Als der Kieler Biologieprofessor Hermann Pauli spät am Abend den Campus verlassen will, locken ihn eigentümliche Geräusche in den obersten Stock des Biologiezentrums, ins Reich des gefeierten Evolutionswissenschaftlers Frank Moebus. Dort erwartet ihn ein grausiges Szenario: Zwischen zappelnden Fischen, Kröten und zahllosen Glasscherben liegt ein Mann, dessen Kopf in einem zerbrochenen Aquarium steckt, eine Scherbe hat sich tief in seine Kehle gebohrt. Wenig später findet die von Pauli gerufene Polizei einen zweiten Toten unter dem offenen Fenster - auch er ein Mitglied der Arbeitsgruppe von Frank Moebus. Kriminalhauptkommissarin Anne Detlefsen steht vor einem Rätsel. Geht es um die kostbaren Urzellen, auf die Moebus in der Tiefsee gestoßen ist? Eine neue Art von Leben - Größeres kann man in der Biologie kaum entdecken. Bewegung kommt in den Fall, als eine Gruppe prominenter Forscher aus aller Welt Moebus in einem offenen Brief vorwirft, ihren Labors trotz mehrfacher Bitten keine Zellen zu überlassen; ein Verstoß gegen gute wissenschaftliche Praxis. In Hermann Pauli keimt ein unheimlicher Verdacht auf... Nach dem großen Erfolg von "Der Rote" legt Bernhard Kegel einen neuen spektakulären Wissenschaftskrimi vor, der von der Tiefsee in den Olymp der Forschung führt - und in dessen Abgründe. Die Geschichte um einen ehrgeizigen Spitzenforscher und seine folgenreiche Entdeckung ist packend erzählt und von höchster Aktualität.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Na ja, das kann der Autor auch besser, Wissenschaftskrimi. Als Beispiel führt Martin Halter Bernhard Kegels Vorgängerroman "Der Rote" an, in dem es um Riesenkraken als Karrieresprungbrett ging, wenn wir das richtig mitbekommen haben. Hier nun etwas langweiliger und etwas kleiner. Laut Halter zellenklein und sehr unspannend, leider. Es dreht sich um Schummelei und Kungelei im Wissenschaftsbetrieb, an sich interessant und aktuell, findet Halter, ebenso das inkludierte Proseminar in synthetischer Biologie. Auf den umständlichen Plotverlauf und das Moralisieren des Autors hätte aber gerne verzichtet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2012Pakt mit der Kröte
Moebus-Zellen, Schwarze Raucher und verklemmte Nerds tauchen aus den kältesten Schichten des Polarmeers auf. Der neue Wissenschaftskrimi des Molekularbiologen Bernhard Kegel.
In "Der Krötenküsser" beschrieb Arthur Koestler 1971 den Fall des Wiener Biologen Paul Kammerer, der Selbstmord begangen hatte, als sein Wissenschaftsschwindel aufflog. Die Vererbung erworbener Eigenschaften, die Kammerer an den Brunftschwielen der Geburtshelferkröte nachweisen wollte, gehört zum Fachgebiet des promovierten Biologen Bernhard Kegel, die Sorge um Anstand und Redlichkeit in der Spitzenforschung zu den Hauptanliegen seines neuen Wissenschaftsthrillers. Dass Frank Moebus, der Superstar der Kieler Evolutionsbiologie, den "Krötenküsser" kennt und schätzt, liegt mithin nahe. Verdächtig ist nur, dass er außer den Schlammspringern und Zebrafischen, an denen er die Geburt primitiven Lebens in der "Schattenbiosphäre" der Tiefsee demonstrieren will, auch noch Geburtshelferkröten züchtet, um den armen Kammerer zu rehabilitieren.
