Lucky, Bella und die anderen Leinenhunde haben es in die Wildnis geschafft. Dort gibt es Beute und sauberes Wasser - aber auch ein Rudel Wildhunde, das ihr Territorium gegen jeden Eindringling erbittert verteidigt.Als Lucky und seine Freunde auf das Rudel Wildhunde unter der Führung eines furchterregenden Wolfshundes treffen, befürchtet Lucky blutige Kämpfe. Hin und her gerissen zwischen Angst, der Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Loyalität gegenüber seinen neuen Freunden, lässt er sich auf eine gefährliche Mission ein ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2014Und beschütze uns vor dem Großen Knurrer
Wie Hunde ihre Individualität wahren: Das Autorenkollektiv Erin Hunter knüpft mit der Reihe "Survivor Dogs" an populäre Rezepte an.
Von Christian Geyer
Wie bleibe ich ein unabhängiger Kopf? Wie werde ich einer? Und kann es das überhaupt geben: einen Kopf im luftleeren, von keiner Herkunft geprägten Raum? Nein, das kann es natürlich nicht geben, erfährt der Hund Lucky im Auftakt zum Epos "Survivor Dogs", dessen erster Band, "Die verlassene Stadt", an die erfolgreichen Tier-Fantasyreihen "Warrior Cats" und "Seekers" anknüpft - diesmal im Zeichen des Hundes.
Das Autorenteam, das sich hinter dem Namen Erin Hunter verbirgt, traktiert die Frage der Freiheit, indem es die Hunde nicht einfach anthropomorph darstellt, sie also menschliche Verhaltensweisen annehmen lässt à la Reineke Fuchs. Zwar sprechen die Hunde die menschliche Sprache. Aber das ist erkennbar nur ein Zugeständnis, um eine literaturfähige Artikulation zu gewinnen. Aus der kulturellen Einbettung des Sprechenkönnens werden keine Funken geschlagen, sie bleibt konsequent abgeblendet. Die Hunde verhalten sich gerade nicht menschlich, nicht als Metaphern auf vier Beinen, sondern tierisch - dem streng instinktgebundenen Straßenhund Lucky, einem Einzelgänger, der die Wildnis sucht, steht ein Haufen zivilisationsgeschädigter Leinenhunde gegenüber: von den Menschen abgerichtet und verwöhnt, ihrem "Hundegeist" entfremdet und unfähig, für sich selbst zu sorgen, sich unter das Gesetz des Rudels zu stellen.
Die Zivilisationskritik, die hier zum Zuge kommt, entwickelt sich also nicht in der Tradition der Tierfabeln, sondern entlang der tierischen Instinktlogik. Erst von hier aus, von der Reinheit der Instinkte her, werden zivilisatorische Fehlentwicklungen, Entfremdungen und falsche Abhängigkeiten kritisierbar. Nur aus der Sicht des Instinktwesens erscheinen propagandistische und technologische Einflussnahmen als Teufelswerk, dem man hilflos ausgeliefert sei, ohne jede Möglichkeit reflexiver, freiheitlicher Aneignung. Was umgekehrt die radikal kulturpessimistische Pointe bereithält, dass es ein authentisches, unentfremdetes zivilisatorisches Leben nicht geben kann. Mit anderen Worten: Sobald das Lebewesen seine Instinkte überformt, zum Kulturwesen wird, hört es auf, bei sich zu sein. Das ist Luckys Lob der Wildnis, seine Überlebensphilosophie in Rousseauscher Manier. Freiheit wird, wenn überhaupt, nur im Terrain der Instinkte denkbar, und das heißt: Freiheit gibt es nicht.
Beispielhaft der Streit ums Halsband. Lucky, der nach dem großen Erdbeben die versprengten Hunde sammelt, um sie für die Wildnis lebenstüchtig zu machen, kann nicht begreifen, dass seine Artgenossen, die doch von den geflohenen Menschen, den "Langpfoten", schmählich im Stich gelassen wurden, noch immer am Halsband hängen als dem Symbol der Verbundenheit zwischen Hund und Herr. "Lucky verlor die Beherrschung. Sein Nackenhaar stellte sich auf, und er zog die Nase in Falten. Diese Hunde raubten ihm den Verstand - in einer Minute zeigten sich alle Instinkte, die zum Überleben in dieser zerstörten Welt nötig waren, und in der nächsten benahmen sie sich wie Schoßhündchen, die sich nach den Einschränkungen ihres Lebens mit den Langpfoten sehnten."
