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Ich habe vergessen zu weinen, dort in diesen gewaltigen Bergen des Hindukusch. Und dann habe ich vergessen, wie man weint. Heike Groos, Oberstabsärztin in Kabul, Feyzabad und Kunduz im Auslandseinsatz für die Bundeswehr als Angehörige der ISAF-Truppen Ein Knall zerreißt die flirrende Luft auf der Jalalabad Road in Kabul. Dann Stille. Für vier junge deutsche Männer wird der Weg zurück in die Heimat zur Todesfalle. Heike Groos, Bundeswehrärztin in Afghanistan, ist eine der ersten, die die verletzten Soldaten am Ort des Selbstmordanschlags versorgt. Wie Groos sind sie im Glauben an den…mehr

Produktbeschreibung
Ich habe vergessen zu weinen, dort in diesen gewaltigen Bergen des Hindukusch. Und dann habe ich vergessen, wie man weint.
Heike Groos, Oberstabsärztin in Kabul, Feyzabad und Kunduz im Auslandseinsatz für die Bundeswehr als Angehörige der ISAF-Truppen
Ein Knall zerreißt die flirrende Luft auf der Jalalabad Road in Kabul. Dann Stille. Für vier junge deutsche Männer wird der Weg zurück in die Heimat zur Todesfalle. Heike Groos, Bundeswehrärztin in Afghanistan, ist eine der ersten, die die verletzten Soldaten am Ort des Selbstmordanschlags versorgt. Wie Groos sind sie im Glauben an den humanitären Charakter ihres Einsatzes an den Hindukusch gekommen. Doch was die Soldaten, was die Ärzte erwartet, ist die erbarhmungslose Realität eines Krieges. Wohin mit dem Schrecken, der Angst, dem Hass, den Bildern, die auch bleiben, wenn man der Hölle längst entkommen ist?
Autorenporträt
Heike Groos, geboren 1960 in Gießen, verpflichtete sich nach dem Studium der Humanmedizin als Zeitsoldatin bei der Bundeswehr. Danach arbeitete sie als selbstständige Notärztin und Allgemeinmedizinerin und zog fünf Kinder groß. Mit Beginn des Afghanistan-Einsatzes 2001 wurde sie erneut von der Bundeswehr rekrutiert und verbrachte insgesamt zwei Jahre als Oberstabsärztin in Afghanistan.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2009

Die Stimmen der Soldaten
Die Bundesregierung weigert sich weiterhin, von einem Krieg in Afghanistan zu sprechen. Doch mit den Erfahrungen der Bundeswehr haben diese semantischen Tricks nichts zu tun

Die Sprache der Politik ist voller juristisch einwandfreier Wortschöpfungen, die merkwürdig ausgedacht klingen, anscheinend neutral, oft angestrengt harmlos. Sie ist voller Begriffsmonster, die in den Amtsstuben der Verwaltungstechnik geboren werden, in Gerichtskammern oder in Ministerien. Und irgendwann reicht es dann. Irgendwann klaffen Bezeichnendes und Bezeichnetes so sehr auseinander, dass die politische Rede zur Farce wird und ihre Glaubwürdigkeit verliert, wenn sie sich nicht erneuert.

Es hat ziemlich lange gedauert, bis das deutsche Verteidigungsministerium bereit war, die toten Soldaten in Afghanistan "Gefallene" zu nennen. Vom "Krieg" spricht Franz Josef Jung immer noch nicht. Er nennt es "Stabilisierungseinsatz", "Kampfeinsatz", "friedenssichernde Maßnahmen" oder "Mission zur Unterstützung des Staatsaufbaus". Krieg setzt einen völkerrechtlich souveränen Gegner voraus, also kann es keiner sein. Krieg würde auch bedeuten, dass die Lebensversicherungen ihre Policen nicht auszahlten, sollte ein deutscher Soldat "kriegsbedingt" fallen. Also hält man an einer Wortvermeidungstaktik fest, die die Diskrepanz zwischen medialer Wahrnehmung und politischer Sprache immer größer werden lässt. Denn die Stabilisierungsrhetorik passt mit den Bildern von den bombardierten Tanklastzügen und den Berichten über die Opfer bei Kundus nicht mehr zusammen. Sie wirkt verharmlosend. Und sie erfasst noch etwas anderes nicht: die Erfahrungen der Soldaten vor Ort, in Afghanistan.

