Lass uns verreisen, sagte er, ans Meer, für eine Nacht. Ich war seit Ewigkeiten nicht am Meer.
Ihn kann so schnell nichts überraschen, denn er arbeitet schon lange als Kellner in einem gehobenen Restaurant. Zu oft hat er die kleinen Gesten für die großen Gefühle seiner Gäste beobachten können: wie die Pärchen sich gegenseitig beeindrucken, wie sie einander umtänzeln, wie sie sich wieder entlieben. Aber dann betreten ein Mann und eine Frau sein Restaurant, für die der Kellner noch keine Worte hat. Und die sein Leben verändern werden.
Sie ist atemberaubend. Aber was heißt das schon? Zehn von neun Männern würden für sie Frau und Besitz aufgeben, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber der, mit dem sie jetzt an einem Tisch sitzt, hat nichts Triumphales an sich. Er ist beneidenswert entspannt in seiner Selbstsicherheit: Ich hatte sie. Ihr nicht. Der Kellner beginnt, die Beziehung der beiden zu »lesen«, er dechiffriert die Bruchstücke ihrer Unterhaltung, die er belauscht, er deutet den Schwung ihrer Gesten. An den nur ein wenig verrutschten Kleidungsstücken erkennt er den Sex, von dem sie gerade kommen. Er wird zum Mitwisser ihrer Affäre - und unversehens zum Beteiligten. Clemens Berger entführt uns in einen Zwischenraum der gewöhnlichen Zeit, in die Spanne kurz vor oder kurz nach Mitternacht, wenn mehr möglich ist, als man sich je ausgemalt hatte. Und er erfindet eine ganz eigene, atemberaubend genaue, sinnliche und elegante Sprache für das, was man so leichtfertig Erotik nennt.
Ihn kann so schnell nichts überraschen, denn er arbeitet schon lange als Kellner in einem gehobenen Restaurant. Zu oft hat er die kleinen Gesten für die großen Gefühle seiner Gäste beobachten können: wie die Pärchen sich gegenseitig beeindrucken, wie sie einander umtänzeln, wie sie sich wieder entlieben. Aber dann betreten ein Mann und eine Frau sein Restaurant, für die der Kellner noch keine Worte hat. Und die sein Leben verändern werden.
Sie ist atemberaubend. Aber was heißt das schon? Zehn von neun Männern würden für sie Frau und Besitz aufgeben, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber der, mit dem sie jetzt an einem Tisch sitzt, hat nichts Triumphales an sich. Er ist beneidenswert entspannt in seiner Selbstsicherheit: Ich hatte sie. Ihr nicht. Der Kellner beginnt, die Beziehung der beiden zu »lesen«, er dechiffriert die Bruchstücke ihrer Unterhaltung, die er belauscht, er deutet den Schwung ihrer Gesten. An den nur ein wenig verrutschten Kleidungsstücken erkennt er den Sex, von dem sie gerade kommen. Er wird zum Mitwisser ihrer Affäre - und unversehens zum Beteiligten. Clemens Berger entführt uns in einen Zwischenraum der gewöhnlichen Zeit, in die Spanne kurz vor oder kurz nach Mitternacht, wenn mehr möglich ist, als man sich je ausgemalt hatte. Und er erfindet eine ganz eigene, atemberaubend genaue, sinnliche und elegante Sprache für das, was man so leichtfertig Erotik nennt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wenig überzeugt, wenig beglückt zeigt sich Oliver Pfohlmann nach der Lektüre dieses erotischen Kurzromans von Clemens Berger. Nicht nur, dass der Autor die hohe Kunst der Sexszene nicht zu Pfohlmanns Zufriedenheit beherrscht (der Rezesent empfiehlt, Doris Knecht zu lesen). Die sexy Männerfantasien im Buch erscheinen ihm auch eher wenig anregend stereotyp und bloße Behauptung. Schade, meint der Rezensent, den das etwas sperrig klingende Thema "(Un-)Möglichkeit freier Erotik in der Gegenwart" wie auch der Plot durchaus angespitzt haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2013Männerphantasien
Clemens Bergers neuer Roman "Ein Versprechen von Gegenwart" handelt von der unverbindlichen Verbindlichkeit in Sachen Liebe.
Intimbeziehungen sind heute prinzipiell chaotisch und extrem unsicher, wie Leser der Soziologin Eva Illouz wissen. Sind sie doch just jener Ort, an dem die Paradoxien und Aporien der Spätmoderne ausgetragen werden - im Hin und Her zwischen Freiheit und Konsens, Vergnügungssex und emotionaler Verstrickung. Das müssen am Ende auch die "Wildkatze" und der "Löwe" erfahren, die elegante, verheiratete Geschäftsfrau Irina aus Osteuropa und ihr namenlos bleibender, älterer Liebhaber aus dem Wiener Theaterbetrieb.
