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Emmanuel Carrère begibt sich in diesem radikalen autobiografischen Roman auf die Spur eines ungarischen Soldaten, der 1944 verschwand, bevor man ihn 53 Jahre später als einen Kaspar Hauser ohne Sprache in der Psychiatrie eines entlegenen russischen Provinznests wiederfand. Das Leben des Ungarn zwingt Carrère, sich mit dem tragischen Leben seines eigenen Großvaters auseinanderzusetzen, eines georgischen Emigranten, der ebenfalls 1944 als Kollaborateur verschwand - und seitdem als streng gehütetes Geheimnis die schweigende Familie beherrscht.
Vor dem Hintergrund der großen gesellschaftlichen
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Produktbeschreibung
Emmanuel Carrère begibt sich in diesem radikalen autobiografischen Roman auf die Spur eines ungarischen Soldaten, der 1944 verschwand, bevor man ihn 53 Jahre später als einen Kaspar Hauser ohne Sprache in der Psychiatrie eines entlegenen russischen Provinznests wiederfand. Das Leben des Ungarn zwingt Carrère, sich mit dem tragischen Leben seines eigenen Großvaters auseinanderzusetzen, eines georgischen Emigranten, der ebenfalls 1944 als Kollaborateur verschwand - und seitdem als streng gehütetes Geheimnis die schweigende Familie beherrscht.

Vor dem Hintergrund der großen gesellschaftlichen Bewegungen und historischen Ereignisse in Europa erzählt Carrère von der Bedeutung des Schweigens und des Sprechens, von den weißen Stellen und blinden Flecken in den Geschichten, die jede Familie und jeder Einzelne von sich entwirft.
Autorenporträt
Emmanuel Carrère, geboren 1957, lebt als Schriftsteller, Regisseur, Produzent und Drehbuchautor in Paris. Er ist einer der erfolgreichsten Autoren Frankreichs, für seine Bücher wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. für 'Limonow' mit dem Prix Renaudot und dem Prix de la langue française.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.04.2019

NEUE TASCHENBÜCHER
Russisches
Elend
Ausgangspunkt ist ein vergessener ungarischer Kriegsgefangener, der als menschliches Wrack aus Russland in seine Heimat zurückkehrt. Emmanuel Carrère soll das dokumentieren und kommt dabei auf den eigenen Großvater zu sprechen, einen russischen Exilanten, der 1944 auf Nimmerwiedersehen verschwand. Carrère verbindet die persönlichen Themen unauflösbar mit Fragen des Weltgeschehens, das er als Dokumentarfilmer in Form individueller Schicksale darstellen will. Dass er beim Schreiben über sich alle Schamgrenzen überschreitet und ungeschützt noch sein Intimstes preisgibt, lässt ihn offen sein für die persönlichen Belange und die verschwiegenen Motive der Protagonisten, in denen sich wiederum das große Ganze des Lebens im heutigen Russland spiegelt. Carrères launische und komplexe Egozentrik ist so stark, dass ihr die Großherzigkeit der Gastgeber, aber auch noch das schlimmste Elend und die niedrigsten Beweggründe derer dienen, auf die er stößt. So wird der Erzähler und Autor zum Held des Buchs. Wie er mit und anhand seiner eigenen Widersprüchlichkeit die Welt verstehen will, bleibt bis zum Ende fesselnd. RUDOLF VON BITTER
Emmanuel Carrère:
Ein russischer Roman.
Aus dem Französischen von Claudia Hamm.
btb, München 2019.
282 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Emmanuel Carrère hat die französische Literatur wieder zu einer internationalen Referenzgröße gemacht.« Iljoma Mangold, Die Zeit

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2017

Ein Raubtier sucht Rettung
"Ein russischer Roman": Emmanuel Carrère sucht nach seinem Großvater, Sexabenteuern und der Erlösung