Um zu begreifen, was der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr bedeutet und welche gesellschaftlichen Folgen er haben wird, lohnt es sich, das Feld der politischen Diskussion zu verlassen und die Stimmen derer zu hören, die als Soldaten dort sind oder, weil sie dann freier sprechen können: dort waren. Es lohnt sich, Erfahrungsberichte zu lesen, von Mitgliedern einer Armee, die einmal eine "Friedensarmee" war und seit ihrer Entsendung in Krisen- und Kriegsgebiete jederzeit mit Verletzten, Traumatisierten und Toten rechnen muss. Das hört sich dann ganz anders an, gerade weil ihre Sprache eine andere ist, subjektiv und direkt, lapidar und ohne Umschweife, voller Anekdoten und mit diesem für das Militär typischen Soldatenhumor. Wer Klartext redet, hat nicht automatisch den Anspruch auf mehr Wahrheitsgehalt der Rede. Wo aber Kampfhandlungen stattfinden, bei denen Menschen in Gefahr sind, muss es darum gehen, so viele Erzählungen wie möglich einzufangen. Nur so kommt man dem, was ist, überhaupt näher.

Das zerstörte Kabul-Gefühl

In diesen Tagen ist der Erfahrungsbericht der Medizinerin Heike Groos erschienen, die als Oberstabsärztin über mehrere Jahre wiederholt in Afghanistan war. "Ein schöner Tag zum Sterben" heißt dieses Buch, in dem die 49-jährige Autorin, die mittlerweile mit ihren Kindern in Neuseeland lebt, sich an die Zeit ihres Einsatzes erinnert. Heike Groos war 2003 in Kabul, als bei einem Selbstmordanschlag vier deutsche Soldaten ums Leben kamen. Die Soldaten waren mit anderen Kameraden ihrer Einheit auf dem Weg zum Flugplatz, hatten gerade ihren Einsatz beendet, wollten zurück nach Deutschland fliegen, als ein gelbes Taxi mit einer Fünfhundert-Kilo-Bombe an Bord ihren Bus rammte. Drei von ihnen waren sofort tot, einer starb im Lazarett, 29 wurden verletzt.

Das erste Kabul-Gefühl, das für Groos das eines Pfadfinderlagers war, ist damit vorbei. Die Oberstabsärztin kümmert sich um die Verletzten und, was in der Theorie der Vorausbildung zwar mitgedacht ist, in Wirklichkeit dann aber wie immer ganz anders aussieht, um die Toten: "Als wir sie nebeneinander an den Straßenrand gelegt und ihre Kleidung glattgezogen hatten, so gut es eben ging, hatten wir vorschriftsmäßig die Hälfte der Erkennungsmarken abgebrochen. Jetzt wussten wir nicht, was wir damit machen sollten." So steht sie da, mit den abgebrochenen Marken ihrer Kameraden. Ein Konvoi nähert sich der Unglücksstelle, der kommandierende General der deutschen Isaf-Truppen steigt aus, will den Ort in Augenschein nehmen. Die Oberstabsärztin steht stramm, grüßt ihn: "Herr General, hiermit übergebe ich Ihnen die Erkennungsmarken unserer gefallenen Kameraden."

Wie Heike Groos den Moment dieser Übergabe beschreibt, der zu den Augenblicken gehört, die einem seltsam lang vorkommen, ein Zeitlupenmoment in der Erinnerung; wie sie vom ungläubigen Starren des Generals erzählt, den Blick auf die Blechstücke gerichtet, die er zögerlich an sich nimmt, ist bemerkenswert, weil sie damit den Augenblick einer neuen Realität beschreibt, im Juni 2003 in Kabul. Mit Toten muss gerechnet werden, wirklich vorgesehen sind sie nicht, was sich im Lager, als sie die Leichen waschen, ankleiden und in Särge legen wollen, auch daran zeigt, dass die Särge zu klein sind und sie die Deckel nicht zukriegen.