Nach jedem ihrer Treffen, bei denen schon mal das eine oder andere zu Bruch geht (",Du hast nicht nur das Bett zerstört', sagte sie und hob drohend den Zeigefinger, bevor sie die Stimme senkte, ,du hast mich beinahe zerstört'"), gönnen sie sich als Nachspiel eine Art Auftritt im Lokal um die Ecke. Während die beiden die bewundernd-neidischen Blicke der Anwesenden auf sich ziehen, schauen sie einander an ihrem Stammecktisch bei Bitter Lemon, Bier und Filetspitzen gelassen in die Augen, "als wollten sie einander unaufhörlich sagen, was sie wortlos Lügen straften: ,Ich könnte auch ohne dich sein.'".
Damit werden sie für Valentin, den Erzähler von Clemens Bergers erotischem Kurzroman und "heimlichen Dritten im Bunde", zur perfekten Verkörperung einer "unverbindlichen Verbindlichkeit", eines "Versprechens von Gegenwart". Eigentlich kennt der Kellner des gehobenen Wiener Lokals längst alle Arten von Gästen, die frisch Verliebten ebenso wie die Schlussmacher oder verschämten Seitenspringer. Und doch steht er vom ersten Besuch des "hohen Paares" an in deren Bann. Ihm werden die "Wildkatze" und der "Löwe", wie er sie nennt, zur "Tatsächlichkeit einer Möglichkeit, an die ich nicht mehr glauben konnte oder wollte", und so zur Projektionsfläche eigener unausgelebter Wünsche. Diese "Möglichkeit" nennt Valentin die "zweite Welt"; gegen die zweck- und pflichtbestimmte erste erhebt die zweite leise, aber beharrlich Einspruch und ist als eine ästhetische Welt reiner Sinnlichkeit und Präsenz gedacht.
Schon bald fängt der "hellhörig" gewordene Valentin an, seine Beobachtungen, erlauschten Gesprächsfetzen und Vermutungen in ein altes Kassabuch zu schreiben. Realität und Fiktion vermischen sich - längere Passagen in Kursivschrift erzählen die Geschichte des Paares aus Sicht des "Löwen", entstammen aber wohl der Phantasie des Kellners. Valentins Beobachtungen bleiben nicht ohne Folgen, nicht für das Paar, dem sich nach einer zwischenzeitlichen Trennungsphase neue Fragen stellen, und nicht für Valentins eigenes Liebes- oder besser Triebleben, dem eine junge Kellnerkollegin zum Opfer fällt. Am Ende ist einer der Beteiligten tot, ein anderer auf der Flucht. Und der gefeuerte Erzähler hängt irgendwo am Meer seinen Erinnerungen nach, auch denen an eine zerstörerische frühere Beziehung mit Drogen, Sadomaso-Sex und Selbstmorddrohungen.
Wie in dem Vorgängerroman "Das Streichelinstitut" über einen Wiener Lebenskünstler, der aus seinem Berührungstalent berufliches und sexuelles Kapital schlägt, geht es auch im neuen Werk des vierunddreißig Jahre alten Österreichers um die (Un-)Möglichkeit freier Erotik in der Gegenwart. Dem vielversprechenden Plot und einigen geglückten Reflexionen über die Idee einer "zweiten Welt" zum Trotz hält sich das Lesevergnügen jedoch in Grenzen.
Dass für die "atemberaubende" Irina "neun von zehn Männern ihre Frauen hintergangen hätten", bleibt bloße Behauptung; die "auffällig geschwollenen Lippen" und der offenbar sündhaft teure Busen dieser Männerphantasie auf Bleistiftabsätzen sind so stereotyp wie ihr gewalttätiger russischer Gatte. Wie Sexszenen heute geschrieben sein können, das lässt sich jedenfalls besser bei Clemens Bergers österreichischer Kollegin Doris Knecht nachlesen.
OLIVER PFOHLMANN.
Clemens Berger: "Ein Versprechen von Gegenwart". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2013. 158 S., geb., 12,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Clemens Bergers neuer Roman "Ein Versprechen von Gegenwart" handelt von der unverbindlichen Verbindlichkeit in Sachen Liebe.
