Das neue Buch des renommierten Investigativ-Journalisten Jürgen Schreiber liest sich wie ein Thriller und ist doch ein ganz reales Stück DDR-Geschichte. Zwei Tote in einem Wald bei Ost-Berlin, kaltblütig hingerichtet - jahrelang tappen die Stasi-Ermittler im Dunkeln. Es ist dem langen Atem und der Akribie einer Handvoll Beamten zu verdanken, dass die Indizien verdichtet, die Spur zum Mörder gefunden werden kann. Doch die Lösung des Falls ist ein Skandal.
Anfang der 1960er-Jahre, zwei halb verweste Leichen in einem Waldstück bei Ost-Berlin, alle Spuren führen ins Leere. Der Mörder, gierig und brutal, fühlt sich sicher - zu sicher. Erst in jahrelanger Puzzlearbeit machen sich die Stasi-Ermittler ein Bild. Und stoßen auf Ungeheuerliches: Ein Mann aus den eigenen Reihen scheint Blut an den Händen zu haben ...
Als einziger hatte Jürgen Schreiber Zugang zu streng geheimen Archiven des militärischen Nachrichtendienstes der DDR. Über 9000 Aktenseiten hat er mit größter Genauigkeit seziert und zu einer fesselnden True-Crime-Reportage verdichtet. Eine Reportage, die tief hinein führt in den menschenverachtenden Geheimdienst-Apparat und in die Seele eines grausamen Mörders.
Anfang der 1960er-Jahre, zwei halb verweste Leichen in einem Waldstück bei Ost-Berlin, alle Spuren führen ins Leere. Der Mörder, gierig und brutal, fühlt sich sicher - zu sicher. Erst in jahrelanger Puzzlearbeit machen sich die Stasi-Ermittler ein Bild. Und stoßen auf Ungeheuerliches: Ein Mann aus den eigenen Reihen scheint Blut an den Händen zu haben ...
Als einziger hatte Jürgen Schreiber Zugang zu streng geheimen Archiven des militärischen Nachrichtendienstes der DDR. Über 9000 Aktenseiten hat er mit größter Genauigkeit seziert und zu einer fesselnden True-Crime-Reportage verdichtet. Eine Reportage, die tief hinein führt in den menschenverachtenden Geheimdienst-Apparat und in die Seele eines grausamen Mörders.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2019Der Mörder im eigenen Haus
Aufgeklärt und vertuscht: Jürgen Schreiber erzählt einen Kriminalfall aus dem Stasi-Milieu der DDR
Sechs Tage nach dem Beginn des Mauerbaus geschieht in der DDR ein Doppelmord, der als der ungewöhnlichste Mord in der DDR-Geschichte überhaupt gelten kann. Die Opfer sind zwei junge Nicaraguaner, die mit viel Hoffnung ihr Land verlassen hatten, um in Europa ihr Glück zu suchen. Sie landen in Deutschland und geraten in die Fänge der DDR-Staatssicherheit. Die Firma führt die beiden unter "Primel" und "Vergissmeinnicht". Sie hat Großes mit ihnen vor. Sie sollen ein Technikstudium aufnehmen, um später möglichst in einem Rüstungsbetrieb arbeiten und über alles Geheime dort berichten zu können.
Die Stasi meint es ernst, die Jungs weniger. Sie nehmen gern das Geld, das der Geheimdienst ihnen zahlt, amüsieren sich aber über die Geheimnistuerei mit Tarnnamen und Deckadressen und liefern belanglose Informationen. Nicht dass sie ein doppeltes Spiel spielen würden, sie wissen einfach nichts. Sie sind auch viel zu sehr mit den schönen Seiten des Lebens beschäftigt. Sie haben keine Ahnung von der Staatssicherheit und unterschätzen die Gefahr. So kommt es, dass sie ihren Führungsoffizier mehr und mehr in Bedrängnis bringen, der immer wieder Geld für sie lockermachen muss, aber keine Gegenleistung bekommt.
