Pierre wird von seinem älteren Bruder Jean und dessen Frau Jeanne zu einem Segeltörn vor der Küste Neapels eingeladen. Er kommt in Begleitung seiner neuen Freundin Lone zum vereinbarten Treffpunkt am Hafen, der Himmel ist weit, ach, das wird bestimmt wunderbar! Doch Pierre ahnt schon, wie trügerisch die Harmonie ist und dass ihn alles andere als ein harmloser Ausflug zu viert erwartet.Seine Affäre mit der Gattin des großen Bruders ist zwar schon einige Jahre her und fast vergessen, aber auf dem kleinen Boot vor der Kulisse von Capri kann man sich ja kaum aus dem Weg gehen ... Vincent Almendros erzählt scharfsichtig und ironisch, mit viel Detailfreude und zugleich extrem verdichtet. Es ist dabei nicht allein die Geschichte eines Betrugs ... denn Jean und Jeanne spielen einander die Karten zu und in jedem Fall ein doppeltes Spiel.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2017Sonne, Wasser, Haut, viel davon
Ein kurzer Roman über das Feuer einer Affäre, das gegen alle Vernunft weiterflackert: Vincent Almendros' "Ein Sommer"
Müsste man die Qualitäten eines guten Sommerbuchs zusammenfassen, käme man mit folgenden Ingredienzien recht einvernehmlich weiter. Man nehme: Sonne, viel Sonne, brennende, drückende Sonne. Wasser, viel davon, salziges, das erfrischt und auf der Haut weiße Spuren hinterlässt. Natürlich Haut, warme, nackte Haut. Und vielleicht noch eine komplizierte Liebesgeschichte, in der es um Versuchung und Verbot geht, in der jeder weiß, was er tun und lieber lassen sollte, es wegen der Sonne, dem Wasser und all der nackten Haut aber dann doch irgendwie kurz vergisst.
Der Franzose Vincent Almendros hat mit seinem Buch, das auf Deutsch wie Französisch den vielversprechenden Titel "Ein Sommer" trägt, einen Roman geschrieben, der all diese Qualitäten und noch ein paar andere (etwa die Kürze der Erzählung) besitzt. Viel passiert auf den knapp hundert Seiten nicht. Sie verstreichen wie die besten Tage des Sommers. Langsam, fast träge, man taumelt durch sie hindurch, wie benommen von der Hitze, dem Nichtstun, dem Wein, der Schönheit. Man wäre sogar fast versucht zu behaupten, es passiere gar nichts oder zumindest fast nichts, was allerdings vor allem daran liegt, dass jedes Ereignis unter dem gnadenlos hell strahlenden Licht Süditaliens schnell verblasst, wie Motive auf einem zu lange beleuchteten Polaroid.
Denn natürlich geschehen zwischen all den Eindrücken, die so gut beschrieben sind, dass man mitfühlt und mitriecht, ein paar Dinge. Alles beginnt sehr friedlich. Pierre, der Erzähler, und seine neue Freundin Lone treten eines kühlen Morgens am Hafen von Neapel zu einem Segeltörn mit Pierres Bruder Jean und seiner Freundin Jeanne an. Das Schiff legt ab in Richtung Capri, man schmiert sich ein mit Sonnencreme, döst ein bisschen, isst auf einem sonnigen Platz der schönen Insel, riecht an Pfirsichen, erfreut sich am leuchtenden Pink der Bougainvilleen, spricht über Banalitäten. Urlaub eben.
Nur kein wirklich fröhlicher, kein leichter. Wie man bereits nach ein paar Seiten erfährt, ist Pierre sich unsicher, ob diese Reise eine gute Idee war, eine gute Idee ist. Schließlich verbindet ihn mit Jeanne (die man sich nicht nur wegen des Namens, sondern vor allem wegen ihrer fordernd-herben Sinnlichkeit ein bisschen vorstellt wie Jeanne Moreau) weniger sein Bruder als eine Affäre. Eine dieser Sorte, die nicht ordentlich zu Ende gelebt wurde und deren Feuer deshalb, entgegen aller Vernunft, weiterflackert.