Intimbeziehungen sind heute prinzipiell chaotisch und extrem unsicher, wie Leser der Soziologin Eva Illouz wissen. Sind sie doch just jener Ort, an dem die Paradoxien und Aporien der Spätmoderne ausgetragen werden - im Hin und Her zwischen Freiheit und Konsens, Vergnügungssex und emotionaler Verstrickung. Das müssen am Ende auch die "Wildkatze" und der "Löwe" erfahren, die elegante, verheiratete Geschäftsfrau Irina aus Osteuropa und ihr namenlos bleibender, älterer Liebhaber aus dem Wiener Theaterbetrieb.
Nach jedem ihrer Treffen, bei denen schon mal das eine oder andere zu Bruch geht (",Du hast nicht nur das Bett zerstört', sagte sie und hob drohend den Zeigefinger, bevor sie die Stimme senkte, ,du hast mich beinahe zerstört'"), gönnen sie sich als Nachspiel eine Art Auftritt im Lokal um die Ecke. Während die beiden die bewundernd-neidischen Blicke der Anwesenden auf sich ziehen, schauen sie einander an ihrem Stammecktisch bei Bitter Lemon, Bier und Filetspitzen gelassen in die Augen, "als wollten sie einander unaufhörlich sagen, was sie wortlos Lügen straften: ,Ich könnte auch ohne dich sein.'".
Damit werden sie für Valentin, den Erzähler von Clemens Bergers erotischem Kurzroman und "heimlichen Dritten im Bunde", zur perfekten Verkörperung einer "unverbindlichen Verbindlichkeit", eines "Versprechens von Gegenwart". Eigentlich kennt der Kellner des gehobenen Wiener Lokals längst alle Arten von Gästen, die frisch Verliebten ebenso wie die Schlussmacher oder verschämten Seitenspringer. Und doch steht er vom ersten Besuch des "hohen Paares" an in deren Bann. Ihm werden die "Wildkatze" und der "Löwe", wie er sie nennt, zur "Tatsächlichkeit einer Möglichkeit, an die ich nicht mehr glauben konnte oder wollte", und so zur Projektionsfläche eigener unausgelebter Wünsche. Diese "Möglichkeit" nennt Valentin die "zweite Welt"; gegen die zweck- und pflichtbestimmte erste erhebt die zweite leise, aber beharrlich Einspruch und ist als eine ästhetische Welt reiner Sinnlichkeit und Präsenz gedacht.
Schon bald fängt der "hellhörig" gewordene Valentin an, seine Beobachtungen, erlauschten Gesprächsfetzen und Vermutungen in ein altes Kassabuch zu schreiben. Realität und Fiktion vermischen sich - längere Passagen in Kursivschrift erzählen die Geschichte des Paares aus Sicht des "Löwen", entstammen aber wohl der Phantasie des Kellners. Valentins Beobachtungen bleiben nicht ohne Folgen, nicht für das Paar, dem sich nach einer zwischenzeitlichen Trennungsphase neue Fragen stellen, und nicht für Valentins eigenes Liebes- oder besser Triebleben, dem eine junge Kellnerkollegin zum Opfer fällt. Am Ende ist einer der Beteiligten tot, ein anderer auf der Flucht. Und der gefeuerte Erzähler hängt irgendwo am Meer seinen Erinnerungen nach, auch denen an eine zerstörerische frühere Beziehung mit Drogen, Sadomaso-Sex und Selbstmorddrohungen.
Wie in dem Vorgängerroman "Das Streichelinstitut" über einen Wiener Lebenskünstler, der aus seinem Berührungstalent berufliches und sexuelles Kapital schlägt, geht es auch im neuen Werk des vierunddreißig Jahre alten Österreichers um die (Un-)Möglichkeit freier Erotik in der Gegenwart. Dem vielversprechenden Plot und einigen geglückten Reflexionen über die Idee einer "zweiten Welt" zum Trotz hält sich das Lesevergnügen jedoch in Grenzen.
Dass für die "atemberaubende" Irina "neun von zehn Männern ihre Frauen hintergangen hätten", bleibt bloße Behauptung; die "auffällig geschwollenen Lippen" und der offenbar sündhaft teure Busen dieser Männerphantasie auf Bleistiftabsätzen sind so stereotyp wie ihr gewalttätiger russischer Gatte. Wie Sexszenen heute geschrieben sein können, das lässt sich jedenfalls besser bei Clemens Bergers österreichischer Kollegin Doris Knecht nachlesen.
OLIVER PFOHLMANN.
Clemens Berger: "Ein Versprechen von Gegenwart". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2013. 158 S., geb., 12,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main