Cramers Leben und Wirken wird erstmals in einer an den Quellen orientierten- Untersuchung dargestellt. Dabei rücken auch Freunde und Weggefährten Cramers ins Blickfeld: Die Bach-Söhne Carl Philipp Emanuel und Wilhelm Friedemann, Jens Baggesen, Matthias Claudius, Goethe, Klopstock, Gleim, Salieri und die Bundesbrüder des Göttinger Hain.Carl Friedrich Cramer (1752-1807) war ein Weltbürger. Er war ein progressiver Kosmopolit und Vorkämpfer der europäischen Idee. Als Autor und Übersetzer, Herausgeber und Redakteur hinterließ er ein ebenso vielseitiges wie vielgestaltiges Werk. Er übertrug die Schriften Rousseaus ins Deutsche, veröffentlichte eigene Reisetagebücher und gab ein modernes Musikmagazin heraus. Überregionale Anerkennung erlangte der Kieler Hochschulprofessor als Editor und Biograph Friedrich Gottlieb Klopstocks. Mit ihm verband ihn eine enge Freundschaft, belegt in einer umfangreichen Korrespondenz.Aber Cramer polarisierte sein Umfeld auch. Goethe verfaßte Spottgedichte auf ihn, und Johann Heinrich Voß diffamierte sein Werk als »Gestank« und »Unrath«. Denn Cramer wirkte als ein radikaler Aufklärer, der kein Blatt vor den Mund nahm. Nach zahlreichen Aufenthalten in Paris bekannte sich Cramer zu den Idealen der Französischen Revolution - und beendete so mit einem Schlag seine akademische Karriere. Aufgrund einer königlichen Resolution wurde Cramer 1794 seines Amtes als Professor der Kieler Universität enthoben. Der zum Staatsfeind erklärte Publizist siedelte nach Paris über und berichtete von dort über die Ereignisse in der französischen Metropole. Mit Besuchern und Revolutionstouristen wie Wilhelm von Humboldt erörterte er seine Idee einer europäischen Gesamtstaatkultur und engagierte sich für den deutsch-französischen Kulturtransfer.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.01.2006Ein Stein aus der Bastille
Von Kiel nach Paris: Der Spätaufklärer Carl Friedrich Cramer
Carl Friedrich Cramer gehört zu jenem Typus des Spätaufklärers, der Kauzigkeit und Genialität fugenlos miteinander verbindet. Auf seiner wirren Bahn durchmisst der Kieler Professor kreuz und quer die Gegenden der Gelehrsamkeit. Sein Spektrum reicht von der antiken Literatur bis zu den „Denkmählern der Scythen in Palästina”, vom „Magazin für Musik” bis zu literaturkritischen Arbeiten. Er übersetzt aus dem Dänischen, wirkt als Kulturvermittler zwischen Frankreich und Deutschland, als Lyriker und Editor, leitet eine Druckerei und eine Buchhandlung. Cramer ist jedoch kein Ausläufer des frühneuzeitlichen Polyhistorismus, letztlich gilt sein ganzes Interesse der Gegenwart.
So war seine Vorlesung über Klopstock eine der ersten Vorlesungen überhaupt, die an einer deutschen Universität über einen Gegenwartsautor gehalten wurden - in der deutschen Philologie war dies noch mehr als einhundert Jahre später ein Kuriosum. Dass ein Mann von diesem geistigen Format keine Zeit zu verschwenden hat und nach einem Ausritt auch einmal vergisst, vom Pferd zu steigen, erscheint konsequent. Ein Zeitgenosse erinnert sich: „da fand man Cramer nach einer Stunde noch oben auf seinem Gaul, emsig lesend, und wahrscheinlich in dem Glauben, er sei auf seinem Lehnstuhl”.
Es sei Widerspruch bei Tische!