Man muss wohl nicht weiter erklären, was dann geschieht, nur spielt es am Ende kaum eine Rolle. Zumindest nicht bis zum Herbst, nicht bis die kühleren Tage den Verstand wieder schärfen und die Sinne nicht mehr neblig, sondern klar wahrnehmen. Dann führt Almendros uns für eine überraschende Pointe nach Paris. Bis dahin ist "Ein Sommer" ganz Atmosphäre, ganz Sinnlichkeit, ganz weich und schön. Wie ein feines Rauschen in der Bucht von Neapel.
Annabelle Hirsch
Vincent Almendros: "Ein Sommer". Aus dem Französischen von Till Bardoux. Wagenbach, 96 Seiten, 15 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein kurzer Roman über das Feuer einer Affäre, das gegen alle Vernunft weiterflackert: Vincent Almendros' "Ein Sommer"
Müsste man die Qualitäten eines guten Sommerbuchs zusammenfassen, käme man mit folgenden Ingredienzien recht einvernehmlich weiter. Man nehme: Sonne, viel Sonne, brennende, drückende Sonne. Wasser, viel davon, salziges, das erfrischt und auf der Haut weiße Spuren hinterlässt. Natürlich Haut, warme, nackte Haut. Und vielleicht noch eine komplizierte Liebesgeschichte, in der es um Versuchung und Verbot geht, in der jeder weiß, was er tun und lieber lassen sollte, es wegen der Sonne, dem Wasser und all der nackten Haut aber dann doch irgendwie kurz vergisst.
Der Franzose Vincent Almendros hat mit seinem Buch, das auf Deutsch wie Französisch den vielversprechenden Titel "Ein Sommer" trägt, einen Roman geschrieben, der all diese Qualitäten und noch ein paar andere (etwa die Kürze der Erzählung) besitzt. Viel passiert auf den knapp hundert Seiten nicht. Sie verstreichen wie die besten Tage des Sommers. Langsam, fast träge, man taumelt durch sie hindurch, wie benommen von der Hitze, dem Nichtstun, dem Wein, der Schönheit. Man wäre sogar fast versucht zu behaupten, es passiere gar nichts oder zumindest fast nichts, was allerdings vor allem daran liegt, dass jedes Ereignis unter dem gnadenlos hell strahlenden Licht Süditaliens schnell verblasst, wie Motive auf einem zu lange beleuchteten Polaroid.
Denn natürlich geschehen zwischen all den Eindrücken, die so gut beschrieben sind, dass man mitfühlt und mitriecht, ein paar Dinge. Alles beginnt sehr friedlich. Pierre, der Erzähler, und seine neue Freundin Lone treten eines kühlen Morgens am Hafen von Neapel zu einem Segeltörn mit Pierres Bruder Jean und seiner Freundin Jeanne an. Das Schiff legt ab in Richtung Capri, man schmiert sich ein mit Sonnencreme, döst ein bisschen, isst auf einem sonnigen Platz der schönen Insel, riecht an Pfirsichen, erfreut sich am leuchtenden Pink der Bougainvilleen, spricht über Banalitäten. Urlaub eben.
Nur kein wirklich fröhlicher, kein leichter. Wie man bereits nach ein paar Seiten erfährt, ist Pierre sich unsicher, ob diese Reise eine gute Idee war, eine gute Idee ist. Schließlich verbindet ihn mit Jeanne (die man sich nicht nur wegen des Namens, sondern vor allem wegen ihrer fordernd-herben Sinnlichkeit ein bisschen vorstellt wie Jeanne Moreau) weniger sein Bruder als eine Affäre. Eine dieser Sorte, die nicht ordentlich zu Ende gelebt wurde und deren Feuer deshalb, entgegen aller Vernunft, weiterflackert.
Man muss wohl nicht weiter erklären, was dann geschieht, nur spielt es am Ende kaum eine Rolle. Zumindest nicht bis zum Herbst, nicht bis die kühleren Tage den Verstand wieder schärfen und die Sinne nicht mehr neblig, sondern klar wahrnehmen. Dann führt Almendros uns für eine überraschende Pointe nach Paris. Bis dahin ist "Ein Sommer" ganz Atmosphäre, ganz Sinnlichkeit, ganz weich und schön. Wie ein feines Rauschen in der Bucht von Neapel.
Annabelle Hirsch
Vincent Almendros: "Ein Sommer". Aus dem Französischen von Till Bardoux. Wagenbach, 96 Seiten, 15 Euro
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