Er ist ein Raubtier, gefährlich, gemein, ohne menschliche Züge. Nein, einen hat er: Narzissmus. Ein selbstverliebtes Ungeheuer ist er - der Nicht-Held von Emmanuel Carrère im "Russischen Roman". Sein Name? Emmanuel Carrère. Es ist ein autobiographischer Roman, das steht auf dem Umschlag. In einem Zug beginnt die Geschichte: Der Ich-Erzähler, dieses Raubtier, reist nach Kotelnitsch, einer Nicht-Stadt in Russland. Dort leben Versager, Vergessene. Carrère will einen Film drehen über einen Ungarn, einen Kollaborateur, der 1944 verschwunden ist und den man fünf Jahrzehnte später in einer Klink Kotelnitschs entdeckte, in der Psychiatrie. Aber um diesen stummen Alten geht es Carrère nicht, ihm geht es nur um sich selbst. Er benutzt seine Reise, seine Begleiter und die Bewohner der Stadt. Denn er, der Schriftsteller, der satt ist vom Pariser Leben, will Abwechslung. Das schreibt Carrère in einer Sprache, die intensiv ist, berauschend, weil sie ihn selbst so entblößt. Vielleicht nicht den Schriftsteller Emmanuel Carrère, doch seinen Erzähler, einen Menschen, der sich für andere und anderes nicht interessiert. Er ist so bösartig und so narzisstisch, dass er den Leser nicht loslässt. Ja, man fängt an, das Raubtier zu lieben.

Dieses Raubtier versucht, selbst zu lieben, Sophie zu lieben. An sie denkt Carrère immer wieder, erzählt von der Beziehung. Um Sophie seine Liebe zu beweisen, schreibt er für "Le Monde" eine Erzählung, es ist ein Brief an die Geliebte. Im Zug nach La Rochelle soll sie ihn am Erscheinungstag lesen, das befiehlt Carrère seiner Freundin. Und in dem Brief befiehlt er ihr weiter: Während sie liest, soll Sophie masturbieren. Er befiehlt allen Frauen, die zufällig im Zug sind und seinen Brief lesen, sich vorzustellen, selbst Sophie zu sein und sich selbst zu befriedigen. Diese Erzählung ist pornographisch und ist brillant, aber nicht brillant-pornographisch. Nein, brillant-literarisch, denn sie konstruiert einen Spannungsbogen und zeigt nochmals, dass Carrère ungeheuerlich ist, dass er herrschen will und beherrschen.

Sein größter Wunsch aber ist es, sich selbst zu erlösen. Denn die Unfähigkeit zu lieben, sein Elend, verantwortet Carrères Familiengeschichte, das glaubt Carrère. Es ist die dritte Ebene in diesem Buch. Carrères Großvater ist wie der Ungar verschwunden im Jahr 1944, auch er kollaborierte mit Deutschen. Doch über ihn herrscht Schweigen, weil Scham herrscht. Die Mutter des Ungeheuer-Ichs bittet es immer wieder, nichts über ihren Vater zu schreiben. Für Carrère ist das unmöglich. Er reist noch mal nach Russland, dreht noch einen Film, schreibt über seinen Großvater. Er glaubt, er rette sich dadurch. Doch kann Kunst einen Therapeuten spielen? Kann sie erlösen? Vielleicht nicht den Schriftsteller selbst, auf jeden Fall aber den Leser. Denn wenn Romane groß sind und wahrhaft, dann sind sie fähig, im Kopf und im Herzen zu klirren und zu erschüttern. Dann, nach dem Lesen, sieht man die Welt, das Leben anders als vorher. Und das zeigt Carrère, zeigt sein Roman.

Anna Prizkau

Emmanuel Carrère: "Ein russischer Roman". Matthes & Seitz, 282 Seiten, 22 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieses Buch, so die sehr beeindruckte Rezensentin Hanna Engelmeier, ist eine "große Gabe" an seine Leserinnen und Leser. Groß, aber kaum weniger "monströs" als die realen Geschenke, von denen es handelt: einem pornografischen Brief an seine Geliebte, den Emmanuel Carrère für alle Welt sichtbar in "Le monde" veröffentlicht hat; einem Film, der seinen Gegenstand, die junge Russin Anja, nur noch postum adressieren kann; und dem Buch, das Carrère seiner Mutter, einer in Frankreich hochberühmten Historikerin, widmet - obwohl sie sich nichts weniger wünscht als ein solches Geschenk. Vielschichtig ist das Buch, kein Roman, keine Autobiografie, sondern ein ganz eigenes Carrèresches Ding. Erzählprosa als offene Bekennerschrift, die sich, so Engelmeier, an der Grenze "zu Meditation, Essay und Reportage" bewegt. Sie bewegt sich an dieser Grenze, daran lässt die Rezensentin keinen Zweifel, hoch virtuos. Aber starke Nerven braucht die Leserin doch.

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