Särge von gestern

"Müssen noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammen oder kennst du eine Vorschrift, die besagt, der deutsche Soldat darf nicht größer sein als ein Meter achtzig", sagt der Spieß. Die Sanitäter haben die Wahl: Entweder legen sie die Toten in Sperrholzkisten oder sie brechen ihnen die Füße, damit sie in die kleinen Särge passen. Sie fragen im Lager bei den anderen Nationen nach. Habt ihr große Särge? Die Holländer haben welche. Sie sind schon zugelötet, als die Generalitäten entdecken, dass die zwei deutschen und zwei niederländischen Sargmodelle kein einheitliches Bild ergeben werden beim militärischen Empfang bei der Ankunft in Deutschland.

Es gibt noch eine andere als neu erfahrene Realität, von der in Groos' Bericht die Rede ist, wenn sie von der Schlaflosigkeit ehemaliger Kameraden erzählt, die später kommt, Monate, manchmal Jahre nach ihrem Einsatz, von Depressionen und Angstzuständen, von Symptomen der Traumatisierung, während sie selbst alles daran setzt, psychiatrisch nicht aktenkundig zu werden. Und es ist ein merkwürdiges Phänomen, dass einem diese Geschichten beim Lesen ja immer so bekannt vorkommen, weil die amerikanische Literatur und Filmgeschichte voll von Vietnam- und Irakveteranen mit ähnlichen Symptomen ist. Weil Figuren wie die Heimkehrer aus "Die durch die Hölle gehen", Travis Bickle aus "Taxi Driver" oder Lester Farley aus Philip Roth' "Der menschliche Makel" in der eigenen Wahrnehmung gewissermaßen zur Familie gehören.

Dass es etwas grundsätzlich anderes ist, wenn Traumatisierte sich plötzlich im eigenen Umfeld befinden und dies durchaus vorstellbar wird, wenn deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen in immer mehr Kampfhandlungen verstrickt sind, kann man gar nicht oft genug sagen. Das Verteidigungsministerium spielt die Zahl der Fälle von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) auf ein Prozent aller deutscher Soldaten, die seit 1997 im Einsatz sind, herunter. Geholfen ist damit niemandem.

Es ist das Verdienst von Leah Wizelman, Doktorandin an der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Technischen Universität München, eine große Anzahl von Interviews mit traumatisierten Soldaten und ihren Angehörigen geführt zu haben: "Wenn der Krieg nicht endet", heißt ihr Buch, das ebenfalls diese Woche erscheint und das die Rede der ehemaligen Soldaten, kaum kommentiert, als Diskurs ausstellt. Wizelman hat nicht nur mit deutschen Soldaten gesprochen, die im Kosovo oder in Afghanistan waren, sondern auch mit einer Fernmeldespezialistin aus Kanada, einem Australier, der bei den UN-Truppen in Somalia war, oder mit US-Soldaten aus dem Irak. 21 Interviews sind es insgesamt, in denen auch die Deutschen selbstverständlich von "Krieg" sprechen, ihnen gar nicht in den Sinn kommt, es anders zu nennen. Die Folgen ihrer Traumatisierung: Angst vor überfüllten Orten, Flashbacks bei Triggern, plötzliche Stimmungsumschwünge, Aggressivität im Straßenverkehr, soziale Abkapslung, in die Brüche gehende Ehen und Beziehungen, Selbstmordversuche.

Das Trauma ist hier

Das ist berührend zu lesen. Und es ist auch deshalb interessant, weil durch die ausgewählten Fallgeschichten jene Verzögerung sichtbar wird, mit der die Symptome auftreten: Nach dem unmittelbaren Ende des Einsatzes scheint meistens alles klar zu sein, keiner fühlt sich so schlecht, dass er Beschwerden zu Protokoll gäbe. Irgendwann dann kommen die Panikattacken. Dass die Autorin nur wenige Soldaten aus dem Einsatz in Afghanistan interviewt, mag auch daran liegen, dass nicht jeder Angesprochene sich zu äußern bereit war. Es verweist aber auch auf das, was gesellschaftlich auf uns zukommt, sollte die Bundeswehr noch lange in Afghanistan bleiben. Man kann das bedrohlich finden; in jedem Fall ist es etwas, womit man rechnen müsste. Es würde immer mehr Traumatisierte geben, die Hilfe brauchten.

