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Noch vor der Tagwache begeben sich drei Wehrmachtssoldaten auf den Weg, um in der verschneiten Umgebung versteckte Juden zu finden. Für sie eine Möglichkeit, den täglichen Erschießungen im Lager zu entgehen. Nachdem sie einen jungen Mann gefangen genommen haben, suchen sie auf dem Rückweg in einem verlassenen Haus Schutz vor dem Hunger und der quälenden Kälte, die all ihr Denken überlagern. Während sie darauf warten, dass das Feuer im Ofen brennt und die Suppe kocht, treten ihrepersönlichen Bedürfnisse und Sorgen allmählich in den Hintergrund; und das unfassbare Grauen, in dem sie stecken,…mehr

Produktbeschreibung
Noch vor der Tagwache begeben sich drei Wehrmachtssoldaten auf den Weg, um in der verschneiten Umgebung versteckte Juden zu finden. Für sie eine Möglichkeit, den täglichen Erschießungen im Lager zu entgehen. Nachdem sie einen jungen Mann gefangen genommen haben, suchen sie auf dem Rückweg in einem verlassenen Haus Schutz vor dem Hunger und der quälenden Kälte, die all ihr Denken überlagern. Während sie darauf warten, dass das Feuer im Ofen brennt und die Suppe kocht, treten ihrepersönlichen Bedürfnisse und Sorgen allmählich in den Hintergrund; und das unfassbare Grauen, in dem sie stecken, bekommt ein neues Gewicht. - Auf kleinem Raum erzählt Hubert Mingarelli von zweifelhaften Gnadenakten, undenkbarer Schuld und der Banalität des Bösen, schlicht und eindringlich.Eine bewegende Geschichte über die Grundwerte des menschlichen Handelns und die erschreckend simple Logik der Pflichterfüllung in dunklen Zeiten.
Autorenporträt
Hubert Mingarelli (1956¿2020) umfangreiches Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Prix Médicis, und war für den Prix Goncourt und den International Booker Prize nominiert. Ein Wintermahl ist sein erster Roman, der auf Deutsch erschienen ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2020

Geschlossene Gesellschaft
Unschuldig bleibt keiner: Hubert Mingarellis Roman "Ein Wintermahl"

Hubert Mingarelli, der Anfang dieses Jahres im Alter von 64 Jahren gestorben ist, war ein ungemein produktiver Schriftsteller (und Drehbuchautor) und zugleich Meister einer minimalistischen Schreibweise, die nichts Artifizielles hat und gerade in ihrer Knappheit alles Verschwommene meidet und genau den Punkt trifft. Dieser Minimalismus hat es Mingarelli immer wieder erlaubt, ohne Pathos von extremen Situationen oder gar mitten aus der Hölle zu erzählen, wie in seinem nun endlich ins Deutsche übersetzten Roman "Un repas en hiver", der in Frankreich schon 2012 erschien.

Man muss sich die Hölle hier als einen Ort der Banalität des Bösen vorstellen, wie Hannah Arendt sie in ihrem Eichmann-Buch beschrieben hat. Lokalisiert ist sie in Polen, zeitlich angesiedelt in einem strengen Winter der Anfangsjahre des Zweiten Weltkriegs. Wie bekannt, begann mit dem Überfall auf Polen der Vernichtungskrieg gegen Juden und Angehörige "minderwertiger Völker", an dem von Beginn an auch die "anständige" deutsche Wehrmacht beteiligt war. Mingarellis Roman erzählt von dem Versuch dreier deutscher Soldaten, wenigstens vorübergehend der Hölle zu entkommen, was, wie man ahnt, nicht gelingen kann, weil diese Hölle ein geschlossener Raum wie in Becketts "Endspiel" ist.

Konkret geht es für die drei - einen namenlosen Ich-Erzähler und seine beiden Kameraden Emmerich und Bauer, die offenkundig schon seit einiger Zeit ein eng verbundenes Trio bilden - darum, den Massenerschießungen, mit denen ihre Einheit hauptsächlich betraut ist, zu entkommen und mit der weniger belastenden Aufgabe beauftragt zu werden, Juden "nur" aufzuspüren und gefangen zu nehmen. Diesen Auftrag verschaffen sie sich von ihrem Kommandanten, der im Gegensatz zu ihrem unmittelbaren Vorgesetzten, Leutnant Graaf, als Offizier alter Schule geschildert wird. Noch vor der Morgendämmerung machen sie sich auf den Weg: "Die Straße war härter als Stein. Wir marschierten lange Zeit, ohne Pause, in der Kälte, unter dem gefrorenen Himmel, aber mit einem leichten Glücksgefühl."

Als der Tag anbricht, sind sie so weit gegangen, dass "nichts mehr zu hören war, nicht einmal das Echo der ersten Erschießung". Der Sensibelste von ihnen, Emmerich, dessen ganze Sorge seinem Sohn zu Hause gilt, findet im Wald schließlich einen jungen Juden, der sich in einem Erdloch versteckt gehalten hat. "Wir hatten nicht mehr das Recht, sie gleich dort zu töten, wo wir sie fanden. Es musste wenigstens ein Offizier als Zeuge dabei sein."

