Sommer 1920 im nordenglischen Oxgodby: Als auf dem Bahnhof ein Londoner aus dem Zug steigt, weiß gleich das ganze Dorf Bescheid: Er ist der Restaurator, der das mittelalterliche Wandgemälde in der örtlichen Kirche freilegen soll. Doch was steckt hinter der Fassade des stotternden und unter chronischen Gesichtszuckungen leidenden Mannes? Tom Birkin hat im Ersten Weltkrieg gekämpft, als traumatisierter Veteran wurde er von seiner Frau verlassen. Er hofft, in der Ruhe und Einfachheit Yorkshires zu gesunden. Und tatsächlich: Je näher er dem Meisterwerk hinter der Kirchendecke kommt, desto näher kommt er auch sich selbst. Und seinen Mitmenschen. Langsam gelingt es ihm, sich der Welt um sich herum zu öffnen, vielleicht sogar der Liebe. Der Monat auf dem Land ist ein Monat der Heilung. Was Birkin hier erlebt, wird er sein Leben lang mit sich tragen...J. L. Carr erzählt von einem Mann, der überlebt, und von der Rettung, die in uns wie den anderen liegt. Dieser moderne Klassiker der englischen Literatur ist in seiner sprachlichen Leichtigkeit und Eleganz eine echte Wiederentdeckung.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Knapp, aber hymnisch bespricht Friedhelm Rathjen J.L. Carrs bereits 1980 im englischen Original erschienene Novelle "Ein Monat auf dem Land". Erzählt wird die Geschichte des Restaurators Tom, der im Jahr 1920 in der britischen Provinz ein mittelalterliches Fresko rekonstruiert und analog zu den freigelegten Farbschichten stückweise hinter die verdeckten Schichten seiner eigenen Weltkriegs-Traumata blickt, resümiert der Kritiker. Dass die Geschichte bei so viel Gefühl nicht ins Sentimentale abgleitet, rechnet der Rezensent dem Autor, der seine Hauptfigur aus dem Abstand von sechzig Jahren mit leichthändiger Ironie zurückblicken lässt, hoch an. Ein virtuoses kleines Buch über das Wirken der Zeit, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.09.2016Der Kriegszitterer
auf der Kanzel
J. L. Carrs meisterhafte Idylle
„Ein Monat auf dem Lande“
Die Idylle, das unschuldige Glück auf dem Land, ist die Nachbarin des Epos, der Erzählung vom Krieg. Hirten waren in der Antike die Antipoden der Helden. Der schöne Schmelz der Pastorale lebte auch vom Kontrast zum Donnergrollen von Stadt und Weltgeschichte. Die Moderne hat Pfarrer, Apotheker und Lehrer an die Stelle der antiken Schafhirten gestellt, aber am Muster wenig geändert. „Ein Monat auf dem Land“, die Erzählung des englischen Erzählers J. L. Carr, schon 1980 erschienen, preisgekrönt, sogar verfilmt, und jetzt erst auf Deutsch zu lesen, ist eine klassische, geradezu regelrechte Idylle und darum ein unendlich rührendes Buch.
Es spielt also auf dem Land in einem kleinen nordenglischen Dorf mit alter Kirche. Dort muss auf Wunsch und mit dem Geld einer verstorbenen Lady ein spätmittelalterliches Wandgemälde freigelegt werden. Der dafür beauftragte Restaurator war Soldat, Funkmelder im Ersten Weltkrieg, und zwar an einem seiner höllischsten Punkte, in dem Dorf Passchendaele bei Ypern, wo 1917 die dritte Flandernschlacht endete. Dort ereilte den Zwanzigjährigen ein Granatenschock, der als dauerhafte Spur des Schreckens Gesichtszuckungen und Stottern bei diesem Tom Birkin hinterließ: ein Versehrter, ein Kriegszitterer.
