Das Nachbarskind wird ermordet, der Vater läuft mit einer anderen Frau weg: Von diesem Tag an ist für die zehnjährige Marsha nichts mehr, wie es war. Als erwachsene Frau erinnert sie sich an die schrecklichen Ereignisse von 1972 - vor allem an die böse Tat, die sie selbst begangen hat. Nur dem verstorbenen Vater kann sie die entscheidende Frage nicht mehr stellen - warum er sie verlassen hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2002Generation Handbremse
Suzanne Bernes puritanisches Romandebüt
Die Harvard-Dozentin Suzanne Berne, geboren 1961 in Washington D.C., berichtete in einem Interview, ihr erstes Romanmanuskript sei von mehreren Verlagen zurückgeschickt worden. Der Tenor: Nett geschrieben, aber zu wenig action. Das trifft in gewisser Weise auch auf das tatsächliche Romandebüt der Autorin zu. Zwar gibt es darin, wie der Titel verspricht, ein Verbrechen. Doch das wird nie aufgeklärt, wie wir bereits im ersten Kapitel, einer glänzenden Exposition, lesen, deren Versprechen das Folgende leider nicht einlöst.
Suzanne Berne verquickt den Mord an einem zwölfjährigen Jungen, der im heißen Sommer 1972 in einer anständigen, aber langweiligen Wohnsiedlung am Stadtrand von Washington stattfindet, mit einer banalen Familiengeschichte. Und als ob diese Barrieren der Verfasserin immer noch nicht hoch genug wären, legt sie die Erzählung einem halbwüchsigen Mädchen in den Mund. Die Perspektive des altklugen, mutwilligen Kindes, das viel mitkriegt, aber wenig versteht, engt den Horizont des Erzählten erheblich ein. Der humoristische Effekt, der sich daraus gelegentlich ergibt, wiegt die Nachteile nicht auf. Wenn sich dann auch noch der Wissenschaftshorizont der Autorin vor die kindliche Sehweise schiebt, wenn das Detektiv spielende Kind behauptet, es fühle sich dazu getrieben, die Welt "als Lexikon der Zeichen und Symbole zu lesen", merkt auch der gutwillige Leser, daß mit dem erzählerischen Konzept etwas nicht stimmt.
Marsha verkraftet es nicht, daß der Vater, der ein Verhältnis mit der Tante hat, seine Familie verläßt und die Mutter mit einem neuen Nachbarn zu flirten beginnt. In ihrem Kopf vermischt sich der Mord an dem Jungen mit der Auflösung der eigenen Familie. Sie braucht einen Sündenbock. In ihrem Tagebuch stilisiert sie dazu den Nachbarn, den linkischen Mr. Green. Die kindliche Hexenjagd, angezettelt aus Enttäuschung, Langeweile und Angeberei, hat Erfolg. Mr. Green wird schließlich zwar vom Mordverdacht freigesprochen, muß aber wegziehen.
Die flüssig erzählte Geschichte spielt im Milieu des amerikanischen Vorstadtlebens der middle class mit seinen bürgerwehrartigen Aufpassern, den ewigen Grillparties und Wohlfahrtsbasaren. Dagegen wirkt der zeitgeschichtliche Hintergrund - Watergate und sogar die Ermordung der israelischen Olympioniken in München werden erwähnt - etwas aufgesetzt. Wenn Berne dagegen ihre Galerie tüchtiger Frauen vorführt, sie über Liebe, Ehe, Seitensprünge plaudern läßt, ist sie in ihrem Element. Doch die Geschichte plätschert einfach so dahin, ohne Tempo, ohne Höhepunkt. Marsha ist verlogen und grausam, aber ein Dämon des Bösen ist sie nicht.
In einem vom amerikanischen Puritanismus geprägten Schlußkapitel bekennt sich die nun erwachsene Ich-Erzählerin zu ihrer "Generation der ängstlichen Pragmatiker und Skeptiker", die um alles in der Welt vermeiden wolle, anderen Grausamkeit und Schmerz zuzufügen. Deshalb sei sie Mr. Green dankbar, weil er sie frühzeitig gelehrt habe, die eigenen Abgründe der Bosheit zu erkennen, um für den Rest des Lebens vorsichtiger zu sein. Die Pilgrim Fathers hätten es nicht erbaulicher sagen können!