Allerdings spielt der Führungsoffizier seinerseits ein doppeltes Spiel. Von dem Geld für seine Spione zweigt er regelmäßig etwas für sich ab. Trotz Klassenstandpunkt erliegt er der Glitzerwelt des Westens. Die innerdeutsche Grenze zu überschreiten ist für ihn kein Problem, es gehört zu seinem Dienst. Er tut es manchmal ausschließlich zu dem Zweck, in West-Berlin einzukaufen. Am Ende nutzt Helmut Scheithauer alias IM "Heinz Schröder" das Durcheinander des Mauerbaus, um die ihm lästig gewordenen Nicaraguaner in den Wald nahe der Autobahn Berlin-Leipzig zu locken und dort zu erschießen. Erst den einen im damaligen Bezirk Potsdam, dann den anderen, zwar nur gut zwei Kilometer entfernt, aber doch schon im Bezirk Halle.
Die Leichen werden erst Wochen später gefunden, ihr Zustand ist entsprechend. Die Mordkommissionen der beiden Bezirke übernehmen. Es dauert eine Weile, bis klar wird, dass beide Morde miteinander zu tun haben. Aber auch das bringt die Ermittler nicht weiter, die wenigen Spuren führen nur ins Nichts. Schließlich geht der Fall an die Staatssicherheit, dort sind bei der Mordaufklärung die besten Ermittler der DDR versammelt. Sie lösen den Fall tatsächlich, aber je mehr sie herausfinden, desto gewisser wird: Sie haben den Mörder im eigenen Haus. Ein unauffälliger, dienstbeflissener, nicht sonderlich in seiner Truppe beliebter Stasi-Major: "Seine pampige Art ist bei der Armee mehrfach gerügt worden." Erst in den Vernehmungen zeigen sich die Abgründe dieses Mannes, die vorher niemand gesehen hat, nicht einmal der Mann selbst.
Die DDR kannte damals noch die Todesstrafe, Scheithauer wurde per Fallbeil hingerichtet, der ganze Fall vertuscht. Aber die Akte dazu ist umfangreich und hat die Zeit überdauert. Durch einen Tipp kam der Journalist Jürgen Schreiber darauf, sich das Material anzusehen. Es war, als würde er einen Thriller lesen. Aber es war kein Thriller. Der musste erst noch geschrieben werden. Jetzt liegt er vor.
So einen Archivfund macht man nicht alle Tage. Schreiber musste nur aufschreiben, was er in den Akten fand. Das reicht für einen Erzählung, die man so schnell nicht wieder aus der Hand legt. Aber reicht es auch für ein Buch von mehr als dreihundert Seiten? Schreiber hat versucht, alles zu rekonstruieren, was damals passierte. Die Vernehmungsprotokolle werden ihm zu Szenen, jedes Detail wichtig - und gern folgt man ihm, es ist so spannend. Wie es ihm gelingt, die an dem Fall Beteiligten lebendig werden zu lassen, den Mörder, die Opfer, die Ermittler - da erkennt man den Routinier.
Aber wenn Schreiber dann, hingerissen von seinem unglaublichen Stoff, auch noch meint, die Seelen seines Personals ausloten zu können, die geheimen Gedanken und Vorstellungen, da überwuchert wohl doch die Phantasie das Material. Und einmal als Leser ernüchtert, fällt einem nach und nach immer mehr auf, wie Schreiber seinen Text mitunter gleichsam mit Luft aufpumpt, nur damit es ein paar mehr Seiten werden. Über einen der Ermittler heißt es: "Man lernt doch aus Krimis, wie populär Gräuel die Ermittler machen können. Der Sohn eines Grubenarbeiters aus Beuthen (Polen), mit Allerweltsgesicht und etwas ungeschlachter Eleganz, hätte das Zeug zum Fernsehkommissar gehabt. Einer wie Gert Fröbe wäre mit Wollnys Rolle figürlich 1:1 besetzt, aber der Filmstar hätte vielleicht keinen Oberkommunisten spielen wollen, der sich als Sekretär der SED-Ortsgruppe Groß Rietz die ersten Sporen verdiente."
