Was bringt eine Menschen dazu alles zurückzulassen, um eine Reise in ein unbekanntes, fernes Land anzutreten, hin zu einem Ort ohne Familie und Freunde, wo alles namenlos und die Zukunft unbekannt ist? Diese stumme Graphic Novel ist die Geschichte eines jeden Migranten, eines jeden Flüchtlings, eines jeden heimatlosen Menschen und eine Hommage an alle, die eben diese Reise angetreten haben.
Der australische Autor und Illustrator Shaun Tan hat mit Ein neues Land eine wunderbare Geschichte geschaffen, die ganz ohne Worte auskommt. Als Leser schlüpft man in die Rolle des Emigranten, der seine Familie verlässt, um an einem fremden Ort ein neues Leben aufzubauen. Ohne Worte und Erklärungen ist man ganz den fantastisch anmutenden Zeichnungen ausgeliefert und fühlt sich ebenso fremd wie der Protagonist. Ein einzigartiges Leseerlebnis!
Der australische Autor und Illustrator Shaun Tan hat mit Ein neues Land eine wunderbare Geschichte geschaffen, die ganz ohne Worte auskommt. Als Leser schlüpft man in die Rolle des Emigranten, der seine Familie verlässt, um an einem fremden Ort ein neues Leben aufzubauen. Ohne Worte und Erklärungen ist man ganz den fantastisch anmutenden Zeichnungen ausgeliefert und fühlt sich ebenso fremd wie der Protagonist. Ein einzigartiges Leseerlebnis!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2012Hier gehen die
Uhren anders
„Ein neues Land“
von Shaun Tan
Ein namenloser Mann verlässt seine Frau und kleine Tochter, um in der Fremde sein Glück zu suchen. Nach einer langen Überfahrt auf einem Ozeandampfer erreicht er eine gigantische Stadt. Alles hier ist fremd, die Schrift, die Sprache, sogar die Uhren messen die Zeit nach einem anderen System. Auf seiner Suche nach einem Job trifft der Mann auf zahlreiche andere Auswanderer, die ihm ihr Schicksal erzählen: Eine Familie floh aus ihrer alten Heimat, als plötzlich Riesen in Schutzanzügen mit überdimensionalen Staubsaugern auftauchten; ein Greis erinnert sich daran, wie er mit seinen Freunden zunächst gefeiert wurde, als er in den Krieg zog, wo er dann, zwischen Schützengräben und Leichenfeldern ein Bein verlor. Endlich findet der Namenlose eine Anstellung am Fließband einer Fabrik; ja, er verdient nach einem Jahr so viel, dass er seine Familie nachholen kann.
Zunächst wähnt man sich in dem Comic „Ein neues Land“ des australischen Illustrators und Kinderbuchautors Shaun Tan am Anfang des 20. Jahrhunderts: Die Ankunft der Hauptfigur in der neuen Heimat meint man von zahllosen Aufnahmen von Ellis Island zu kennen; auch die Kriegserinnerungen des Greises rufen bekannte Bilder vom Ersten Weltkrieg wach. Hinzu kommt der warme Sepiaton der hyperrealistischen Zeichnungen, deren Ränder wie alte Fotos schadhafte Stellen aufweisen. Und doch ist hier alles anders. Zwischen den Hochhäusern der Großstadt fliegen Luftschiffe und Ballons; gewaltigen Statuen von Menschen und Fabelwesen ragen in den grauen Himmel, umschwirrt von seltsamen Vogelschwärmen; in der Stadt, die der Namenlose verlassen hatte, lauerte eine nicht näher gezeigte Bedrohung, die Ähnlichkeit mit einem Drachen hat.
Inspiriert von Berichten von Auswanderern und nicht zuletzt von der Geschichte seines eigenen Großvaters, der in den 1960ern von Malaysia nach Australien kam, hat Shaun Tan eine zeitlose Allegorie geschrieben, in der sich die Zeiten miteinander verschränken. Angesichts des weichen Stils und niedlicher Zutaten wie einem kleinen Fantasietier, das zum treuen Gefährten des namenlosen Helden wird, hätte der Stoff freilich auch leicht zu Kitsch geraten können; nicht zufällig hat Shaun Tan für Hollywood-Zeichentrickfilme gearbeitet, an die auch die vielen Zoomeffekte im Buch erinnern. Stattdessen jedoch erweist sich Tan in „The Arrival“, so der Originaltitel, als einer der ganz Großen der Neunten Kunst. In fast jedem Bild wird man ein Zitat entdecken, aus Filmen des frühen 20. Jahrhunderts wie „Metropolis“, „Dr. Caligari“ oder „Fahrraddiebe“, aber auch Fotos wie das des Zeitungsjungen, der den Untergang der Titanic verkündet.
So ist „Ein Neues Land“ auch eine Meditation über das Medium selbst – das Buch kommt wie ein Stummfilm gänzlich ohne Worte aus, was angesichts der Lage der Hauptfigur, die der fremden Sprache nicht mächtig ist und sich mit Gesten und Zeichnungen verständigen muss, völlig logisch erscheint. Dass der Comic aber auch ohne das Wissen um diese intertextuellen Bezüge mit seinen archetypischen Motiven des Abschieds, des Heimwehs und der Wiedersehensfreude tief berührt, ja verzaubert, macht ihn zu einem Meilenstein in der Geschichte der Neunten Kunst.