Das Bild, das er nun freilegen soll, ist eine Darstellung des Jüngsten Gerichts. Und da er die Hölle schon kennt, wird daraus die erste Ebene dieser kurzen, vielsinnigen Geschichte: die Nähe von Schönheit und Schrecken. Die einen langen August währende Arbeit, vollbracht in klösterlicher Ruhe in der kühlen alten Empore unter dem Glockenturm, umgeben von einer leuchtenden Landschaft, führt den verwundeten Krieger zurück in den Frieden. Draußen arbeitet ein archäologischer Kollege, auch er einst Soldat, an einem anderen Auftrag der verstorbenen Dame; er soll ein mittelalterliches Grab am Rand des Friedhofs freilegen. Warum liegt es am Rand und nicht im geweihten Bezirk? Was hat dieses Grab mit den lebensvollen Gesichtern im Jüngsten Gericht des unbekannten Meisters zu tun? Warum ist dessen Christus so unsüßlich und streng? Wie in jeder englischen Landgeschichte verbergen alte Mauern auch Geheimnisse.
Ein paar Geheimnisse, süße, traurige Geheimnisse haben auch die Menschen, mit denen der gehemmte, verletzte Kirchenmaler allmählich in Berührung kommt. Vor allem aber sind die Landbewohner einfach und fromm, den unschuldigen Freuden des Sommers hingegeben, in einer Gegend, in der alles Frieden atmet. Die alte Dorfkirche mit ihrem misanthropischen Geistlichen hat Konkurrenz bei einer Methodistengemeinde, in der reihum von Laien gepredigt wird. Der Stotterer soll hier nun auch auf die Kanzel gehen, und seine Behinderung ist diesen liebenswürdigen Christen keine Erwähnung wert. Wie sie sich allmählich aus der Geschichte verliert, um fast beiläufig verabschiedet zu werden, ist einer der meisterlichen, weil unscheinbaren Züge dieser mit feinstem Takt entwickelten Geschichte. Carr schafft es, das stumme Voranschreiten einer Heilung fühlbar zu machen, indem er sie kaum erwähnt, dabei kann kein empfindsamer Leser das Handicap des Helden auch nur eine Sekunde vergessen.
Liebe in allen Formen, als Nächstenliebe, als Gottesliebe, als erotische Attraktion, als vereinsamendes Schicksal, erscheint im Lauf von bemessenen, aber endlos wirkenden Tagen, in denen nur wenige Gewitter eine strahlende Sonne unterbrechen. Warum wird das im Englischen nie kitschig? Natürlich ist es der trockene, zartfühlende Humor, der Sinn fürs Skurrile der Provinz, der das Allzuviel der Rührung, das hier droht, ausgleicht. Carrs Büchlein ist von musterhafter Schönheit. Es zeugt vom langen Gedächtnis der Briten an den Ersten Weltkrieg, zu dessen hundertjähriger Wiederkehr es nun auch wieder hervorgezogen wurde. Carr (1912 - 1994) war ein Lehrer, weit gereist und -gedient im britischen Weltreich, der sich mit Mitte fünfzig als Autor und Kleinverleger zurückzog. Die englische Wikipedia nennt ihn mit lateinisch anmutender Lakonie „novelist, teacher, publisher, eccentric“. Vielleicht sollte man auch einmal in seine anderen Bücher schauen.
GUSTAV SEIBT
J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land. Aus dem Englischen von Monika Klöpfer. DuMont Verlag, Köln 2016. 144 Seiten, 18 Euro. E-Book 13,99 Euro.
Romancier, Lehrer, Exzentriker: Joseph Llyod Carr.
Foto: Bob Carr / DuMont Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
auf der Kanzel
J. L. Carrs meisterhafte Idylle
„Ein Monat auf dem Lande“
Die Idylle, das unschuldige Glück auf dem Land, ist die Nachbarin des Epos, der Erzählung vom Krieg. Hirten waren in der Antike die Antipoden der Helden. Der schöne Schmelz der Pastorale lebte auch vom Kontrast zum Donnergrollen von Stadt und Weltgeschichte. Die Moderne hat Pfarrer, Apotheker und Lehrer an die Stelle der antiken Schafhirten gestellt, aber am Muster wenig geändert. „Ein Monat auf dem Land“, die Erzählung des englischen Erzählers J. L. Carr, schon 1980 erschienen, preisgekrönt, sogar verfilmt, und jetzt erst auf Deutsch zu lesen, ist eine klassische, geradezu regelrechte Idylle und darum ein unendlich rührendes Buch.
