Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2006Den Museen hilft Diskretion
In seiner im Herbst 2005 erschienenen Biographie über Gerhard Richter, "Ein Maler aus Deutschland" (F.A.Z. vom 19. August und 19. November 2005), hat Jürgen Schreiber Richters Gemälde "Tante Marianne" zum Herzstück eines deutschen Requiems stilisiert, in dem die Gewalttätigkeit der Nationalsozialisten vom Künstler, ohne dessen bewußte Absicht, festgestellt sei: Schreibers Deutung machte "Tante Marianne" zum neuen deutschen Schicksalsbild schlechthin. Rund vierzig Jahre hatte sich das 1965 gemalte Werk in süddeutschem Privatbesitz befunden. Seine heute betagte Besitzerin aus Stuttgart lieferte es jetzt, kurz nach Erscheinen von Schreibers Buch, bei Sotheby's in London ein, und die Auktionsfirma annoncierte es entsprechend als "eines der bedeutendsten und persönlichsten Werke Gerhard Richters, das bisher auf dem Kunstmarkt angeboten wurde". Solche Bedeutung hat ihren Preis, versehen mit einer Schätzung von 1,5 bis zwei Millionen Pfund (umgerechnet 2,25 bis drei Millionen Euro) avancierte "Tante Marianne" zu einem Spitzenlos der Londoner Frühjahrssaison. Das Verhängnis war von nun an zu ahnen, spätestens allerdings, als ein Beitrag im deutschen Fernsehen sich voller Pathos und Pietät des Themas annahm: mit deutlicher Tendenz und selbstredend mit der gefilmten Stellungnahme einer Mitarbeiterin des Auktionshauses, die sich natürlich sehr freuen würde, wenn das Bild in einem deutschen Museum hängen würde. Es ließ sich buchstäblich dabei zusehen, wie "Tante Mariannes" Marktwert stieg, weil die Aufladung mit Inhalt in den Medien vor den Augen der Öffentlichkeit im gleichen Maße anschwoll wie der Rumor um das Werk herum. Selbst die Londoner "Times" befand noch vor der Versteigerung, daß in Richters Werk die verworrene deutsche Geschichte zwischen Täter- und Opferschaft eingeschlossen sei. Inzwischen war das Bild also buchstäblich vor aller Welt zur unumstößlichen Museumsreife gelangt. Darüber konnten sämtliche Beteiligte glücklich sein - außer den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Denn - ganz unbesehen der Frage, ob für dieses Bild Richters tatsächlich gilt, was für seinen "RAF-Zyklus" unbedingt gegolten hätte, daß das Werk nämlich in einem deutschen Museum seinen Ort haben soll - was das Dresdner Museum gebraucht hätte, wäre nicht maximale Aufmerksamkeit, sondern Diskretion gewesen: vor allem deshalb, um nicht gerade durch die propagierte Musealität andere, private Interessenten allererst zu aktivieren, für die der Preis kaum, das Prestige indessen die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Versteigerung eines so kapitalen Werks ist kein Freundschaftsspiel, sondern ein Geschäft. Jetzt ist "Tante Marianne" für gut 3,1 Millionen Euro (inklusive Aufgeld) in Privatbesitz in Asien - und die Hoffnung relativ gering, daß der neue Eigner sie dem Dresdner Museum zur Verfügung stellen wird. Die Lehre liegt auf der Hand.
rmg
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In seiner im Herbst 2005 erschienenen Biographie über Gerhard Richter, "Ein Maler aus Deutschland" (F.A.Z. vom 19. August und 19. November 2005), hat Jürgen Schreiber Richters Gemälde "Tante Marianne" zum Herzstück eines deutschen Requiems stilisiert, in dem die Gewalttätigkeit der Nationalsozialisten vom Künstler, ohne dessen bewußte Absicht, festgestellt sei: Schreibers Deutung machte "Tante Marianne" zum neuen deutschen Schicksalsbild schlechthin. Rund vierzig Jahre hatte sich das 1965 gemalte Werk in süddeutschem Privatbesitz befunden. Seine heute betagte Besitzerin aus Stuttgart lieferte es jetzt, kurz nach Erscheinen von Schreibers Buch, bei Sotheby's in London ein, und die Auktionsfirma annoncierte es entsprechend als "eines der bedeutendsten und persönlichsten Werke Gerhard Richters, das bisher auf dem Kunstmarkt angeboten wurde". Solche Bedeutung hat ihren Preis, versehen mit einer Schätzung von 1,5 bis zwei Millionen Pfund (umgerechnet 2,25 bis drei Millionen Euro) avancierte "Tante Marianne" zu einem Spitzenlos der Londoner Frühjahrssaison. Das Verhängnis war von nun an zu ahnen, spätestens allerdings, als ein Beitrag im deutschen Fernsehen sich voller Pathos und Pietät des Themas annahm: mit deutlicher Tendenz und selbstredend mit der gefilmten Stellungnahme einer Mitarbeiterin des Auktionshauses, die sich natürlich sehr freuen würde, wenn das Bild in einem deutschen Museum hängen würde. Es ließ sich buchstäblich dabei zusehen, wie "Tante Mariannes" Marktwert stieg, weil die Aufladung mit Inhalt in den Medien vor den Augen der Öffentlichkeit im gleichen Maße anschwoll wie der Rumor um das Werk herum. Selbst die Londoner "Times" befand noch vor der Versteigerung, daß in Richters Werk die verworrene deutsche Geschichte zwischen Täter- und Opferschaft eingeschlossen sei. Inzwischen war das Bild also buchstäblich vor aller Welt zur unumstößlichen Museumsreife gelangt. Darüber konnten sämtliche Beteiligte glücklich sein - außer den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Denn - ganz unbesehen der Frage, ob für dieses Bild Richters tatsächlich gilt, was für seinen "RAF-Zyklus" unbedingt gegolten hätte, daß das Werk nämlich in einem deutschen Museum seinen Ort haben soll - was das Dresdner Museum gebraucht hätte, wäre nicht maximale Aufmerksamkeit, sondern Diskretion gewesen: vor allem deshalb, um nicht gerade durch die propagierte Musealität andere, private Interessenten allererst zu aktivieren, für die der Preis kaum, das Prestige indessen die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Versteigerung eines so kapitalen Werks ist kein Freundschaftsspiel, sondern ein Geschäft. Jetzt ist "Tante Marianne" für gut 3,1 Millionen Euro (inklusive Aufgeld) in Privatbesitz in Asien - und die Hoffnung relativ gering, daß der neue Eigner sie dem Dresdner Museum zur Verfügung stellen wird. Die Lehre liegt auf der Hand.
rmg
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Jürgen Schreibers Ein Maler aus Deutschland ist eine bohrende und fesselnde Recherche. Sein Reportagestil ist effektvoll und packend." - NZZ