Während Lucky das Halsband als Mahnmal verlorener Identität verwirft, ermöglicht es den übrigen Hunden, ein bestimmtes und eben nicht anomisches Leben zu führen. Sie begreifen das Halsband nicht als Hindernis, sondern als Ausdruck ihrer Identität. Es ist Luckys Schwester Bella, die dieser institutionenfreundlichen Ansicht Nachdruck verleiht: "Lucky, du musst versuchen, das zu verstehen. Die Halsbänder sind uns sehr wichtig. Sie sind ein Teil von dem, was wir sind." Woraufhin sich Lucky nur mit Mühe zurückhalten kann: "Sie sind ein Teil von dem, wozu ihr gemacht worden seid, wollte er sagen. Aber er wusste, dass er seine Schwester im Augenblick nicht überzeugen konnte, und blieb lieber still, schüttelte sich und trottete weiter."
"Survivor Dogs" erzählt die Abenteuer, die die Hunde durchmachen, um nach dem großen Erdbeben wieder auf die Füße, zu einer geordneten Hundeexistenz zu kommen. Ein tierischer Bildungsroman, bei dem sich alle Protagonisten verändern. Stellenweise wird er ungemein spannend und bleibt im Ganzen ohne jene esoterische Grundausrichtung, die man beim Fantasy-Genre vermutet. Zwar spielt im Hintergrund des Bebens eine Mythologie hinein - die des Großen Knurrers, vor dem die Erdenhündin beschützen soll, und ein raunend beschworener Kampf der Hunde am Ende der Zeiten -, aber derartige Reminiszenzen haben eher etwas Drollig-Ironisches und sind für den knallharten Handlungsverlauf nicht wirklich von Belang.
Vielmehr fällt eine kunstvoll erzeugte Atmosphäre der Bedrohung ins Gewicht, ein beständiges Vorgefühl des Terrors, welches das ganze Buch durchzieht und den Leser hypnotisch gefangen nimmt. Ja, man wird bei der Lektüre selbst zum Instinktwesen, das in beständiger Habachtstellung auf Gefahrensignale achtet, hinter jeder Ecke mit dem Unwahrscheinlichen rechnet, ständig auf alles gefasst ist. Und was Lucky am Ende stolz an den anderen Hunde beobachtet, meint der Leser irgendwie am eigenen Leib zu spüren: "Sie rochen jetzt nicht mehr nach Seife und Langpfoten, sondern nach Flusswasser und Bäumen, nach Erde und nach den Rudelgefährten - ein anständiger, wilder Geruch."
Ein phantastischer Geruch von Freiheit, darauf möchte der Leser wetten.
Erin Hunter: "Survivor Dogs". Die verlassene Stadt.
Aus dem Englischen von Friedrich Pflüger. Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2014. 272 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Hunde ihre Individualität wahren: Das Autorenkollektiv Erin Hunter knüpft mit der Reihe "Survivor Dogs" an populäre Rezepte an.
Von Christian Geyer
Wie bleibe ich ein unabhängiger Kopf? Wie werde ich einer? Und kann es das überhaupt geben: einen Kopf im luftleeren, von keiner Herkunft geprägten Raum? Nein, das kann es natürlich nicht geben, erfährt der Hund Lucky im Auftakt zum Epos "Survivor Dogs", dessen erster Band, "Die verlassene Stadt", an die erfolgreichen Tier-Fantasyreihen "Warrior Cats" und "Seekers" anknüpft - diesmal im Zeichen des Hundes.
Das Autorenteam, das sich hinter dem Namen Erin Hunter verbirgt, traktiert die Frage der Freiheit, indem es die Hunde nicht einfach anthropomorph darstellt, sie also menschliche Verhaltensweisen annehmen lässt à la Reineke Fuchs. Zwar sprechen die Hunde die menschliche Sprache. Aber das ist erkennbar nur ein Zugeständnis, um eine literaturfähige Artikulation zu gewinnen. Aus der kulturellen Einbettung des Sprechenkönnens werden keine Funken geschlagen, sie bleibt konsequent abgeblendet. Die Hunde verhalten sich gerade nicht menschlich, nicht als Metaphern auf vier Beinen, sondern tierisch - dem streng instinktgebundenen Straßenhund Lucky, einem Einzelgänger, der die Wildnis sucht, steht ein Haufen zivilisationsgeschädigter Leinenhunde gegenüber: von den Menschen abgerichtet und verwöhnt, ihrem "Hundegeist" entfremdet und unfähig, für sich selbst zu sorgen, sich unter das Gesetz des Rudels zu stellen.
