary“ fast ein freundlicher Roman.
Jeannes Leben ist dann wie ein Katalog, eine Sammlung aller möglicher Missgeschicke und Missetaten, die einer liebenden Frau passieren können: Ein Segeltörn mit Vater und Geliebtem, eine überhastete Heirat, Flitterwochen auf Korsika, ein Mann, der sich als nörgeliger Geizkragen erweist und fremdgeht, eine Geburt und eine Fehlgeburt. Dann ein Sohn, der sich mit einer Nutte einlässt und immer wieder neue Summen von der Mutter haben möchte, bis sie ihr ganzes Erbe vertan hat: „Zuweilen beweint man die Illusionen mit ebenso viel Trauer wie die Toten.“
Der Vater ist Rousseauist, ein Ruhepunkt in der bürgerlichen Verklemmtheit. Der Gegenspieler ist der schreckliche Abbé Tolbiac, ihm schleudert der Vater ein heftiges „Antiphysisch!“ entgegen. „Sie sind nicht menschlich; Sie begreifen nichts, nichts, nichts. Sie agieren in einem bösen Traum.“ Den Abbé erlebt man in einer der schlimmsten Splatterszenen der Romanliteratur – mit einer Hündin, die eben einen Wurf Welpen gebar. „Er zerschlug seinen Regenschirm. Mit nun leeren Händen stieg er auf sie, und ihr den Rest gebend, sie vernichtend, trampelte er wie wild auf ihr herum.“ Erst der letzte Satz ist dann so banal und so beruhigend wie der Scarlett O’Haras: „Wissen Sie, das Leben ist nie so gut oder so schlecht, wie man glaubt.“ FRITZ GÖTTLER
Guy de Maupassant: Ein Leben. Aus dem Französischen von Cornelia Hasting. Nachwort v. Julian Barnes. DuMont Verlag, Köln 2018. 384 Seiten, 12 Euro.
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