'Geh hin und zeig es. Treten wir unsere Wanderung an 'Theodor Fontanes Reiseschilderungen machen selig - gleich, ob grüngemusterte Gärten oder Havelforsten beschrieben werden, neue Orangeriehäuser oder Schilfgürtel, fester Lehm und weißes Gewölk. Vielleicht ist es die ihnen innewohnende Behaglichkeit, vielleicht ist es diese nicht bemüht wirkende Leichtigkeit? Zuneigung zu Land und Menschen ist es auf jeden Fall, und Zuneigung birgt Licht. Dieses Licht ist den Aquarellen Hans-Jürgen Gaudecks eigen. Jede Doppelseite dieses Buches strahlt in Wort und Bild - Werk steht neben Werk und jedes lehrt uns etwas Wunderbares: Es ist an uns, sehen zu lernen, es ist an uns, sehen zu machen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.04.2014Leuchtende Nebel
Hans-Jürgen Gaudeck bereist Theodor-Fontane-Orte und kommentiert die Schilderungen
des Schriftstellers in seinen Aquarellen. Eine überraschende Kombination
VON STEFAN FISCHER
Theodor Fontane und sein Werk sind eng mit der Mark Brandenburg verbunden, weshalb man ihn als einen sehr deutschen Dichter wahrnimmt. Fontane ist allerdings weit gereist und hat erst in der Fremde, also durch die Möglichkeiten des Vergleichs, sowie durch die Reife des Alters erkannt, was er an seiner Heimat hat. Der Maler Hans-Jürgen Gaudeck zitiert in seinem Buch „Ein weites Land“ einen Brief Fontanes an die mit ihm befreundete Mathilde von Rohr. Der Journalist und Schriftsteller hat ihr 1874 aus Italien geschrieben, berauscht von seinen Eindrücken, aber klar in seinem Urteil: „All dieser Herrlichkeit gegenüber empfand ich deutlich, und nicht einmal schmerzlich, dass meine bescheidene Lebensaufgabe nicht am Golf von Neapel, sondern an Spree und Havel, nicht am Vesuv, sondern an den Müggelsbergen liegt.“ Da waren die ersten drei der insgesamt vier Bände der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ bereits erschienen.
Hans-Jürgen Gaudeck, selbst ein Berliner, hat diese Fontane-Landschaft nun, knapp 150 Jahre später, aquarelliert. Das funktioniert sehr gut und um vieles besser als die meisten Versuche, historische Reiseliteratur mit aktueller Fotografie zu kombinieren. Denn Fotos sind im Zweifelsfall immer einem konkreten Augenblick verhaftet, der mit dem in Worten beschriebenen Moment nur schwer in eine bedeutsame Verbindung gebracht werden kann. Die Aquarelle hingegen sind ihrer Natur nach durchschimmernd, im Detail unkonkret und dadurch offen für Assoziationen. In einem solchen Gemälde – bei Gaudeck ist das der Fall – können sogar verschiedene Jahreszeiten und unterschiedliche Epochen gleichzeitig existieren. Und so stellt Gaudeck ausgewählten Fontane-Texten, nicht nur aus den „Wanderungen“, seine Werke bei, die die Sprachbilder nicht illustrieren, sondern optisch ausloten. Erschienen ist „Ein weites Land“ im vergangenen Jahr, und beinahe zwangsläufig hat Gaudeck jetzt den Band „Von London nach Pompeji mit Theodor Fontane“ folgen lassen. Weil das Bild von diesem produktiven Autor nicht vollständig wäre, beschränkte man sich auf das im Berliner Umland Angesiedelte – und weil damit auch Gaudecks Aquarell-Zyklus sehr lückenhaft bliebe.
Der aktuelle Band liefert also die Vorgeschichte zum ersten Fontane-Buch des Malers. Er beginnt, wie schon „Ein weites Land“, mit einigen Aquarellen von touristischen Sehenswürdigkeiten: dem Parlamentsgebäude sowie einer Straßenszene und dem Tower in London. Später geht es hinaus aufs Land und schließlich auch noch hinüber auf den Kontinent.
