Jonathan Littell, der Autor der Wohlgesinnten, zeigt sich in diesem Buch als Erbe seiner literarischen Väter Beckett und Blanchot, Kafka und Simon.
Die vier Erzählungen in "Ein Sonntag im Sommer" sind ebenso faszinierend wie Littells großer Roman und zeigen die Quellen seines literarischen Schaffens. Die sehr persönlichen Geschichten reflektieren Erfahrungen und Erlebnisse während seiner Einsätze in humanitären Hilfsaktionen u.a. in Tschetschenien.
Die vier Erzählungen in "Ein Sonntag im Sommer" sind ebenso faszinierend wie Littells großer Roman und zeigen die Quellen seines literarischen Schaffens. Die sehr persönlichen Geschichten reflektieren Erfahrungen und Erlebnisse während seiner Einsätze in humanitären Hilfsaktionen u.a. in Tschetschenien.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2009KURZKRITIK
Etüden der Kälte
Huhu, de Sade! Wie Jonathan Littell das Schreiben lernte
Jonathan Littell ist das denkbar höchste Risiko eingegangen, das ein Schriftsteller am Beginn seiner Laufbahn auf sich nehmen kann: Er hat alles auf eine Karte von 1300 Seiten gesetzt, den Roman „Die Wohlgesinnten”. Man muss seiner Sache sehr sicher sein, um als Mittzwanziger ein so gewaltiges Unternehmen ins Auge zu fassen. Von den Voraussetzungen dieser Kopfgeburt ist fast nichts sichtbar. Immerhin muss man nur „fast nichts” sagen, denn jetzt gibt es auch auf deutsch vier in Frankreich 2007 erschienene „Etüden”, die ahnen lassen, wie Littell das Schreiben gelernt hat.
Die zwischen 1995 und 2002 datierten, zwischen zehn und zwanzig Seiten zählenden Texte sind Stilübungen in den Fächern Kriegsschrecken, sexueller Ekel, unerfüllte Leidenschaft und Kälte. Der erste Text ist Limonade aus Ernst Jüngers Pariser Erdbeerbowle: Granatenexplosion neben einer Kneipe im Bürgerkriegsland. Der zweite schildert mit erstaunlicher Politesse einen kaum benennbaren Vorgang: anale Inkontinenz nach passivem homosexuellen Akt – huhu, de Sade. Der dritte Text überblendet das hektische Hin- und Hergefliege im humanitären Helferbusiness mit der Unerreichbarkeit einer Geliebten – Kafka bei einer „Aktion gegen Hunger”. Das vierte Stück, kahle Beckett-Prosa, entfaltet in böser Kasuistik die Überlegungen eines jungen Pärchens nach einem Schwangerschaftsunfall: Zusammenbleiben oder nicht, abtreiben oder nicht.
Allesamt sind diese Fingerübungen vorz glich gemacht. Und da sage einer, das Böse und der Ekel schlössen Konventionalität aus. GUSTAV SEIBT
JONATHAN LITTELL: Ein Sonntag im Sommer. Aus dem Französischen übersetzt von Hainer Kober. Mit Zeichnungen von Jesse Littel. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2009. 77 Seiten, 14,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Etüden der Kälte
Huhu, de Sade! Wie Jonathan Littell das Schreiben lernte
Jonathan Littell ist das denkbar höchste Risiko eingegangen, das ein Schriftsteller am Beginn seiner Laufbahn auf sich nehmen kann: Er hat alles auf eine Karte von 1300 Seiten gesetzt, den Roman „Die Wohlgesinnten”. Man muss seiner Sache sehr sicher sein, um als Mittzwanziger ein so gewaltiges Unternehmen ins Auge zu fassen. Von den Voraussetzungen dieser Kopfgeburt ist fast nichts sichtbar. Immerhin muss man nur „fast nichts” sagen, denn jetzt gibt es auch auf deutsch vier in Frankreich 2007 erschienene „Etüden”, die ahnen lassen, wie Littell das Schreiben gelernt hat.
Die zwischen 1995 und 2002 datierten, zwischen zehn und zwanzig Seiten zählenden Texte sind Stilübungen in den Fächern Kriegsschrecken, sexueller Ekel, unerfüllte Leidenschaft und Kälte. Der erste Text ist Limonade aus Ernst Jüngers Pariser Erdbeerbowle: Granatenexplosion neben einer Kneipe im Bürgerkriegsland. Der zweite schildert mit erstaunlicher Politesse einen kaum benennbaren Vorgang: anale Inkontinenz nach passivem homosexuellen Akt – huhu, de Sade. Der dritte Text überblendet das hektische Hin- und Hergefliege im humanitären Helferbusiness mit der Unerreichbarkeit einer Geliebten – Kafka bei einer „Aktion gegen Hunger”. Das vierte Stück, kahle Beckett-Prosa, entfaltet in böser Kasuistik die Überlegungen eines jungen Pärchens nach einem Schwangerschaftsunfall: Zusammenbleiben oder nicht, abtreiben oder nicht.
Allesamt sind diese Fingerübungen vorz glich gemacht. Und da sage einer, das Böse und der Ekel schlössen Konventionalität aus. GUSTAV SEIBT
JONATHAN LITTELL: Ein Sonntag im Sommer. Aus dem Französischen übersetzt von Hainer Kober. Mit Zeichnungen von Jesse Littel. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2009. 77 Seiten, 14,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Thomas Laux wartet auf den Hauptgang. Den vermochte Jonathan Littell bis dato nicht zu servieren, so scheint es. Littells "Wohlgesinnte" waren für Laux allenfalls ein "Skandalerfolg" und die nun vorgelegten vier kurzen Erzählungen aus den 90ern genießt Laux als Vorspeise. In den Texten entdeckt er einen kafkaesken Hang zur Verstörung und zur konsequenten interpretatorischen Zurückhaltung. Die vor kriegerischen Hintergründen agierenden Glücksjäger Littells lassen Laux mutmaßen, der Autor habe hier seine Erfahrungen als humanitärer Helfer in Krisengebieten einfließen lassen. Die so entstehende Häppchenkost aber bleibt für den Rezensenten ein Appetizer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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