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Wenn Tassie abends ihr Vogelkostüm anlegt und in wildem Lauf über die Kartoffelfelder stürmt, um Mäuse und andere Schädlinge zu vertreiben, hat sie ganz kurz das Gefühl, wirklich zu fliegen. Tassie Keltjin ist zwanzig Jahre alt und verlässt die elterliche Farm irgendwo im Mittleren Westen. Amerika rüstet zum Einsatz in Afghanistan, und sie beginnt zu studieren, ahnungslos und rührend entflammt für Sylvia Plath und Simone de Beauvoir. Sie braucht einen Job und findet ihn als Teilzeit-Kindermädchen bei Sarah und Edward, die dabei sind, ein Kind zu adoptieren. Aus Mary, zwei Jahre alt, weiße…mehr

Produktbeschreibung
Wenn Tassie abends ihr Vogelkostüm anlegt und in wildem Lauf über die Kartoffelfelder stürmt, um Mäuse und andere Schädlinge zu vertreiben, hat sie ganz kurz das Gefühl, wirklich zu fliegen. Tassie Keltjin ist zwanzig Jahre alt und verlässt die elterliche Farm irgendwo im Mittleren Westen. Amerika rüstet zum Einsatz in Afghanistan, und sie beginnt zu studieren, ahnungslos und rührend entflammt für Sylvia Plath und Simone de Beauvoir. Sie braucht einen Job und findet ihn als Teilzeit-Kindermädchen bei Sarah und Edward, die dabei sind, ein Kind zu adoptieren. Aus Mary, zwei Jahre alt, weiße Mutter, schwarzer Vater, wird Emmie, Kind weißer Mittelschichteltern, und Tassie zu ihrer Hauptbezugsperson. Mit der fragilen Anmut einer Schlafwandlerin gerät Tassie in eine erste Liebe und immer tiefer hinein in das komplizierte Leben einer fremden Familie. Wie fern ihr in einem knappen Jahr die ländliche Kindheit, Eltern und Bruder gerückt sind, merkt Tassie, als sie jäh sowohl ihre Liebe alsauch ihren Job verliert. Die Schlafwandlerin wacht auf und nichts ist mehr, wie es war, am wenigsten sie selbst. Mit ihrem neuen Roman zeigt Lorrie Moore, was Literatur im besten Fall zu leisten vermag. Mit Tassie schenkt sie dem Leser eine ganz und gar lebendige, ganzund gar zauberhafte und ergreifende Figur, und während sie mit dem Witz, der zarten Klugheit, für die sie berühmt ist, deren Geschichte erzählt, packt sie wie nebenbei große gesellschaftsrelevante Themen an: Adoption und unterschwelligen Rassismus, Amerikas kriegerische Außenpolitik.
Autorenporträt
Lorrie Moore, geb. 1957 in Glens Falls, New York, lebt in Madison und lehrt Anglistik an der University of Wisconsin. Moore gehört zu den renommiertesten Autorinnen zeitgenössischer amerikanischer Literatur.

Frank Heibert, geboren 1960, übersetzt vor allem aus dem Englischen und Französischen. 2006 erschien sein erster Roman.
Für seine Übersetzungen großer Autoren wie Mark Twain, Don Delillo, Tobias Wolff, George Saunders, Tristan Egolf und Richard Ford wurde Frank Heibert 2012 von der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Stiftung ausgezeichnet und 2016 wurde ihm der Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2011

Alles auf Raumspray

Sprachbombardierung: Die Amerikanerin Lorrie Moore ist eine Meisterin der kurzen Form - aber nicht des Romans.

Von Eva Menasse

Ein eher unproduktives Gefühl ist die enttäuschte Liebe. Sie macht nicht nur bitter und faltig, sondern wahrscheinlich ungerecht, weil der Blick an den Extremen hängenbleibt, auf die Fallhöhe zwischen Erwartung und Enttäuschung konzentriert, und die Zwischentöne und Schattierungen auf der Strecke bleiben.