Es spielt also auf dem Land in einem kleinen nordenglischen Dorf mit alter Kirche. Dort muss auf Wunsch und mit dem Geld einer verstorbenen Lady ein spätmittelalterliches Wandgemälde freigelegt werden. Der dafür beauftragte Restaurator war Soldat, Funkmelder im Ersten Weltkrieg, und zwar an einem seiner höllischsten Punkte, in dem Dorf Passchendaele bei Ypern, wo 1917 die dritte Flandernschlacht endete. Dort ereilte den Zwanzigjährigen ein Granatenschock, der als dauerhafte Spur des Schreckens Gesichtszuckungen und Stottern bei diesem Tom Birkin hinterließ: ein Versehrter, ein Kriegszitterer.
Das Bild, das er nun freilegen soll, ist eine Darstellung des Jüngsten Gerichts. Und da er die Hölle schon kennt, wird daraus die erste Ebene dieser kurzen, vielsinnigen Geschichte: die Nähe von Schönheit und Schrecken. Die einen langen August währende Arbeit, vollbracht in klösterlicher Ruhe in der kühlen alten Empore unter dem Glockenturm, umgeben von einer leuchtenden Landschaft, führt den verwundeten Krieger zurück in den Frieden. Draußen arbeitet ein archäologischer Kollege, auch er einst Soldat, an einem anderen Auftrag der verstorbenen Dame; er soll ein mittelalterliches Grab am Rand des Friedhofs freilegen. Warum liegt es am Rand und nicht im geweihten Bezirk? Was hat dieses Grab mit den lebensvollen Gesichtern im Jüngsten Gericht des unbekannten Meisters zu tun? Warum ist dessen Christus so unsüßlich und streng? Wie in jeder englischen Landgeschichte verbergen alte Mauern auch Geheimnisse.
Ein paar Geheimnisse, süße, traurige Geheimnisse haben auch die Menschen, mit denen der gehemmte, verletzte Kirchenmaler allmählich in Berührung kommt. Vor allem aber sind die Landbewohner einfach und fromm, den unschuldigen Freuden des Sommers hingegeben, in einer Gegend, in der alles Frieden atmet. Die alte Dorfkirche mit ihrem misanthropischen Geistlichen hat Konkurrenz bei einer Methodistengemeinde, in der reihum von Laien gepredigt wird. Der Stotterer soll hier nun auch auf die Kanzel gehen, und seine Behinderung ist diesen liebenswürdigen Christen keine Erwähnung wert. Wie sie sich allmählich aus der Geschichte verliert, um fast beiläufig verabschiedet zu werden, ist einer der meisterlichen, weil unscheinbaren Züge dieser mit feinstem Takt entwickelten Geschichte. Carr schafft es, das stumme Voranschreiten einer Heilung fühlbar zu machen, indem er sie kaum erwähnt, dabei kann kein empfindsamer Leser das Handicap des Helden auch nur eine Sekunde vergessen.
Liebe in allen Formen, als Nächstenliebe, als Gottesliebe, als erotische Attraktion, als vereinsamendes Schicksal, erscheint im Lauf von bemessenen, aber endlos wirkenden Tagen, in denen nur wenige Gewitter eine strahlende Sonne unterbrechen. Warum wird das im Englischen nie kitschig? Natürlich ist es der trockene, zartfühlende Humor, der Sinn fürs Skurrile der Provinz, der das Allzuviel der Rührung, das hier droht, ausgleicht. Carrs Büchlein ist von musterhafter Schönheit. Es zeugt vom langen Gedächtnis der Briten an den Ersten Weltkrieg, zu dessen hundertjähriger Wiederkehr es nun auch wieder hervorgezogen wurde. Carr (1912 - 1994) war ein Lehrer, weit gereist und -gedient im britischen Weltreich, der sich mit Mitte fünfzig als Autor und Kleinverleger zurückzog. Die englische Wikipedia nennt ihn mit lateinisch anmutender Lakonie „novelist, teacher, publisher, eccentric“. Vielleicht sollte man auch einmal in seine anderen Bücher schauen.
