Teniente Mario Conde hat einen furchtbaren Kater von der Silvesterfeier. Doch als er trotz freien Wochenendes von seinem Chef den Auftrag erhält, ein verschwundenes hohes Tier aus der kubanischen Nomenklatura zu suchen, merkt er bald, dass es sich bei dem Verschwundenen um Rafael Morin handelt, einen Schulkollegen. Schlagartig kommen die Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit zurück: Der Mann mit der blütenweißen Weste, der zuverlässige Genosse, war schon damals ein Musterschüler, der immer das bekam, was er wollte - auch Mario Condes Freundin Tamara. In Rafael Morins perfektem Leben gibt es ein paar verdächtige Momente, die genauer zu untersuchen sich lohnt. Dabei muss sich Mario Conde der verlorenen Liebe zu Tamara stellen - und gleichzeitig den Träumen und Illusionen seiner eigenen Generation.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2004Genosse Yuppie
Kuba korrupt: Leonardo Padura ist den Opportunisten auf der Spur
Die Volkspolizei, dein Dichter und Denker? Wenige Vorstellungen dürften bei uns größeres Unbehagen hervorrufen als die eines Ordnungshüters ostblocksozialistischer Prägung, der unter seiner Amtsschale das Herz eines verhinderten Schriftstellers hütet. Beklemmende Erinnerungen steigen auf an jene Herren ungesund bleicher Gesichtsfarbe, die den berüchtigten Satz mit "Gänsefleisch" beim Zonengrenzübertritt partout nicht auf hochdeutsch zu artikulieren wissen und noch nicht einmal in der Lage sind, während der Schikanekontrollen auf der Transitstrecke einen Namen korrekt aus dem Reisepaß abzuschreiben. Der literarisch ambitionierte Vopo - ein widersinniges, ja unappetitliches Schreckgespenst.
Den völlig ungeahnten Charme einer Art melancholischen Philip Marlowes des Marxismus-Leninismus gewinnt diese Figur allerdings, wenn man sie zum Kriminalermittler macht und vor die morbide Fassade des letzten Ostblocklandes der Erde setzt: auf eine Insel im geographischen wie metaphorischen Sinne, wo der Geheimdienst bis heute den Namen "Staatssicherheit" trägt. In Gestalt des Leutnants Mario Conde aus Havanna hat der Journalist und Erzähler Leonardo Padura Fuentes den Eintritt der kubanischen Revolutionspolizei nicht nur in die Ära des karibischen Postsozialismus, sondern auch des Postmodernismus besiegelt. Denn "El Conde" - zu deutsch "Der Graf" - ist ein Aristokrat unter den proletarischen Spürnasen der kubanischen Kripo und als passionierter und gebildeter Ermittler nicht nur ein Seelenverwandter von Maigret und Sherlock Holmes: Er hat auch all deren Fälle bereits gelesen.
Für ihn ist die Existenz als Hüter der sozialistischen Ordnung im Grunde nichts weiter als das Abfallprodukt einer gescheiterten Karriere als Schriftsteller und einer Unzahl menschlicher und gesellschaftlicher Desillusionen. Als chronisch versoffener Kommissar der zerbrochenen Träume bietet er die jämmerliche, aber dafür zutiefst menschliche Kehrseite des "positiven Helden" oder des "Neuen Menschen" eines sozialistischen Realismus, der den Weg in eine bessere Gesellschaft leuchten sollte.
Dabei ist es immer wieder die Erinnerung, die den "Grafen" in den über die vier Jahreszeiten von 1989 verteilten Romanen des "Havanna-Quartetts" verfolgt. Stets aufs neue blitzen die Erniedrigungen einer Schulzeit auf, in der jede Kreativität und Charakterfestigkeit unter repressiver Indoktrinierung erstickt wurden, während wendige Karrieristen ihren Marsch an die Spitze der Staats- und Wirtschaftsadministration antraten. Doch durch seinen neuen Fall sieht El Conde mit einem Male die Rollen getauscht. Selbst ein Beispiel eines verhunzten Lebens, ist er angesichts des Verschwindens eines hohen Funktionärs der kubanischen Wirtschaft mit der Aufgabe betraut, "ein perfektes Leben" rücksichtslos auf Privilegien und Glückseligkeiten, aber auch heimlichen Flecken zu durchleuchten. Um niemand anderen als seinen vormaligen Schulkameraden Rafael Morín sollen sich Condes Ermittlungen drehen, jenen geschickte Opportunisten, dem es schon zu Schulzeiten gelang, sich aus jeglichem ideologischen Engpaß als glänzendes Vorbild herauszuwinden; dem schließlich das Glück zuteil wurde, all das zu ernten, wovon Mario Conde nur im Traume zu hoffen wagte: Ansehen, gesellschaftlichen Aufstieg und nicht zuletzt die Liebe Tamaras, der von Conde jahrelang heimlich Angebeteten.