An der englischen Metropole, in der er einige Jahre als politischer Korrespondent gearbeitet hat, haben Fontane die Menschenmassen fasziniert, für ihn haben sie den Zauber Londons ausgemacht – und so zeigt Hans-Jürgen Gaudeck die Mengen auch, als eine Woge, die aber nicht über einem zusammenzuschlagen droht, sondern in die man lustvoll eintauchen möchte, um teilzuhaben am virilen Alltag. Aber auch der schottischen Einsamkeit verfällt Fontane, angeleitet von den Schilderungen seines Vorbildes Sir Walter Scott – und dennoch dessen Idealisierung dieser Landschaft kritisierend. Auch diesen Weg geht Gaudeck mit: Er überlässt es dem Betrachter zu entscheiden, wie heimelig oder aber bedrohlich er eine Szenerie wahrnimmt. Wenn die Dinge ein wenig vernebelt erscheinen, seien sie am schönsten, so Fontane: „Das Licht ist der Feind der Phantastik.“ Bei Gaudeck sind die Nebel gelb, rot und satt grün. Denn das gräulich Obskure ist seine Sache nicht.
Hans-Jürgen Gaudeck, Theodor Fontane : Ein weites Land. Steffen Verlag, Berlin 2013. 84 Seiten, 16,95 Euro.
Hans-Jürgen Gaudeck, Theodor Fontane : Von London bis Pompeji mit Theodor Fontane. Steffen Verlag, Berlin 2014. 84 Seiten, 16,95 Euro.
Aquarelle aus beiden Büchern sind in der Ausstellung Wanderungen und Reisen mit Theodor Fontane zu sehen, 13. Juni bis 28. September 2014, Schloss Ribbeck, Theodor-Fontane-Str. 10, 14641 Ribbeck, www.schlossribbeck.de
REISEBUCH
„Die überschwängliche Fülle, die unerschöpfliche Masse – das ist die eigentliche Wesenheit, der Charakter Londons“, urteilt Theodor Fontane.
Abbildung: Gaudeck
Noch einmal Fontane: „Hastings wächst von Jahr zu Jahr und mit Recht, denn die englische Südküste hat keinen schöneren Punkt.“
Abbildung: Gaudeck
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hans-Jürgen Gaudeck bereist Theodor-Fontane-Orte und kommentiert die Schilderungen
des Schriftstellers in seinen Aquarellen. Eine überraschende Kombination
VON STEFAN FISCHER
Theodor Fontane und sein Werk sind eng mit der Mark Brandenburg verbunden, weshalb man ihn als einen sehr deutschen Dichter wahrnimmt. Fontane ist allerdings weit gereist und hat erst in der Fremde, also durch die Möglichkeiten des Vergleichs, sowie durch die Reife des Alters erkannt, was er an seiner Heimat hat. Der Maler Hans-Jürgen Gaudeck zitiert in seinem Buch „Ein weites Land“ einen Brief Fontanes an die mit ihm befreundete Mathilde von Rohr. Der Journalist und Schriftsteller hat ihr 1874 aus Italien geschrieben, berauscht von seinen Eindrücken, aber klar in seinem Urteil: „All dieser Herrlichkeit gegenüber empfand ich deutlich, und nicht einmal schmerzlich, dass meine bescheidene Lebensaufgabe nicht am Golf von Neapel, sondern an Spree und Havel, nicht am Vesuv, sondern an den Müggelsbergen liegt.“ Da waren die ersten drei der insgesamt vier Bände der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ bereits erschienen.