Der von Rüdiger Schütt herausgegebene Sammelband erschließt einen Teil dieses faszinierenden Lebens und Werks. Dass die Beiträger durchaus kein aufeinander abgestimmtes Bild Cramers skizzieren, tut dem Band keinen Abbruch. Bereits den Zeitgenossen erschien Cramer als eher randständige Figur. Für absonderlich hielten sie nicht etwa allein die aufs höchste gesteigerte Verehrung Klopstocks oder die monumentale Reihe „Menschliches Leben”, in der Cramer biografisches und autobiografisches Material, politische Publizistik und kritische Parteinahmen kombinierte. Merkwürdig erschien Cramers Zeitgenossen zudem seine Begeisterung für die Französische Revolution. Die Euphorie für den Sturm auf die Bastille hat Cramer den Job in Kiel gekostet und ihn 1795 zur Ausreise nach Paris gezwungen. Sie hat ihn aber auch zu einem einfallsreichen Eventmanager gemacht: „Der Prof. Cramer in Kiel hat einen Revolutionsschmaus gehalten wo das Dessert Stük ein Mauerstein aus der Bastille gewesen ist. . . ”. Tatsächlich erhielt Cramer einen Mauerstein der Bastille und geriet geradezu in Ekstase über diesen „Stein, köstlicher als alle Diamanten von Golconda”, diesen „Eckstein unserer Seligkeit”. Bei einem sogleich anberaumten Revolutionsfest lag der Stein auf prominenten Revolutionsschriften in der Mitte des Tischs, an den Cramer auch „einige Aristocraten mit dazu gebeten” hat - „damit Widerspruch sey bey Tische”. Denn: „Uneinigkeit . . . die Seele allen Gesprächs! ich fürchte nichts stärker als Monotonie, und das unisono, ohne Dissonanz; aus dem keine Harmonien entstehn”.
Dass es um ihn herum allzu harmonisch werden würde, darum musste sich Cramer keine Sorgen machen. Zumal Goethe, dem weder die Verehrung für Klopstock noch die revolutionäre Neigung Cramers gefallen wollten, verfolgte ihn mit beißendem Spott, lancierte Rezensionen gegen ihn und versuchte auch sonst, ihn lächerlich zu machen. Für Cramers Stellung in der historischen Überlieferung waren solche Abkanzlungen fatal. Überlebt hat er allenfalls als Sonderling. Seine Leistungen - z.B. als Editor, der modernste Ausgabeprinzipien vorwegnimmt - sind darüber vergessen worden. Übersehen wurde auch, wie eng das Exzentrische in seinem Werk an die Normalität des Aufklärungsbetriebs im 18. Jahrhundert gebunden ist: Dies gilt etwa für das erhöhte Interesse an der eigenen Person oder für die radikalisierten Formen der Kritik, mit denen man Aufmerksamkeit im Medienbetrieb auf sich zieht, für die publizistische Umtriebigkeit, die auf die Möglichkeiten eines expandierenden Buchmarktes reagiert.Vorbildlich daher, dass dem vorliegenden Sammelband eine (Teil-)Bibliografie zu Cramers Werk und eine Beschreibung seines Nachlasses beigefügt ist. Hier gibt es noch viel zu entdecken. STEFFEN MARTUS
RÜDIGER SCHÜTT (Hrsg.): Ein Mann von Feuer und Talenten. Leben und Werk von Carl Friedrich Cramer. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 352 S., 32 Euro.
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Von Kiel nach Paris: Der Spätaufklärer Carl Friedrich Cramer
Carl Friedrich Cramer gehört zu jenem Typus des Spätaufklärers, der Kauzigkeit und Genialität fugenlos miteinander verbindet. Auf seiner wirren Bahn durchmisst der Kieler Professor kreuz und quer die Gegenden der Gelehrsamkeit. Sein Spektrum reicht von der antiken Literatur bis zu den „Denkmählern der Scythen in Palästina”, vom „Magazin für Musik” bis zu literaturkritischen Arbeiten. Er übersetzt aus dem Dänischen, wirkt als Kulturvermittler zwischen Frankreich und Deutschland, als Lyriker und Editor, leitet eine Druckerei und eine Buchhandlung. Cramer ist jedoch kein Ausläufer des frühneuzeitlichen Polyhistorismus, letztlich gilt sein ganzes Interesse der Gegenwart.
So war seine Vorlesung über Klopstock eine der ersten Vorlesungen überhaupt, die an einer deutschen Universität über einen Gegenwartsautor gehalten wurden - in der deutschen Philologie war dies noch mehr als einhundert Jahre später ein Kuriosum. Dass ein Mann von diesem geistigen Format keine Zeit zu verschwenden hat und nach einem Ausritt auch einmal vergisst, vom Pferd zu steigen, erscheint konsequent. Ein Zeitgenosse erinnert sich: „da fand man Cramer nach einer Stunde noch oben auf seinem Gaul, emsig lesend, und wahrscheinlich in dem Glauben, er sei auf seinem Lehnstuhl”.
Es sei Widerspruch bei Tische!
