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Die Schulzeit Iras, eines Juden in New York ist von Demütigungen geprägt. Bestimmt wird sein Alltag aber von seiner inzestuösen Liebe zu seiner Schwester Minnie. Der Tabubruch löst eine sexuelle Obsession in ihm aus, der er später in den Boheme-Zirkeln von Greenwich Village nachgibt - der zweite Teil der hochgerühmten Autobiographie von Henry Roth. Ein Klassiker der amerikanischen Literatur in der bestechenden Übersetzung von Heide Sommer.
Auch in diesem Roman von Henry Roth steht Ira Stigman, der Sohn jüdischer Einwanderer nach New York, im Mittelpunkt. Wir folgen seinem Weg in die
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Produktbeschreibung
Die Schulzeit Iras, eines Juden in New York ist von Demütigungen geprägt. Bestimmt wird sein Alltag aber von seiner inzestuösen Liebe zu seiner Schwester Minnie. Der Tabubruch löst eine sexuelle Obsession in ihm aus, der er später in den Boheme-Zirkeln von Greenwich Village nachgibt - der zweite Teil der hochgerühmten Autobiographie von Henry Roth.
Ein Klassiker der amerikanischen Literatur in der bestechenden Übersetzung von Heide Sommer.
Auch in diesem Roman von Henry Roth steht Ira Stigman, der Sohn jüdischer Einwanderer nach New York, im Mittelpunkt. Wir folgen seinem Weg in die Erwachsenenwelt zwischen 1921 und 1925, seinen ersten, zwiespältigen Erfahrungen auf der Highschool bis hin zur Entdeckung seines eigentlichen Interesses und Talents, des Schreibens.
Roth schildert Ira als von Selbstzweifel und Schuld gezeichneten Teenager am Rande des Wahnsinns, verfangen im Widerstreit von Gefühlen, die sein Leben zu vernichten drohen. Das Geheimnis des jungen Ira ist so intensiv, so verzehrend und so schändlich, daß es erst nach Jahrzehnten von dem alten Mann erzählt werden kann, der sich im Gespräch mit seinem Computer Ekklesias lange Zeit weigert, es preiszugeben.
"Ein schwimmender Fels am Ufer des Hudson", der zweite Band des sechsteiligen Epos "Die Gnade eines wilden Stroms" von Henry Roth, wurde von der amerikanischen Literaturkritik als eines der eindringlichsten und fesselndsten Bücher unserer Zeit gewürdigt.
Autorenporträt
Henry Roth (1906-1995) kam mit seinen Eltern als zweijähriges Kind aus Galizien nach New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.1998

Schafott aus Stein
Henry Roth beichtet am Bildschirm · Von Wolfgang Steuhl

Wer hierzulande in irgendeinem literarischen Zusammenhang den Namen Roth in amerikanischer Aussprache vernimmt, wird zunächst an den Schriftsteller mit dem Vornamen Philip denken - an dessen bis zum Exzeß getriebenes Eintauchen in das, was er die "Ästhetik extremistischer Fiktion" nannte und dessen intellektuelle wie erzählerische Voraussetzungen er zu einem gut Teil erst aus seinem eigenen Erwachsenenleben bezogen hatte.

Von Philip Roth, der als Kind jüdischer Eltern in der Neuen Welt geboren wurde, in New Jersey wohlbehütet aufwuchs und sich später den Ruf eines künstlerischen Berserkers erwarb, stammt auch die Vermutung, die Autobiographie sei "wahrscheinlich die manipulativste aller literarischen Formen".

Als der Manipulation wenig verdächtig erscheint die Prosa eines der geistigen Ziehväter dieses Schriftstellers: Der Roman "Call It Sleep", im Original erstmals 1934 erschienen (die deutsche Fassung mit dem Titel "Nenne es Schlaf" wurde vor kurzem in einer Neuübersetzung herausgebracht), dann in den Vereinigten Staaten in den sechziger Jahren wieder aufgelegt und für lange Zeit die einzige Buchveröffentlichung des mit Philip Roth nicht verwandten Henry Roth, schildert drei Jahre aus der Kindheit eines jüdischen Einwandererjungen in den Slums von New York und setzt sich mit dem auseinander, was sein Autor später das Leben "in dieser goijischen Welt der westlichen Diaspora" nannte - also mit dem, was jüngere amerikanisch-jüdische Schriftsteller wie zum Beispiel Saul Bellow, Malamud, J. D. Salinger und eben auch Philip Roth in unterschiedlichen Ausprägungen immer wieder behandelt haben.

