Wie sollen die Deutschen der Ermordung der europäischen Juden gedenken? Im Mai 2005 wird in Berlin das von Peter Eisenman entworfene Holocaust-Mahnmal der Öffentlichkeit übergeben. Der erbitterte Streit, der seiner Realisierung vorangegangen ist, führt vor, wie schwierig es ist, mit der Erinnerung an den Holocaust umzugehen. Kann solches Erinnern vom Staat ausgehen? Wie verhält es sich zu den anderen Opfern des Nationalsozialismus? Und wie zu den Opfern der DDR? Das Buch beschreibt den komplizierten Weg, der zur Entscheidung für Eisenmans Mahnmal führte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.06.2005Trauer ist nicht nachzuholen
Die Geschichte des Berliner Holocaust-Mahnmals
Berlin ist um eine ungewöhnliche Architektur und spektakuläre Touristenattraktion reicher. Die Denkmalsetzer möchten den Besuchern zu großen Gefühlen verhelfen. Das Publikum nimmt das weitläufige Feld spielerisch in Besitz: Die Kids hüpfen von Stein zu Stein und verstecken sich im Stelenlabyrinth, Ordnungshüter predigen hilflos öffentlichen Anstand.
Pünktlich zur Inbetriebnahme dieser freudlos-grauen Betonspielwiese - des Denkmals für die ermordeten Juden Europas - ist dazu ein Buch erschienen. Es enthält viel wissenschaftlich Wissenswertes. Detailliert beschreiben die Autoren das nicht leicht überschaubare Verfahren. Einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Kernproblem gehen sie aus dem Weg. Der Frage, ob es denkmalästhetisch und geschichtspolitisch gesehen eine „gute oder schlechte Idee” war, dieses Denkmal zu errichten.
Das Verfahren war unerfreulich und unergiebig, vor allem deshalb, weil sich in ihm die Auslober und Denkmalstifter - Berlin, der Bund und eine private Bürgerinitiative - hartnäckig unbelehrbar gezeigt haben. Das war eben nicht nur ein weiterer, sondern der bislang teuerste Fall deutscher Geschichts- und Gedenkpolitik, in dem sich Argumente sachverständiger Kritik aus Wissenschaft und Kunst nicht durchsetzen konnten gegen persönliche Eitelkeit, politische Korrektheit und fehlende Selbstreflexivität der maßgeblichen politischen Akteure.
Schon bei der Einführung des 27. Januar als des Tages der Lagerbefreiung und des Auschwitz-Gedenktages haben Kritiker vor einer Anbiederung an die Überlebenden und einer anmaßenden Selbstentsühnung gewarnt. Es wäre deshalb konsequent gewesen, auf das „Holocaust-Mahnmal” zu verzichten und stattdessen die „Topographie des Terrors” auszubauen, den Zumthor-Bau zu vollenden und den Sitz der einstigen SS- und Gestapozentrale zum zentralen nationalen Erinnerungsort zu machen. Im Land, aus dem die Täter kamen, muss an erster Stelle die Auseinandersetzung mit den Planern, Bürokraten und Exekutoren der Gewaltverbrechen stehen. Aber es ist eben sehr viel leichter und für das nationale Image vorteilhafter, sich der Opfer anzunehmen.
Dass es sich bei dem Eisenman-Monument um eine höchst fragwürdige Erinnerungsgeste handelt, hat der Kanzler unfreiwillig krass zum Ausdruck gebracht, als er von einem Ort sprach, an den man gerne gehe. Einen Ort extremer nationaler Schande meidet man im Allgemeinen. Im Übrigen setzt Trauer eine positive emotionale Bindung an die vertriebenen und ermordeten jüdischen Mitbürger von vor über 60 Jahren voraus. Sie hat in ungezählten Einzelfällen bestanden, gesamtgesellschaftlich aber nicht. Das deutsch-jüdische Verhältnis ist bleibend durch den Judenmord grundiert, denn Auschwitz ist durch nichts aus der Welt zu schaffen.