Der von Rüdiger Schütt herausgegebene Sammelband erschließt einen Teil dieses faszinierenden Lebens und Werks. Dass die Beiträger durchaus kein aufeinander abgestimmtes Bild Cramers skizzieren, tut dem Band keinen Abbruch. Bereits den Zeitgenossen erschien Cramer als eher randständige Figur. Für absonderlich hielten sie nicht etwa allein die aufs höchste gesteigerte Verehrung Klopstocks oder die monumentale Reihe „Menschliches Leben”, in der Cramer biografisches und autobiografisches Material, politische Publizistik und kritische Parteinahmen kombinierte. Merkwürdig erschien Cramers Zeitgenossen zudem seine Begeisterung für die Französische Revolution. Die Euphorie für den Sturm auf die Bastille hat Cramer den Job in Kiel gekostet und ihn 1795 zur Ausreise nach Paris gezwungen. Sie hat ihn aber auch zu einem einfallsreichen Eventmanager gemacht: „Der Prof. Cramer in Kiel hat einen Revolutionsschmaus gehalten wo das Dessert Stük ein Mauerstein aus der Bastille gewesen ist. . . ”. Tatsächlich erhielt Cramer einen Mauerstein der Bastille und geriet geradezu in Ekstase über diesen „Stein, köstlicher als alle Diamanten von Golconda”, diesen „Eckstein unserer Seligkeit”. Bei einem sogleich anberaumten Revolutionsfest lag der Stein auf prominenten Revolutionsschriften in der Mitte des Tischs, an den Cramer auch „einige Aristocraten mit dazu gebeten” hat - „damit Widerspruch sey bey Tische”. Denn: „Uneinigkeit . . . die Seele allen Gesprächs! ich fürchte nichts stärker als Monotonie, und das unisono, ohne Dissonanz; aus dem keine Harmonien entstehn”.
Dass es um ihn herum allzu harmonisch werden würde, darum musste sich Cramer keine Sorgen machen. Zumal Goethe, dem weder die Verehrung für Klopstock noch die revolutionäre Neigung Cramers gefallen wollten, verfolgte ihn mit beißendem Spott, lancierte Rezensionen gegen ihn und versuchte auch sonst, ihn lächerlich zu machen. Für Cramers Stellung in der historischen Überlieferung waren solche Abkanzlungen fatal. Überlebt hat er allenfalls als Sonderling. Seine Leistungen - z.B. als Editor, der modernste Ausgabeprinzipien vorwegnimmt - sind darüber vergessen worden. Übersehen wurde auch, wie eng das Exzentrische in seinem Werk an die Normalität des Aufklärungsbetriebs im 18. Jahrhundert gebunden ist: Dies gilt etwa für das erhöhte Interesse an der eigenen Person oder für die radikalisierten Formen der Kritik, mit denen man Aufmerksamkeit im Medienbetrieb auf sich zieht, für die publizistische Umtriebigkeit, die auf die Möglichkeiten eines expandierenden Buchmarktes reagiert.Vorbildlich daher, dass dem vorliegenden Sammelband eine (Teil-)Bibliografie zu Cramers Werk und eine Beschreibung seines Nachlasses beigefügt ist. Hier gibt es noch viel zu entdecken. STEFFEN MARTUS
RÜDIGER SCHÜTT (Hrsg.): Ein Mann von Feuer und Talenten. Leben und Werk von Carl Friedrich Cramer. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 352 S., 32 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Steffen Martus macht neugierig auf einen genialischen Exzentriker, der nur deshalb kaum bekannt sei, weil der Biedermann Goethe ihn mit Leidenschaft bekämpft habe. Politisch sei Carl Friedrich Cramer nämlich, referiert der Rezensent, ein begeisterter Anhänger der französischen Revolution gewesen, und kulturell ein so radikaler wie umtriebiger Kritiker und Editor. Cramer sei ein nahezu fanatischer Fan von Klopstock gewesen. Als Professor in Kiel habe er die ersten Vorlesungen über diesen Autor gehalten, hundert Jahre, hebt der Rezensent hervor, bevor Klopstock in der deutschen Universität auch nur erwähnt werden durfte. Dieses Faible sei insofern charakteristisch die "Kauzigkeit" von Cramer, der immer immer hochmodernistisch gedacht und vor allem über die Medien gehandelt habe. Seine nonkonformistischen politischen Stellungnahmen, referiert der Rezensent, hätten Cramer die Professur gekostet und nach Paris ins Exil getrieben. Aber selbst dort und in turbulenten Zeiten habe Cramer noch Schlagzeilen machen können, wenn er beispielsweise eine illustre Revolutionsparty für Revolutionäre und Aristokraten organisierte und dazu ein Stück Mauerstein aus der Bastille als Dessert auf den Tisch gelegt habe. Die Beiträge des Sammelbandes, so der Rezensent, würden kein "abgestimmtes Bild" Cramers zeichnen, doch bedeute das keine Beeinträchtigung des Bandes, der überdies mit einer Teilbibliografie zum Werk und einer Nachlassbeschreibung "vorbildlich" ausgestattet sei.
© Perlentaucher Medien GmbH
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