Mit den Kröten kommt Moebus gut voran. Aber bei einem rätselhaften Zwischenfall in seinem Labor sterben zwei seiner Assistenten, und das ruft nicht nur die Polizei auf den Plan. Kollegen fordern in ihren Blogs und im Fachblatt Nature, was demonstrierende Studenten auf Transparenten und in Sprechchören noch drastischer formulieren: "Moebus, gib die Zellen raus, / sonst ist bald der Ofen aus." Oder, lyrisch noch ungereimter: "Plagiat und Datenschmu sind bei uns der letzte Schrei / Macht bloß bald die Unis zu, ist doch eh nur Kungelei."
Was hat die Lichtgestalt der Molekularbiologie zu verbergen? Brunftschwielen eher nicht; für Frauen und Süßholzgeraspel hat Moebus keine Zeit mehr. Getrieben von Ehrgeiz und Erfolgsdruck, hat der Kieler Doktor Faustus offenbar einen "Pakt mit dem inneren Teufel" geschlossen. Selbst Hermann Pauli, sein alter Kollege und Jazz-Partner bei den "Electric Hooters" (Kegel teilt mit seinem Helden Beruf und Hobby), traut ihm einen "fundamentalen Verstoß gegen gute wissenschaftliche Praxis" zu. Wissenschaftliche Sensationen anzukündigen und ihre Überprüfung durch die scientific community zu verweigern, nach Geld, Macht und Nobelpreisruhm lechzen, ohne Rechenschaft abzulegen, als Ignoranten, Weicheier und Sesselfurzer beschimpfen, wer das rastlos um die Welt jettende Ein-Mann-Exzellenzcluster zu bremsen wagt: "So, lieber Frank Moebus, geht es nicht." Auch Pauli kam schon mal in Versuchung, bei den Zellfragmenten in der embryonalen Augenlinse von Cephalopoden ein wenig zu schummeln, aber Moebus' arroganter Hochmut sprengt jedes Maß.
Zuletzt geriet Hermann Pauli vor der Küste Neuseelands in Gewissens- und Seenot, als skrupellose Meeresbiologen, Tierfilmer und Kongresstouristen Kolosskalmare für Karrierezwecke missbrauchten und so das Ökosystem in Unordnung brachten. "Der Rote" war ein packender Wissenschaftsthriller, der Kegel in die Liga von Michael Crichton katapultierte. Diesmal macht er es eine Nummer kleiner, langsamer und leider auch langweiliger: Der Spannungsgehalt seines fünften Romans lässt sich nur unter dem Elektronenmikroskop nachweisen. "Der Rote": Das waren apokalyptische Tsunamis, hochintelligente Riesenkraken, lebendige Figuren, kurz: wissenschaftliche Abenteuer unter Palmen. Diesmal tauchen nur Moebus-Zellen, Schwarze Raucher und verklemmte Nerds aus den kältesten Schichten des Polarmeers auf. Der langsame Brüter Pauli und Anne Detlefsen von der Kieler Kriminalpolizei lassen sich viel Zeit mit der Aufklärung des Falls und noch mehr mit ihrer zart keimenden Liebe; nach dem ersten Kuss schläft nicht nur der verwitwete Meeresbiologe ein.
Leidenschaftlicher attackiert Pauli den verrotteten Wissenschaftsbetrieb: Gefälligkeitsgutachten, Kungelei, Plagiat (auch der Fall Guttenberg findet Erwähnung), Betrug, Vertuschung. Die Versuchung, Versuchsreihen passend zu machen, Ergebnisse zu schönen oder systematisch notwendige Entdeckungen ein wenig zu beschleunigen, ist so alt wie die moderne Naturwissenschaft. Schon Galilei, Newton, Mendel und Pasteur haben nach heutigen Maßstäben gelegentlich geschummelt; der tiefe Fall des gefeierten koreanischen Klonforscher Hwang ist noch gut in Erinnerung. Publish or perish: In Zeiten verschärfter Konkurrenz um Stellen, staatliche Fördergelder, Drittmittel und lukrative Patente müssen Forscher aus ihren Elfenbeintürmen heraustreten und sich mediengerecht inszenieren, und dabei schrecken sie auch vor unerlaubtem Tuning und Doping nicht zurück.