RENATE SCHOSTACK
Suzanne Berne: "Ein Mord in der Nachbarschaft". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Anette Grube. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001. 271 S., geb. 17,90.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Suzanne Bernes puritanisches Romandebüt
Die Harvard-Dozentin Suzanne Berne, geboren 1961 in Washington D.C., berichtete in einem Interview, ihr erstes Romanmanuskript sei von mehreren Verlagen zurückgeschickt worden. Der Tenor: Nett geschrieben, aber zu wenig action. Das trifft in gewisser Weise auch auf das tatsächliche Romandebüt der Autorin zu. Zwar gibt es darin, wie der Titel verspricht, ein Verbrechen. Doch das wird nie aufgeklärt, wie wir bereits im ersten Kapitel, einer glänzenden Exposition, lesen, deren Versprechen das Folgende leider nicht einlöst.
Suzanne Berne verquickt den Mord an einem zwölfjährigen Jungen, der im heißen Sommer 1972 in einer anständigen, aber langweiligen Wohnsiedlung am Stadtrand von Washington stattfindet, mit einer banalen Familiengeschichte. Und als ob diese Barrieren der Verfasserin immer noch nicht hoch genug wären, legt sie die Erzählung einem halbwüchsigen Mädchen in den Mund. Die Perspektive des altklugen, mutwilligen Kindes, das viel mitkriegt, aber wenig versteht, engt den Horizont des Erzählten erheblich ein. Der humoristische Effekt, der sich daraus gelegentlich ergibt, wiegt die Nachteile nicht auf. Wenn sich dann auch noch der Wissenschaftshorizont der Autorin vor die kindliche Sehweise schiebt, wenn das Detektiv spielende Kind behauptet, es fühle sich dazu getrieben, die Welt "als Lexikon der Zeichen und Symbole zu lesen", merkt auch der gutwillige Leser, daß mit dem erzählerischen Konzept etwas nicht stimmt.
Marsha verkraftet es nicht, daß der Vater, der ein Verhältnis mit der Tante hat, seine Familie verläßt und die Mutter mit einem neuen Nachbarn zu flirten beginnt. In ihrem Kopf vermischt sich der Mord an dem Jungen mit der Auflösung der eigenen Familie. Sie braucht einen Sündenbock. In ihrem Tagebuch stilisiert sie dazu den Nachbarn, den linkischen Mr. Green. Die kindliche Hexenjagd, angezettelt aus Enttäuschung, Langeweile und Angeberei, hat Erfolg. Mr. Green wird schließlich zwar vom Mordverdacht freigesprochen, muß aber wegziehen.
Die flüssig erzählte Geschichte spielt im Milieu des amerikanischen Vorstadtlebens der middle class mit seinen bürgerwehrartigen Aufpassern, den ewigen Grillparties und Wohlfahrtsbasaren. Dagegen wirkt der zeitgeschichtliche Hintergrund - Watergate und sogar die Ermordung der israelischen Olympioniken in München werden erwähnt - etwas aufgesetzt. Wenn Berne dagegen ihre Galerie tüchtiger Frauen vorführt, sie über Liebe, Ehe, Seitensprünge plaudern läßt, ist sie in ihrem Element. Doch die Geschichte plätschert einfach so dahin, ohne Tempo, ohne Höhepunkt. Marsha ist verlogen und grausam, aber ein Dämon des Bösen ist sie nicht.
In einem vom amerikanischen Puritanismus geprägten Schlußkapitel bekennt sich die nun erwachsene Ich-Erzählerin zu ihrer "Generation der ängstlichen Pragmatiker und Skeptiker", die um alles in der Welt vermeiden wolle, anderen Grausamkeit und Schmerz zuzufügen. Deshalb sei sie Mr. Green dankbar, weil er sie frühzeitig gelehrt habe, die eigenen Abgründe der Bosheit zu erkennen, um für den Rest des Lebens vorsichtiger zu sein. Die Pilgrim Fathers hätten es nicht erbaulicher sagen können!
RENATE SCHOSTACK
Suzanne Berne: "Ein Mord in der Nachbarschaft". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Anette Grube. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001. 271 S., geb. 17,90
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legt." (Francis Fyfield)