Zum Thema Liebe: Die Kurzgeschichten und Erzählungen der Autorin Lorrie Moore gehörten seit vielen Jahren zum Besten und Schrägsten, was die intelligente amerikanische Literatur zu bieten hatte. Die umjubelte Miranda July schien direkt aus Moores Schreibseminar gekommen. Und neben Moores literarischem Laserschwert wirkte, nur zum Beispiel, ein Philip Roth, den man hierzulande gern für den Olymp des amerikanischen Witzes hält, wie der redundante, joviale Viagra-Opa, der er, von ein paar Ausnahmen abgesehen, seit vielen Büchern und Jahrzehnten ohnehin ist. In ihren Erzählungen, die in den Bänden "Leben ist Glückssache", "Pepsi Hotel" und "Was man von einigen Leuten nicht behaupten kann" erschienen sind, demonstrierte Moore mit Nachdruck, was man für eine gute Erzählung können muss: Sie deckt mit sicherem Griff gerade den hässlichsten Charakterwinkel ihrer Figuren auf, sie schneidet aus ihren zwar oft skurrilen, aber deutlich dem Leben abgelauschten Geschichten einen besonders ungewöhnlichen Ausschnitt heraus wie eine Filmemacherin, die ihre Kamera im Schuh oder im Kronleuchter versteckt, weil konventionelle Einstellungen sie einfach tödlich langweilen. Dazu benützt sie ihre Sprache voller messerscharfer Formulierungen und halsbrecherischer Metaphern so instinktiv und unverfroren, wie es vielleicht nur ein Wunderkind vermag, das mit neunzehn seinen ersten literarischen Preis gewonnen hat.

Lorrie Moore schrieb immer, als hätte sie sich den Slogan "Bombardiert mit Sprache alles, was nach political correctness aussieht" in ihren Schreibtisch gesägt. Gewiss hätte sie auch als Gag-Schreiberin einer intellektuellen Late-Night-Show ein bequemes Auskommen finden können, doch literarisch konnte man sie nie als Pointenschleuder missverstehen. Denn ihren oft haarsträubenden Humor hat sie immer nur in den Dienst gebrochener Charaktere und schrecklicher Geschichten gestellt. Ebendas machte den Sucht-Faktor aus: die Kombination von greller Komik mit tiefsten psychischen Abgründen.

Dabei konnte man durchaus auf die Idee kommen, dass hier eine hochbegabte, aber reichlich neurotische Autorin das Schreiben als Angsttherapie betrieb. Über alle inneren Widerstände hinweg lockte sie einen in ihre Horror-Szenarien hinein: Eine Frau stürzt so unglücklich von einer Picknickbank, dass sie dabei das Neugeborene ihrer Freundin tötet. Manchmal aber waren es auch bloß intelligente Frauen mittleren Alters, deren Humor kein Mensch, vor allem kein Mann, zu verstehen schien und die irgendwann unsicher wurden, ob sie nicht vielleicht doch die überempfindlichen Schrullen sind, von denen sie in den Blicken der anderen lasen: "Was ist das für ein Parfum? wurde sie einmal von einem Studenten gefragt. Raumspray, antwortete sie. Sie lächelte, aber er sah sie nur entnervt an."

Ihre Erzählung "You're ugly too" ("Hässlich sind Sie auch") wurde von John Updike unter die "Best American Short Stories of the Century" aufgenommen, und die Kernszene ist so unvergesslich wie typisch Lorrie Moore: Eine Frau und ein Mann, die von der Schwester der Frau auf deren Halloween-Party verkuppelt werden sollen, stehen in ihren kindischen Kostümen auf einem Balkon hoch über Manhattan. Sie "trägt" einen riesigen Knochen, der vermeintlich ihren Kopf durchbohrt, er geht als nackte Frau, eine seiner Plastikbrüste leider etwas verrutscht. Da erzählt die Frau aus Verlegenheit einen geschmacklosen Krebskranken-Witz und die Szene implodiert. Ein Paar werden die beiden nicht mehr, eher Feinde fürs Leben.

Nun hat diese schwarzhumorige Kurzgeschichten-Meisterin einen Roman vorgelegt, nicht ihren ersten, doch lag der letzte viele Jahre zurück. Er heißt "Ein Tor zur Welt", und wir kommen, siehe oben, zum Thema Enttäuschung. Denn dieser Coming-of-Age-Roman einer jungen Frau aus dem Mittleren Westen in den Monaten nach dem 11. September und vor dem Hintergrund des beginnenden Afghanistan-Krieges ist vor allem: lau. Und damit das Gegenteil dessen, was Lorrie Moores nadelspitzes Schreiben immer ausgezeichnet hat. Die Geschichte selbst enthält zwar die üblichen schrägen Elemente: Tassie, die Heldin, sucht einen Babysitter-Job und wird ausgerechnet von der exzentrischen Mittvierzigerin Sarah Brink angeworben, die auf verzweifelter Jagd nach einem Adoptivkind ist. Zweimal nimmt Sarah Tassie zum Kennenlern-Gespräch mit einer "biologischen Mutter" mit. Beim ersten Mal verdirbt die mundflinke Sarah das Gespräch mit einer hochschwangeren Gefängnisinsassin, beim zweiten Mal klappt es und sie können ein zweijähriges "bi-ethnisches" Mädchen mitnehmen. Als das Kind in der vorwiegend weißen Stadt Troy als "Nigger" beschimpft wird, gründet Sarah einen Gesprächskreis für die Eltern bi-ethnischer Kinder. Diese teilweise höchst inkorrekten, teilweise herzzerreißenden Diskussionen ("Rassenblindheit ist ein rassistisches, weißes Konzept!") fügt Moore merkwürdig lustlos als bloße Dialogfetzen ein, die Tassie aus dem Kinderzimmer belauscht. Wenn das zum dritten Mal kommt, überblättert man es. Und das ist der Hauptvorwurf an diesen Roman: die geradezu schockierende Fahrlässigkeit, mit der auf jegliche Dramaturgie, Raffung, Verdichtung, Vernetzung verzichtet wird. In der ersten Hälfte plätschert das Buch dahin, in der zweiten überschlagen sich die Ereignisse künstlich und gehen einem dennoch nicht nahe. Tassie hat sich in einen vermeintlichen Brasilianer verliebt - natürlich entpuppt er sich als Islamist. Ihr jüngerer Bruder Robert meldet sich freiwillig zum Militär - natürlich kommt er gleich um. Das süße kleine Mädchen wird Sarah Brink und ihrem alternden Schönling von Ehemann wieder weggenommen - denn sie haben verheimlicht, dass ihr eigenes Kind vor vielen Jahren durch grobe Fahrlässigkeit ums Leben gekommen ist.

Aber das Schmerzhafteste ist, dass dieser schwache Roman sogar Lorrie Moores ureigene Stärken zu dementieren scheint. Die Wortspiele, der Witz, die Frechheiten, die von Frank Heibert und Patricia Klobusiczky einfallsreich ins Deutsche übertragen worden sind, wirken in diesem uninspirierten Ambiente verzweifelt bemüht, sie sind der Erzählung nicht eingepasst, sondern aufgepappt. Es kommt so weit, dass sie peinlich wirken, wie ein Spaßmacher, der weiterhampelt, obwohl längst keiner mehr lacht. Nein, wir schlagen "Ein Tor zur Welt" mit Aplomb zu und empfehlen allen, die sie noch nicht kennen, von ganzem Herzen Lorrie Moore als große, schrille Meisterin der kleinen Form.

Lorrie Moore: "Ein Tor zur Welt". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Patricia Klobusiczky und Frank Heibert. Berlin Verlag, Berlin 2011. 381 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In zwei Hälften zerfällt Eva Menasses Rezension dieses jüngsten Romans der US-Autorin Lorrie Moore. In der ersten, die gerade keine Besprechung dieses Buches ist, macht sie klar, wie sehr sie die Autorin grundsätzlich verehrt: ihre Bösartigkeit, ihren Sinn fürs Groteske, die brutale Pointe auf engem Raum. In der zweiten Hälfte geht es dann darum, dass Moores jüngster Roman all das, wofür Menasse sie so sehr bewundert, beinahe vollständig vermissen lässt. Ja, schlimmer noch: Die Versuche, wenigstens "schwarzhumorige" Pointen auf die wenig interessant erst dahinplätschernde, dann genauso uninteressant sich überschlagende Coming-of-Age-Geschichte zu setzen, misslingen. Die beiden Übersetzer ins Deutsche, versichert Menasse, können gar nichts dafür; es stimme an diesem Buch einfach gar nichts. Ihr Rat an die Leserin und den Leser: Man greife zu den früheren Bänden mit viel kürzeren Sachen und lasse diesen hier besser links liegen.

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