Als kritischer Beitrag zu systematischem Betrug, individuellem Versagen und "elitärem Korpsgeist" in der Wissenschaft hat Kegels Roman trotz einiger Längen und Redundanzen unbestreitbare Verdienste. Man lässt sich von dem bescheidenen Amateurdetektiv nicht ungern durch den Dschungel akademischer Intrigen führen und beiläufig in Craig Venters synthetische Biologie einführen. Literarisch fällt "Ein tiefer Fall" freilich hinter Kegels "Roten" zurück: Der Krimi-Plot wird umständlich referiert und verpufft nur zu bald in empörtem Moralisieren. "Kegel fragt nicht, ob man Wissenschaftlern vertrauen kann, sondern welchen", lobt Frank Schätzing in einem Gefälligkeitsgutachten. "Die Antwort ist geeignet, dem Leser den Schlaf zu rauben." Die NoSyn-Protest-AG dagegen hätte vermutlich gnadenlos skandiert: Kegel, hol die Krake raus, und lass die Kröten stecken.
MARTIN HALTER.
Bernhard Kegel: "Ein tiefer Fall". Roman.
Mare Verlag, Hamburg 2012. 508 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Moebus-Zellen, Schwarze Raucher und verklemmte Nerds tauchen aus den kältesten Schichten des Polarmeers auf. Der neue Wissenschaftskrimi des Molekularbiologen Bernhard Kegel.
In "Der Krötenküsser" beschrieb Arthur Koestler 1971 den Fall des Wiener Biologen Paul Kammerer, der Selbstmord begangen hatte, als sein Wissenschaftsschwindel aufflog. Die Vererbung erworbener Eigenschaften, die Kammerer an den Brunftschwielen der Geburtshelferkröte nachweisen wollte, gehört zum Fachgebiet des promovierten Biologen Bernhard Kegel, die Sorge um Anstand und Redlichkeit in der Spitzenforschung zu den Hauptanliegen seines neuen Wissenschaftsthrillers. Dass Frank Moebus, der Superstar der Kieler Evolutionsbiologie, den "Krötenküsser" kennt und schätzt, liegt mithin nahe. Verdächtig ist nur, dass er außer den Schlammspringern und Zebrafischen, an denen er die Geburt primitiven Lebens in der "Schattenbiosphäre" der Tiefsee demonstrieren will, auch noch Geburtshelferkröten züchtet, um den armen Kammerer zu rehabilitieren.
Mit den Kröten kommt Moebus gut voran. Aber bei einem rätselhaften Zwischenfall in seinem Labor sterben zwei seiner Assistenten, und das ruft nicht nur die Polizei auf den Plan. Kollegen fordern in ihren Blogs und im Fachblatt Nature, was demonstrierende Studenten auf Transparenten und in Sprechchören noch drastischer formulieren: "Moebus, gib die Zellen raus, / sonst ist bald der Ofen aus." Oder, lyrisch noch ungereimter: "Plagiat und Datenschmu sind bei uns der letzte Schrei / Macht bloß bald die Unis zu, ist doch eh nur Kungelei."
Was hat die Lichtgestalt der Molekularbiologie zu verbergen? Brunftschwielen eher nicht; für Frauen und Süßholzgeraspel hat Moebus keine Zeit mehr. Getrieben von Ehrgeiz und Erfolgsdruck, hat der Kieler Doktor Faustus offenbar einen "Pakt mit dem inneren Teufel" geschlossen. Selbst Hermann Pauli, sein alter Kollege und Jazz-Partner bei den "Electric Hooters" (Kegel teilt mit seinem Helden Beruf und Hobby), traut ihm einen "fundamentalen Verstoß gegen gute wissenschaftliche Praxis" zu. Wissenschaftliche Sensationen anzukündigen und ihre Überprüfung durch die scientific community zu verweigern, nach Geld, Macht und Nobelpreisruhm lechzen, ohne Rechenschaft abzulegen, als Ignoranten, Weicheier und Sesselfurzer beschimpfen, wer das rastlos um die Welt jettende Ein-Mann-Exzellenzcluster zu bremsen wagt: "So, lieber Frank Moebus, geht es nicht." Auch Pauli kam schon mal in Versuchung, bei den Zellfragmenten in der embryonalen Augenlinse von Cephalopoden ein wenig zu schummeln, aber Moebus' arroganter Hochmut sprengt jedes Maß.
