Produktdetails
- Verlag: Edition Epoca
- Originaltitel: Un homme qui savait
- Seitenzahl: 191
- Deutsch
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 344g
- ISBN-13: 9783905513165
- ISBN-10: 3905513161
- Artikelnr.: 24176433
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2000Quittungen des ungelebten Lebens
Seelenkrimi mit Herzstechen: Emmanuel Boves letzter Roman
Ganz besonders wird dieser halbvergessene Autor von den Theaterleuten geschätzt. Der französische Regisseur Didier Bezace brachte unlängst einen Roman von ihm auf die Bühne, und Luc Bondy prophezeite kühn, eines Tages werde er so bekannt sein wie Flaubert. Seine Kunst, über die Art, wie ein Hut an den Haken gehängt, eine Straße überquert oder die Serviette umgebunden wird, feinste innere Seelenzustände der Figuren zu spiegeln, macht die Texte zu subtilen Spielvorlagen für die Leserphantasie. Zugleich nehmen sie teilweise schon die Beobachtungspräzision des Nouveau Roman vorweg. Samuel Beckett verwies wiederholt auf Bove als eine der anregendsten Wiederentdeckungen, und Rilke wollte nach der Lektüre des Erstlingsromans "Meine Freunde" in den frühen zwanziger Jahren den Autor unbedingt kennenlernen.
Auch dieser letzte Roman des 1945 im Alter von siebenundvierzig Jahren verstorbenen Bove enthält alles, was zur ausdruckslos muffigen Kleine-Leute-Melancholie seiner früheren Bücher gehört. Das ganze Leben gerät dem vorzeitigen Ruheständler Maurice Lesca, der mit seiner Schwester in der Pariser Innenstadt eine kleine Mittelstandswohnung im vierten Stock bewohnt, zu einem einzigen acte gratuit: nicht zu einem brillant verspielten jedoch, der mit der Vergeblichkeit aller Zielvorstellungen kokettiert, sondern einem glanzlos schäbigen, der sich bei vollem Bewußtsein über das unaufhaltsame Entgleiten des Lebensverlaufs jeden Tag mehr abnützt.
Der ehemalige Allgemeinarzt Lesca, dem das zunächst aussichtsreiche Berufsleben auf ganz banale Weise irgendwie schiefgelaufen ist, hat mit seinem förmlich steifen Temperament noch viel zuviel Energie, als daß er die Dinge einfach schleifen lassen könnte. Mit unermüdlicher Beflissenheit bewegt er sich durch die komplizierte Gewohnheitstopographie seines Alltags, steigt die vier Etagen hoch und nieder, grüßt unten artig den Caféwirt, geht unauffällig durch Straßen und über Seine-Brücken, klopft scheu an Notariatskanzleitüren und nestelt an den vielen Dingen, die im eigenen wie in fremden Leben nicht an ihrem richtigen Platz sind. Da ist etwa die Sache mit Madame Maze, der Lesca in ihrem kleinen Buchladen fast täglich freundschaftliche Besuche abstattet und die aus ihren früheren Jahren ebenfalls eine nicht ganz aufgegangene Geschichte in Form einer kinderlos geschiedenen Ehe mit sich trägt.
Damit läßt sich leben, und Madame Maze tut das auch in der höflich diskreten Melancholie dessen, der seiner dunklen Lebensenttäuschung im Alter nicht auch noch die Schmach schriller Verzweiflung aufbürden möchte. Doch für Lesca, der sich in andere Leben um so lieber einmischt, als es im eigenen nie viel zu mischen gab, sind solche offengebliebenen Rechnungen unerträglich. Er setzt alles dran, sie zu begleichen, mag er dabei auch ganz andere Posten aufreißen.
Daß es sich bei Madame Maze und ihrem Verhältnis zum früheren Gatten um eine Geldgeschichte handelt, scheint zunächst ganz zufällig zu sein, denn "Geld ist uns völlig gleichgültig", sagt Lesca zur Madame: "Unser beider Leben ist der Beweis dafür. Sonst wären wir nicht hier, in diesem Hinterzimmer, weder Sie noch ich." Zum Hauptthema, auf das Lesca unweigerlich immer wieder zu sprechen kommt, wird das Geld erst aus einer tief in ihm verwurzelten komplizierten Charakteranlage heraus, jenseits aller Habgier, Verschwendungssucht oder sonstigen Besitzobsession. Das Geld, das Lesca seiner Schwester gegenüber stets aufzutreiben, für Madame Maze stets zurückzuholen und keinem anderen auszuleihen verspricht, ist im Grunde nur ein beliebiges Existenzparadigma, über das er in Beziehung zur Welt treten und diese träumbar, berechenbar, abrechenbar und auch ihm gegenüber dankbar machen kann.