Die Zivilisationskritik, die hier zum Zuge kommt, entwickelt sich also nicht in der Tradition der Tierfabeln, sondern entlang der tierischen Instinktlogik. Erst von hier aus, von der Reinheit der Instinkte her, werden zivilisatorische Fehlentwicklungen, Entfremdungen und falsche Abhängigkeiten kritisierbar. Nur aus der Sicht des Instinktwesens erscheinen propagandistische und technologische Einflussnahmen als Teufelswerk, dem man hilflos ausgeliefert sei, ohne jede Möglichkeit reflexiver, freiheitlicher Aneignung. Was umgekehrt die radikal kulturpessimistische Pointe bereithält, dass es ein authentisches, unentfremdetes zivilisatorisches Leben nicht geben kann. Mit anderen Worten: Sobald das Lebewesen seine Instinkte überformt, zum Kulturwesen wird, hört es auf, bei sich zu sein. Das ist Luckys Lob der Wildnis, seine Überlebensphilosophie in Rousseauscher Manier. Freiheit wird, wenn überhaupt, nur im Terrain der Instinkte denkbar, und das heißt: Freiheit gibt es nicht.
Beispielhaft der Streit ums Halsband. Lucky, der nach dem großen Erdbeben die versprengten Hunde sammelt, um sie für die Wildnis lebenstüchtig zu machen, kann nicht begreifen, dass seine Artgenossen, die doch von den geflohenen Menschen, den "Langpfoten", schmählich im Stich gelassen wurden, noch immer am Halsband hängen als dem Symbol der Verbundenheit zwischen Hund und Herr. "Lucky verlor die Beherrschung. Sein Nackenhaar stellte sich auf, und er zog die Nase in Falten. Diese Hunde raubten ihm den Verstand - in einer Minute zeigten sich alle Instinkte, die zum Überleben in dieser zerstörten Welt nötig waren, und in der nächsten benahmen sie sich wie Schoßhündchen, die sich nach den Einschränkungen ihres Lebens mit den Langpfoten sehnten."
Während Lucky das Halsband als Mahnmal verlorener Identität verwirft, ermöglicht es den übrigen Hunden, ein bestimmtes und eben nicht anomisches Leben zu führen. Sie begreifen das Halsband nicht als Hindernis, sondern als Ausdruck ihrer Identität. Es ist Luckys Schwester Bella, die dieser institutionenfreundlichen Ansicht Nachdruck verleiht: "Lucky, du musst versuchen, das zu verstehen. Die Halsbänder sind uns sehr wichtig. Sie sind ein Teil von dem, was wir sind." Woraufhin sich Lucky nur mit Mühe zurückhalten kann: "Sie sind ein Teil von dem, wozu ihr gemacht worden seid, wollte er sagen. Aber er wusste, dass er seine Schwester im Augenblick nicht überzeugen konnte, und blieb lieber still, schüttelte sich und trottete weiter."
"Survivor Dogs" erzählt die Abenteuer, die die Hunde durchmachen, um nach dem großen Erdbeben wieder auf die Füße, zu einer geordneten Hundeexistenz zu kommen. Ein tierischer Bildungsroman, bei dem sich alle Protagonisten verändern. Stellenweise wird er ungemein spannend und bleibt im Ganzen ohne jene esoterische Grundausrichtung, die man beim Fantasy-Genre vermutet. Zwar spielt im Hintergrund des Bebens eine Mythologie hinein - die des Großen Knurrers, vor dem die Erdenhündin beschützen soll, und ein raunend beschworener Kampf der Hunde am Ende der Zeiten -, aber derartige Reminiszenzen haben eher etwas Drollig-Ironisches und sind für den knallharten Handlungsverlauf nicht wirklich von Belang.
Vielmehr fällt eine kunstvoll erzeugte Atmosphäre der Bedrohung ins Gewicht, ein beständiges Vorgefühl des Terrors, welches das ganze Buch durchzieht und den Leser hypnotisch gefangen nimmt. Ja, man wird bei der Lektüre selbst zum Instinktwesen, das in beständiger Habachtstellung auf Gefahrensignale achtet, hinter jeder Ecke mit dem Unwahrscheinlichen rechnet, ständig auf alles gefasst ist. Und was Lucky am Ende stolz an den anderen Hunde beobachtet, meint der Leser irgendwie am eigenen Leib zu spüren: "Sie rochen jetzt nicht mehr nach Seife und Langpfoten, sondern nach Flusswasser und Bäumen, nach Erde und nach den Rudelgefährten - ein anständiger, wilder Geruch."
Ein phantastischer Geruch von Freiheit, darauf möchte der Leser wetten.
Erin Hunter: "Survivor Dogs". Die verlassene Stadt.
Aus dem Englischen von Friedrich Pflüger. Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2014. 272 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»[...] Erin Hunter braucht keine Menschen, um von dem zu erzählen, was uns Menschen so sehr bewegt: dem Bedürfnis, eine Gemeinschaft zu bilden und sich in dieser zu behaupten. Das coolste Rudel im Bücherregal.« Topic »Ein Muss für alle Fans der 'Warrior Cats'-Reihe!« Monster High