Außerhalb des Waldes entdecken die drei und ihr Gefangener ein verlassenes Haus, und hier beginnen die Vorbereitungen für das Essen, das dem Roman seinen Titel gibt. Der Kamin muss von einer toten Katze befreit werden, die den Abzug verstopft, es muss, da keine Kohle zu finden ist, ein Großteil des Mobiliars zerkleinert und verfeuert werden, und man macht sich daran, aus den Zutaten, die Bauer aus der Küche der Einheit hat mitgehen lassen, eine Suppe zu kochen. Derweil ist der junge Jude in der Vorratskammer eingesperrt. Es klopft, und ein polnischer Jäger und sein Hund, den der Erzähler vorhin schon draußen gesehen hat, betritt das Haus. Mit Kartoffelschnaps kauft er sich als vierter Esser in die Runde ein.

Dann kommt der Augenblick, in dem sich die gesamte Konstellation verändert. Der Pole entdeckt durch den halb geöffneten Türspalt des Vorratsraums den Juden. Sein ganzes Verhalten ändert sich. "Er öffnete seinen zahnlosen Mund und schürzte die Lippen zu einem grässlichen Lächeln, wie das Maul eines toten Fisches ... Er sprach in der universellen Sprache der Bosheit und schüttelte den Kopf ebenso boshaft."

Die Botschaft ist klar: In diesem Moment siegt der leidenschaftliche Judenhass des Polen über die von drei Soldaten repräsentierte Banalität des Bösen. Spätestens hier, ohne dass Mingarelli seinen Minimalismus verlassen muss, gelingt es ihm, den Leser die Partei der Wehrmachtssoldaten ergreifen, ja, diese vorübergehend unschuldig erscheinen zu lassen.

Aber in der Hölle gibt es selbstverständlich keine Schuldlosen. Auch der Gedanke Emmerichs, den jungen Juden - etwa so alt wie sein Sohn - laufen zu lassen, um sich, vorausschauend für später, von Schuld zu entlasten, wird verworfen. Einer allein, rechnet man ihm vor, kann niemanden erlösen. Die Hölle ist eine geschlossene Gesellschaft, in der man seinen Platz finden muss. "Wir brachten ihn zur Kompanie, und anderntags ließ man uns bei Tagesanbruch wieder losziehen, vor der ersten Erschießung."

Mingarelli, der 2003 für "Quatre soldats" den renommierten Prix Médicis erhielt, ist kaum ins Deutsche übersetzt, im Gegensatz zum englischsprachigen Markt. Es wäre verdienstvoll, wenn der Verlag ars vivendi weitere Titel dieses zu Lebzeiten viel zu wenig wahrgenommenen Autors, gern wieder in der vortrefflichen Übersetzung Elmar Tannerts, dem deutschen Publikum endlich zugänglich machen könnte.

JOCHEN SCHIMMANG

Hubert Mingarelli: "Ein Wintermahl". Roman.

Aus dem Französischen von Elmar Tannert. Ars vivendi Verlag, Cadolzburg 2020. 142 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensent Carsten Hueck hält die Spannung kaum aus in Hubert Mingarellis kurzem, kargen Roman um ein paar Soldaten im Zweiten Weltkrieg, die sich weigern, Juden zu erschießen. Die Kulisse einer winterlichen Schneelandschaft, die knappen Dialoge, der Hunger und der Wunsch, dem Wahnsinn des Krieges zu entkommen, scheinen für Hueck beim Lesen greifbar. Wie Blicke und Gesten Bedeutung bekommen, wie die Atmosphäre dichter und dichter wird, scheint Hueck meisterlich in Form gebracht.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Karg, schön und schockierend - ein bemerkenswerter Roman« »Hubert Mingarelli hat ein tiefgreifendes Verständnis davon, wie Hass und Angst zusammenspielen. Dieser Roman sollte in ganz Europa gelesen werden« The Guardian »Kraftvoll, lebendig und ganz und gar überzeugend« Jewish Chronicle »Schlicht und tiefgründig« New York Times »Die trügerische Einfachheit und Direktheit des Buches und sein leiser Ton in der Darstellung des Schreckens lassen an Ernest Hemingway denken. So eine Lektüre kann erschütternd und schmerzhaft sein, sie zeigt aber auch, was ein kleines und perfektes Stück Literatur zu leisten imstande ist.« Wall Street Journal »Mit »Ein Wintermahl« ist dem französischen Autor Hubert Mingarelli eine Art Kammerspiel gelungen, das auf kleinstem Raum all die Schrecken, den Irrsinn und nicht zuletzt den Stumpfsinn des Tötens auf höchst beeindruckende Weise zur Schau stellt.« Axel Vits, Der andere Buchladen »Ein atmosphärischer und äußerst berührender Roman über die Grundwerte des menschlichen Handelns und die Banalität des Bösen.« Bücher, die wir empfehlen »Wie sie mit ihrer Moral und mit dem kargen Mahl, das sie noch haben, umgehen, wie sie Sympathie und Bissen verteilen, wie sie in quälender Kälte Funken von Menschlichkeit entzünden, wie sie hoffen und scheitern, wie das Böse banal wird und das Banale böse - das ist bewegende, sprachlich gefeilte Literatur.« »Nie moralisierend, hart und unerbittlich in den Gedanken, komisch in der unabänderbaren Tragik: ein großes kleines Buch über die Einsamkeit und den unstillbaren Wunsch, der Schuld zu entkommen.« - Bernd Noack Nürnberger Zeitung…mehr