THOMAS VON STEINAECKER
Shaun Tan.
Foto: Hachette Australia
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Uhren anders
„Ein neues Land“
von Shaun Tan
Ein namenloser Mann verlässt seine Frau und kleine Tochter, um in der Fremde sein Glück zu suchen. Nach einer langen Überfahrt auf einem Ozeandampfer erreicht er eine gigantische Stadt. Alles hier ist fremd, die Schrift, die Sprache, sogar die Uhren messen die Zeit nach einem anderen System. Auf seiner Suche nach einem Job trifft der Mann auf zahlreiche andere Auswanderer, die ihm ihr Schicksal erzählen: Eine Familie floh aus ihrer alten Heimat, als plötzlich Riesen in Schutzanzügen mit überdimensionalen Staubsaugern auftauchten; ein Greis erinnert sich daran, wie er mit seinen Freunden zunächst gefeiert wurde, als er in den Krieg zog, wo er dann, zwischen Schützengräben und Leichenfeldern ein Bein verlor. Endlich findet der Namenlose eine Anstellung am Fließband einer Fabrik; ja, er verdient nach einem Jahr so viel, dass er seine Familie nachholen kann.
Zunächst wähnt man sich in dem Comic „Ein neues Land“ des australischen Illustrators und Kinderbuchautors Shaun Tan am Anfang des 20. Jahrhunderts: Die Ankunft der Hauptfigur in der neuen Heimat meint man von zahllosen Aufnahmen von Ellis Island zu kennen; auch die Kriegserinnerungen des Greises rufen bekannte Bilder vom Ersten Weltkrieg wach. Hinzu kommt der warme Sepiaton der hyperrealistischen Zeichnungen, deren Ränder wie alte Fotos schadhafte Stellen aufweisen. Und doch ist hier alles anders. Zwischen den Hochhäusern der Großstadt fliegen Luftschiffe und Ballons; gewaltigen Statuen von Menschen und Fabelwesen ragen in den grauen Himmel, umschwirrt von seltsamen Vogelschwärmen; in der Stadt, die der Namenlose verlassen hatte, lauerte eine nicht näher gezeigte Bedrohung, die Ähnlichkeit mit einem Drachen hat.
Inspiriert von Berichten von Auswanderern und nicht zuletzt von der Geschichte seines eigenen Großvaters, der in den 1960ern von Malaysia nach Australien kam, hat Shaun Tan eine zeitlose Allegorie geschrieben, in der sich die Zeiten miteinander verschränken. Angesichts des weichen Stils und niedlicher Zutaten wie einem kleinen Fantasietier, das zum treuen Gefährten des namenlosen Helden wird, hätte der Stoff freilich auch leicht zu Kitsch geraten können; nicht zufällig hat Shaun Tan für Hollywood-Zeichentrickfilme gearbeitet, an die auch die vielen Zoomeffekte im Buch erinnern. Stattdessen jedoch erweist sich Tan in „The Arrival“, so der Originaltitel, als einer der ganz Großen der Neunten Kunst. In fast jedem Bild wird man ein Zitat entdecken, aus Filmen des frühen 20. Jahrhunderts wie „Metropolis“, „Dr. Caligari“ oder „Fahrraddiebe“, aber auch Fotos wie das des Zeitungsjungen, der den Untergang der Titanic verkündet.
So ist „Ein Neues Land“ auch eine Meditation über das Medium selbst – das Buch kommt wie ein Stummfilm gänzlich ohne Worte aus, was angesichts der Lage der Hauptfigur, die der fremden Sprache nicht mächtig ist und sich mit Gesten und Zeichnungen verständigen muss, völlig logisch erscheint. Dass der Comic aber auch ohne das Wissen um diese intertextuellen Bezüge mit seinen archetypischen Motiven des Abschieds, des Heimwehs und der Wiedersehensfreude tief berührt, ja verzaubert, macht ihn zu einem Meilenstein in der Geschichte der Neunten Kunst.
THOMAS VON STEINAECKER
Shaun Tan.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nach Thomas von Steinaecker ist Shaun Tan einer der wenigen, der im boomenden Genre der Graphic Novel wirklich "neue Wege" beschreitet. "Ein neues Land" erzählt in Bildern, die völlig ohne Text auskommen, eine Einwanderergeschichte, erklärt der Rezensent. Nur auf den ersten Blick scheint dieses Auswandererschicksal im 20. Jahrhundert zu spielen, bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Großstadt, in der der Held der Geschichte sich zurechtfinden muss, als Phantasiegebilde von großer Fremdheit, konstatiert Steinaecker. Auf zahlreiche "Ikonen der Moderne" spielt der australische Zeichner, der vor allem als Kinderbuchautor bekannt sei, in seiner Bilderzählung an, noch faszinierender allerdings scheint dem begeisterten Rezensenten, dass Tan in seinem Comic eine "Parabel" auf die Situation des Einwanderers gelungen ist, die bewegend und mitunter auch "beklemmend" das Gefühl der Fremdheit allein mit bildlichen Mitteln greifbar macht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"[...] in dieser faszinierenden Bildergeschichte [...].", Broschüre des Jüdischen Museums Berlin, 15.12.2015