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Produktdetails
  • Verlag: Kramer, Frankfurt
  • Seitenzahl: 196
  • Deutsch
  • Abmessung: 260mm
  • Gewicht: 766g
  • ISBN-13: 9783782904889
  • ISBN-10: 3782904885
  • Artikelnr.: 24862334
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.1998

Neuerdings nicht mehr viel Neues
Das Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt im Blick von Alfred Sous

Am 7. Dezember 1923 wurde in Frankfurt am Main die Südwestdeutsche Rundfunkdienst-Aktiengesellschaft gegründet, ein halbes Jahr später wurde Radio Frankfurt in Betrieb genommen. 1925 folgte in Berlin die Gründung der Reichsrundfunkgesellschaft als erster Dachorganisation deutscher Sendeanstalten. Damit begann eine Entwicklung, die als Medienrevolution den Kulturbetrieb bis heute prägt. Nach wie vor ist der Rundfunk in seinen beiden Erscheinungsformen als Hörfunk und Fernsehen ein bedeutendes publizistisches Kommunikationsmittel, das also um die Jahrtausendwende auf ein Dreivierteljahrhundert seines Bestehens zurückblickt.

Alfred Sous, von 1952 bis 1982 Oboist im Frankfurter Radio-Sinfonie-Orchester, hat einen weiteren Grund zu seinem Rückblick "Ein Orchester für das Radio": Das "RSO" Frankfurt, das sich aus kleinsten Anfängen entwickelte und unter verschiedenen Namen eine wechselvolle, oft abenteuerliche Geschichte erlebte, wird 1999 siebzig Jahre alt. Aus der subjektiven Sicht des Betroffenen, aber in jedem Erzählschritt durch Dokumente abgesichert, schildert Sous nicht allein den oft mühsam erkämpften Erfolgsweg seines Orchesters, sondern blickt auch hinter die Kulissen: Wie funktioniert ein Kollektiv aus eigenwilligen Individuen? Welche Rolle spielen die Chefdirigenten, die Vorgaben der Hauptabteilung Musik im Sender? Wie überstand das RSO die Gratwanderung während der Zeit des nationalsozialistischen Ungeists, welche Botschafterfunktion kam ihm kulturpolitisch zu, etwa auf Osteuropa-Reisen mit Dean Dixon während des Kalten Krieges?

Sous, der sehr lebendig erzählt und Anekdotisches nie nur auflockernd einflicht, teilt auch zwischen den Zeilen Wichtiges mit. So bedeutet der Hinweis, daß der ansonsten eher kritisch beäugte Chefdirigent Dmitrij Kitajenko (er amtierte von 1990 bis 1996) das Programmspektrum erheblich erweitert und "sich wieder mehr den radiotypischen Aufgaben" (Studioaufnahme und Sendung) gewidmet habe, einen versteckten, aber berechtigten Einwand gegen Kitajenkos Vorgänger, den jetzigen Ehrendirigenten Eliahu Inbal, der das Orchester zwar unerbittlich perfektionierte und ihm mit zahlreichen Tourneen und Einspielungen zu weitreichendem Renommee verhalf, es aber zu sehr auf bestimmte Komponisten (vor allem Bruckner und Mahler) fixierte.

Damit ist zugleich eine nicht unumstrittene Entwicklung angesprochen: Aus dem Archivmaterial belegt Sous eindeutig einen allmählichen Paradigmenwechsel in der Funktion (nicht nur) des Frankfurter RSO: von der mäzenatischen Förderung des musikalisch Unbequemen, Neuen, Raren zum "Mainstream" in Konkurrenz zu Orchestern außerhalb der Rundfunkanstalt. Die gegenwärtig anerkennenswerten Bemühungen des Hessischen Rundfunks um Musik von geringer Einschaltquotenqualität (etwa im "Forum für Neue Musik") halten keinen Vergleich aus mit dem unter schwierigsten politischen Bedingungen erreichten Avantgarde-Anteil unter den Chefdirigenten Hans Rosbaud (1929 bis 1937) und Kurt Schröder (1946 bis 1953).

Gewiß spielte in der Ära Schröder auch der Nachholbedarf an Avantgardistischem nach der Isolation des Kulturlebens durch den Nationalsozialismus eine Rolle; aber es ist nicht zu leugnen, daß die Ausstrahlung des Senders in die Stadt, ja nach ganz Europa (Wochen für Neue Musik, 25. Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik, 1951) nie wieder erreicht wurde: Frankfurt verlor nach und nach seine Rolle als Avantgardestadt, für die einst der Sender stand.

Die durchaus kritische Chronik läßt sich also auf verschiedenen Ebenen lesen: als Bericht über den Werdegang eines Orchesters, als Seismogramm diffiziler künstlerischer Beziehungen, als Kulturgeschichte aus dem Blickwinkel des Mediums Rundfunk, als Mitteilung über persönliche Erfahrungen. Sous setzt sich auch mit dem Einfluß der Musikkritik auseinander. Dank solcher Perspektivenvielfalt ist das Buch mehr als ein Orchesterporträt - es versucht, die veränderlichen Aufgaben eines Radioorchesters vom Lieferanten von Musik, die anfangs auf Tonträgern noch nicht ausreichend verfügbar war, bis zum ganz "normalen" Schallplatten- und Reiseorchester darzustellen, als Exempel für manchen nicht nur vorteilhaften Wertewandel im Kulturbetrieb. ELLEN KOHLHAAS

Alfred Sous: "Ein Orchester für das Radio". Das Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt. Herausgegeben von der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Radio-Sinfonie-Orchesters Frankfurt e. V. Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt 1998. 196 S., 96 Abb., geb., 39,- DM.

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