Man verwechselt immer wieder Trauer mit Sentimentalität und sekundärer Betroffenheit. Scham mögen auch Spätgeborene empfinden, aber Trauer ist nicht nachzuholen. Die Generation vor uns war dazu unfähig, wie die Mitscherlichs in den sechziger Jahren konstatierten, weil sie sich an einen doppelten Sachverhalt hätte erinnern müssen: an ihre Hitler-Gefolgschaft im Angesicht des Verbrechens, das vor aller Augen seinen Lauf nahm. Es gab von Einzelfällen abgesehen keinen gesellschaftlichen Protest. Man ließ die jüdischen Mitbürger abtransportieren. Nicht wenige Deutsche profitierten von Arisierungsgewinnen. Die Täter gelangten nach 1945 in großer Zahl wieder zu bürgerlicher Reputation. Die Täter und Mittäter - das ist das deutsche Thema. Sein Ort die „Topographie des Terrors”. Wer mehr will, muss zum Leidens- und Sterbeort der Juden fahren, nach Treblinka und Auschwitz.
Es ist schade, dass die Autoren dieses verdienstvollen Buches an dieser doch so zentralen geschichtspolitischen Problematik vorbeigehen. Andererseits betten sie den so unglücklich verlaufenen Fall dieser Denkmalstiftung in den Kontext der Erinnerungs- und Geschichtspolitik seit den achtziger Jahren ein. Der Überblick beginnt mit dem „Historiker-Streit” und führt bis zu den neuen Opferdiskursen, also zu der insbesondere für unsere polnischen Nachbarn provozierend selbstbezogenen Debatte um die deutschen Flüchtlinge und Vertreibungsopfer. Wer sich die Bedeutung des Holocaust-Mahnmals und die Auseinandersetzung um dessen Für und Wider im Zusammenhang der Debattengeschichte der letzten zwanzig Jahre erschließen will, wird an dem Buch von Claus Leggewie und Erik Meyer nicht vorbeigehen können.
PETER REICHEL
CLAUS LEGGEWIE / ERIK MEYER: „Ein Ort, an den man gerne geht.” Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2005. 400 Seiten, 23,50 Euro.
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Die Geschichte des Berliner Holocaust-Mahnmals
Berlin ist um eine ungewöhnliche Architektur und spektakuläre Touristenattraktion reicher. Die Denkmalsetzer möchten den Besuchern zu großen Gefühlen verhelfen. Das Publikum nimmt das weitläufige Feld spielerisch in Besitz: Die Kids hüpfen von Stein zu Stein und verstecken sich im Stelenlabyrinth, Ordnungshüter predigen hilflos öffentlichen Anstand.
Pünktlich zur Inbetriebnahme dieser freudlos-grauen Betonspielwiese - des Denkmals für die ermordeten Juden Europas - ist dazu ein Buch erschienen. Es enthält viel wissenschaftlich Wissenswertes. Detailliert beschreiben die Autoren das nicht leicht überschaubare Verfahren. Einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Kernproblem gehen sie aus dem Weg. Der Frage, ob es denkmalästhetisch und geschichtspolitisch gesehen eine „gute oder schlechte Idee” war, dieses Denkmal zu errichten.
Das Verfahren war unerfreulich und unergiebig, vor allem deshalb, weil sich in ihm die Auslober und Denkmalstifter - Berlin, der Bund und eine private Bürgerinitiative - hartnäckig unbelehrbar gezeigt haben. Das war eben nicht nur ein weiterer, sondern der bislang teuerste Fall deutscher Geschichts- und Gedenkpolitik, in dem sich Argumente sachverständiger Kritik aus Wissenschaft und Kunst nicht durchsetzen konnten gegen persönliche Eitelkeit, politische Korrektheit und fehlende Selbstreflexivität der maßgeblichen politischen Akteure.
Schon bei der Einführung des 27. Januar als des Tages der Lagerbefreiung und des Auschwitz-Gedenktages haben Kritiker vor einer Anbiederung an die Überlebenden und einer anmaßenden Selbstentsühnung gewarnt. Es wäre deshalb konsequent gewesen, auf das „Holocaust-Mahnmal” zu verzichten und stattdessen die „Topographie des Terrors” auszubauen, den Zumthor-Bau zu vollenden und den Sitz der einstigen SS- und Gestapozentrale zum zentralen nationalen Erinnerungsort zu machen. Im Land, aus dem die Täter kamen, muss an erster Stelle die Auseinandersetzung mit den Planern, Bürokraten und Exekutoren der Gewaltverbrechen stehen. Aber es ist eben sehr viel leichter und für das nationale Image vorteilhafter, sich der Opfer anzunehmen.
