Essen, schlafen, Sex - mehr braucht es nicht. Seit sich Oriana und Mesut vor drei Wochen kennengelernt haben, sind sie einfach nur glücklich. Noch sind sie einander so fremd wie die hitzeflirrenden Orte, durch die sie auf ihrer Reise streifen. Alles ist gleich erregend, hastige Gier oder träge Zärtlichkeit, Düfte und Blicke, Phantasien und Geschichten, und alles scheint möglich in der Euphorie ihrer Lust, sogar, dass Mesut hier endlich jemanden aufspürt, den er einmal sehr bewunderte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2002Der Dichter ist der Dealer
Im Erzählrausch: Selim Özdogans künstliche Paradiese
Wenn es eine literarische Entsprechung für einen langen, schönen Sommertag an einem Strand am Mittelmeer geben kann, für ein gutes Fischrestaurant an einem lauen Abend, für ein nicht allzu vornehmes, aber sehr anregendes Hotelzimmer, und dies alles in Gesellschaft eines Geliebten, dann hat Selim Özdogan sie geschrieben. Seine Geschichte ist so ein kleines Wunder, ein kleiner Rausch, Spiel der Götter, wie der Titel es nennt.
Zwei sind unterwegs, sie haben sich spontan aufgemacht, aus Deutschland, wo sie wohnen, aber nicht herkommen: Oriana, Wahrsagerin, aus Sizilien stammend, und Mesut, ein Rapper, der sich selbst als gescheitert betrachtet, türkischer Herkunft. An ihrem ersten Abend landen sie mit einer Gruppe Taubstummer, die sich andauernd Witze in Gebärdensprache erzählen, in einem Luxushotel, wo im Pay-TV Pornos laufen. Damit beginnt die erste der vielen guten Sex-Szenen des Buches, das sich doch nicht darauf reduzieren läßt. Denn es ist nirgendwo schmutzig oder obszön.
Am ersten Morgen in der Fremde legt Oriana Mesut die Karten: "Sehr bald wirst du jemanden treffen, den du schon sehr lange nicht mehr gesehen hast und der dir sehr viel bedeutet. Du wirst dich freuen, aber auch ein wenig traurig sein." Später im Restaurant begegnen sie einem Kellner, der erzählt, daß sie vor kurzem einen türkischen Koch hatten, Oktay, "verrückt, aber sehr lustig". Oktay ist Mesuts Cousin und Freund aus Kindertagen und nach einem mysteriösen Unfall neben Mesut der einzige Überlebende der Familie. Fortan dient die Reise Mesuts und Orianas dem Zweck, Oktay zu finden. Sie reisen ihm hinterher, bis sich schließlich doch seine Spur verliert.
Unterdessen erforschen sie ihre Körper und ihre Seelen, erzählen sich gegenseitig ihre Vergangenheit - den ersten Sex, den ersten Frust, Mesuts Karriere als Dealer und Rapper, ihre Arbeit als Wahrsagerin - sowie Mythen und Märchen, er ihr orientalische, sie ihm indianische. An einem Strand begegnen sie einmal einem anderen Paar, und fast geraten sie vor Eifersucht aus dem Gleichgewicht. Mesuts Karriere als Rapper ist zwar gescheitert, aber zwischendurch legt er in seinen Dialogen herrlich beschwingte und zugleich selbstironische Rap-Einlagen hin: "Drink in der linken Hand, Joint in der rechten, Leute wie ich lassen sich nicht knechten, wir machen morgens schon Party, sagen den Sorgen ade, die Hände am Buffet, die Nase tief im Schnee ..."
Dabei gelingt es Özdogan, das vordergründig unbeschwerte Strand- und Hotelleben der beiden mit Spannung zu durchsetzen. Die Suche nach Oktay ist zugleich die nach Mesuts Vergangenheit, und die Begegnung schiene eine entscheidende Erkenntnis zu verheißen. Neben Oktay gibt es einen weiteren großen Unbekannten, Borell, ein französischer Dandy aus Istanbul, in dessen Nachbarschaft Oktay und Mesut in ihren Sommerferien in der Heimat immer gewohnt haben und den sie für einen Dichter hielten und nicht zuletzt wegen seiner alltäglichen Bordellbesuche bewunderten. Als die Liebenden die Suche nach Oktay schon aufgegeben haben, betritt plötzlich ein elegant gekleideter, etwas verlebt aussehender älterer Herr das Restaurant, der sich dann aber nicht als Dichter, sondern als Dealer herausstellt. Wohin die beiden eigentlich gereist sind, erfährt man nicht. Kamaloka, der Name des Ortes, klingt ein bißchen nach einem verrückten spanischen Bett während eines guten Haschischrausches, der schließlich auch noch folgt.
Die eingestreuten epikureischen Lebensweisheiten Mesuts klingen zwar ein bißchen altklug, und die sexuelle Utopie dürfte nach dem Heimflug ziemlich schnell am normaldeutschen Alltagsleben zerschellen. Doch davon will dieses Buch nicht handeln. Man liest zu selten, daß das Leben auch schön sein kann, ohne dabei für dumm verkauft zu werden.