Henry Roth, 1906 in Galizien geboren und als Zweijähriger mit seinen Eltern nach New York gekommen, war ein für die literarische Welt der Vereinigten Staaten ungewöhnlicher Pionier. Die jenseits des Atlantiks noch unerbittlicheren Gesetze des Büchermarktes, gemäß denen immer wieder neu präsent sein muß, wer nicht alsbald vergessen werden will, scheint er ignoriert zu haben; nach seiner Wiederentdeckung Anfang der sechziger Jahre dauerte es noch einmal knapp drei Jahrzehnte, bis er sich wieder zu Wort meldete, und zwar mit dem ersten Teil einer auf sechs Bände angelegten Autobiographie in Romanform (in welcher der Autor seinem Alter ego den nicht von ungefähr an den Begriff "Stigma" erinnernden Namen Ira Stigman gab).

Vor seinem Tod im Jahre 1995 hat Henry Roth, der seinen Lebensabend in Albuquerque verbrachte, das gesamte Projekt noch abschließen können. "Die Gnade eines wilden Stroms" - so der Titel der 1996 erschienenen Übersetzung des ersten Bandes, der die späte Kindheit der Hauptfigur zum Gegenstand hat - wird nunmehr gefolgt von "Ein schwimmender Fels am Ufer des Hudson", dessen zeitlicher Rahmen von Iras High-School- bis zur frühen Collegezeit reicht, also ungefähr von der Pubertät bis ins Jungerwachsenenalter.

Schon aus Roths ersten beiden Büchern ließ sich ersehen, daß den Gegenstand zumindest teilweise verfehlt, wer als Absicht des Autors bloß die exemplarische Schilderung einer jüdischen Kindheit und Jugend im New York des frühen zwanzigsten Jahrhunderts unterstellt. Auch gesellschaftskritische Anwandlungen kommen in "Ein schwimmender Fels am Ufer des Hudson" eher am Rande und hauptsächlich aus der Rückschau des gealterten Erzählers vor, etwa wenn dieser sich in Erinnerung an einen vor kurzem absolvierten Krankenhausaufenthalt gereizt zeigt "wegen der amorphen Persönlichkeit seines Zimmergenossen, eines ganz gewöhnlichen Durchschnittsamerikaners mit billigem Plastikgeschmack, geistlosem Hirn, einer Vorliebe für billigen Tand, für Talmi und Schund, mit einer Frau, die genauso war wie er, ebensolchen Freunden und den Fernsehprogrammen, ohne die er nicht sein konnte".

Anvertraut wird solches und anderes Räsonnement vom Erzähler scheinbar nicht dem Leser, sondern dem Computer, in den es eingegeben wird. Der heißt sinnigerweise "Ekklesias" und erhält von seinem Meister eine Art Beichtvaterfunktion zugesprochen, ja mehr noch: Er wird gelobt "für die Vervollständigung der Gedanken und die Verbesserung des Stils, von der Ira mit Überzeugung sagen konnte, daß er sie gleichfalls in großem Umfang Ekklesias zu verdanken hatte".

Neben dem apologetischen Charakter dieser Passage fällt auf, daß der Erzähler und "Ira" eben doch weitgehend identisch sein sollen - lediglich Henry Roths spätere Ehefrau, genannt "M.", verbleibt in schonender Anonymität, wenn Ira in Gestalt seines älteren Ichs Henry von der Kraft spricht, die er benötigt, um "den Bericht über mein ach so häßliches, verpfuschtes, widersprüchliches, verworrenes Leben voranzutreiben". Denn darum geht es immer wieder im Werk von Henry Roth: "Man erkritzelt sich eine Welt aus Worten, und im Gegenzug schenkt einem diese Welt das Leben."

Der exemplarische Gehalt, der dem Erzählten beigemessen wird, soll nicht, wie man anfangs meinen könnte, zuvörderst in dem Umstand zum Ausdruck gelangen, daß hier die Biographie eines jüdischen Einwandererkindes in einer bestimmten historischen Phase ausgebreitet werden soll, sondern in der psychologischen Problematisierung der Hauptfigur.

Erzählt wird eine ganz persönliche Geschichte, die im ersten Band nicht zuletzt von den Auswirkungen der Entwurzelung auf seiten der Immigrantenfamilie Stigmann handelte: von Triebunterdrückung, Verzicht und dem Gefühl der Erwachsenen, nicht heimisch werden zu können in der Neuen Welt - also von den damals in diesem Milieu wohl eher üblichen Zwängen und Beklemmungen. In "Ein schwimmender Fels am Ufer des Hudson" nun fügt der Autor aber etwas gänzlich Neues hinzu, nämlich die Geschichte einer verbotenen Liaison, die als persönlicher Sündenfall ihre traumatisierende Wirkung anscheinend über sein gesamtes Leben hinweg entfaltet hat. Es ist die Darstellung eines inzestuösen Verhältnisses, das - im Roman - der junge Ira über Jahre hinweg mit seiner jüngeren Schwester Minnie pflegt.