Dass es sich bei dem Eisenman-Monument um eine höchst fragwürdige Erinnerungsgeste handelt, hat der Kanzler unfreiwillig krass zum Ausdruck gebracht, als er von einem Ort sprach, an den man gerne gehe. Einen Ort extremer nationaler Schande meidet man im Allgemeinen. Im Übrigen setzt Trauer eine positive emotionale Bindung an die vertriebenen und ermordeten jüdischen Mitbürger von vor über 60 Jahren voraus. Sie hat in ungezählten Einzelfällen bestanden, gesamtgesellschaftlich aber nicht. Das deutsch-jüdische Verhältnis ist bleibend durch den Judenmord grundiert, denn Auschwitz ist durch nichts aus der Welt zu schaffen.
Man verwechselt immer wieder Trauer mit Sentimentalität und sekundärer Betroffenheit. Scham mögen auch Spätgeborene empfinden, aber Trauer ist nicht nachzuholen. Die Generation vor uns war dazu unfähig, wie die Mitscherlichs in den sechziger Jahren konstatierten, weil sie sich an einen doppelten Sachverhalt hätte erinnern müssen: an ihre Hitler-Gefolgschaft im Angesicht des Verbrechens, das vor aller Augen seinen Lauf nahm. Es gab von Einzelfällen abgesehen keinen gesellschaftlichen Protest. Man ließ die jüdischen Mitbürger abtransportieren. Nicht wenige Deutsche profitierten von Arisierungsgewinnen. Die Täter gelangten nach 1945 in großer Zahl wieder zu bürgerlicher Reputation. Die Täter und Mittäter - das ist das deutsche Thema. Sein Ort die „Topographie des Terrors”. Wer mehr will, muss zum Leidens- und Sterbeort der Juden fahren, nach Treblinka und Auschwitz.
Es ist schade, dass die Autoren dieses verdienstvollen Buches an dieser doch so zentralen geschichtspolitischen Problematik vorbeigehen. Andererseits betten sie den so unglücklich verlaufenen Fall dieser Denkmalstiftung in den Kontext der Erinnerungs- und Geschichtspolitik seit den achtziger Jahren ein. Der Überblick beginnt mit dem „Historiker-Streit” und führt bis zu den neuen Opferdiskursen, also zu der insbesondere für unsere polnischen Nachbarn provozierend selbstbezogenen Debatte um die deutschen Flüchtlinge und Vertreibungsopfer. Wer sich die Bedeutung des Holocaust-Mahnmals und die Auseinandersetzung um dessen Für und Wider im Zusammenhang der Debattengeschichte der letzten zwanzig Jahre erschließen will, wird an dem Buch von Claus Leggewie und Erik Meyer nicht vorbeigehen können.
PETER REICHEL
CLAUS LEGGEWIE / ERIK MEYER: „Ein Ort, an den man gerne geht.” Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2005. 400 Seiten, 23,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Peter Reichels Rezension von Claus Leggewies und Erik Meyers Buch über das Berliner Holocaust-Mahnmal ist leicht widersprüchlich. Zum einen tut sich Reichel mit der Entscheidung schwer, ob er nun das Mahnmal oder das Buch besprechen will, zum anderen hält er letzteres für "verdienstvoll", obwohl es doch dem "Kernproblem" aus dem Weg gehe, nämlich der Frage, ob es nun eine "'gute oder schlechte Idee' war, dieses Denkmal zu errichten". Zu einer ausführlichen Klärung dieser "zentralen geschichtspolitischen Problematik" sieht sich nun Peter Reichel selbst berufen, so dass den wenigen der Publikation von Leggewie und Meyer gewidmeten Zeilen nur Folgendes zu entnehmen ist: Sie hätten eine detaillierte Beschreibung des Planungsverfahrens geliefert und selbiges "in den Kontext der Erinnerungs- und Geschichtspolitik" der vergangenen Jahrzehnte eingebettet. Und zwar auf großartige Weise, denn das Buch enthalte "viel wissenschaftlich Wissenswertes". Wie es sich in Reichels Rezension darstellt, ist den beiden also ein abwegiges Glanzstück gelungen: Thema verfehlt, Eins.
© Perlentaucher Medien GmbH
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