Für Heinz Sonnenstrahl, der als Berufsoffizier in Afghanistan war, mittlerweile das Reisebüro "Sonnenstrahl" in München betreibt und zu den Gründern der Selbsthilfeorganisation "Skarabäus" gehört, die ehemalige Soldatinnen und Soldaten nach Einsatzstress unterstützt, sind es vor allem die Zeitsoldaten, die man vergisst: "Für die aktiven Soldaten wird alles Erdenkliche getan, da ist die Truppe sehr gut aufgestellt", sagt er. "Die Bundeswehr ist aber eine Armee der Zeitsoldaten. Wer Monate nach seiner Entlassung erkrankt, kann sich eine Weile über seine Krankenkasse therapieren lassen, die irgendwann nicht mehr zahlt. Er kann also einen Antrag auf Wehrdienstbeschädigung stellen. Die Anträge laufen oft Jahre, sind endlose Verfahren, Gutachten werden erstellt, Gegengutachten werden eingeholt, nicht immer führt das Ganze zum Erfolg. Wird er anerkannt, hat dies zwar zur Folge, dass er als Wehrdienstbeschädigter möglicherweise Anspruch auf eine Rente hat. Die aber beträgt oft nicht mehr als ein paar hundert Euro, weil er gerade mal dreißig Jahre alt ist. Davon kann keiner leben." Bei der "Transformation der Bundeswehr von einer Friedensarmee zur Armee im Einsatz", so Heinz Sonnenstrahl, habe man die Zeitsoldaten vergessen.

"Skarabäus" hat Leah Wizelman bei der Vermittlung ihrer Interviewpartner unterstützt. Sonnenstrahl hält das Buch für eine wichtige Studie, wundert sich allerdings über das Nachwort der Referentin des Verteidigungsministeriums, Wiltraud Pilz. Und tatsächlich kommt es im Buch durch dieses Nachwort zu einer wahrscheinlich völlig ungewollten Pointe. Denn Wiltraud Pilz verwendet die Sprache des Verteidigungsministeriums. Das ist ihr Job. Sie zitiert den Bundesverteidigungsminister, erwähnt die angeblich ein Prozent der PTBS-Fälle, spricht, insgesamt zuversichtlich, von "Einsatzintensität", "Einsatzszenarien", "Einsatznachbereitungsseminaren" und "Kriseninterventionsteams".

Wer nur ein paar Seiten davor den Bericht der Ehefrau jenes US-Soldaten gelesen hat, der im Irak in einen Hinterhalt geraten war und sich seither mit nichts anderem beschäftigte als damit, sein Grundstück "sicher" zu machen; der einen Schützengraben hinter und vor und unter seinem Haus grub, mit genügend Proviant, damit er dort mit der Familie im Fall der Fälle durchhalten könne - dem gefriert hier das Blut in den Adern. Krasser könnten die Redeweisen nicht aufeinanderprallen, weshalb man Leah Wizelman eigentlich dankbar sein muss. Es ist ein eindrucksvoller Effekt. Vielleicht fragt sich die Verteidigungspolitik einmal, was ihr in ihrer Begriffsakrobatik so selbstverständlich über die Lippen geht. Und was sie uns eigentlich damit sagen will.

JULIA ENCKE

Heike Groos: "Ein schöner Tag zum Sterben. Als Bundeswehrärztin in Afghanistan". Krüger-Verlag, 272 Seiten, 18,95 Euro. Leah Wizelman: "Wenn der Krieg nicht endet: Schicksale von traumatisierten Soldaten und ihren Angehörigen". Balance Buch und Medien, 180 Seiten, 14,95 Euro. Die Homepage von "Skarabäus" findet man unter www.soldatenstress.info.

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