Eine mitunter an Robert Walsers Figuren erinnernde steife Förmlichkeit kommt da auf, wenn Lesca etwa mit Bücklingen über die Schwelle des Notariatsbüro tritt, durch die Ladentür der Madame Maze späht oder auf der Straße vor den Passanten den Hut lüftet. Gleichzeitig kommt es aber hoch oben in der vierten Etage auch wieder zu virulenten Ausbrüchen, wenn der spät Heimkehrende die schon schlafende Schwester weckt und in heillos monomanische Mutmaßungen verstrickt. Überhaupt werden die kuriosen Winkelzüge dieses Lebenspedanten immer wieder von unkontrollierbar verräterischen Körperreaktionen unterlaufen. Mitten im angestrengten Gespräch mit Madame Maze, mit ihrem Notar oder mit einem der spärlichen Bekannten fahren ihm Schweißausbrüche, Herzstiche oder jenes lästige Augenflattern ins eigene Wort, das er manchmal eigenhändig mit Kneifen und Fingerdrücken beruhigen muß.
Wie die im Erzählen stets gegenwärtigen Umgebungsrequisiten in Wohnung und Straße sprechen auch diese inneren Körperregungen die andere Wahrheit aus, die Lescas Worte nicht sagen. Nie werde er ihr Geld geben, woher es auch nehmen, fährt er wiederholt seine Schwester an und ist doch nie zufriedener, als wenn er ihr kommentarlos eine Summe überweisen oder zustecken kann. Nicht der Betrag als solcher, sondern nur das Faktum einer beglichenen Rechnung sei entscheidend für den endgültigen Abschluß ihrer alten Ehegeschichte, so schaltet Lesca sich steifköpfig in Madame Mazes Leben ein und läßt dann doch alle eigenen wie fremden Rechnungen in einer Weise offen, die an einen Seelenkrimi erinnert.
Der große acte gratuit der Klein-Leute-Existenz, die Emmanuel Bove mit seiner besonderen Darstellungspräzision vorführt, ist allerdings nicht gratis zu haben, sondern mit dem literarischen Kleingeld einer glanzlos am Detail haftenden Alltagsschilderung erkauft. Die sorgfältige Übersetzung von Gabriela Zehnder ist von einer praktisch ebenso feinen Legierung in Tonfall und Bilderknappheit.
JOSEPH HANIMANN
Emmanuel Bove: "Ein Mann, der wußte". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Gabriela Zehnder. Edition Epoca, Zürich 2000. 192 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Seelenkrimi mit Herzstechen: Emmanuel Boves letzter Roman
Ganz besonders wird dieser halbvergessene Autor von den Theaterleuten geschätzt. Der französische Regisseur Didier Bezace brachte unlängst einen Roman von ihm auf die Bühne, und Luc Bondy prophezeite kühn, eines Tages werde er so bekannt sein wie Flaubert. Seine Kunst, über die Art, wie ein Hut an den Haken gehängt, eine Straße überquert oder die Serviette umgebunden wird, feinste innere Seelenzustände der Figuren zu spiegeln, macht die Texte zu subtilen Spielvorlagen für die Leserphantasie. Zugleich nehmen sie teilweise schon die Beobachtungspräzision des Nouveau Roman vorweg. Samuel Beckett verwies wiederholt auf Bove als eine der anregendsten Wiederentdeckungen, und Rilke wollte nach der Lektüre des Erstlingsromans "Meine Freunde" in den frühen zwanziger Jahren den Autor unbedingt kennenlernen.
Auch dieser letzte Roman des 1945 im Alter von siebenundvierzig Jahren verstorbenen Bove enthält alles, was zur ausdruckslos muffigen Kleine-Leute-Melancholie seiner früheren Bücher gehört. Das ganze Leben gerät dem vorzeitigen Ruheständler Maurice Lesca, der mit seiner Schwester in der Pariser Innenstadt eine kleine Mittelstandswohnung im vierten Stock bewohnt, zu einem einzigen acte gratuit: nicht zu einem brillant verspielten jedoch, der mit der Vergeblichkeit aller Zielvorstellungen kokettiert, sondern einem glanzlos schäbigen, der sich bei vollem Bewußtsein über das unaufhaltsame Entgleiten des Lebensverlaufs jeden Tag mehr abnützt.
Der ehemalige Allgemeinarzt Lesca, dem das zunächst aussichtsreiche Berufsleben auf ganz banale Weise irgendwie schiefgelaufen ist, hat mit seinem förmlich steifen Temperament noch viel zuviel Energie, als daß er die Dinge einfach schleifen lassen könnte. Mit unermüdlicher Beflissenheit bewegt er sich durch die komplizierte Gewohnheitstopographie seines Alltags, steigt die vier Etagen hoch und nieder, grüßt unten artig den Caféwirt, geht unauffällig durch Straßen und über Seine-Brücken, klopft scheu an Notariatskanzleitüren und nestelt an den vielen Dingen, die im eigenen wie in fremden Leben nicht an ihrem richtigen Platz sind. Da ist etwa die Sache mit Madame Maze, der Lesca in ihrem kleinen Buchladen fast täglich freundschaftliche Besuche abstattet und die aus ihren früheren Jahren ebenfalls eine nicht ganz aufgegangene Geschichte in Form einer kinderlos geschiedenen Ehe mit sich trägt.