Doch unter bravem realsozialistischem Deckmantel verstrickte sich der Vorzeigegenosse in dunkle Devisengeschäfte und Finanzveruntreuungen. Sich zum "ersten Yuppie Kubas" zu mausern war sein Vorhaben. Ein Plan, der in spektakulärer Weise scheitert und dadurch die Abgründe unter der pathetisch-moralinsauren Oberfläche des revolutionären Kuba eröffnet, deren Führer die Uneigennützigkeit predigen. Hinter den Kulissen von Rafael Moríns Scheinexistenz modern die Fäulnis und Doppelmoral eines Systems, dessen Zersetzung bereits 1989 latent angelegt ist, in dem Jahr, das den Zusammenbruch des weltweiten Sozialismus einläutete.
Obgleich Padura in gekonnt ironischer Weise seine Geschichte innerhalb der Klischees des Detektivgenres entwickelt, sind die Abenteuer seines Teniente Mario Conde mehr als ein L'art pour l'art der Kriminalistik. "Conde ist eine Metapher", sagt der Autor selbst über seinen Helden, "denn ein Polizist kommt überallhin. In den Luxus der Nomenklatura und in die schäbigen Häuser der normalen Leute."
Diese Mischung aus Spannung, Erotik, Gesellschaftskritik und einer Spur Exotismus kennt freilich auch noch einen weiteren Zielort: die Verkaufsregale westlicher Buchmärkte. Doch es ist vielleicht gerade das unverhohlene Schielen auf den wirtschaftlichen Erfolg, welches Paduras Romanen ihren eigenartigen Reiz verleiht. Durch sein Lavieren zwischen Kommunismus, Kommerz und Korruption sichert Padura seinem Teniente Mario Conde einen Platz unter den Antihelden des vergangenen Jahrhunderts.
FLORIAN BORCHMEYER
Leonardo Padura: "Ein perfektes Leben". Roman. Erster Band des "Havanna-Quartetts". Aus dem kubanischen Spanisch übersetzt von Hans-Joachim Hartstein. Unionsverlag, Zürich 2003. 286 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kuba korrupt: Leonardo Padura ist den Opportunisten auf der Spur
Die Volkspolizei, dein Dichter und Denker? Wenige Vorstellungen dürften bei uns größeres Unbehagen hervorrufen als die eines Ordnungshüters ostblocksozialistischer Prägung, der unter seiner Amtsschale das Herz eines verhinderten Schriftstellers hütet. Beklemmende Erinnerungen steigen auf an jene Herren ungesund bleicher Gesichtsfarbe, die den berüchtigten Satz mit "Gänsefleisch" beim Zonengrenzübertritt partout nicht auf hochdeutsch zu artikulieren wissen und noch nicht einmal in der Lage sind, während der Schikanekontrollen auf der Transitstrecke einen Namen korrekt aus dem Reisepaß abzuschreiben. Der literarisch ambitionierte Vopo - ein widersinniges, ja unappetitliches Schreckgespenst.
Den völlig ungeahnten Charme einer Art melancholischen Philip Marlowes des Marxismus-Leninismus gewinnt diese Figur allerdings, wenn man sie zum Kriminalermittler macht und vor die morbide Fassade des letzten Ostblocklandes der Erde setzt: auf eine Insel im geographischen wie metaphorischen Sinne, wo der Geheimdienst bis heute den Namen "Staatssicherheit" trägt. In Gestalt des Leutnants Mario Conde aus Havanna hat der Journalist und Erzähler Leonardo Padura Fuentes den Eintritt der kubanischen Revolutionspolizei nicht nur in die Ära des karibischen Postsozialismus, sondern auch des Postmodernismus besiegelt. Denn "El Conde" - zu deutsch "Der Graf" - ist ein Aristokrat unter den proletarischen Spürnasen der kubanischen Kripo und als passionierter und gebildeter Ermittler nicht nur ein Seelenverwandter von Maigret und Sherlock Holmes: Er hat auch all deren Fälle bereits gelesen.
Für ihn ist die Existenz als Hüter der sozialistischen Ordnung im Grunde nichts weiter als das Abfallprodukt einer gescheiterten Karriere als Schriftsteller und einer Unzahl menschlicher und gesellschaftlicher Desillusionen. Als chronisch versoffener Kommissar der zerbrochenen Träume bietet er die jämmerliche, aber dafür zutiefst menschliche Kehrseite des "positiven Helden" oder des "Neuen Menschen" eines sozialistischen Realismus, der den Weg in eine bessere Gesellschaft leuchten sollte.
Dabei ist es immer wieder die Erinnerung, die den "Grafen" in den über die vier Jahreszeiten von 1989 verteilten Romanen des "Havanna-Quartetts" verfolgt. Stets aufs neue blitzen die Erniedrigungen einer Schulzeit auf, in der jede Kreativität und Charakterfestigkeit unter repressiver Indoktrinierung erstickt wurden, während wendige Karrieristen ihren Marsch an die Spitze der Staats- und Wirtschaftsadministration antraten. Doch durch seinen neuen Fall sieht El Conde mit einem Male die Rollen getauscht. Selbst ein Beispiel eines verhunzten Lebens, ist er angesichts des Verschwindens eines hohen Funktionärs der kubanischen Wirtschaft mit der Aufgabe betraut, "ein perfektes Leben" rücksichtslos auf Privilegien und Glückseligkeiten, aber auch heimlichen Flecken zu durchleuchten. Um niemand anderen als seinen vormaligen Schulkameraden Rafael Morín sollen sich Condes Ermittlungen drehen, jenen geschickte Opportunisten, dem es schon zu Schulzeiten gelang, sich aus jeglichem ideologischen Engpaß als glänzendes Vorbild herauszuwinden; dem schließlich das Glück zuteil wurde, all das zu ernten, wovon Mario Conde nur im Traume zu hoffen wagte: Ansehen, gesellschaftlichen Aufstieg und nicht zuletzt die Liebe Tamaras, der von Conde jahrelang heimlich Angebeteten.