GUSTAV SEIBT
J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land. Aus dem Englischen von Monika Klöpfer. DuMont Verlag, Köln 2016. 144 Seiten, 18 Euro. E-Book 13,99 Euro.
Romancier, Lehrer, Exzentriker: Joseph Llyod Carr.
Foto: Bob Carr / DuMont Verlag
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»Eine mit feinstem Takt entwickelte Geschichte [...] von musterhafter Schönheit.« Gustav Seibt, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG »Eine ergreifende Geschichte [...] so hinreißend atmosphärisch und tief traurig [...] wehmütig und tröstlich zugleich.« Felicitas von Lovenberg, SWR LESENSWERT QUARTETT »Das liest sich wie Tolstoi in Yorkshire.« Kester Schlenz, STERN »Umso beglückender ist dieses kleine Meisterwerk für uns Leser.« Friedhelm Rathjen, NZZ »Ein echtes Juwel britischer Literatur [...] Die Handlung ist von bestechender Eleganz und Einfachheit.« Annemarie Stoltenberg, NDR KULTUR »Anrührend und nie ohne Komik.« Joachim Geil, DEUTSCHLANDFUNK »Ein ganz stilles Buch. [...] Mit einer solchen Liebe und Ruhe geschrieben, dass ich ganz entzückt war.« Elke Heidenreich, SRF KULTUR »So ruhig, so leise, so anrührend, so weise.« Michael Reinartz, WDR 2 LESEN »Eine melancholische Geschichte, deren Figuren man schwerlich vergisst.« Rainer Moritz, CHRISMON »Zart und unaufdringlich, vollerLeichtigkeit und leisem Humor« Anja Dürrmeier, BR 2 DIWAN Carr erzählt in »leichten, schlichten Worten von der tief empfundenen Freude seines Helden erzählt, erfasst das sommerliche Glück auch den Leser.« Claudia Voigt, LITERATUR SPIEGEL »Eine echte Wiederentdeckung [...] Ein ganz schmaler Band, der lange nachwirkt.« Manuela Reichart, DEUTSCHLANDRADIO KULTUR »J. L. Carr [...] schenkt uns gleichzeitig eine traumschöne Momentaufnahme englischen Landlebens jenseits von Downton-Abbey-Putzigkeit.« Meike Schnitzler, BRIGITTE »Seine Sätze atmen die schwebende Leichtigkeit des Sommers [...] Balsam für die stressgeplagte Seele.« SCHWEIZ AM SONNTAG »Eine Entdeckung, die vom Zauber des Augenblicks und der Melancholie der Erinnerung in schönen Sätzen erzählt.« Britta Heidemann, WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG »Das kleine Buch des Briten ist reich an grossen, packenden Gefühlen und durchwirkt von feinem, köstlichem Humor.« Klaus Lieber, SCHWEIZER FAMILIE »Egal, ob es einem gerade gut oder schlecht geht, nach der Lektüre dieses Buches geht es uns auf jeden Fall besser.« Stefanie Westenberger, DEUTSCHLANDRADIO KULTUR LESART »Ein ideales Verschenkbüchlein ist die elegante Liebesnovelle 'Ein Monat auf dem Land' von J.L. Carr.« Christian von Zittwitz, BUCHMARKT »Ein literarisches Kleinod, das einem das Herz öffnet und zugleich von hoher Aktualität ist.« Wiebke Lüderitz, HEYMANN-BÜCHER.DE