Damit läßt sich leben, und Madame Maze tut das auch in der höflich diskreten Melancholie dessen, der seiner dunklen Lebensenttäuschung im Alter nicht auch noch die Schmach schriller Verzweiflung aufbürden möchte. Doch für Lesca, der sich in andere Leben um so lieber einmischt, als es im eigenen nie viel zu mischen gab, sind solche offengebliebenen Rechnungen unerträglich. Er setzt alles dran, sie zu begleichen, mag er dabei auch ganz andere Posten aufreißen.
Daß es sich bei Madame Maze und ihrem Verhältnis zum früheren Gatten um eine Geldgeschichte handelt, scheint zunächst ganz zufällig zu sein, denn "Geld ist uns völlig gleichgültig", sagt Lesca zur Madame: "Unser beider Leben ist der Beweis dafür. Sonst wären wir nicht hier, in diesem Hinterzimmer, weder Sie noch ich." Zum Hauptthema, auf das Lesca unweigerlich immer wieder zu sprechen kommt, wird das Geld erst aus einer tief in ihm verwurzelten komplizierten Charakteranlage heraus, jenseits aller Habgier, Verschwendungssucht oder sonstigen Besitzobsession. Das Geld, das Lesca seiner Schwester gegenüber stets aufzutreiben, für Madame Maze stets zurückzuholen und keinem anderen auszuleihen verspricht, ist im Grunde nur ein beliebiges Existenzparadigma, über das er in Beziehung zur Welt treten und diese träumbar, berechenbar, abrechenbar und auch ihm gegenüber dankbar machen kann.
Eine mitunter an Robert Walsers Figuren erinnernde steife Förmlichkeit kommt da auf, wenn Lesca etwa mit Bücklingen über die Schwelle des Notariatsbüro tritt, durch die Ladentür der Madame Maze späht oder auf der Straße vor den Passanten den Hut lüftet. Gleichzeitig kommt es aber hoch oben in der vierten Etage auch wieder zu virulenten Ausbrüchen, wenn der spät Heimkehrende die schon schlafende Schwester weckt und in heillos monomanische Mutmaßungen verstrickt. Überhaupt werden die kuriosen Winkelzüge dieses Lebenspedanten immer wieder von unkontrollierbar verräterischen Körperreaktionen unterlaufen. Mitten im angestrengten Gespräch mit Madame Maze, mit ihrem Notar oder mit einem der spärlichen Bekannten fahren ihm Schweißausbrüche, Herzstiche oder jenes lästige Augenflattern ins eigene Wort, das er manchmal eigenhändig mit Kneifen und Fingerdrücken beruhigen muß.
Wie die im Erzählen stets gegenwärtigen Umgebungsrequisiten in Wohnung und Straße sprechen auch diese inneren Körperregungen die andere Wahrheit aus, die Lescas Worte nicht sagen. Nie werde er ihr Geld geben, woher es auch nehmen, fährt er wiederholt seine Schwester an und ist doch nie zufriedener, als wenn er ihr kommentarlos eine Summe überweisen oder zustecken kann. Nicht der Betrag als solcher, sondern nur das Faktum einer beglichenen Rechnung sei entscheidend für den endgültigen Abschluß ihrer alten Ehegeschichte, so schaltet Lesca sich steifköpfig in Madame Mazes Leben ein und läßt dann doch alle eigenen wie fremden Rechnungen in einer Weise offen, die an einen Seelenkrimi erinnert.
Der große acte gratuit der Klein-Leute-Existenz, die Emmanuel Bove mit seiner besonderen Darstellungspräzision vorführt, ist allerdings nicht gratis zu haben, sondern mit dem literarischen Kleingeld einer glanzlos am Detail haftenden Alltagsschilderung erkauft. Die sorgfältige Übersetzung von Gabriela Zehnder ist von einer praktisch ebenso feinen Legierung in Tonfall und Bilderknappheit.
JOSEPH HANIMANN
Emmanuel Bove: "Ein Mann, der wußte". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Gabriela Zehnder. Edition Epoca, Zürich 2000. 192 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Weitgehend positiv bespricht Joseph Hanimann diesen letzten Roman des 1945 verstorbenen Autors. Besonders gefallen ihm die präzisen Beobachtungen Boves, die es dem Leser ermöglichen, durch die Art, wie jemand beispielsweise einen Hut an den Haken hängt oder sich eine Serviette umbindet, einen Einblick in "feinste, innere Seelenzustände" zu gewinnen. Auch dass Bove bei seiner Schilderung des in so mancher Hinsicht gescheiterten Lebens des Protagonisten "nicht mit der Vergeblichkeit aller Zielvorstellungen kokettiert", sondern vielmehr das "glanzlos schäbige" dieses persönlichen Schiffbruchs aufzeigt, gehört für den Rezensenten zu den ausgemachten Stärken dieses Romans. Ebenfalls "glanzlos" findet er jedoch Boves Vorliebe für so manche Alltagsdetails, die Hanimann offenbar dann doch bisweilen zu ermüden scheinen. Die Übersetzung von Gabriela Zehnder allerdings gefällt ihm dann wiederum sehr: Nicht nur die Sorgfalt, mit der sie den Text ins Deutsche übertragen hat, hebt er als besonders lobenswert hervor, sondern auch die "feine Legierung in Tonfall und Bilderknappheit".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH