Die schönsten Erzählungen vom unvergleichlichen "Bildhauer der Worte": "Sieht man den Roman als verwirrendes Renaissancegemälde, so ist die Kurzgeschichte wie ein impressionistisches Tableau: eine Explosion der Wahrheit sollte sie sein." Was Wiliam Trevor hier leidenschaftlich einfordert, stellt er in seinen meisterhaften Erzählungen unter Beweis, deren Herzstück stets die Wahrhaftigkeit ist. So zum Beispiel in der bislang nie auf Deutsch erschienenen Geschichte vom blinden Klavierstimmer, dessen zweite Ehefrau sein Handicap schamlos ausnutzt. Oder der von dem Mädchen, das vom Tod seiner Mutter überzeugt ist, bis auf dem Schulhof zwei geheimnisvolle Frauen auftauchen. Und immer wieder hält uns der "melancholische Altmeister der irischen Literatur" vor Augen, dass wir dem Schicksal unerbittlich ausgeliefert sind.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Zunächst einmal muss sich Rezensent Rainer Moritz ärgern: So prächtig dieser Erzählband auch erscheint, hat der Verlag hier doch nur bereits veröffentliche Erzählungen des Spätwerks William Trevors versammelt - sodass von einem "Best-of" nicht die Rede sein kann. Nichtsdestotrotz lädt der Band dazu ein, einen großen Erzähler kennenzulernen, der die Kunst beherrscht, mit Empathie, aber ohne Sentimentalität verlorene Existenzen aus verschiedensten gesellschaftlichen Milieus zu beschreiben, versichert der Kritiker. Hymnisch fährt er fort: In knappen und doch tiefgründigen Sätzen zeichne Trevor feinsinnig melancholische Charakterstudien von Menschen, deren Träume am Alltag zerbrechen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2016Handlanger des Lebens
Der große irische Erzähler William Trevor ist ein Meister der Unaufdringlichkeit:
Der Auswahlband „Ein Traum von Schmetterlingen“ zeigt die Entfaltung seiner Kunst über Jahrzehnte
VON MEIKE FESSMANN
Eine Spannung, die ganz aus den Figuren kommt, unspektakulär und ohne Effekthascherei und doch voller Windungen und Wendungen: Die Erzählungen des großen Iren William Trevor ergreifen den Leser auf körperliche Weise. Zugleich sind sie von einer Unaufdringlichkeit, als habe ein fürsorglicher Gott einen Butler eingestellt, der uns Lebensweisheiten so beiläufig serviert, als könnten wir sie auch ausschlagen. Ganze Lebensläufe schnurren auf kaum zwanzig Seiten zusammen. Wir werden mitten in eine Szenerie gestellt, die sich vor unseren Augen verästelt, in aller Ruhe, als hätte der Erzähler alle Zeit der Welt. Am Ende kommt es oft zu einer kleinen Apotheose. Die Schlusssätze fassen die Zukunft in ein ebenso offenes wie versöhntes Bild.
Gerade einmal elf Seiten umfasst die Erzählung „Mogeln beim Canasta“. Sie fängt das gemeinsame Leben eines englischen Ehepaars in mittleren Jahren so plastisch ein, dass wir das Paar zu kennen meinen. Dabei tritt die Frau gar nicht leibhaftig auf. Sie ist nur in den Gedanken ihres Mannes anwesend. Er ist allein nach Venedig gereist, in Erfüllung eines Versprechens, das er ihr vor einiger Zeit gegeben hat. Sie leidet an Demenz, lebt mittlerweile in einem Pflegeheim, das titelgebende Kartenspiel ist die letzte ihr verbliebene Freude. Als die Erkrankung ausbrach, hatte sie ihn gebeten, die gemeinsamen Reisen noch einmal zu wiederholen: „für uns beide“, wie sie damals sagte. Nun sitzt er allein in Harry’s Bar. Die Kellner flitzen, die Gäste lachen, am Nebentisch streitet sich ein junges amerikanisches Paar. Er beobachtet die beiden, belauscht sie und zieht seine Schlüsse. „Mein Gott“, denkt er, „was die da vergeuden!“
Als sie aufbrechen, spricht er sie an und erzählt von seiner Frau. Sofort packt ihn quälende Scham: nicht nur seiner Indiskretion wegen, sondern auch, weil er in seiner eigenen Stimme den „Nachhall seines Bedauerns“ hört, ein scheinbar unsinniges Versprechen gegeben zu haben. Die Wahrnehmung seiner Scham genügt, um die Reise – nun mit Überzeugung – fortzusetzen.
William Trevor, 1928 in Irland geboren und seit 1952 in England lebend, nennt Gefühle gern beim Namen. Wie er sie verknüpft und ineinander übergehen lässt, ist außergewöhnlich. Da wird ein unbedarfter junger Mann aus der Provinz zum Handlanger der IRA. Auf dem Weg zum Attentat, im allerletzten Moment, wirft er die Tasche mit der Bombe in die Themse. Es ist das Gefühl der „Trauer“ um einen zerfetzten Bombenleger, über den er in der Zeitung las, das nun zu etwas führt, das Trevor „Mut“ nennt (und nicht etwa Feigheit).
Grandios auch die Geschichte über ein Paar, dessen jahrelange Affäre der Mann eines Tages mit der Erklärung beendet, er könne es nicht ertragen, wie andere Leute die Geliebte ansähen. Entgegen der Erwartung findet sie seine Erklärung „gut“. Und Trevor lässt das auseinandergehende Paar noch einmal im Licht der Apotheose strahlen: „Als sie sich umarmten, spiegelte sich ihr Bild im Schaufenster eines Kaufhauses wider. Sie sahen nicht die Eleganz, die dieses Bild vorübergehend einfing, und hätten nie behauptet oder geahnt, dass auch ihre Affäre diese Eleganz besessen hatte. Die unausgesprochenen, aber von beiden verstandenen Regeln ihrer Liebe waren nicht verletzt worden im schmerzhaften Beenden dessen, was nicht zu Ende war und nie zu Ende sein würde. Nichts von ihrer Liebe war heute ausgelöscht worden.“
Neben der ländlichen Einsamkeit von Junggesellen, die nie eine Frau finden, sind Ehen in allen Stadien das bevorzugte Terrain von Trevors Darstellungskunst. Da entdeckt ein Mann kurz nach der Hochzeit, dass seine Frau, wie seine Mutter schon immer behauptet hat, tatsächlich nicht zu ihm passt. Denn sie trifft sich mindestens einmal im Jahr mit ihren Kindheitsfreunden und deren Stofftieren zum „Teddybärenpicknick“. Er findet das absurd, unerträglich. Es ist eine der wenigen Geschichten, die gewaltsam enden.
Dass Mängel eine Ehe auch festigen können, illustriert die Titel-Erzählung, „Ein Traum von Schmetterlingen“. Ein eingespieltes Paar kennt seine Schwächen. Sie weiß um ihre äußeren Makel, er um seine inneren. Das macht sie kompromissbereit und also ehetauglich. Beide empfinden das gleiche obskure Glück, als ein Psychiater sie moralisch dazu erpresst, eine Klinik für psychisch kranke Frauen in ihrer Nachbarschaft zu unterstützen.
Dreiundvierzig Erzählungen aus achtunddreißig Jahren versammelt dieser Auswahlband, der größere Teil von Hans-Christian Oeser übersetzt, der kleinere ebenso treffend von Brigitte Jakobeit. Wer noch keinen der dreiundzwanzig Romane und elf Erzählbande William Trevors kennt, kann mit diesem gewichtigen Band einen großen Menschenkünstler entdecken. Der in Devon lebende Schriftsteller hat auch als Lehrer und Bildhauer gearbeitet. Eine Spur dieser Tätigkeiten meint man auch in seiner Literatur zu entdecken. Die Kunst der Aussparung ist bei William Trevor auf ungewöhnliche Weise mit dem Geist des Epischen verschwistert. Er ist der seltene Fall eines modernen Erzählers, der Rat weiß.
MEIKE FESSMANN
William Trevor: Ein Traum von Schmetterlingen. Meistererzählungen. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit und Hans-Christian Oeser. Mit einem Vorwort von Thomas David. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015. 752 Seiten, 34 Euro. E-Book 26,99 Euro.
Man muss mutig sein, um
eine Bombe ins Wasser zu werfen
Trüber Himmel über Irland: Daniel Day-Lewis in Jim Sheridans IRA-Film „Im Namen des Vaters“ aus dem Jahr 1993.
Foto: NBC Universal
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Der große irische Erzähler William Trevor ist ein Meister der Unaufdringlichkeit:
Der Auswahlband „Ein Traum von Schmetterlingen“ zeigt die Entfaltung seiner Kunst über Jahrzehnte
VON MEIKE FESSMANN
Eine Spannung, die ganz aus den Figuren kommt, unspektakulär und ohne Effekthascherei und doch voller Windungen und Wendungen: Die Erzählungen des großen Iren William Trevor ergreifen den Leser auf körperliche Weise. Zugleich sind sie von einer Unaufdringlichkeit, als habe ein fürsorglicher Gott einen Butler eingestellt, der uns Lebensweisheiten so beiläufig serviert, als könnten wir sie auch ausschlagen. Ganze Lebensläufe schnurren auf kaum zwanzig Seiten zusammen. Wir werden mitten in eine Szenerie gestellt, die sich vor unseren Augen verästelt, in aller Ruhe, als hätte der Erzähler alle Zeit der Welt. Am Ende kommt es oft zu einer kleinen Apotheose. Die Schlusssätze fassen die Zukunft in ein ebenso offenes wie versöhntes Bild.
Gerade einmal elf Seiten umfasst die Erzählung „Mogeln beim Canasta“. Sie fängt das gemeinsame Leben eines englischen Ehepaars in mittleren Jahren so plastisch ein, dass wir das Paar zu kennen meinen. Dabei tritt die Frau gar nicht leibhaftig auf. Sie ist nur in den Gedanken ihres Mannes anwesend. Er ist allein nach Venedig gereist, in Erfüllung eines Versprechens, das er ihr vor einiger Zeit gegeben hat. Sie leidet an Demenz, lebt mittlerweile in einem Pflegeheim, das titelgebende Kartenspiel ist die letzte ihr verbliebene Freude. Als die Erkrankung ausbrach, hatte sie ihn gebeten, die gemeinsamen Reisen noch einmal zu wiederholen: „für uns beide“, wie sie damals sagte. Nun sitzt er allein in Harry’s Bar. Die Kellner flitzen, die Gäste lachen, am Nebentisch streitet sich ein junges amerikanisches Paar. Er beobachtet die beiden, belauscht sie und zieht seine Schlüsse. „Mein Gott“, denkt er, „was die da vergeuden!“
Als sie aufbrechen, spricht er sie an und erzählt von seiner Frau. Sofort packt ihn quälende Scham: nicht nur seiner Indiskretion wegen, sondern auch, weil er in seiner eigenen Stimme den „Nachhall seines Bedauerns“ hört, ein scheinbar unsinniges Versprechen gegeben zu haben. Die Wahrnehmung seiner Scham genügt, um die Reise – nun mit Überzeugung – fortzusetzen.
William Trevor, 1928 in Irland geboren und seit 1952 in England lebend, nennt Gefühle gern beim Namen. Wie er sie verknüpft und ineinander übergehen lässt, ist außergewöhnlich. Da wird ein unbedarfter junger Mann aus der Provinz zum Handlanger der IRA. Auf dem Weg zum Attentat, im allerletzten Moment, wirft er die Tasche mit der Bombe in die Themse. Es ist das Gefühl der „Trauer“ um einen zerfetzten Bombenleger, über den er in der Zeitung las, das nun zu etwas führt, das Trevor „Mut“ nennt (und nicht etwa Feigheit).