Hinter die Last der quälenden Heimsuchung, die den Autor wegen dieser frühen Verfehlung offenbar zeitlebens gemartert hat, sollen, ja müssen auch für den Leser die Eindrücke von sämtlichen anderen Begebenheiten aus dieser Jugend zurücktreten. Und der Leser wird regelrecht darauf vorbereitet - zunächst mag er sich bloß wundern, wenn Roth alias Ira, lange bevor er das Ungeheuerliche beim Namen nennt, mehr oder weniger beschauliche Ausführungen über Schulerlebnisse, Jugendfreundschaften und Erziehungszwänge mit dunklen Andeutungen unterbricht. Von der "nie mehr rückgängig zu machenden Verzerrung seines Lebens" ist dann die Rede; der "schwimmende Fels am Ufer des Hudson", auf dem er steht, wird Ira zum "Schafott aus Stein"; "Angst und innere Blockierung" hat er zu erdulden und ebenso das Gefühl, ein "Versager" zu sein und an einem "Krebsgeschwür" zu leiden.

Roth ist weit davon entfernt, sein moralisches Versagen, den Auslöser jenes "Krebsgeschwürs", im nachhinein ins Tragische zu überhöhen. Auch der religiöse Aspekt, insbesondere das mosaische Inzestverbot, spielt im Buch so gut wie keine Rolle. Die Liebschaft zwischen den Geschwistern führt keineswegs zu einer bedingungslosen gegenseitigen Verfallenheit. Zwischen beiden herrscht nicht einmal eine besonders stark ausgeprägte emotionale Bindung, ganz zu schweigen von irgendeinem mythischen Streben nach Ganzheit oder Vollkommenheit - nein, es sind das schiere körperliche Bedürfnis und die Gelegenheiten, die hier das machen, was auch der junge Ira nie zur Liebe umlügt.

Um das, was ihm als Verworfenheit erscheint, zu komplettieren und wohl auch, um den von ihm als besonders schändlich empfundenen primären Inzest mit der Schwester zu relativieren, beginnt Ira auch noch ein Verhältnis mit seiner jüngeren Cousine Stella; und angesichts dieses Halb-Inzests erreicht seine Selbstpeinigung noch in der Erinnerung ihren Gipfel: Stella, die ganz und gar unhimmlische Erscheinung, wird ihm zur "Dummheit in Erstarrung, ganz auf ihn fixiert. Sie war seine Beute, Komplizin seiner Schändung."

Das "angenehm gute Offene" einerseits und das "abgrundtief schlechte Verborgene" andererseits verleihen dieser in Romanform angelegten Lebensbeichte eine Spannung, die ergänzt wird durch die zwar milde, aber doch deutlich vorhandene Distanz, mit welcher der Erzähler auf sein jüngeres Ich zurückblickt und die eine Verdoppelung erfährt durch die Art und Weise, wie der Alte seinen Computer "Ekklesias" zu einem Beichtvater personalisiert, der mit eigener kritisch-ironischer Stimme spricht.

Um die vor allem individuelle Geschichte eines lebenslangen seelischen Bußdramas geht es hier also; um eine Selbstentblätterung, die wohl dem Gerechtigkeitsempfinden und der Sühnebereitschaft des Autors geschuldet ist, und kaum um Sozialgeschichte, Ideen oder Bildungserlebnisse. Darum ist es diesem Autor nicht zu tun, und man darf ihm daraus keinen Vorwurf machen. Aber wenn amerikanische Rezensenten ausgiebig die "Wahrhaftigkeit" loben, mit welcher Henry Roth seinen Roman verfaßt habe, so weisen sie zugleich unwillkürlich auf eine häufig anzutreffende Schwäche aller Bekenntnisliteratur hin: Als künstlerisches Zeugnis einer Selbsttherapie mag sie anrührend wirken; sie vermag vielleicht sogar Erhellendes zur Diskussion über ein altes philosophisches Problem beizutragen, indem sie suggeriert, daß Identität aus ein und derselben, oft lebenslangen Unvollkommenheit entsteht - und aus der daraus resultierenden persönlichkeitsspezifischen Qual. Die geistige Herausforderung hingegen, die manipulative Provokation, wie ein Philip Roth sie liebt und seit jeher betreibt, ist keine Stärke dieses Romans. Auf diesem Feld hätte der Ziehvater vom Zögling lernen können.

Henry Roth: "Ein schwimmender Fels am Ufer des Hudson". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Heide Sommer. Quadriga Verlag, Weinheim und Berlin 1998. 602 S., geb., 48,- DM.

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