Störend ist auch, wie dem Wessi Schreiber bei allem Aktenstudium die DDR-Zustände fremd bleiben, was ihn am fröhlichen Urteilen jedoch nicht hindert: "In bedingungsloser SED-Anhänglichkeit guckte man auch auf billig gerahmte Bilder des von ZK-Kadern flankierten Obergenossen Ulbricht. Ein Land, umzingelt von verblassenden Majestätsbildern des spitzbärtigen Statthalters, wo doch die Wände nach therapeutischem Rosa schrien oder Reproduktionen von Picassos Tauben willkommener Augentrost wären. Der Genosse Oberleutnant Michels hätte sogar Fotos vom jüngsten Kuba-Besuch mitbringen können, auf denen die rote Sonne im Meer versinkt." Mit solch unnötigem Quatsch vergibt sich Schreiber eine Menge. Schade. Dennoch: ein fesselndes Buch.
FRANK PERGANDE.
Jürgen Schreiber: "Ein Verräter wie er". Die Geschichte eines kaltblütigen Doppelmords und wie ihn die Stasi vertuschte.
Droemer Verlag, München 2019. 336 S, geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aufgeklärt und vertuscht: Jürgen Schreiber erzählt einen Kriminalfall aus dem Stasi-Milieu der DDR
Sechs Tage nach dem Beginn des Mauerbaus geschieht in der DDR ein Doppelmord, der als der ungewöhnlichste Mord in der DDR-Geschichte überhaupt gelten kann. Die Opfer sind zwei junge Nicaraguaner, die mit viel Hoffnung ihr Land verlassen hatten, um in Europa ihr Glück zu suchen. Sie landen in Deutschland und geraten in die Fänge der DDR-Staatssicherheit. Die Firma führt die beiden unter "Primel" und "Vergissmeinnicht". Sie hat Großes mit ihnen vor. Sie sollen ein Technikstudium aufnehmen, um später möglichst in einem Rüstungsbetrieb arbeiten und über alles Geheime dort berichten zu können.
Die Stasi meint es ernst, die Jungs weniger. Sie nehmen gern das Geld, das der Geheimdienst ihnen zahlt, amüsieren sich aber über die Geheimnistuerei mit Tarnnamen und Deckadressen und liefern belanglose Informationen. Nicht dass sie ein doppeltes Spiel spielen würden, sie wissen einfach nichts. Sie sind auch viel zu sehr mit den schönen Seiten des Lebens beschäftigt. Sie haben keine Ahnung von der Staatssicherheit und unterschätzen die Gefahr. So kommt es, dass sie ihren Führungsoffizier mehr und mehr in Bedrängnis bringen, der immer wieder Geld für sie lockermachen muss, aber keine Gegenleistung bekommt.
Allerdings spielt der Führungsoffizier seinerseits ein doppeltes Spiel. Von dem Geld für seine Spione zweigt er regelmäßig etwas für sich ab. Trotz Klassenstandpunkt erliegt er der Glitzerwelt des Westens. Die innerdeutsche Grenze zu überschreiten ist für ihn kein Problem, es gehört zu seinem Dienst. Er tut es manchmal ausschließlich zu dem Zweck, in West-Berlin einzukaufen. Am Ende nutzt Helmut Scheithauer alias IM "Heinz Schröder" das Durcheinander des Mauerbaus, um die ihm lästig gewordenen Nicaraguaner in den Wald nahe der Autobahn Berlin-Leipzig zu locken und dort zu erschießen. Erst den einen im damaligen Bezirk Potsdam, dann den anderen, zwar nur gut zwei Kilometer entfernt, aber doch schon im Bezirk Halle.