STEFAN WEIDNER
Selim Özdogan: "Ein Spiel, das die Götter sich leisten". Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 2002. 218 S., geb., 16,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Erzählrausch: Selim Özdogans künstliche Paradiese
Wenn es eine literarische Entsprechung für einen langen, schönen Sommertag an einem Strand am Mittelmeer geben kann, für ein gutes Fischrestaurant an einem lauen Abend, für ein nicht allzu vornehmes, aber sehr anregendes Hotelzimmer, und dies alles in Gesellschaft eines Geliebten, dann hat Selim Özdogan sie geschrieben. Seine Geschichte ist so ein kleines Wunder, ein kleiner Rausch, Spiel der Götter, wie der Titel es nennt.
Zwei sind unterwegs, sie haben sich spontan aufgemacht, aus Deutschland, wo sie wohnen, aber nicht herkommen: Oriana, Wahrsagerin, aus Sizilien stammend, und Mesut, ein Rapper, der sich selbst als gescheitert betrachtet, türkischer Herkunft. An ihrem ersten Abend landen sie mit einer Gruppe Taubstummer, die sich andauernd Witze in Gebärdensprache erzählen, in einem Luxushotel, wo im Pay-TV Pornos laufen. Damit beginnt die erste der vielen guten Sex-Szenen des Buches, das sich doch nicht darauf reduzieren läßt. Denn es ist nirgendwo schmutzig oder obszön.
Am ersten Morgen in der Fremde legt Oriana Mesut die Karten: "Sehr bald wirst du jemanden treffen, den du schon sehr lange nicht mehr gesehen hast und der dir sehr viel bedeutet. Du wirst dich freuen, aber auch ein wenig traurig sein." Später im Restaurant begegnen sie einem Kellner, der erzählt, daß sie vor kurzem einen türkischen Koch hatten, Oktay, "verrückt, aber sehr lustig". Oktay ist Mesuts Cousin und Freund aus Kindertagen und nach einem mysteriösen Unfall neben Mesut der einzige Überlebende der Familie. Fortan dient die Reise Mesuts und Orianas dem Zweck, Oktay zu finden. Sie reisen ihm hinterher, bis sich schließlich doch seine Spur verliert.
Unterdessen erforschen sie ihre Körper und ihre Seelen, erzählen sich gegenseitig ihre Vergangenheit - den ersten Sex, den ersten Frust, Mesuts Karriere als Dealer und Rapper, ihre Arbeit als Wahrsagerin - sowie Mythen und Märchen, er ihr orientalische, sie ihm indianische. An einem Strand begegnen sie einmal einem anderen Paar, und fast geraten sie vor Eifersucht aus dem Gleichgewicht. Mesuts Karriere als Rapper ist zwar gescheitert, aber zwischendurch legt er in seinen Dialogen herrlich beschwingte und zugleich selbstironische Rap-Einlagen hin: "Drink in der linken Hand, Joint in der rechten, Leute wie ich lassen sich nicht knechten, wir machen morgens schon Party, sagen den Sorgen ade, die Hände am Buffet, die Nase tief im Schnee ..."
Dabei gelingt es Özdogan, das vordergründig unbeschwerte Strand- und Hotelleben der beiden mit Spannung zu durchsetzen. Die Suche nach Oktay ist zugleich die nach Mesuts Vergangenheit, und die Begegnung schiene eine entscheidende Erkenntnis zu verheißen. Neben Oktay gibt es einen weiteren großen Unbekannten, Borell, ein französischer Dandy aus Istanbul, in dessen Nachbarschaft Oktay und Mesut in ihren Sommerferien in der Heimat immer gewohnt haben und den sie für einen Dichter hielten und nicht zuletzt wegen seiner alltäglichen Bordellbesuche bewunderten. Als die Liebenden die Suche nach Oktay schon aufgegeben haben, betritt plötzlich ein elegant gekleideter, etwas verlebt aussehender älterer Herr das Restaurant, der sich dann aber nicht als Dichter, sondern als Dealer herausstellt. Wohin die beiden eigentlich gereist sind, erfährt man nicht. Kamaloka, der Name des Ortes, klingt ein bißchen nach einem verrückten spanischen Bett während eines guten Haschischrausches, der schließlich auch noch folgt.
Die eingestreuten epikureischen Lebensweisheiten Mesuts klingen zwar ein bißchen altklug, und die sexuelle Utopie dürfte nach dem Heimflug ziemlich schnell am normaldeutschen Alltagsleben zerschellen. Doch davon will dieses Buch nicht handeln. Man liest zu selten, daß das Leben auch schön sein kann, ohne dabei für dumm verkauft zu werden.
STEFAN WEIDNER
Selim Özdogan: "Ein Spiel, das die Götter sich leisten". Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 2002. 218 S., geb., 16,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Özdogans Geschichte ist ein kleines Wunder, ein kleiner Rausch, Spiel der Götter, wie der Titel es nennt " (FAZ)