Doch unter bravem realsozialistischem Deckmantel verstrickte sich der Vorzeigegenosse in dunkle Devisengeschäfte und Finanzveruntreuungen. Sich zum "ersten Yuppie Kubas" zu mausern war sein Vorhaben. Ein Plan, der in spektakulärer Weise scheitert und dadurch die Abgründe unter der pathetisch-moralinsauren Oberfläche des revolutionären Kuba eröffnet, deren Führer die Uneigennützigkeit predigen. Hinter den Kulissen von Rafael Moríns Scheinexistenz modern die Fäulnis und Doppelmoral eines Systems, dessen Zersetzung bereits 1989 latent angelegt ist, in dem Jahr, das den Zusammenbruch des weltweiten Sozialismus einläutete.
Obgleich Padura in gekonnt ironischer Weise seine Geschichte innerhalb der Klischees des Detektivgenres entwickelt, sind die Abenteuer seines Teniente Mario Conde mehr als ein L'art pour l'art der Kriminalistik. "Conde ist eine Metapher", sagt der Autor selbst über seinen Helden, "denn ein Polizist kommt überallhin. In den Luxus der Nomenklatura und in die schäbigen Häuser der normalen Leute."
Diese Mischung aus Spannung, Erotik, Gesellschaftskritik und einer Spur Exotismus kennt freilich auch noch einen weiteren Zielort: die Verkaufsregale westlicher Buchmärkte. Doch es ist vielleicht gerade das unverhohlene Schielen auf den wirtschaftlichen Erfolg, welches Paduras Romanen ihren eigenartigen Reiz verleiht. Durch sein Lavieren zwischen Kommunismus, Kommerz und Korruption sichert Padura seinem Teniente Mario Conde einen Platz unter den Antihelden des vergangenen Jahrhunderts.
FLORIAN BORCHMEYER
Leonardo Padura: "Ein perfektes Leben". Roman. Erster Band des "Havanna-Quartetts". Aus dem kubanischen Spanisch übersetzt von Hans-Joachim Hartstein. Unionsverlag, Zürich 2003. 286 S., geb., 18,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Hans-Jörg Neuschäfer hat diesen kubanischen Kriminalroman mit Begeisterung und mit wachsendem Erstaunen über die "Chuzpe" des Autors gelesen. Zunächst aber zollt er dem Übersetzer Hans-Joachim Hartstein seine ungetrübte Hochachtung für die gelungene Übertragung des kubanischen Spanisch ins Deutsche, das sich, wie der Rezensent betont, durch deftige Dialoge auszeichnet. Dem Übersetzer sei es gelungen, den Polizeileutnant Conde trotz seines offensichtlichen Machogehabes als "sensibel" und sympathisch zu vermitteln, lobt Neuschäfer. Was den Rezensenten aber noch viel mehr beeindruckt, ist, dass der in Kuba lebende Leonardo Padura sich nicht scheut, Kriminalität in Kuba, und dann noch in "regierungsnahen" Kreisen darzustellen. Auch wenn manches "verschlüsselt" auf die Verhältnisse in Kuba anspiele, wie beispielsweise die Schilderung der "drakonischen" Bestrafung von Schülern wegen einer Lappalie, weist es dennoch auf die kubanische Situation hin, meint Neuschäfer, der den kritischen Mut des Autors bewundert. Wenn er an diesem Roman, der auf vier Bände angelegt ist, etwas zu bemängeln hat, dann die erhebliche Zeitverzögerung, mit der der Krimi auf Deutsch erscheint. Mittlerweile, so der Rezensent bedauernd, hat das Buch nämlich schon etwas "Patina" angesetzt, schildert es doch die "Lebensbedingungen von 1989".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Dieser Autor hat Klasse. Außerordentliche Klasse." (La Verdad, Murcia)
"Padura gehört zu den meistübersetzten und meistausgezeichneten kubanischen Autoren. In seinen Romanen dient der Kriminalfall wie bei Le Carré und Graham Greene nur als Schlüssel, der uns ein noch tieferes Labyrinth eröffnet." (Corriere della Sera)
"Padura gehört zu den meistübersetzten und meistausgezeichneten kubanischen Autoren. In seinen Romanen dient der Kriminalfall wie bei Le Carré und Graham Greene nur als Schlüssel, der uns ein noch tieferes Labyrinth eröffnet." (Corriere della Sera)