Die Leichen werden erst Wochen später gefunden, ihr Zustand ist entsprechend. Die Mordkommissionen der beiden Bezirke übernehmen. Es dauert eine Weile, bis klar wird, dass beide Morde miteinander zu tun haben. Aber auch das bringt die Ermittler nicht weiter, die wenigen Spuren führen nur ins Nichts. Schließlich geht der Fall an die Staatssicherheit, dort sind bei der Mordaufklärung die besten Ermittler der DDR versammelt. Sie lösen den Fall tatsächlich, aber je mehr sie herausfinden, desto gewisser wird: Sie haben den Mörder im eigenen Haus. Ein unauffälliger, dienstbeflissener, nicht sonderlich in seiner Truppe beliebter Stasi-Major: "Seine pampige Art ist bei der Armee mehrfach gerügt worden." Erst in den Vernehmungen zeigen sich die Abgründe dieses Mannes, die vorher niemand gesehen hat, nicht einmal der Mann selbst.
Die DDR kannte damals noch die Todesstrafe, Scheithauer wurde per Fallbeil hingerichtet, der ganze Fall vertuscht. Aber die Akte dazu ist umfangreich und hat die Zeit überdauert. Durch einen Tipp kam der Journalist Jürgen Schreiber darauf, sich das Material anzusehen. Es war, als würde er einen Thriller lesen. Aber es war kein Thriller. Der musste erst noch geschrieben werden. Jetzt liegt er vor.
So einen Archivfund macht man nicht alle Tage. Schreiber musste nur aufschreiben, was er in den Akten fand. Das reicht für einen Erzählung, die man so schnell nicht wieder aus der Hand legt. Aber reicht es auch für ein Buch von mehr als dreihundert Seiten? Schreiber hat versucht, alles zu rekonstruieren, was damals passierte. Die Vernehmungsprotokolle werden ihm zu Szenen, jedes Detail wichtig - und gern folgt man ihm, es ist so spannend. Wie es ihm gelingt, die an dem Fall Beteiligten lebendig werden zu lassen, den Mörder, die Opfer, die Ermittler - da erkennt man den Routinier.
Aber wenn Schreiber dann, hingerissen von seinem unglaublichen Stoff, auch noch meint, die Seelen seines Personals ausloten zu können, die geheimen Gedanken und Vorstellungen, da überwuchert wohl doch die Phantasie das Material. Und einmal als Leser ernüchtert, fällt einem nach und nach immer mehr auf, wie Schreiber seinen Text mitunter gleichsam mit Luft aufpumpt, nur damit es ein paar mehr Seiten werden. Über einen der Ermittler heißt es: "Man lernt doch aus Krimis, wie populär Gräuel die Ermittler machen können. Der Sohn eines Grubenarbeiters aus Beuthen (Polen), mit Allerweltsgesicht und etwas ungeschlachter Eleganz, hätte das Zeug zum Fernsehkommissar gehabt. Einer wie Gert Fröbe wäre mit Wollnys Rolle figürlich 1:1 besetzt, aber der Filmstar hätte vielleicht keinen Oberkommunisten spielen wollen, der sich als Sekretär der SED-Ortsgruppe Groß Rietz die ersten Sporen verdiente."
Störend ist auch, wie dem Wessi Schreiber bei allem Aktenstudium die DDR-Zustände fremd bleiben, was ihn am fröhlichen Urteilen jedoch nicht hindert: "In bedingungsloser SED-Anhänglichkeit guckte man auch auf billig gerahmte Bilder des von ZK-Kadern flankierten Obergenossen Ulbricht. Ein Land, umzingelt von verblassenden Majestätsbildern des spitzbärtigen Statthalters, wo doch die Wände nach therapeutischem Rosa schrien oder Reproduktionen von Picassos Tauben willkommener Augentrost wären. Der Genosse Oberleutnant Michels hätte sogar Fotos vom jüngsten Kuba-Besuch mitbringen können, auf denen die rote Sonne im Meer versinkt." Mit solch unnötigem Quatsch vergibt sich Schreiber eine Menge. Schade. Dennoch: ein fesselndes Buch.
FRANK PERGANDE.
Jürgen Schreiber: "Ein Verräter wie er". Die Geschichte eines kaltblütigen Doppelmords und wie ihn die Stasi vertuschte.
Droemer Verlag, München 2019. 336 S, geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main