Grandios auch die Geschichte über ein Paar, dessen jahrelange Affäre der Mann eines Tages mit der Erklärung beendet, er könne es nicht ertragen, wie andere Leute die Geliebte ansähen. Entgegen der Erwartung findet sie seine Erklärung „gut“. Und Trevor lässt das auseinandergehende Paar noch einmal im Licht der Apotheose strahlen: „Als sie sich umarmten, spiegelte sich ihr Bild im Schaufenster eines Kaufhauses wider. Sie sahen nicht die Eleganz, die dieses Bild vorübergehend einfing, und hätten nie behauptet oder geahnt, dass auch ihre Affäre diese Eleganz besessen hatte. Die unausgesprochenen, aber von beiden verstandenen Regeln ihrer Liebe waren nicht verletzt worden im schmerzhaften Beenden dessen, was nicht zu Ende war und nie zu Ende sein würde. Nichts von ihrer Liebe war heute ausgelöscht worden.“
Neben der ländlichen Einsamkeit von Junggesellen, die nie eine Frau finden, sind Ehen in allen Stadien das bevorzugte Terrain von Trevors Darstellungskunst. Da entdeckt ein Mann kurz nach der Hochzeit, dass seine Frau, wie seine Mutter schon immer behauptet hat, tatsächlich nicht zu ihm passt. Denn sie trifft sich mindestens einmal im Jahr mit ihren Kindheitsfreunden und deren Stofftieren zum „Teddybärenpicknick“. Er findet das absurd, unerträglich. Es ist eine der wenigen Geschichten, die gewaltsam enden.
Dass Mängel eine Ehe auch festigen können, illustriert die Titel-Erzählung, „Ein Traum von Schmetterlingen“. Ein eingespieltes Paar kennt seine Schwächen. Sie weiß um ihre äußeren Makel, er um seine inneren. Das macht sie kompromissbereit und also ehetauglich. Beide empfinden das gleiche obskure Glück, als ein Psychiater sie moralisch dazu erpresst, eine Klinik für psychisch kranke Frauen in ihrer Nachbarschaft zu unterstützen.
Dreiundvierzig Erzählungen aus achtunddreißig Jahren versammelt dieser Auswahlband, der größere Teil von Hans-Christian Oeser übersetzt, der kleinere ebenso treffend von Brigitte Jakobeit. Wer noch keinen der dreiundzwanzig Romane und elf Erzählbande William Trevors kennt, kann mit diesem gewichtigen Band einen großen Menschenkünstler entdecken. Der in Devon lebende Schriftsteller hat auch als Lehrer und Bildhauer gearbeitet. Eine Spur dieser Tätigkeiten meint man auch in seiner Literatur zu entdecken. Die Kunst der Aussparung ist bei William Trevor auf ungewöhnliche Weise mit dem Geist des Epischen verschwistert. Er ist der seltene Fall eines modernen Erzählers, der Rat weiß.
MEIKE FESSMANN
William Trevor: Ein Traum von Schmetterlingen. Meistererzählungen. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit und Hans-Christian Oeser. Mit einem Vorwort von Thomas David. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015. 752 Seiten, 34 Euro. E-Book 26,99 Euro.
Man muss mutig sein, um
eine Bombe ins Wasser zu werfen
Trüber Himmel über Irland: Daniel Day-Lewis in Jim Sheridans IRA-Film „Im Namen des Vaters“ aus dem Jahr 1993.
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»Trevor ist - das macht auch das kundige Vorwort von Thomas David deutlich - ein Meister der Auslassung, der Verdichtung und der Zurückhaltung.« Martin Münzberger Wilhelmshavener Zeitung, 04.03.2016