Zuletzt geriet Hermann Pauli vor der Küste Neuseelands in Gewissens- und Seenot, als skrupellose Meeresbiologen, Tierfilmer und Kongresstouristen Kolosskalmare für Karrierezwecke missbrauchten und so das Ökosystem in Unordnung brachten. "Der Rote" war ein packender Wissenschaftsthriller, der Kegel in die Liga von Michael Crichton katapultierte. Diesmal macht er es eine Nummer kleiner, langsamer und leider auch langweiliger: Der Spannungsgehalt seines fünften Romans lässt sich nur unter dem Elektronenmikroskop nachweisen. "Der Rote": Das waren apokalyptische Tsunamis, hochintelligente Riesenkraken, lebendige Figuren, kurz: wissenschaftliche Abenteuer unter Palmen. Diesmal tauchen nur Moebus-Zellen, Schwarze Raucher und verklemmte Nerds aus den kältesten Schichten des Polarmeers auf. Der langsame Brüter Pauli und Anne Detlefsen von der Kieler Kriminalpolizei lassen sich viel Zeit mit der Aufklärung des Falls und noch mehr mit ihrer zart keimenden Liebe; nach dem ersten Kuss schläft nicht nur der verwitwete Meeresbiologe ein.
Leidenschaftlicher attackiert Pauli den verrotteten Wissenschaftsbetrieb: Gefälligkeitsgutachten, Kungelei, Plagiat (auch der Fall Guttenberg findet Erwähnung), Betrug, Vertuschung. Die Versuchung, Versuchsreihen passend zu machen, Ergebnisse zu schönen oder systematisch notwendige Entdeckungen ein wenig zu beschleunigen, ist so alt wie die moderne Naturwissenschaft. Schon Galilei, Newton, Mendel und Pasteur haben nach heutigen Maßstäben gelegentlich geschummelt; der tiefe Fall des gefeierten koreanischen Klonforscher Hwang ist noch gut in Erinnerung. Publish or perish: In Zeiten verschärfter Konkurrenz um Stellen, staatliche Fördergelder, Drittmittel und lukrative Patente müssen Forscher aus ihren Elfenbeintürmen heraustreten und sich mediengerecht inszenieren, und dabei schrecken sie auch vor unerlaubtem Tuning und Doping nicht zurück.
Als kritischer Beitrag zu systematischem Betrug, individuellem Versagen und "elitärem Korpsgeist" in der Wissenschaft hat Kegels Roman trotz einiger Längen und Redundanzen unbestreitbare Verdienste. Man lässt sich von dem bescheidenen Amateurdetektiv nicht ungern durch den Dschungel akademischer Intrigen führen und beiläufig in Craig Venters synthetische Biologie einführen. Literarisch fällt "Ein tiefer Fall" freilich hinter Kegels "Roten" zurück: Der Krimi-Plot wird umständlich referiert und verpufft nur zu bald in empörtem Moralisieren. "Kegel fragt nicht, ob man Wissenschaftlern vertrauen kann, sondern welchen", lobt Frank Schätzing in einem Gefälligkeitsgutachten. "Die Antwort ist geeignet, dem Leser den Schlaf zu rauben." Die NoSyn-Protest-AG dagegen hätte vermutlich gnadenlos skandiert: Kegel, hol die Krake raus, und lass die Kröten stecken.
MARTIN HALTER.
Bernhard Kegel: "Ein tiefer Fall". Roman.
Mare Verlag, Hamburg 2012. 508 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Kegel fragt nicht, ob man Wissenschaftlern vertrauen kann, sondern welchen. Die Antwort ist geeignet, dem Leser den Schlaf zu rauben."
Frank Schätzing
"Der deutsche Michael Crichton."
Die Welt
Frank Schätzing
"Der deutsche Michael Crichton."
Die Welt