Hans-Jürgen Gaudeck, selbst ein Berliner, hat diese Fontane-Landschaft nun, knapp 150 Jahre später, aquarelliert. Das funktioniert sehr gut und um vieles besser als die meisten Versuche, historische Reiseliteratur mit aktueller Fotografie zu kombinieren. Denn Fotos sind im Zweifelsfall immer einem konkreten Augenblick verhaftet, der mit dem in Worten beschriebenen Moment nur schwer in eine bedeutsame Verbindung gebracht werden kann. Die Aquarelle hingegen sind ihrer Natur nach durchschimmernd, im Detail unkonkret und dadurch offen für Assoziationen. In einem solchen Gemälde – bei Gaudeck ist das der Fall – können sogar verschiedene Jahreszeiten und unterschiedliche Epochen gleichzeitig existieren. Und so stellt Gaudeck ausgewählten Fontane-Texten, nicht nur aus den „Wanderungen“, seine Werke bei, die die Sprachbilder nicht illustrieren, sondern optisch ausloten. Erschienen ist „Ein weites Land“ im vergangenen Jahr, und beinahe zwangsläufig hat Gaudeck jetzt den Band „Von London nach Pompeji mit Theodor Fontane“ folgen lassen. Weil das Bild von diesem produktiven Autor nicht vollständig wäre, beschränkte man sich auf das im Berliner Umland Angesiedelte – und weil damit auch Gaudecks Aquarell-Zyklus sehr lückenhaft bliebe.
Der aktuelle Band liefert also die Vorgeschichte zum ersten Fontane-Buch des Malers. Er beginnt, wie schon „Ein weites Land“, mit einigen Aquarellen von touristischen Sehenswürdigkeiten: dem Parlamentsgebäude sowie einer Straßenszene und dem Tower in London. Später geht es hinaus aufs Land und schließlich auch noch hinüber auf den Kontinent.
An der englischen Metropole, in der er einige Jahre als politischer Korrespondent gearbeitet hat, haben Fontane die Menschenmassen fasziniert, für ihn haben sie den Zauber Londons ausgemacht – und so zeigt Hans-Jürgen Gaudeck die Mengen auch, als eine Woge, die aber nicht über einem zusammenzuschlagen droht, sondern in die man lustvoll eintauchen möchte, um teilzuhaben am virilen Alltag. Aber auch der schottischen Einsamkeit verfällt Fontane, angeleitet von den Schilderungen seines Vorbildes Sir Walter Scott – und dennoch dessen Idealisierung dieser Landschaft kritisierend. Auch diesen Weg geht Gaudeck mit: Er überlässt es dem Betrachter zu entscheiden, wie heimelig oder aber bedrohlich er eine Szenerie wahrnimmt. Wenn die Dinge ein wenig vernebelt erscheinen, seien sie am schönsten, so Fontane: „Das Licht ist der Feind der Phantastik.“ Bei Gaudeck sind die Nebel gelb, rot und satt grün. Denn das gräulich Obskure ist seine Sache nicht.
Hans-Jürgen Gaudeck, Theodor Fontane : Ein weites Land. Steffen Verlag, Berlin 2013. 84 Seiten, 16,95 Euro.
Hans-Jürgen Gaudeck, Theodor Fontane : Von London bis Pompeji mit Theodor Fontane. Steffen Verlag, Berlin 2014. 84 Seiten, 16,95 Euro.
Aquarelle aus beiden Büchern sind in der Ausstellung Wanderungen und Reisen mit Theodor Fontane zu sehen, 13. Juni bis 28. September 2014, Schloss Ribbeck, Theodor-Fontane-Str. 10, 14641 Ribbeck, www.schlossribbeck.de
REISEBUCH
„Die überschwängliche Fülle, die unerschöpfliche Masse – das ist die eigentliche Wesenheit, der Charakter Londons“, urteilt Theodor Fontane.
Abbildung: Gaudeck
Noch einmal Fontane: „Hastings wächst von Jahr zu Jahr und mit Recht, denn die englische Südküste hat keinen schöneren Punkt.“
Abbildung: Gaudeck
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