Das "gelobte Land" oder Reise ohne Wiederkehr
In der heutigen Zeit im „reichen Deutschland“ ist es schwer vorstellbar, welch bittere Armut Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte, sodass viele Familien nur einen einzigen Schimmer am Horizont sehen, nämlich nach Amerika auszuwandern. Aber was wirklich
dazu gehört, um alles stehen und liegen zu lassen, das wird uns in diesem Buch so plastisch vor…mehrDas "gelobte Land" oder Reise ohne Wiederkehr
In der heutigen Zeit im „reichen Deutschland“ ist es schwer vorstellbar, welch bittere Armut Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte, sodass viele Familien nur einen einzigen Schimmer am Horizont sehen, nämlich nach Amerika auszuwandern. Aber was wirklich dazu gehört, um alles stehen und liegen zu lassen, das wird uns in diesem Buch so plastisch vor Augen geführt, dass der Leser mit den beiden Protagonisten Mina und Davin um jeden Schicksalsschlag mitleidet, der ihnen in dieser schweren Zeit zustößt. Mina ist eine junge Deutsche, die auf Gedeih und Verderb an ihren Ehemann Roland gebunden ist. Roland ist ein Taugenichts, der sein Heil in Trinkgelagen und dem Glücksspiel sucht, bis ihm - und leider auch Mina - nach einem „falschem Spiel“ nur die Flucht nach Amerika übrigbleibt. Mitten im Winter fliehen sie ohne Geld, warme Kleidung und Vorräte quer durch Deutschland bis nach Bremerhaven, von wo die Auswandererschiffe nach Amerika ablegen. Zur gleichen Zeit grassiert in Irland die Kartoffelfäule und zusätzlich pressen die Engländer dieses ungeliebte Eiland bis aufs Blut aus, sodass viele Iren in dem harten Winter verhungern müssen. Der zweite Protagonist in diesem Buch ist Davin, ein irischer Zimmermann. Eigentlich sollte er durch seinen erlernten Beruf ganz gut zurechtkommen, bis ihm bei einem Überfall sein gesamtes Jahreseinkommen gestohlen wird, welches für die Pacht und für den Lebensunterhalt seiner alten Eltern vorgesehen war. Ihm bleibt nichts Anderes übrig, als eine Anstellung im entfernten Liverpool bei den Engländern zu suchen. Hier erfährt er nicht nur vom Tod seiner Eltern, sondern trifft auch eine junge Witwe, die nach Amerika auswandern will. Schließt Davin sich ihr an? Und was wird aus Mina und Roland, schaffen sie unter diesen widrigen Umständen überhaupt die Flucht bis nach Bremerhaven, und wie wollen sie ein Ticket nach Amerika und den Proviant für 6 Wochen bezahlen, denn damals dauerte die Reise mit dem Segelschiff solange. Was ist mit Rolands Lastern, schwört er ihnen ab? Und überleben sie überhaupt die Überfahrt? Elend, Hoffnung, Liebe verpackt in einem fesselnden historischen Roman lassen den Leser nicht zu Atem kommen.
Annette Oppenlander hat bereits mehrere historische Romane veröffentlicht, insbesondere die Zeit der Machtergreifung durch die Nazis und des zweiten Weltkriegs hat sie aus verschiedenen Blickwinkeln in mehreren Romanen beleuchtet. In „Ein Schimmer am Horizont“ beschreibt sie lebendig, spannend und ausdrucksstark wie es den Menschen in den Zeiten der großen Auswanderungswellen nach Amerika ergangen ist. Vor allem dank Annette Oppenlanders gekonnten Schreibstil zieht sie den Leser immer mehr in ihren Bann und so entwickelt sich das Buch zu einem spannenden historischen Roman, den man gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Hier verbindet sie geschickt diverse Lebensläufe mit den breit gefächerten Handlungssträngen. Die historischen Details sind gut eingearbeitet und bilden eine perfekte Mischung aus realer Historie und spannender Fiktion. Trotz eines sehr spannenden geschichtlichen Hintergrund legt Annette Oppenlander den Fokus mehr darauf den Leser emotional mit diesem Roman gefangen zu nehmen und das gelingt ihr sehr gut.
Und so empfindet der Leser die Hauptfigur Mina wie eine liebe Freundin, die auf Gedeih und Verderb den Launen und Lastern ihres ungeliebten Ehemannes ausgeliefert ist. Deutlich wird dem Leser bewusst, wie abhängig damals eine Frau von ihrem Ehemann war. Manchmal möchte man Mina einfach nur in den Arm nehmen und mit ihr weinen, wenn ihr Schmerz so groß ist, dass sie keinen Schimmer mehr am Horizont sieht, im nächsten Moment möchte man mit ihr lachen, lieben oder sich freuen, dass sie peu à peu immer selbstbewusster wird. Davin dagegen ist herzensgut aber leider schlittert er durch seine Unbedachtheit von einem Unglück in das nächste. Man muss ihn einfach mögen!
Fazit:
„Ein Schimmer am Horizont“ ist ein abwechslungsreicher, gut ausgefeilter historischer Roman und bietet einige Überraschungen. Annette Oppenlander gelingt es überzeugend, den Leser zu fesseln und auf eine emotionale Reise mitzunehmen. Einen einzigen Cliffhanger gibt es auch: wir möchten jetzt unbedingt wissen, wie es mit Mina weitergeht und was aus Davin wird! „Ein Schimmer am Horizont“ macht deutlich Lust auf mehr und ich kann es kaum erwarten, den nächsten Band in meinen Händen zu halten.